A 704 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 16|
18. April 2014NEUROENDOKRINE TUMOREN DES PANKREAS
Neue Optionen verbessern Prognose
Bei Patienten mit fortgeschrittenen neuroendokrinen Tumoren des Pankreas erweitern zielgerichtete Substanzen das Therapiekonzept: Everolimus verlängert Studien zufolge das progressionsfreie Überleben und ist in der Praxis sicher anwendbar.
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in 37-jähriger Patient in gu- tem Allgemeinzustand stellt sich mit schmerzlosem Ikterus vor.Die ausführliche Diagnostik ergibt eine Pankreaskopfneoplasie mit In- dikation zur Operation. Der Befund der histologischen Untersuchung des Resektats: Es handelt sich um ein infiltrativ in das peripankreati- sche Fettgewebe eingewachsenes, gut differenziertes neuroendokrines Karzinom des Pankreas mit Ein- bruch in die Venen. Die Mitoserate ist erhöht (8/10 HPF), das Tumor- stadium ist nach der WHO-Klassifi- kation NET-G2. Beim Restaging mit einer kombinierten Bildgebung aus 68-Gallium-DOTATOC-PET und Computertomographie stellt sich heraus: Der Patient hat multi- ple Lebermetastasen, vorwiegend Somatostatinrezeptor-negative.
Mit dieser Fallbeschreibung be- ginnt Dr. med. Ulrich-Frank Pape, Oberarzt an der Medizinischen Kli- nik für Hepatologie und Gastroente- rologie an der Charité Berlin, beim Deutschen Krebskongress die Dis- kussion über die Wahl der optima- len Therapiesequenz. „Es ist eine Einzelfallentscheidung, die nach ei- ner differenzierten Diagnostik auf Basis der vorliegenden Studien und natürlich unter Berücksichtigung des Verlaufs der Erkrankung, Ver- träglichkeit und Patientenwünschen getroffen werden muss“, sagt Pape.
Es gebe kein fest strukturiertes Vor- gehen. Bei Patienten mit fortge- schrittenem, gut differenziertem neuroendokrinem Tumor (NET) des Pankreas erfolge die Behandlung im Allgemeinen multimodal als Kombination chirurgischer und sys- temischer Therapien, wobei Che- motherapie und/oder die neueren zielgerichteten Substanzen häufig nacheinander angewandt werden.
Aber welche Substanz ist in wel- cher Sequenz eine gute Option?
Vor Fragen wie dieser stehen die Experten immer häufiger. Neuroen- dokrine Neoplasien sind zwar selte- ne Tumoren, aber ihre Inzidenz nimmt seit den letzten drei Jahr- zehnten stetig zu, vor allem auf- grund der verbesserten Diagnostik.
Zum Zeitpunkt der Diagnose hat bereits circa die Hälfte der Patien- ten eine fortgeschrittene Erkran- kung, bei pankreatischen NET im fortgeschrittenen Stadium wer- den Fünfjahresüberlebensraten von 27 Prozent angegeben.
Zielgerichtete Substanz wird in die Therapie integriert
Eine Option ist die schon seit den 90er Jahren angewandte Kombina- tion aus Streptozotocin und 5-Fluor - ouracil. Die Ärzte der Charité ent- scheiden sich dafür mit dem Ziel der Proliferationskontrolle und der Möglichkeit einer sekundären Resektabilität. Wegen erheblicher gastrointestinaler Unverträglichkeit trotz Antiemese wird der Patient auf FOLFOX-4 umgestellt.Sechs Monate später wird ein Progress festgestellt, vor allem als Lokalrezidiv. Nun folgt eine Be- handlung mit Temozolomid/Cape- citabin, die in einer kleineren Stu- die eine mediane Zeit bis zum Pro- gress von 13,5 Monaten ergeben hatte (Strosberg et al., Cancer 2010). Wenige Wochen nach Be- ginn dieser Therapie treten lebens- bedrohliche gastrointestinale Blu- tungen aus Jejunalvarizen im Be- reich der Gastrojejunostomie auf.
Sie können gestillt werden. Nach zehn Monaten wird ein Progress dia gnostiziert. Der Patient erhält nun Everolimus (Afinitor®). Die Rationale, so Pape: Der mTOR- Signalweg, den Everolimus inhi - bitiert, habe bei der Entwicklung von pankreatischen NET eine wich- tige Bedeutung, die Antitumor -
wirkung des mTOR-Inhibitors, der auch antiangionetisch wirkt, sei be- legt in der RADIANT-3-Studie.
410 Patienten mit gut bis mä- ßig differenziertem fortgeschritte- nem NET des Pankreas erhielten prospektiv best supportive care und randomisiert entweder zusätzlich Placebo oder Everolimus oral 10 mg täglich. Das mediane pro- gressionsfreie Überleben verlänger- te sich unter Everolimus auf mehr als das Doppelte (11,0 vs. 4,6 Mo- nate; Hazard Ratio [HR] 0,35;
95-%-Konfidenzintervall [KI]
0,27–0,45; p < 0,0001). Everolimus reduzierte signifikant das Risiko der Tumorprogression um 65 Pro- zent (HR: 0,35; 95-%-KI 0,27–
0,45; p < 0,0001). Insgesamt hatten 78 Prozent der Patienten mit Ever- olimustherapie einen klinischen Nutzen (Yao JC et al, NEJM 2011;
364: 514–23).
„Bei unserem Patienten konnten wir mit Everolimus trotz intensiver Vorbehandlung eine Progressions- verzögerung um 14 Monate errei- chen bei guter Verträglichkeit und Lebensqualität“, berichtete Pape.
Das sei ein positives Ergebnis, wenn auch der Patient schließlich an den Folgen des Lokalrezidivs und unstillbaren Blutungen aus den Jejunalvarizen gestorben sei.
Eine komplette Remission zu er- zielen, sei nicht immer möglich, die sequenzielle multimodale Therapie die Regel. Everolimus ist europa- weit zur Behandlung erwachsener Patienten mit inoperablen oder me- tastasierten, gut oder mäßig diffe- renzierten NET pankreatischen Ur- sprungs mit progressiver Erkran- kung zugelassen, auch ohne voran- gegangene Chemotherapie.
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Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
Novartis Oncology Lunchsymposium: Kontroverse klinische Kasuistiken; Deutscher Krebskongress 2014 in Berlin