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Archiv "Hormonersatztherapie: Das Ende einer Legende" (26.07.2002)

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ereits 1942 hatte das aus Stuten- harn gewonnene Hormonpräparat

„Premarin“ in den USA die Zu- lassung erhalten. Seither sind die konju- gierten Östrogene und das in den 80er- Jahren eingeführte Schwesterpräparat

„Prempro“ – eine Kombination mit dem Gestagen Medroxyprogesteronacetat (MPA) – zu Klassikern der Medizin ge- worden. Elf Millionen Frauen nehmen täglich eines der zur Behandlung von Wechseljahrsbeschwerden und zur Vor- beugung der Osteoporose zugelassenen Mittel. Das US-Unternehmen Wyeth machte mit den Präparaten letztes Jahr mehr als zwei Milliarden Dollar Umsatz.

Ausgerechnet Prempro beschert Wyeth einen der schwärzesten Tage in der Firmengeschichte, nachdem die Na- tionalen Gesundheitsinstitute der USA (NIH) die bislang weltgrößte Studie an 16 000 postmenopausalen Frauen vorzei- tig gestoppt hatten, die die Östrogen-Ge- stagen-Kombination erprobt hatten. Ge- startet war das Projekt 1992 mit der Idee, die Hormonersatztherapie würde sich als Schutz vor Herzinfarkten, Osteoporose und anderen Alterskrankheiten erwei- sen. Doch Jacques Rossouw vom Na- tional Heart, Lung, and Blood Institute stellte nun eine ganz andere Bilanz vor.

Die Studienleiter hatten Ende Mai des Jahres entschieden, die Studie nach fünf statt der geplanten neun Jahre abzubre- chen, weil Brustkrebs und Herzinfarkte unter der Östrogen-Gestagen-Kombina- tion häufiger waren als unter Placebo.

Die genaue Bilanz: Hochgerechnet auf 10 000 Frauen, waren von denen, die Pla- cebos erhalten hatten, pro Jahr etwa 30 an Brustkrebs erkrankt.Von denen mit Hor- monersatztherapie waren es pro Jahr acht Frauen mehr – also eine relative Zunah- me um 26 Prozent. Darüber hinaus müs- sen von diesen 10 000 Frauen pro Jahr zu- sätzlich sieben mit einem Herzinfarkt,

acht mit einem Schlaganfall und 18 mit Thrombosen rechnen. Demgegenüber steht eine Verringerung des Risikos, an Darmkrebs zu erkranken (6/10 000) oder eine Oberschenkelhalsfraktur (5/10 000) zu erleiden. „Die Ergebnisse zeigen so- wohl Schäden als auch Vorteile durch die Östrogen-Gestagen-Therapie. Entschei- dend ist aber, dass die Nachteile die Vor- teile an Häufigkeit übertreffen“, begrün- det Roussow den Abbruch der Studie.

Zwar sei das Risiko insgesamt gering, und es bestehe kein Grund zur Panik, betonen Suzanne Fletcher und Graham Colditz von der Harvard-Universität in einem Kommentar im JAMA, das den Bericht vorab im Internet publizierte.

Doch immerhin belegen die Daten, dass binnen fünf Jahren eine von 100 Frauen aufgrund der Hormonersatztherapie eine schwere Nebenwirkung erleidet.

Die Studie liefere Generationen von gesunden Frauen nach der Menopause eine wichtige Antwort: „Nutzen Sie kei- ne Östrogen-Gestagen-Präparate, um einer chronischen Erkrankung vorzu- beugen“, folgern die beiden Ärzte. Mit diesem Fazit ist mehr ins Trudeln gera-

ten als nur der Aktienkurs einer Phar- mafirma. „Im Moment erleben wir ein Stück Medizingeschichte“, sagt der En- dokrinologe Prof. Martin Reincke von der Universität Freiburg, „das auch außerhalb der Gynäkologie Auswir- kungen auf den Umgang mit Wissen und Unsicherheit haben wird.“ Wenige Ärztegruppen haben bislang eine sol- che Enttäuschung hinnehmen müssen, dass ein Medikament aus der Gruppe ihrer wichtigsten Therapien sich als schädlich herausstellt und damit die ge- samte Gruppe infrage stellt.

Die Nachricht hat nicht nur Frauen, sondern auch viele Ärzte verunsichert.

Laut einer Umfrage empfiehlt in den USA jeder zweite Arzt seinen Patien- tinnen, das Mittel abzusetzen. Anwälte bereiten bereits Sammelklagen von Pa- tientinnen vor, die sich durch die Östro- gen-Gestagen-Therapie geschädigt füh- len. Unterdessen ringen auch hierzu- lande Behörden, Industrie und Fachge- sellschaften um die Interpretation, was der Abbruch der Studie bedeutet. Auf die Schlüsselfragen gibt es nun keine verlässlichen Antworten: Ist die schlechte Bilanz ein Einzelproblem der Prempro-Kombination, oder kennzeichnet sie die gesamte Präparateklasse? Und was be- deutet die Studie für die Haupt- indikation der Hormoner- satztherapie, die Behandlung von Wechseljahrsbeschwerden?

Für die meisten der schät- zungsweise 4,6 Millionen älte- ren Frauen in Deutschland, die derzeit Hormone nehmen, waren Beschwerden der entscheidende Grund, mit der Therapie anzufangen.

Prof. Hans Georg Bender, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkolo- gie und Geburtshilfe, zieht den Schluss, dass die auf „Beschwerden abgestimm- te Einnahme von Hormonen unter re- gelmäßiger Kontrolle fortgesetzt wer- den“ könne: „Für eine langfristige An- wendung als Prävention von Herz- Kreislauf-Erkrankungen ist die Hor- monersatztherapie nicht geeignet.“

Rossouw warnt jedoch, dass es für die Einnahme von Östrogen-Gestagen- Kombinationen „keine wirklich sichere Phase“ gebe, weil sie das Herzinfarkt- und Thromboserisiko schon mit Beginn der Therapie erhöhten. Doch Wechsel- P O L I T I K

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A2014 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 30½½½½26. Juli 2002

Hormonersatztherapie

Das Ende einer Legende

Nach dem vorzeitigen Abbruch einer US-Studie mit

einer Östrogen-Gestagen-Kombination ringen die Fachleute um eine Bewertung der Ergebnisse.

Medizinreport

Hormonpräparate sind in verschiedenen Kombinatio- nen und Darreichungsformen im Handel. Foto: Activelle

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jahrsbeschwerden können so schwer sein, dass manche Frau möglicherweise bereit ist, die sich im Promillebereich bewegenden Risiken zu akzeptieren, wenn es keine Alternativen gibt. Ros- souw rät aber, „die Behandlung so kurz wie möglich zu halten, um die Wechsel- jahre zu überstehen“.

Diese Position teilt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): „Zum gegenwärtigen Zeit- punkt erscheint die Anwendung der Hormonpräparate bei ausgeprägten Wechseljahrsbeschwerden wie Hitzewal- lungen und Stimmungsschwankungen für einen überschaubaren Zeitraum nach wie vor vertretbar. Sie sollte aber nur nach Ausschluss von Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Rau- chen, Anamnese, Familiengeschichte) und nicht länger als nötig erfolgen.“ Das Amt kündigt jedoch für die Indikationen Wechseljahrsbeschwerden und Osteo- porose eine Neubewertung der Östro- gen-Gestagen-Kombinationen an.

Bei dieser Neubewertung wird die Frage entscheidend sein, ob die Ergeb- nisse auf andere Präparate übertragen werden können. „In Deutschland wer- den überwiegend andere Hormonvari- anten verschrieben“, sagt Prof. Martina Dören von der Freien Universität Ber- lin. Mehrere Dutzend Präparate sind auf dem Markt – ein Spektrum verschiede- ner Östrogene und Gestagene einzeln, in unterschiedlichen Dosierungen, in Kom- binationen, als Tablette als Pflaster oder als Creme. An den etwa eine Milliarde Hormon-Tagesdosen, die deutsche Frau- enärzte im Jahr 2000 verschrieben ha- ben, hatte die US-Kombination einen Anteil von unter fünf Prozent.

Mehr Auskunft, welchem Bestand- teil das schlechte Ergebnis zuzuschrei- ben ist, wird ein zweiter Arm der Wo- men’s Health Initiative (WHI) geben, an dem etwa 11 000 Frauen ohne Ge- bärmutter teilnehmen. Sie erproben nur konjugierte Östrogene: Im bisherigen Verlauf der Studie lassen sich weder Nutzen noch Risiken bewerten; die- ser Arm der Studie soll bis 2005 wei- terlaufen.

„Dass in Deutschland andere Mittel als in den USA verschrieben werden, ist keine Beruhigung“, warnt Dören. Nie- mand wisse, ob die Bilanz der in Deutsch- land verordneten Hormonpräparate bes-

ser oder schlechter ausfalle als die jetzt in den USA erprobten Medikamente.

„Die Enttäuschung sollte dazu führen, auch in Deutschland mit der Verschrei- bung zurückhaltender umzugehen“, sagt Dören. Unterstützung erhält die Positi- on ausgerechnet von Wyeth: „Es ist auch zu erwarten, dass die aus der Studie ge- wonnenen Erkenntnisse auf andere Me- dikamentenkombinationen zur Hormon- ersatztherapie zutreffen“, schreibt das Unternehmen – mit der offensichtlichen Absicht, den Markt nicht komplett an die Konkurrenz zu verlieren.

Sind die Daten übertragbar?

Aber auch das BfarM folgert: „Die An- nahme, dass die in der WHI-Studie mit Östrogen und dem Gestagen MPA er- hobenen Befunde auch auf andere Östrogen-Gestagen-Behandlungsregi- me übertragbar sind, liegt nahe.“ Doch in Gynäkologenkreisen löst das Wider- spruch aus. Der Berufsverband der Frauenärzte ist in einer – allerdings um- strittenen – Stellungnahme sichtlich bemüht, die Schlussfolgerungen der US- Studie herunterzuspielen: Es bestünden erhebliche Zweifel daran, „dass der Stu- dienabbruch auf die Effekte der Östro- gen-Gestagen-Medikation zurückzufüh- ren ist“, heißt es in dem Papier: „Die vorgelegten Daten besitzen nur höchst- eingeschränkte Relevanz für deutsche Verhältnisse.“

Prof. Herbert Kuhl und Prof. Wil- helm Braendle von der Deutschen Me- nopause-Gesellschaft glauben, „die Er- gebnisse der WHI-Studie lassen sich – zumindest hinsichtlich der koronaren Herzkrankheit – nicht auf die mögli- chen Wirkungen anderer Hormonsub- stitutionspräparate übertragen“. Sie räumen jedoch ein, dass für andere Östrogen-Gestagen-Kombinationen ent- sprechende Untersuchungen fehlen.

Prof. Thomas Rabe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkolo- gische Endokrinologie und Fortpflan- zungsmedizin, erklärt das enttäuschen- de Ergebnis damit, dass in der amerika- nischen Studie die falschen Präparate an den falschen Frauen erprobt worden seien. „Eine der Schwächen der Studie ist, dass das Durchschnittsalter der Teil- nehmerinnen bei 63 Jahren lag, wäh-

rend die Wechseljahre meist um die 50 einsetzen“, sagt Rabe. Die Frauen seien also älter als die Patientinnen, die übli- cherweise eine Hormontherapie begin- nen. Möglicherweise sind bei älteren Frauen die Gefäße bereits so vorge- schädigt, dass Hormone nicht mehr vor Herzkrankheiten schützen können.

„Für diese Interpretation liefert die Studie keine Evidenz“, sagt hingegen der Kardiologe Prof. Clemens von Schacky von der Universität München, der eigene Studien zur Atherosklerose- Vorbeugung mit Östrogenen betreut hat. Immerhin 5 500 der 16 000 Teilneh- merinnen waren zwischen 50 und 60 Jahren. Und für diese Frauen sahen die Ergebnisse laut JAMA-Publikation nicht anders aus als für die älteren Frau- en. Zudem haben die Autoren die Re- sultate von 400 Frauen, die bei Aufnah- me in die Studie schon an Gefäßkrank- heiten litten, mit denen der Frauen ver- glichen, die als völlig gesund galten.

Auch hier war der Anstieg des Risikos keineswegs auf „Frauen mit bestehen- den Koronarerkrankungen“ beschränkt, wie Kuhl und Braendle in ihrer Stellung- nahme argumentieren, sondern war für beide Gruppen identisch.

Die Frage, ob eine langfristige Hor- monersatztherapie über die Behand- lung von Wechseljahrsbeschwerden hinaus noch zu verantworten ist, wird die Fachleute noch einige Zeit beschäf- tigen. Rabe ist zur Vorbeugung der Osteoporose nicht zum Verzicht auf Hormone bereit: Andere Präparate will er bei sorgfältig selektierten und aufge- klärten Frauen immer noch langfristig einsetzen.

Doch auch hier gibt es Gegenstim- men. Reincke: „Es gibt wirksame, weni- ger riskante Alternativen zur Osteoporo- se-Prophylaxe. Für mich bedeutet diese Studie, dass ich Hormonersatztherapie, und damit meine ich alle Kombinatio- nen, nicht mehr zur Prävention einsetzen werde. Für ihn habe sich die Frage der Beweislast nun umgedreht. „Man muss zur Kenntnis nehmen, dass alle randomi- siert-kontrollierten Studien, die es bis- lang zur langfristigen Hormonersatzthe- rapie gibt, gegen einen präventiven Nut- zen sprechen“, sagt Reincke: „Wer jetzt noch behauptet, die Hormonersatzthe- rapie sei sinnvoll zur Vorbeugung, muss dafür harte Beweise vorlegen.“Klaus Koch P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 30½½½½26. Juli 2002 AA2015

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