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Archiv "Opfer der Testtheoretiker" (05.11.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DER KOMMENTAR Diesel

nicht beschränkt. Spätestens seit der europäischen Abgas-Diskus- sion weiß die Öffentlichkeit mehr über die Zusammenhänge zwi- schen EG-Richtlinien und ECE- Regelungen, ohne die kein natio- nales Gesetz mehr im Fahrzeug- bau entstehen kann. Die EG-Richt- linien werden in Brüssel für alle Mitglieder beschlossen. Die ECE, die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa, er- arbeitet Empfehlungen, die nach dem 1958 geschlossenen Wiener Weltabkommen von den Staaten übernommen werden können, aber nicht müssen. Dies Dilemma zeigt sich an der ECE-Empfehlung 49, die die gasförmigen Diesel- Emissionen begrenzt und von der Universität Clausthal-Zellerfeld formuliert wurde. Bonn hat sich bisher dieser Empfehlung nicht angeschlossen. Daimler-Benz hat seine neue Motorengeneration nach ECE 49 ausgelegt, das amt- liche Zertifikat der Regierung, für den Export wichtig, bekommt Daimler aus Bonn nicht.

Statt dessen ist die Bundesregie- rung vorgeprescht: Im nationalen Alleingang wurde auch eine An- passungsregelung für ältere Die- sel-Personenwagen, die vor dem 1. Januar 1985 zugelassen wur- den, getroffen. Zusätzlich zu den schon bestehenden Vergünstigun- gen bereits zugelassener Diesel- fahrzeuge erhalten ältere Diesel- fahrzeuge die gleichen Ermäßi- gungen bei der Kraftfahrzeugsteu- er, die für die „bedingt schadstoff- armen" Fahrzeuge gelten. Die Re- gelung läßt die Möglichkeit offen, durch nachträgliche Veränderun- gen, die auch die Rußpartikel- Grenzwerte durch Einbau eines Rußfilters berücksichtigen, dem Besitzer eines Diesels für rund zwei Jahre völlig von der Steuer zu befreien.

Der „umweltfreundliche" Diesel wird sicherlich bald Umwelt- schutz-Auflagen bekommen. Die Frage bleibt, ob der Diesel da- durch tatsächlich umweltfreund- lich werden kann.

Dr. med. Cornelia Herberhold

Opfer der

Testtheoretiker

Wo liegt der Unterschied zwi- schen einem „seltenen",

„nicht häufigen", „vereinzelten"

oder „nicht oft beobachteten"

Auftreten eines Symptoms? Ist es erlaubt, einen Hirnabszeß als Komplikation eines ,,... Vitiums"

anzusehen, oder ist es (haarspal- tenderweise) nur indirekt die Kom- plikation der Komplikation „Endo- karditis"? Ist es richtig, daß „SNO- MED" ein „einachsiger Schlüssel für histologische Befunde" ist? Ist die Häufigkeit der „angeborenen Hypothyreose 1: 20 000" oder nicht?

Das sind Beispiele aus den kürz- lich beendeten „Multiple Choice"- Tests zum II. Staatsexamen, bei denen bei jeder Frage unter fünf angebotenen, oft phantasievoll formulierten und kombinierten Möglichkeiten die richtige auszu- wählen ist. Einschränkend gilt ge- nerell: Die richtige ist „die am ehe- sten zutreffende" (IMPP) Antwort.

Soll heißen, die falsche Antwort muß nicht einmal inhaltlich ein- deutig falsch sein! Ein Beispiel:

Cytomegalieviren: Was trifft für Er- wachsene nicht (1) zu?

(A) CMV-Viren führen oft (?)zu ei- ner Enzephalitis.

(B) CMV-Infektionen können ein der infektiösen Mononukleose ähnliches Krankheitsbild verursa- chen.

(C) Das Virus kann aus dem Urin der Patienten isoliert werden.

(D) CMV-Infektionen sind eine wichtige (?) Ursache von Pneu mo- nien bei Immunsuppression, be- sonders bei Transplantierten.

(E) CMV-Infektionen von Schwan- geren können zur Schädigung des Föten führen.

Zugegeben: Prüfungen in einem Bereich wie der Medizin sind pro- blematisch, weil die Definition des Ausbildungsziels eine bislang un- befriedigende Angelegenheit ist.

Und Prüfungen sind, vor allem von den Betroffenen, immer ungeliebt.

Sie sollen die Besseren von den Schlechteren trennen. Darüber herrscht zwar keine unmittelbare Freude, aber Einigkeit. Das IMPP ist nun eine der Institutionen, die sich fast ausschließlich solchen Problemen inklusive obiger Spitz- findigkeiten widmen. Es hat damit, darüber lohnt sich einmal nachzu- denken, vielleicht mehr Einfluß auf die Qualität der Jungärzte als Ge- setzgeber und Hochschule zusam- men, die sich die Köpfe über AiP, Zulassungen und Ausbildungsver- besserung (zum Beispiel mehr Praxis) machen. Es soll deshalb erlaubt sein, sich über Form und inhaltliche Gestaltung der allge- genwärtigen „Ankreuz"-Prüfun- gen Gedanken zu machen.

Jungakademikern vor dem II.

Staatsexamen ist es testpsycholo- gisch sicherlich zumutbar, unter 5 angegebenen Möglichkeiten die richtige ausfindig zu machen. Er muß auch intellektuell in der Lage sein, verwinkelt Formuliertes, dop- pelt Negiertes und andere seman- tische Fallstricke inhaltlich zu dif- ferenzieren. Und er muß offen- sichtlich fähig sein, bei jeder der insgesamt fast 3000 Einzelaussa- gen nur durchschnittlich jeweils 18 Sekunden Zeit zu verbrauchen.

Aus der Sicht der Ärzte, die sich schon länger Sorgen um die Nach- wuchsqualität machen, stellt sich da die Frage: Ist das, was formal sicher „nicht falsch" ist, auch fachlich richtig und vor allem wichtig? Wird hier nicht eine Chance auf dem Altar der Test- theoretiker geopfert?

Orientiert am sogenannten Ge- genstandskatalog (GK), einem eher willkürlichen Sammelsurium von Begriffen, zu oft fernab von Realität und Prüfungspraxis, ver- kommt die Testvorbereitung zu ei- 3090 (26) Heft 45 vom 5. November 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Multiple choice DIE GLOSSE

nem schematisch angelegten Ab- haken prüfungsrelevanter Einzel- inhalte. Die Masse der universitä- ren Medizinliteratur stellen somit strikt GK-gebundene Kompendien dar, die abgesehen von der bloßen Menge, letztlich eine leicht ver- dauliche Discountware ohne Tief- gang darstellen.

Es wäre zu überlegen, ob be- stimmte „kleine Gebiete" nicht über Wert eingestuft sind. Sicher- lich schwierig, weil auch hier mo- difiziertes Proporzdenken vor- herrscht und ein „Fragenbesitz- stand" nicht so ohne weiteres und freiwillig aufgegeben wird. Da gibt es im aktuellen Examen über zehn Fragen zu rein statistischen Sach- verhalten, aber beispielsweise le- diglich eine Frage, die sich mit dem Thema „Diabetes mellitus"

befaßt, an dem immerhin über zwei Prozent der Bevölkerung lei- den. Die „Medizinische Statistik"

stellt ebensoviel Fragen wie die HNO-Kliniker und fünfzig Prozent mehr als zum Beispiel die Ortho- pädie. Ein Blick in die Morbiditäts- statistik zeigt den Widersinn. Das sogenannte „ökologische Stoffge- biet" kann über ein Kontingent verfügen, das größer ist als Chirur- gie und Urologie zusammen und größer als der Anteil der Inneren Medizin. Spitzenreiter ist das

„Nervenheilkundliche Stoffge- biet" mit jeder sechsten Frage, doppelt soviel wie Gynäkologie und Geburtshilfe zusammen.

Dazu mag sich jeder seine eigenen Gedanken machen. Zusätzlich ist es noch so, daß zum Beispiel für die Innere Medizin zwar Fragen über Yersinia pseudotuberculosis, Serratia, Campylobacter und zwei über CMV-Viren gestellt werden, aber nichts, gar nichts zum Herz- infarkt, zum EKG, zum klassischen Diabetes und nichts zur Gicht ge- fragt wird. Wie das? Die Antwort fällt schwer. Lernleistungsbezoge- ner Anreiz für den Unterschied zwischen 95 Prozent und 85 Pro- zent? Na, ja.

Außerdem: Lehrbuchwissen als solches ist natürlich wichtig. Er-

fahrung, manuelle Fähigkeiten und das Fingerspitzengefühl sind zwar weniger gut prüfbar, aber mindestens so essentiell. Man kann es aber den Studenten kaum zum Vorwurf machen, daß sie an der praktischen Famulantentätig- keit gebremstes Interesse haben, weil diese nur Zeit kostet und nir- gends honoriert wird. Für die Be- schäftigung mit dem „Kunden"

unseres Berufs gibt es keinen An- reiz, wohl aber zum Lesen des Kleingedruckten in dicken Bü- chern. Prüflinge lernen im allge- meinen das, was gefragt wird.

Auch wenn es nichts damit zu tun hat, was gebraucht wird. Als si- cher notwendiges Ausleseinstru- ment ist die aktuelle Form der Tests ebenfalls nicht begründbar.

Man könnte durch entsprechende Bestehensgrenzen trotzdem die erforderliche Durchfallquote hal- ten, hätte aber den Vorteil, daß die, die bestehen, vornehmlich das können, was vornehmlich ge- fordert ist. „Multiple Choice" oder

„Multiple Cheese"?

Wolfgang Rühle*)

*) Der Verfasser schreibt aus eigener Er- fahrung; er hat soeben das II. Staats- examen bestanden (herzlichen Glück- wunsch!).

ZITATE

Verdatung

„Je mehr Daten erhoben und verarbeitet werden, de- sto höher ist der Bedarf an Beratung durch ein mensch- liches Gesicht".

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl vor dem Bundeskongreß 1986 des Bundesverbandes der Freien Be- rufe, 15. September 1986

Interessen-Vertretung

„Wir haben unsere Interes- sen nicht verschämt, stets offen, aber nie unverschämt vertreten."

Prof. J. F. Volrad Deneke, Präsi- dent des Bundesverbandes der Freien Berufe (BFB), vor dem BFB Bundeskongreß

Gleichheit kostet

In der Lebensversicherung sollen Frauen nunmehr eigene (niedrige- re) Beiträge bekommen. Bei der privaten Krankenversicherung ist das schon lange üblich — mit dem Unterschied, daß dort die Prämien für Frauen meist höher als für Männer sind. Im ersten Fall sind die Frauen dafür, im zweiten dage- gen.

Die Fakten, allerdings, sind ein- deutig: Frauen haben nun mal ei- ne höhere Lebenserwartung, stel- len also versicherungstechnisch ein geringeres Risiko dar. Dies wiederum bedingt niedrigere Bei- träge. Umgekehrt: In der privaten Krankenversicherung verursachen die Frauen in der meisten Zeit ih- res Lebens höhere Krankheitsko- sten als Männer. (Wobei Schwan- gerschafts- und Entbindungsko- sten kaum zu Buche schlagen.) Dieser geradezu klassische Kon- flikt der Emanzipation erinnert ein wenig an die Bemühungen, gene- rell auf die Anrede „Fräulein" zu verzichten, weil es ja auch kein

„Herrlein" gebe. Es wundert einen ja schon lange, daß es immer noch den „Frauenarzt" gibt und keinen

„Damenarzt". Und man spricht im- mer noch von typischen Frauen- krankheiten bzw. -leiden. Ist diese Frauen-, pardon, Damenfeindlich- keit immer noch ein Relikt der Männergesellschaft? (Hier wäre allerdings der Begriff „Herrenge- sellschaft" aus der Damenoptik angebrachter.)

Und immer noch gibt es ein „Frau- en-", aber keineswegs ein „Da- menwahlrecht". Neuerdings gibt es in Bonn ein Ministerium, das das Wort „Frauen" im Namen führt (und die Gesundheit auf den letzten Platz abgedrängt hat). Man spricht von Frauenchören und Männergesangvereinen, von Män- ner- oder Frauenüberschuß .. . Auch der Mann von Welt ist zwar meist ein Herr — aber niemals ein Herr von Welt. Wie dem auch sei:

Auf dem Wege zur Gleichheit lie- gen gelegentlich auch ein paar Stolpersteine ... UM Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 45 vom 5. November 1986 (29) 3091

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