Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 7|
17. Februar 2012 A 291D
ie Zahl der onkologischen Neuerkrankungen – im vergangenen Jahr waren es 436 000 – steigt aufgrund der demografischen Entwicklung rapide an.Medizinische Fortschritte sind daher dringend erforder- lich. Für einzelne Tumorentitäten hat es diese in den letzten Jahren durchaus gegeben, so dass die Diagnose
„Krebs“ für einen Teil der Patienten nicht mehr das To- desurteil, sondern das Schicksal einer chronischen Er- krankung bedeutet. Inzwischen überleben 60 Prozent der Frauen und 53 Prozent der Männer die magische Fünfjahresgrenze. Das ist ein erfreulicher Trend. Aber allen Fortschritten zum Trotz: Nur die Hälfte aller Krebspatienten wird geheilt – ein eher bescheidenes Er- gebnis angesichts des hohen materiellen und personel- len Einsatzes für Forschung, Diagnostik und Therapie.
Was sind die Ursachen?
Ein wesentlicher Grund liegt in der inter- und in- traindividuellen genetischen Heterogenität von Tumor- erkrankungen. Kurz: Krebs ist nicht gleich Krebs. Aber noch wird die Mehrzahl der Patienten mit dem ver- meintlich gleichen Tumor nach ähnlichem Schema be- handelt. Die größte Herausforderung liegt demzufolge in der Identifikation von Subgruppen innerhalb etab- lierter Tumoridentitäten mit Hilfe von biologischen Markern. Dadurch könnte es möglich werden, die The- rapie entsprechend der genetischen Disposition zu vari- ieren und zu personalisieren.
Potenzial für Verbesserungen liegt – nach wie vor – in den Strukturen. Bereits beim Deutschen Krebskon- gress im Jahr 2000 haben acht Thesen über Fehlent- wicklungen der onkologischen Versorgung einen gesell- schaftlichen Diskurs auslöst. Als Konsequenz wurden die „Onkologischen Spitzenzentren“ aufgebaut. Davon gibt es inzwischen 14, in deren Einzugsbereich die Hälfte der Bevölkerung lebt. Um eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten, hat man die „Klinisch Onkologischen Zentren“ und die „Organzentren“ nach- geschaltet. Zu den mehr als 500 Einheiten gehören leis- tungsfähige, multidisziplinäre Forschung betreibende Zentren ebenso wie kleine, eher lokal tätige Einrichtun-
gen. Obwohl die Mehrzahl „zertifiziert“ worden ist, existieren hinsichtlich der Patientenversorgung erhebli- che qualitative Unterschiede.
In diesem Umfeld ist die Gefahr groß, dass Krebs- kranke sich in der Hoffnung auf Heilung alternativen Verfahren zuwenden. Kein einziges hat bisher einen Überlebensvorteil nachweisen können, fast alle sind maßlos überteuert. Dass die Betroffenen solche „Pseu- dotherapien“ eigenmächtig und ohne Kenntnis des Be- handlers anwenden, liegt jedoch auch daran, dass Ärzte nur selten gesprächsbereit sind, wenn Patienten nach zusätzlichen Angeboten fragen. Wie notwendig es ist, dass Arzt und Patient offen miteinander reden, zeigen die Risiken der Heimlichkeit. Beispielsweise können Multivitaminkuren die erwünschten Folgen einer Strahlentherapie „aushebeln“.
Der Weg zu einer optimierten und effizienten onko- logischen Versorgung ist noch lang und erfordert einen beschleunigten Veränderungsprozess (siehe Medizinre- port). Ob der seit Juni 2008 vorgesehene Nationale Krebsplan ein Katalysator sein wird, bleibt abzuwarten.
Erst vor wenigen Tagen hat Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr den Startschuss für seine Umsetzung gege- ben. Priorität hat neben der Früherkennung der – eben- falls überfällige – flächendeckende Ausbau von klini- schen Krebsregistern.
NEUAUSRICHTUNG DER ONKOLOGIE
Mehr Dynamik
Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
Dr. med. Vera Zylka-Menhorn Ressortleiterin Medizinreport