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Archiv "Die Abgrenzung des vestibulären Schwindels" (24.02.1984)

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Schwindel ist bekanntlich ein Symptom und keine Diagnose.

Der Arzt muß also versuchen her- auszufinden, was den Beschwer- den zugrunde liegt. Schwindel kann zum Beispiel ein Alarm- zeichen gefährlicher Herz-Kreis- lauf-Erkrankungen sein. Kürzlich haben Deeg und Claussen im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT (3) die Schwindelsymptomatik beim Syndrom des kranken Sinuskno- tens, beim AV-Block, bei koro- narer Herzkrankheit, Kardiomyo- pathie, Herzklappenerkrankun- gen, Hypotonie und beim iatro- genen, medikamenteninduzierten Schwindel besprochen. Kreislauf- bedingte Durchblutungsstörun- gen des Hirns führen zu Schwin- delzuständen, und schließlich ist Schwindelgefühl auch Symptom neurologischer Krankheitsbilder (siehe vorausgehender Beitrag Malin u. Schliack). Aufgabe dieser Ausführung ist, den vestibulären — peripher oder zentral ausgelösten

— Schwindel gegen Schwindel an- derer Genese abzugrenzen. Die Bezeichnung „otogener" Schwin- del paßt strenggenommen allein zu einer Erkrankung des periphe- ren Vestibularorgans.

Schwindelanamnese

Die Befragung des Patienten nach der Art des Schwindels gibt be- reits erste Hinweise. Der vestibu- läre Schwindel ist ein sogenann- ter systematischer Schwindel typi-

scher und definierter Qualität. Der Patient schildert .Drehschwindel, Schwankschwindel oder Lift- schwindel, d. h. er hat das Gefühl, die Umgebung oder er selbst dre- hen sich, schwanken hin und her, heben oder senken sich. Die Kör- persicherheit im Raum geht verlo- ren. Der vestibuläre Schwindel tritt als Dauerschwindel über län- gere Zeit (z. B. nach einem Laby- rinthausfall), als Anfallsschwindel für wenige Stunden (z. B. Morbus Meniäre) oder als Lage- bzw. La- gerungsschwindel für Minuten oder Sekunden nur bei bestimm- ten Körperlagen oder bei Lage- veränderungen auf.

Ein nicht vestibulärer Schwindel läßt sich nicht so exakt in seiner Qualität beschreiben. Es ist ein sogenannter unsystematischer Schwindel. Er wird als Schwarz- werden vor den Augen, Benom- menheit, Schleier vor den Augen, Ohnmachtszustand, Bewußtseins- trübung oder -verlust geschildert.

Zu erfragen ist auch, ob der Schwindel mit einer Hörstörung, mit Ohrgeräuschen oder mit ei- nem Druckgefühl im Ohr verbun- den ist, und es ist festzustellen, ob gleichzeitig eine Fazialisparese besteht. Der Verdacht, daß es sich in diesen Fällen dann um einen

„otogenen" Schwindel handelt, liegt nahe. Finden sich anderer- seits neurologische Symptome in Form weiterer Hirnnervenausfälle, Hirnstammzeichen, Bewußtseins- trübung u. a., ist anzunehmen,

Vestibulärer Schwindel kann peripher vom Labyrinth oder zentral von den Vestibularis- kerngebieten ausgelöst sein.

Für seine Abgrenzung gegen- über Schwindelzuständen, die ihre Ursache in Herz- Kreislauf-Erkrankungen oder in neurologischen Krankheits- bildern haben, gibt die sorg- fältige Schwindelanamnese bereits erste Erkenntnisse.

daß eine zerebrale Erkrankung mit Beteiligung der Vestibularis- zentren den vestibulären Schwin- del auslöst. Verbunden mit vesti- bulärem Schwindel sind häufig Vagussymptome (Übelkeit, Erbre- chen).

Untersuchungen bei Verdacht auf

vestibulären Schwindel

Der Arzt bekommt durch den Nachweis eines Spontannystag- mus oder eines Provokationsny- stagmus die Bestätigung, daß der Schwindel vestibulären Ur- sprungs ist. Gleichzeitig bestehen pathologische Abweich reaktio- nen (Romberg-Versuch, Gangab- weichung beim Gehen geradeaus mit geschlossenen Augen, Dre- hen beim Laufen auf der Stelle mit geschlossenen Augen = Un- terberger-Tretversuch). Das Fahn- den nach einem Nystagmus ist da- her die wichtigste Maßnahme bei der Abgrenzung des vestibulären Schwindels. Weil ein Nystagmus vom Patienten nicht willkürlich hervorgerufen werden kann, son- dern nur durch eine Erkrankung oder äußere Einwirkung (Reizung) ausgelöst wird, ist der Spontanny- stagmus das objektive Zeichen der vestibulären Störung. Man muß allerdings beachten, daß der Spontannystagmus z. B. beim Morbus Meniäre nur während des Schwindelanfalls nachweisbar ist und mit Aufhören des subjektiven Schwindels wieder verschwindet.

LEITSYMPTOME

Die Abgrenzung des

vestibulären Schwindels

Hans-Georg Boenninghaus

Aus der Universitäts-Hals-Nasen-Ohrenklinik Heidelberg (Direktor: Professor Dr. med. Hans-Georg Boenninghaus)

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Abbildung 1: Vestibulärer Nystagmus nach links. Langsame Bulbusbewegungen nach rechts, ruckartige Bulbusbewegungen nach links

Deshalb ist eine Nystagmusbeob- achtung bereits durch den ersten Arzt, der den Patienten im Schwindelanfall sieht, von ent- scheidender Bedeutung. Der spä- ter untersuchende Arzt ist ohne den Erstbefund lediglich auf die anamnestischen Angaben über den Schwindel angewiesen, um differentialdiagnostische Überle- gungen anstellen zu können.

Der vestibuläre Nystagmus be- steht aus einer langsamen Bewe- gung der Bulbi in der einen Rich- tung und einer raschen Bewe- gung in der Gegenrichtung. Er ist ein Rucknystagmus, als solcher leicht zu erkennen und wird nach der Seite der raschen, stärker auf- fallenden Bewegung bezeichnet (Abbildung 1).

Weil ein Nystagmus durch Fixa- tion gehemmt wird und dann der Beobachtung entgehen kann, ist es sinnvoll, die Fixation auszu- schalten. Das geschieht einfach und wirkungsvoll durch die Leuchtbrille von Frenzel im abge- dunkelten Raum.

Die Frenzelbrille (Abbildung 2) besitzt Gläser von 15 Dioptrien.

Der Patient kann nicht fixieren, die Beobachtung der Augenbewe- gungen (des Nystagmus) ist durch die Vergrößerung und Beleuch- tung der Bulbi erleichtert. Die An-

Abbildung 2: Frenzel-Brille (beleuchtet, 15 Dioptrien)

wendung der Frenzelbrille ist da- her auch in der Allgemeinpraxis zu empfehlen. Der Hals-Nasen- Ohren-Arzt hat außerdem die Möglichkeit, den Nystagmus durch die Elektronystagmogra- phie zu registrieren: Zwischen Cornea und Retina besteht eine Potentialdifferenz. Bitemporal an- gelegte Elektroden messen die bei jeder Bulbusbewegung eintre- tende Verschiebung dieser Poten- tialdifferenz. Das Nystagmo- gramm (Abbildung 3) wird nach Dauer, Zahl, Geschwindigkeit der langsamen Phasen und Amplitude der Nystagmusschläge u. a. aus- gewertet.

Spontannystagmusprüfung Der Patient wird aufgefordert, die Bulbi nacheinander in die fünf Hauptblickrichtungen zu bringen (geradeaus, nach links, nach rechts, nach oben, nach unten).

Der Arzt beobachtet, ob bei die- sen Augenstellungen Nystagmus auftritt, und trägt die Nystagmus- richtung in ein einfaches Schema ein. Schlägt der Rucknystagmus bei unterschiedlichen Blickrich- tungen immer nach der gleichen Seite und verstärkt er sich beim Blick in Richtung der schnellen Nystagmuskompenente, spricht man von einem „richtungsbe- stimmten" Nystagmus (Abbildung 4). Er ist meist Zeichen einer peri- pheren Vestibularisstörung, also einer Erkrankung des Vestibular- organs oder des Vestibularner- ven. Beobachtet man dagegen ei- nen „Blickrichtungsnystagmus", d. h. einen Rechtsnystagmus bei Rechtsblick und einen Linksny- stagmus bei Linksblick (Abbil- dung 5), handelt es sich ebenso wie bei einem Vertikalnystagmus (Nystagmus nach oben bei Blick nach oben, Nystagmus nach un- ten bei Blick nach unten) um eine zentrale Vestibularisstörung, also um eine Erkrankung der Vestibu- lariskerne oder -bahnen. Durch passive Kopfschüttelbewegungen kann ein latenter Nystagmus ver- stärkt und u. U. damit erst sichtbar gemacht werden (Provokationsny- stagmus).

Lagerungs-

und Lagenystagmus

Auf einer Untersuchungsliege wird — wieder unter Verwendung der Leuchtbrille — geprüft, ob ein Nystagmus in den verschiedenen Körperlagen auftritt. Die Lageprü- fung in Rückenlage, in rechter und linker Seitenlage und in Kopf- hängelage gibt ebenfalls Hinwei- se auf eine vestibuläre Störung.

Kommt es unmittelbar nach einer Umlagerung zu einem einige Se- kunden anhaltenden Lagerungs- nystagmus, spricht das meist für eine periphere Auslösung. So

(3)

velvvrurreexlvrklil'eek

Abbildung 3: Nystagmogramm. Langsame Bulbusbewegungen nach unten, schnelle Bulbusbewegungen nach oben registriert

Abbildung 4: Richtungsbestimmter Spontannystagmus nach links in Schema für ver schiedene Blickrichtungen eingetragen (beim Blick nach rechts kein Nystagmus)

Abbildung 5: Blickrichtungsnystagmus wird z. B. der sogenannte benigne

paroxysmale Lageschwindel und Lagerungsnystagmus, der beim Wechsel vom Aufsitzen zur Rük- kenlage mit Seitwärtsdrehung des Kopfes auftritt, entweder durch Bewegungen abgelöster Otoli- then oder durch Flüssigkeitsverla- gerungen (lymphokinetisch) er- klärt. Lagerungsnystagmus nach stumpfen Schädeltraumen kommt bei Labyrinthläsionen vor, aber auch nach einer Commotio oder Contusio cerebri und ist dann zen- tral bedingt.

Der echte Lagenystagmus hält nach der Körperumlagerung da- gegen länger als eine Minute an und tritt zum einen als „richtungs- bestimmter Lagenystagmus" auf.

Er schlägt in unterschiedlichen Körperlagen jeweils in die gleiche Richtung und hat meist eine peri- phere Ursache. Der „richtungs- wechselnde Lagenystagmus", der bei Rechtslage nach rechts und bei Linkslage nach links gerichtet ist, ist zum anderen Ausdruck ei- ner zentralen vestibulären Stö- rung. Ein krankhafter Zervikalny- stagmus läßt sich dadurch nach- weisen, daß man den Körper unter dem mit der Hand fixierten Kopf auf einem Drehhocker hin und her bewegt.

Die „experimentellen"

Vestibularisprüfungen

Die periphere Erregbarkeit jedes der beiden Vestibularorgane im inneren Ohr wird getrennt vonein- ander durch die thermische (kalo- rische) Prüfung vom Hals-Nasen- Ohren-Arzt festgestellt. Bei vier nacheinander durchgeführten Wasserspülungen der äußeren Gehörgänge in der Reihenfolge rechts warm, links warm (jeweils 44°C), links kalt, rechts kalt (je- weils 30°C) wird die erwärmte bzw. abgekühlte Endolymphe im senkrecht gestellten horizontalen Bogengang in Bewegung gesetzt.

EYer Kopf wird dazu im Sitzen um 60° nach hinten gebeugt oder im Liegen um 30° angehoben. Die Endolymphströmung lenkt die Cu-

pula ab. Es entsteht ein Nystag- mus. Fallen die mit der Frenzel- brille beobachteten oder bei der Elektronystagmographie aufge- zeichneten Nystagmusreaktionen rechts und links bei den Kaltspü- lungen und bei den Warmspülun- gen jeweils seitengleich aus, liegt keine periphere Funktionsstörung vor (Abbildung 6a). Wir sprechen von normaler Erregbarkeit beider Vestibularorgane. Sind die von ei- ner Seite ausgelösten Nystagmus- reaktionen nach Kalt- und Warm- reiz schwächer als die von der Ge- genseite hervorgerufenen oder fehlen sie ganz, liegt eine einseiti-

ge Unter- oder Unerregbarkeit vor. Die einseitige periphere Funktionsstörung ist erwiesen (Abbildung 6b). Ergibt die Kalt- spülung z. B. der rechten Seite und die Warmspülung der linken Seite eine stärkere Nystagmusre- aktion als die Kaltspülung der lin- ken Seite und die Warmspülung der rechten Seite, ist also in die- sem Fall der — gleich von welchem Ohr ausgelöste — Linksnystagmus stets stärker als der Rechtsnystag- mus, sprechen wir von einem

„Richtungsüberwiegen" des Ny- stagmus (Abbildung 6c). Aus die- sem Ergebnis der thermischen

(4)

warm

Spülung

RECHTS warm

Spülung LINKS kalt kalt

Rechtsnystagmus Linksnystagmus Rechtsnystagmus Linksnystagmus

—70---

—60—

I I 1

I I I I 1 I I 1 I

1 I I I I 1 1 I

50 40 30 20 10 10 20 30 40 50 50 40 30 20 10 10 20 30 40 50

Frequenz Spontannystagmus/30 (-A

vor Spülung: nach Spülung:

THERMISCHE PRÜFUNG

Spülung LINKS Spülung

RECHTS kalt kalt warm

warm

70—

60—

Rechtsnystagmus

Linksnystagmus Rechtsnystagmus Linksnystagmus

I 1 I I I I I I 1 I I I I 1 I I 1 I I 1

50 40 30 20 10 10 20 30 40 50 50 40 30 20 10 10 20 30 40 50

Frequenz Spontannystagmus/30"

vor Spülung: 0 nach Spülung:

THERMISCHE PRÜFUNG Prüfung ist zu schließen, daß bei- de peripheren Vestibularorgane erregbar sind und das Richtungs- überwiegen des Nystagmus als ei- ne zentrale Vestibularisfunktions-

störung aufgefaßt werden muß.

Besteht bereits vor den thermi- schen Prüfungen ein Spontanny- stagmus, so werden die Nystag- musreaktionen nach den Kalt- und

Warmspülungen dadurch im Sin- ne einer Verstärkung – falls Spon- tannystagmus und thermischer Nystagmus gleichgerichtet sind – oder im Sinne einer Abschwä-

Abbildung 6a: Normale Erregbarkeit beider peripherer Vestibularorgane

Abbildung 6b: Ausfall des rechten Vestibularorgans (periphere vestibuläre Schädigung)

(5)

warm kalt kalt

warm

Spülung LINKS Spülung

RECHTS

Rechtsnystagmus Linksnystagmus

70—

60—

I I I 1 I I I I I I 50 40 30 20 10 10 20 30 40 50

Spülung LINKS Spülung

RECHTS kalt kalt

warm warm

I I I I 1 I I I I I I I I I I

10 20 30 40 50 50 40 30 20 10 10 20 30 40 50 Frequenz

1 1 I 1 1 50 40 30 20 10

1

Linksnystagmus Rechtsnystagmus

THERMISCHE PRÜFUNG Spontannystagmus/30"

20 links

nach Spülung:

vor Spülung:

chung – falls sie entgegengesetzt gerichtet sind – beeinflußt. Bei einseitiger peripherer Untererreg- barkeit ergeben sich diagnosti- sche Schwierigkeiten durch die

Kombination des Spontannystag- mus mit den thermisch ausgelö- sten Nystagmen, die der Hals-Na- sen-Ohren-Arzt durch Aufzeich- nung und Auswertung der Reak-

tionsmuster löst. Die einseitige periphere Unerregbarkeit erkennt man daran, daß sich der Spontan- nystagmus von dieser Seite aus weder durch Kalt- noch durch

Spontannystagmus/30 r-A

vor Spülung: nach Spülung:

THERMISCHE PRÜFUNG

Rechtsnystagmus Linksnystagmus

I I I I I 1 1 1 1 1 50 40 30 20 10 10 20 30 40 50

Frequenz

Abbildung 6c: Uberwiegen des linken Nystagmus (zentraler vestibulärer Schaden bei peripherer Erregbarkeit beiderseits)

Abbildung 6d: Vor Prüfung Spontan-Linksnystagmus. Ausfall peripheres Vestibularorgans rechts bei guter Erregbarkeit links

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Warmreize beeinflussen läßt (Ab- bildung 6d).

Durch die rotatorische Prüfung werden gleichzeitig beide peri- pheren Vestibularorgane gereizt.

Der bei der Beschleunigung und nach dem Stoppen zu beobach- tende Nystagmus ist also von bei- den Vestibularorganen ausgelöst.

Die Prüfung eignet sich daher nicht zur Feststellung einer peri- pheren Unter- oder Unerregbar- keit, sie gibt aber die wichtige Auskunft, inwieweit nach einem einseitigen Ausfall die zentrale Kompensation eingetreten ist und ob sich der Vestibularapparat trotz einseitigen peripheren Aus- falls wieder in einem Funktions- gleichgewicht befindet.

Zunächst besteht nach einem ein- seitigen peripheren Ausfall durch den Wegfall der tonisierenden Im- pulse dieser Seite eine zentrale Tonusdifferenz in den Vestibula- riskerngebieten mit einem hefti- gen Spontannystagmus zur Ge- genseite. Die vestibuläre Kom- pensation beruht auf zentralen Adaptationsprozessen und kommt durch multisensorielle Substitutionsmechanismen zu- stande (Pfaltz). Sie wird daher durch Bewegungsreize über affe- rente Signale gefördert. Das „ve- stibuläre Training" besteht in planvoll und stufenweise gestei- gerten Bewegungen (Augenbe- wegungen, Kopfbewegungen, Ba- lance-, Zielbewegungs- und Geh- übungen) angepaßt an den Krank- heitsverlauf, vor allem den Grad der Übelkeit, und wird jeweils bis zur leichten Unsicherheit durch- geführt (Brandt).

Man erkennt die eingetretene zentrale Kompensation daran, daß der Spontannystagmus ver- schwindet und die nach der Rechts- und nach der Linksdre- hung auftretenden postrotatori- schen Nystagmusreaktionen sei- tengleich ausfallen, obwohl sie nur von einem — dem erregbaren

— peripheren Vestibularorgan aus- gelöst sein können.

Während der Erholung eines aus- gefallenen Vestibularorganes kann der Nystagmus, der als Aus- fallnystagmus zunächst zur ge- sunden Seite gerichtet war, um- schlagen und dann bis zur wieder normalen Erregbarkeit des peri- pheren Vestibularorgans zur Seite des kranken Ohres gerichtet sein („Erholungsnystagmus").

Auch durch die experimentellen Vestibularisprüfungen läßt sich al- so feststellen, ob Schwindel- beschwerden ihre Ursache in ei- ner Funktionsstörung des Vesti- bularapparates haben, und es läßt sich auf diese Weise ein vestibulä- rer Schwindel von einem Schwin- del anderer Genese abgrenzen.

Differentialdiagnose der

häufigsten Krankheitsbilder mit vestibulärem Schwindel

Leitsymptom:

Schwindel und Schwerhörigkeit Morbus Meniäre: Drehschwindel- anfall bis einige Stunden (Übel- keit, Erbrechen). Im Anfall Spon- tannystagmus (meist zur kranken Seite), einseitige Schwerhörigkeit (Diplakusis) und Ohrensausen.

Bis zum nächsten Anfall schwin- delfreies Intervall. Schwerhörig- keit bleibt zurück, nach mehreren Anfällen auch einseitige vestibulä- re Untererregbarkeit.

Morbus Lermoyez: Drehschwin- delanfall. Im Anfall Spontanny- stagmus (meist zur gesunden Sei- te). Einseitige Schwerhörigkeit Tage vorher, im Schwindelanfall Hörverbesserung.

Plötzlicher Labyrinthausfall (bei Felsenbeinquerfraktur, bei Ver- schluß der A. labyrinthi): Dreh- schwindelanfall, anschließend über Wochen allmählich nachlas- sender Dauerschwindel.

Spontannystagmus zur gesunden Seite, allmählich abklingend. Ein- seitige vestibuläre Unerregbar- keit. Einseitige Taubheit.

Labyrinthitis (bei akuter oder chronischer Mittelohrentzün- dung): Drehschwindel.

Bei Labyrinthreizung Spontanny- stagmus zur kranken Seite („Reiz- nystagmus"), Innenohrschwerhö- rigkeit.

Bei Labyrinthausfall Spontanny- stagmus zur gesunden Seite („Ausfallnystagmus"), einseitige Taubheit.

Labyrinthfistel (bei chronischer M ittelohrknocheneiterung und Cholesteatom): Kurzdauernde Drehschwindelzustände.

Bei Druck auf das Ohr Spontanny- stagmus zur kranken Seite und heftiger Drehschwindel. Bei Sog Spontannystagmus zur gesunden Seite, heftiger Schwindel. Mittel- oh rsc hwe rh ö rig keit.

Akustikusneurinom: Uncharakte- ristische Gleichgewichtsstörun- gen, die bei allmählichem Vesti- bularisausfall wegen der einset- zenden zentralen Kompensation fehlen können.

Gelegentlich Spontannystagmus, häufiger Lagerungs- oder Lageny- stagmus. Einseitige vestibuläre Unter- oder Unerregbarkeit.

Hauptsymptom: zunehmende ein- seitige neurale Schwerhörigkeit.

Zoster oticus: Drehschwindel oder Schwankschwindel. Spon- tannystagmus zur gesunden Sei- te. Einseitige vestibuläre Unter- oder Unerregbarkeit.

Einseitige Innenohrschwerhörig- keit oder Taubheit. Stechende Ohrenschmerzen. Hautefflores- zenzen, Fazialisparese.

Caisson-Krankheit (nach zu schnellem Ausschleusen): Dreh- oder Schwankschwindel (Übel- keit). Spontannystagmus, Innen- ohrschwerhörigkeit und Ohren- sausen, die durch sofortiges Wie- dereinschleusen und langsame Dekompression behoben werden müssen.

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Leltsymptom:

Schwindel ohne Schwerhörigkeit:

Neuronitis vestibularis: Dreh- schwindelanfall mit Übelkeit und Brechreiz für Stunden oder Tage.

Spontannystagmus zur gesunden Seite, allmählich abklingend.

Anfangs vestibuläre Unter- oder Unerregbarkeit, oft nur für einige Tage, später wieder normale Er- regbarkeit. Seltener Unerregbar- keit auf Dauer. Keine Schwerhö- rigkeit.

Kinetosen (durch unkocrdinier- te Beschleunigungsreize): Dreh-, Schwank- und Liftschwindel mit ausgeprägter Übelkeit und Brech- reiz ohne Hörstörungen.

Es kommt zur Gewöhnung. Bei der nächsten Exposition erneut Auftreten von Beschwerden.

Intoxikationen (durch Alkohol, durch vestibulär-toxische Medika- mente, z. B. basische Streptomy- cespräparate und Chinin, oder durch lndustrieerzeugnisse, z. B.

Kohlenmonoxid): Uncharakteristi- scher Schwindel, gelegentlich Schwank- oder Drehschwindel mit Übelkeit und Brechreiz.

Periphere und zentrale vestibulä- re Funktionsstörungen. Alkohol:

Bei der Lageprüfung zunächst Ny- stagmus zum untenliegenden Ohr, später zum sich oben befin- denden Ohr.

Streptomycin: Spontannystag- mus, Provokationsnystagmus, pe- riphere Unter- oder Unerregbar- keit oder zentrales Nystagmus- überwiegen.

Barbiturate, Chinin, Kohlenmon- oxid: Lage- oder Lagerungsny- stagmus. Vertikaler Spontanny- stagmus.

Zervikaler Schwindel {durch vas- kuläre Störungen oder Irritation der Propriarezeptoren im Kopfge- lenksbereich ?) : Drehschwindel- gefühl bei extremen Bewegungen des Kopfes gegen den Körper. Ny-

Stagmusprovokation bei den Kopfhaltungen, die Schwindel hervorrufen, oder durch Drehen des Körpers bei fixiertem Kopf ("Zervikalnystagmus"), gelegent- lich Lagenystagmus. Periphere vestibuläre Erregbarkeit bleibt er- halten.

Leitsymptom:

Schwindel mit neurologischer Symptomatik:

Zentrale Vestibularisstörungen (durch Hirntumoren, multiple Sklerose, intrakranielle Blutdruck- schwankungen oder Hirndurch- blutungsstörungen wie vertebro- basiläre Insuffizienz, Wallenberg- Syndrom, Subclavian-steai-Syn- drom u. a. wie im vorangehenden Beitrag Malin u. Schliack be- schrieben): Schwankschwindel, Unsicherheitsgefühl, selten Dreh- schwindel.

Spontannystagmus, der horizon- tal, rotierend oder vertikal gerich- tet sein kann, Blickrichtungsny- stagmus, richtungswechselnder Lagenystagmus.

Bei den thermischen und rotatori- schen Prüfungen Richtungsüber- wiegen des Nystagmus. Die ther- mische Erregbarkeit beider peri- pherer Vestibularorgane ist erhal- ten. Störung des optokinetischen Nystagmus.

Literatur

(1) Boenninghaus, H.-G.: Vestibulärer Schwindel, in Aktuelle Probleme der HNO- Heilkunde. Herausgeber Julius Berendes, Dt.

Ärzteverlag (1980) 75-(2) Brandt, Th.: Medika- mentöse und physikalische Therapie des Schwindels und der Ataxie, Fortschr. Neuro!.

Psychiat. 49 (1981) 88- (3) Deeg, P., CI.-F.

Claussen: Schwindel und Nausea: Alarmzei- chen gefährlicher Herz-Kreislauf-Erkrankun- gen, Dt. Ärztebl. 80 (1983) Heft 22- (4) Pfaltz, C. R.: Vestibular compensation. Acta Otolaryn- gol. 95 (1983) 402

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr.

Hans-Georg Boenninghaus Universitäts-

Hals-Nasen-Ohrenklinik Voßstraße 5-7

6900 Haideiberg

Immunglobulin-Gen- Anordnung als Marker für maligne Lymphome

Immunglobulin-Gene sind in ihrer ursprünglichen Form DNS-Unter- einheiten, die während der Ent- wicklung der B-Lymphozyten durch Rekombination vereinigt werden.

Die individuelle Neuanordnung der Immunglobulin-Gene ist spe- zifisch für eine bestimmte B-Zelle und ihre Tochterzellen. Die Auto- ren zeigen, daß der Nachweis sol- cher Gen-Anordnung ein emp- findlicher Marker für Klonalität, al- so Abstammung einer Zellpopula- tion von einer Stammzelle, und B- Zellursprung innerhalb von lym- phatischem Gewebe ist; beides war mit Hilfe der bisherigen Mar- ker nicht eindeutig zu klassifizie- ren.

Die Anwendung dieser Methode ermöglicht

~ die Sicherung der Diagnose ei- nes malignen Lymphoms bei ei- nem zuvor unklassifizierten Tu- mor,

~ den Nachweis des B-Zellur- sprungs eines zunächst als T-Zeii- Lymphom klassifizierten Tumors,

~ die Entdeckung monoklonaler B-Zellpopulationen in unklassifi- ziertem Lymphomgewebe und in atypischen lymphofollikulären Hy- perplasien.

Mit dieser Methode könnten in Zu- kunft auch für eine Reihe von an- deren Zelltypen genetische Mar- ker entdeckt werden, welche spe- zifisch sind für einen individuellen Tumor.

Dadurch würden Diagnose und Klassifikation maligner Tumoren auf eine breitere wissenschaft- liche Basis gestellt. Hrm

Arnold, A., et al.: Immuneglobulin-Gene Rear- rangements as Unique Clonal Markers in hu- man Lymphoid Neoplasms, N. Engl. J. Med.

309 (1983) 1593-1599, Bldg. 10, Rm. 4N-110, National Institutes of Health, Bethesda, MD 20205, USA

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