Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 423. Januar 2004 AA145
S E I T E E I N S
D
er von der Politik geforderte Trend zu einer verstärkten wohn- ortnahen ambulanten Rehabilitati- on setzt sich nur zögernd fort. Dabei ist die ambulante Versorgung in eini- gen Indikationsbereichen der statio- nären ebenbürtig. Die Bedarfsschät- zungen für die Versorgung im am- bulanten Bereich differieren. Die Sozialversicherungen gehen von einer Zielgröße in Höhe von 20 Pro- zent aus. Davon ist man zurzeit noch weit entfernt.Lediglich vier Prozent aller Re- habilitationsmaßnahmen zulasten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte im Jahr 2002 wurden an jene 103 Rehabilitationszentren überwiesen, die bereits heute am- bulante Rehabilitationsmaßnahmen
anbieten. Von den 450 000 Rehabili- tationsmaßnahmen-Bewilligungen (ohne Entwöhnungsbehandlung) kamen nur rund 19 000 Patienten in den Genuss ambulanter Rehabilita- tionsleistungen. Schwerpunkt war die Orthopädie mit 87 Prozent aller Maßnahmen. Mit fast 40 Prozent der Rehabilitationsmaßnahmen nach Un- fallfolgen und annähernd 60 Prozent wegen Bandscheibenerkrankungen sind davon im Bereich der Techniker Krankenkasse fast ausschließlich orthopädische (muskuloskelettale) Indikationen betroffen.
Eine empirische Studie im Zen- trum für ambulante Rehabilitation in Berlin hat nachgewiesen, dass die Durchführung von ambulant er- brachten Rehabilitationsleistungen
im Bereich der orthopädischen Re- habilitation lediglich zwischen 70 und 80 Prozent derjenigen Kosten verursacht, die bei vollstationärer Unterbringung des Rehabilitanden anfallen würden. Die Befolgung des Prinzips „ambulant vor stationär“
wirkt auch hier kostensparend.
Allerdings warnt die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Reha- bilitation e.V., Berlin, mit Recht da- vor, dass sich Rehabilitationsträger vorschnell in das Wagnis der ambu- lanten Rehabilitation stürzen, denn dies ist zurzeit betriebswirtschaftlich riskant. Langfristig kann sich aber die ambulante Rehabilitation eta- blieren, wenn die Vergütungs- und Tagespflegesätze der Kostenträger erhöht würden. Dr. rer. pol. Harald Clade
Rehabilitation
Ambulant vor stationär U
lla Schmidt, unsere Gesundheits-ministerin, steigert ihre Angriffe auf die Selbstverwaltung. Als der alte Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen am 12. Januar ver- abschiedet wurde, tat sie den Krach um die Praxisgebühr lächelnd mit Anlaufschwierigkeiten ab.
Drei Tage später im Bundestag schob sie die Verantwortung mit ernster Miene und gestrengen Wor- ten der Selbstverwaltung zu.
Wieder zwei Tage später verbrei- tet der „Spiegel“ vorab ein Inter- view, in dem Schmidt eine Art Ulti- matum an die Selbstverwaltung der Ärzte und Kassen richtete: Wenn sie nicht spurten, drohe die Auflösung.
Gemeint sind in erster Linie die Kassenärztlichen Vereinigungen, die bei Schmidt schon seit der Bundes- tagswahl unter Beschuss stehen.
Erwartungsgemäß sekundierte ihr der Medizinalökonom Karl W.
Lauterbach, der zur so genannten
Aachener Clique gehört: Der Bun- desausschuss der Ärzte und Kran- kenkassen habe bei der Definition chronischer Krankheiten nur un- brauchbares Material hervorge- bracht.
Tatsächlich hatte die gescholtene Selbstverwaltung trotz der knappen Termine auftragsgemäß ihre Defini- tion chronischer Krankheit noch im letzten Jahr vorgelegt, eine Vor- bedingung für Ausnahmen von der Praxisgebühr. Nachdem bekannt wurde, welch strenge Kriterien der Bundesausschuss vorschlug, war Schmidts Ministerium zurückge- zuckt. Man muss dazu wissen, dass das Ministerium bei den Beratungen des Bundesausschusses vertreten ist.
Und die gefundene Definition chro- nischer Krankheit lag durchaus in der Interessenlage des Hauses, dem an engen Ausnahmeregelungen liegt, es freilich nach außen nicht so offen sagen kann. Aber die Chefin
muss Bescheid gewusst haben. Sie haut somit nicht nur die Selbstver- waltung, sondern auch ihr Haus in die Pfanne, um politisch den eigenen Kopf zu retten. Denn die anschwel- lende Kritik an der Praxisgebühr wird ihr politisch gefährlich.
Schmidt versucht, sich auf Kosten der Selbstverwaltung zu entlasten.
Zugleich verbindet sie das mit ihrer alten Aversion gegen die Kas- senärztlichen Vereinigungen, ein Doppelspiel also. Im ersten Konzept für die Gesundheitsreform aus dem Hause Schmidt war noch die Aus- trocknung der ärztlichen Selbst- verwaltung vorgesehen. Doch damit war Schmidt nicht durchgekommen.
Politisch hatte ihr die Union einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Die Niederlage scheint Schmidt derart zu schaffen zu machen, dass sie, kaum dass ihre Gesundheits- reform durch ist, mit Revanche droht. Norbert Jachertz