• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Universitäten: Medizin studieren mit Kind – ein Trend der Zukunft?" (30.08.2010)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Universitäten: Medizin studieren mit Kind – ein Trend der Zukunft?" (30.08.2010)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 107

|

Heft 34–35

|

30. August 2010 A 1613 UNIVERSITÄTEN

Medizin studieren mit Kind – ein Trend der Zukunft?

Die Fakultäten in Ulm und Frankfurt am Main setzen sich für eine familienfreundliche Medizinerausbildung ein. Untersuchungen an den dortigen Fakultäten

geben Aufschluss über die Lebensrealität von Studierenden mit Kindern.

D

as Ziel eines familienfreund- lichen Medizinstudiums stellt eine gesamtgesellschaftliche Her - ausforderung dar – nicht zuletzt angesichts des zunehmenden Ärz- temangels. Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung bestätigt den dringenden Handlungsbedarf im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Gesundheits- wesen (1). In einigen Bundeslän- dern sind die politischen Grundla- gen für familiengerechte Lösungen gesetzlich verankert. Für Richtlini- en zur Umsetzung im Medizinstu- dium fehlten allerdings bisher ge- naue Daten und Studienmodelle. In Frankfurt am Main und Ulm wer- den daher Projekte zur Datenerfas- sung und Erprobung neuer Ansätze gefördert.

Etwa ein Viertel aller Akademike- rinnen bleibt in Deutschland kinder- los (2). Während des Medizinstudi-

ums spielen Elternschaft und der Wunsch nach Kindern nur eine un- tergeordnete Rolle. Die Quote der Medizin studierenden Eltern ist mit vier Prozent niedrig. Sie liegt deut- lich unter dem Gesamtdurchschnitt aller Fachbereiche, der im Jahr 2008 sieben Prozent betrug (3).

Lebensverläufe erheben Gleichzeitig ist aus Untersuchungen der Landesärztekammer Hessen be- kannt (4), dass circa 60 Prozent der Ärztinnen mindestens ein Kind wäh- rend der Weiterbildung bekommen.

Etwa 16 Prozent der Ärztinnen zwi- schen 35 bis 40 Jahren sind nicht be- rufstätig (Männer: weniger als fünf Prozent). Etwa 30 Prozent beenden ihre Facharztweiterbildung nicht (Männer: 14 Prozent).

In Frankfurt und Ulm hat man damit begonnen, sich systematisch mit der Frage der Familienfreund-

lichkeit während des gesamten Bil- dungs- und Erwerbswegs in der Medizin zu beschäftigen. Die Hoch- schulen bieten besondere Service- leistungen für Studierende mit Kin- dern und umfassende Beratungen an. Dafür wurden sie mit dem Zerti- fikat „audit familiengerechte hoch- schule“ (Frankfurt 2005, Ulm 2008) und dem Zertifikat „audit berufund- familie“ (Ulm 2008) ausgezeichnet.

Als empirische Grundlage wur- den die Studien- und Lebensbedin- gungen von studierenden Eltern in der Humanmedizin erhoben und ei- ne differenzierte Darstellung der Studienerfahrungen erarbeitet. An- hand dessen wurden Faktoren zur erfolgreichen Kombination von Me- dizinstudium und Familie ermittelt.

Die Befunde basieren auf der Befra- gung von 102 Studierenden mit ei- nem oder mehreren Kindern. Davon stammten 57 aus Frankfurt und 45 aus Ulm. In Frankfurt wurden ent- sprechende Daten einer Vollerhe- bung entnommen, an der 1 573 Me- dizinstudierende teilnahmen.

Die Lebensverläufe Medizin stu- dierender Eltern sind meist beson- ders, da sie bereits vor oder wäh- rend der Ausbildungsphase ihre Fa- milie gegründet haben. Sie sind im Schnitt sechs bis sieben Jahre älter als die Regelstudierenden. Größten- teils haben sie bereits eine abge- schlossene, häufig medizinnahe Be- rufsausbildung (Tabelle). Die meisten studierenden Eltern sind verheiratet oder leben in einer festen Partner- schaft, was oft als soziale Ab si - cherung angesehen wird. Jedoch stellt die finanzielle Situation – zusam- men mit der Kinderbetreuungsfrage – in der Regel die größte Unsicher- heit dar. Die Anzahl verfügbarer

Foto: dpa

T H E M E N D E R Z E I T

(2)

A 1614 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 107

|

Heft 34–35

|

30. August 2010 Kitaplätze und deren Öffnungszei-

ten reichen vielfach nicht aus.

Die „Rushhour des Lebens“ von Berufseinstieg und Familiengrün- dung bis zur Lebensmitte verdichtet sich. Vor allem im Arztberuf ver- engt die lange Ausbildungsdauer das Zeitfenster für die Familiengrün- dungsphase, so dass traditionelle Le- bensentwürfe nicht mehr verlässlich funktionieren. Als Alternative bietet sich die stärkere Parallelisierung von Ausbildungs-, Erwerbs- und Famili- engründungsphasen an. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Kind und Studium besser miteinander verein- bar sind als Kind und Berufsein- stieg. Das Parallelisierungsmodell könnte so stärker zu einem Teil der Normalität werden und längerfristig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhöhen. Denn trotz hoher Belastung (5) ist ein Medizinstudi- um mit Kind durchaus realisierbar.

Bei entsprechenden universitären Angeboten zur Studienbegleitung ist es sogar möglich, die Regelstu- dienzeit einzuhalten.

In Frankfurt und Ulm wird derzeit ein Konzept zum Monitoring in - dividueller Studienverläufe erprobt.

Studierende Eltern werden semes - terweise zu einem Begleitgespräch eingeladen. Regelmäßige Beratungs - angebote werden durch eine umfas- sende Beschreibung ihrer Lebens - situation ergänzt (6). Die Teilnahme an Pflichtlehrveranstaltungen und Prüfungen kann somit bedarfsorien- tiert gesteuert und individuell an - gepasst werden (7). Zum Beratungs- service zählen bevorzugte Kurs- und Prüfungsanmeldungen, die eine flexible Studienorganisation ermög- lichen. Zusätzliche Planungshilfe könnte auch ein Lernvertrag bieten, der zwischen Studierenden und Leh- renden abgeschlossen wird. Als kon- krete Lernunterstützung bieten sich vor allem Mentorenprogramme an.

An den beiden Universitäten ist derzeit die Einführung eines „El- ternpasses“ in Planung. Damit kön- nen Dienstleistungen für Familien in Anspruch genommen werden. Au- ßerdem kann bei Konfliktsituatio- nen im Lehrbetrieb ein Elternpass helfen, die Rechte von studierenden Eltern zu bekräftigen. In Frankfurt gibt es bereits eine sehr flexible

Kurzzeitbetreuung für Studierende mit Kind. Familienfreundlich wird eine Universität erst dann, wenn stu- dierende Eltern zur Selbstverständ- lichkeit geworden sind und nicht mehr als „Bittsteller“ angesehen werden. Trotz aller Sonderkonditio- nen und Angebote wird streng nach dem Grundsatz der Gleichbehand- lung verfahren, so dass beispiels- weise für alle Studierenden die Prü- fungsleistungen und Anwesenheits- pflichten gleichermaßen gelten.

Unterstützung anbieten Über das besondere Monitoring der Studienverläufe hinaus sollte ein Berufs-/Familien-Verlaufsmonitoring als Fördermaßnahme in die Dis - kussion eingebracht werden, zumal eine stärker systematisierte Fach- arztausbildung vielerorts bereits ge- fordert wird (8). Dazu gehören dann auch eine verlässliche Beratung und Begleitung seitens der Klini- ken, die Lebens- und Berufspla- nung im Sinne einer individuellen Zeitbudget- und Ressourcensteue- rung zulassen.

Wenn man das Thema Nach- wuchsförderung ernst nimmt, müs- sen die Weichen für die Familien- freundlichkeit bereits in der medizi- nischen Ausbildung gestellt werden.

Die Politik, das Hochschulmanage- ment und die Universitätsmedizin in Deutschland sind gefordert, durch den Ausbau von Serviceleistungen verlässliche, flexible und individuelle Lösungen anzubieten (9). Nur so kön- nen die Abbrecherquoten im Studium und in der Facharztweiterbildung gesenkt werden. Medizinstudierende sollten frühzeitig auf die Vereinbar- keitsprobleme vorbereitet werden, die insbesondere in den ersten Jah- ren der Berufstätigkeit bestehen. Die Studien in Frankfurt und Ulm haben zudem gezeigt: Eine Familiengrün- dung ist bereits im Studium möglich.

Mit geeigneten Instrumenten zum Zeitmanagement und zur Lebens- laufplanung kann man die Studie- renden unterstützen und begleiten.

Gerade aufgrund des steigenden Anteils weiblicher Studierender müssen neue verbindliche Lösungs- ansätze erarbeitet werden. Die För- derung der Projekte in Ulm und Frankfurt durch die zuständigen Landesministerien für Wissenschaft und Kunst gibt Anlass zum Opti- mismus. Offenbar setzt sich in der Politik die Erkenntnis durch, dass man die gesellschaftlich entschei- dende Frage der Sicherstellung des medizinischen Nachwuchses aktiv angehen muss. Die persönliche Er- fahrung und die Bewältigung der Doppelbelastung von Familie und Studium können ein Gewinn sein.

Sie führen zu einem Zuwachs an sozialen Fähigkeiten und Organisa- tionskompetenzen. Die Forderung nach familienfreundlichen Arbeits- bedingungen im Gesundheitswesen (10) muss einhergehen mit einer biografisch orientierten, frühzeiti- gen und individuellen Beratung und Begleitung der künftigen Ärztinnen

und Ärzte. ■

Dr. hum. biol. Hubert Liebhardt Prof. Dr. med. Jörg M. Fegert E-Mail: hubert.liebhardt@uni-ulm.de

Dr. rer. nat. Winand Dittrich Prof. Dr. rer. nat. Frank Nürnberger E-Mail: winand.dittrich@kgu.de

@

Literatur im Internet unter www.aerzteblatt.de/3410 TABELLE

Statistische Angaben zu den Medizinstudierenden mit Kind in Frankfurt am Main und Ulm

1 Angaben entstammen der Frankfurter Vollerhebung (N = 1 573) im WS 2009/10.

2 Angaben über Studienabschnitt, Alter und Geschlecht beziehen sich auf die Auswertung von Verwaltungsdaten (Studiengebührenbefreiung aufgrund Elternschaft; N = 79), die Angaben zum Familienstand, Berufsausbildung und Studienverlauf auf die Ulmer Befragung (N = 45) im SoSe 2009.

Medizinstudierende

Insgesamt

Anzahl

Altersdurchschnitt (Jahre) Frauenanteil

Studierende mit Kind/ern

Anzahl

– Vorklinischer Abschnitt – Klinischer Abschnitt Altersdurchschnitt (Jahre) Frauenanteil

Lebensgemeinschaft/Ehe Alleinerziehend

Berufsausbildung vor Studien- beginn

Studium in Regelstudienzeit

Frankfurt am Main1

2 750 22,3 63 %

57 58 % 42 % 28,6 77 % 86 % 14 % 61 %

64 %

Ulm2

2 080 24,2 60 %

79 22 % 79 % 31,4 69 % 91 % 9 % 73 %

42 %

T H E M E N D E R Z E I T

(3)

A 3 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 107

|

Heft 34–35

|

30. August 2010

LITERATURVERZEICHNIS HEFT 34–35/2010, ZU:

UNIVERSITÄTEN

Medizin studieren mit Kind – ein Trend der Zukunft?

Die Fakultäten in Ulm und Frankfurt am Main setzen sich für eine familienfreundliche Medizinerausbildung ein. Untersuchungen an den dortigen Fakultäten

geben Aufschluss über die Lebensrealität von Studierenden mit Kindern.

LITERATUR

1. Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP. (Quelle: http://www.cdu.de/por tal2009/29145.html, Zugriff: 11.12.2009) 2. Statistisches Bundesamt: Mikrozensus

2008. Neue Daten zur Kinderlosigkeit in Deutschland. Wiesbaden: 2009; 1–38.

3. Middendorff E: Studieren mit Kind. Ergeb- nisse der 18. Sozialerhebung des Deut- schen Studentenwerks. Bonn, Berlin: HIS Hochschul-Informations-System: 2008.

4. Köhler S, Trittmacher S, Kaiser R:Der Arzt- beruf wird zum „Frauenberuf“ – wohin führt das? Hessisches Ärzteblatt 2007; 7:

423–25.

5. Liebhardt H, Stolz K, Mörtl K, Prospero K, Niehues J, Fegert J M: Familiengründung bei Medizinerinnen und Medizinern bereits im Studium? Ergebnisse einer Pilotstudie zur Familienfreundlichkeit im Medizinstu- dium an der Universität Ulm. GMS Z Med Ausbild (submitted 2010).

6. Liebhardt H, Stolz K, Mörtl K, Prospero K, Niehues J, Fegert J M: Evidenzbasierte Beratung und Studienverlaufsmonitoring für studierende Eltern in der Medizin. Zeit- schrift für Beratung und Studium 2010; 2:

50–55.

7. Dittrich, W; Iden, K: Individuelle Studienbe- gleitung in Frankfurt. Hessisches Ärzte- blatt 2010; 8: 479.

8. Richter-Kuhlmann E: Optimistischer in die Zukunft. Dtsch Arztebl 2009; 106 (43):

2136–37.

9. Liebhardt H, Fegert JM: Medizinstudium mit Kind: Familienfreundliche Studienor- ganisation in der medizinischen Ausbil- dung. Lengerich: Pabst Sciences Publis- her (erscheint im Oktober 2010).

10. Medizinischer Fakultätentag Deutschland:

Resolution zur Familienfreundlichkeit in Studium und Weiterbildung von Medizine- rinnen und Medizinern. Verabschiedet auf dem 71. Ordentlichen Medizinischen Fa- kultätentag am 04.06.2010 in Hannover.

T H E M E N D E R Z E I T

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Aus dem Arbeitskreis Unternehmen der Familien- bündnisse von Stadt und Landkreis Osnabrück heraus wurde 2014 eine Arbeitsgruppe damit beauftragt, sich mit der Frage zu

Für diejenigen, die sich bereits zu einem Studium entschlossen haben und vielleicht sogar auch schon einen oder mehrere Studiengänge in Erwägung ziehen, empfiehlt es sich,

Weil die Zahnmedizin in Jena recht klein ist, es mehr Frauen und da- durch auch vermehrt Mütter in diesem Studi- engang gibt, wird auch hier langsam überlegt, wie man die Kurs-

Ziel des Vorsemesters Medizin ist daher sowohl die effiziente Vorbereitung auf die medizinischen Auf- nahmeprüfungen (TMS, Ham-Nat und MedAT) als auch die Vermittlung

Im ÖH-Kinderatelier stehen kreatives Gestalten, Malen und Basteln auf dem Programm, und in der ÖH-Theaterwerk- statt können die Kinder bei Rollenspielen, Tanz und Bewegung

mehr, Du kannst nicht in die TUB gehen, wann Du Lust hast, Du kannst nicht stundenhing in Bü- chern schmökern, Du kannst nicht zu der Zeit lernen, in der Du willst, Du kannst auch

Die Kosten für den Tageseintritt sind für Kinder je 20.-- und für begleitende Eltern je 80.--. Hitzendorf 225

Die klassische Form der Habilitation (Monographie) wählten 62 Prozent und die kumulative Form 38 Prozent.Von den als Monographie eingereichten Arbeiten waren 78,8 Prozent aus