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Archiv "Fibromyalgiesyndrom – Klassifikation, Diagnose und Behandlungsstrategien: Komplex und heterogen" (30.10.2009)

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728 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 44

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30. Oktober 2009

M E D I Z I N

DISKUSSION

Definition ändern

Die Abschaffung der berühmt-berüchtigten Tender- points als wichtigstes Kriterium des Fibromyalgiesyn- droms (FMS) ist eindeutig zu begrüßen. In Bezug auf die Definition des FMS bringt es aber noch mehr Pro- bleme: Das Krankheitsbild des FMS war früher inad - äquat definiert, jetzt ist es fast gar nicht definiert. Ich empfinde es als unseriös, wenn sich epidemiologisch- wissenschaftliche Bemühungen und daraus entstandene Therapieempfehlungen (aktuelle deutsche S3-Leitlinie FMS) auf eine Patientengruppe mit solchen wagen Ein- schlusskriterien, wie „Schmerzen des Achsenskeletts (Halswirbelsäule oder vorderer Brustkorb oder Brust- wirbelsäule oder Lendenwirbelsäule), Schmerzen der linken und rechten Körperhälfte, Schmerzen oberhalb und unterhalb der Taille, Steifigkeits-/Schwellungsge- fühl der Hände oder Füße oder Gesicht sowie körperli- che beziehungsweise geistige Müdigkeit oder Schlaf- störungen“ beziehen. Als Arzt mit 20-jähriger täglicher Erfahrung mit Patienten mit FMS würde ich die Defini- tion ändern: Das FMS ist ein Krankheitsbild, charakte- risiert durch eine langandauernde generalisierte verte- bragene Funktionsstörung, manifestiert durch multiple senso-motorische vor allem schmerzhafte lokale sowie reflektorisch übertragene Symptomatiken seitens der oberen und unteren Extremitäten, des Kopfes, des Rumpfes und der inneren Organe, generalisierte trophisch-entzündliche Weichteilstörungen sowie schmerzbedingte psychovegetative Erschöpfung des Patienten. Die Patientengruppe mit diesen, beziehungs- weise weiter spezifizierten Einschlusskriterien sollte zum Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung werden. Darunter verstehe ich nicht nur statistisch-epi- demiologische, sondern vor allem klinisch-physiologi- sche Grundlagenforschung. Aus Positionen klassischer Segment-Anatomie (metamerer Körperaufbau [1]) und moderner Schmerzphysiologie (neurogene Entzün- dung, zentrale und periphere Schmerzsensibilisierung [2]) ist das Krankheitsbild des Fibromyalgiesyndroms in meinen Augen ätiopathogenetisch nicht rätselhaft sondern eindeutig vertebragenbedingt, metamerbezo- gen und trophisch-vegetativ vermittelt (3).

DOI: 10.3238/arztebl.2009.0728a LITERATUR

1. Wancura-Kampik I: Segment-Anatomie. München: Elsevier 2009.

2. Schmidt RF, Lang F: Physiologie des Menschen. Heidelberg: Springer Medizin Verlag 2007; 296–342.

3. Judin E: Praktische Vertebrologie in der Allgemeinmedizin. Bremen:

UNI-MED-Verlag 2007.

4. Häuser W, Eich W, Herrmann M, Nutzinger D, Schiltenwolf M, Hen- ningsen P: Fibromyalgia syndrome — classification, diagnosis, and treatment [Fibromyalgiesyndrom: Klassifikation, Diagnose und Be- handlungsstrategien]. Dtsch Arztebl Int 2009; 106(23): 383–91.

Eugen Judin Lindemannstraße 5 40237 Düsseldorf E-Mail: eugenjudin@gmx.de

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des In- ternational Committee of Medical Journal Editors besteht.

Komplex und heterogen

Die auf der Analyse von „circa 8 000 Veröffentlichun- gen“ basierenden Empfehlungen stellen eine außerge- wöhnliche Fleißarbeit dar, zumal der Zeitströmung fol- gend evidenzbasierte, also nicht unbedingt Vernunft- geleitete Arbeiten favorisiert wurden. Beim Studium der Informationsflut kommt man allerdings leicht in Gefahr, vor lauter Bäumen den Wald nicht zu sehen.

Nach den Pionierarbeiten von Wolfgang Müller und Kollegen ist die von ihm 1976 so bezeichnete

„generalisierte Tendomyopathie“ (synonym Fibro- myalgie) in Entstehung (meist aus primär monoloku- lären Schmerzsyndromen heraus) und Verlauf sehr verschiedenartig (1). Meine persönlichen Beobach- tungen an rund 1 000 Fibromyalgiepatienten bestäti- gen diese kennerschaftliche Aussage voll und ganz, wobei die Vielschichtigkeit mit Beeinträchtigungen und Komplikationen im Verlauf offenbar zunimmt.

Diese Gegebenheiten schränken den Wert allgemei- ner, sogenannter nomothetischer Aussagen ein und fordern die besondere Beachtung individueller, teils einzigartiger Besonderheiten. Die gründliche Erhe- bung von Anamnese und Biographie ist dabei der Königsweg zum subjektiven Erleben.

Hier ist das von Klaus Mainzer geforderte, in vie- len Gebieten außerhalb der Medizin bereits einge- führte „Denken in Komplexität“ (2) aufschlussrei- cher für Erklärung und Verständnis als das Bemühen um die Identifikation der „Ursache-Wirkungs-Relati- on“, zumal verschiedenartige pathophysiologische Veränderungen und psychopathologische Befunde nachgewiesen worden sind. Dabei lassen sich meines Erachtens durchgehend nur Wahrscheinlichkeitsbe- ziehungen in zirkulärer Kausalität und keine linea- ren, determinierten Reiz-Reaktions-Verknüpfungen erkennen (3).

Ein einfacher, ergänzender Hinweis zur Behand- lung: Fast immer wird von den Betroffenen der Ein- fluss von Wärme positiv, der von Kälte und Nässe negativ geschildert. Das bedeutet nicht unbedingt

„Spa-Therapie“, sondern heiße Dusche oder warmes Bad, nicht die Verordnung von Fango, sondern die zu dem Beitrag

Fibromyalgiesyndrom – Klassifikation, Diagnose und Behandlungsstrategien

von Dr. med. Winfried Häuser, Prof. Dr. med. Wolfgang Eich, Prof. Dr. med. Markus Herrmann, Prof. Dr. med. Detlev O. Nutzinger, Prof. Dr. med. Marcus Schiltenwolf, Prof. Dr. med. Peter Henningsen in Heft 23/2009

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hat sich als unfruchtbar erwiesen. Es sollte aufgege- ben werden. Das wäre nicht das erste Mal in der Me- dizingeschichte: Auch von der vegetativen Dystonie spricht heute niemand mehr.

DOI: 10.3238/arztebl.2009.0729a LITERATUR

1. Wolfe F: Stop using the American College of Rheumatology Criteria in the clinic. J Rheumatol 2003; 30: 1671–2.

2. Mindach M: Ist das Dilemma der Fibromyalgie durch die Leitlinie ge- löst? Schmerz 2008; 22: 685–8

3. Häuser W, Eich W, Herrmann M, Nutzinger D, Schiltenwolf M, Hen- ningsen P: Fibromyalgia syndrome — classification, diagnosis, and treatment [Fibromyalgiesyndrom: Klassifikation, Diagnose und Be- handlungsstrategien], Dtsch Arztebl Int 2009; 106(23): 383–91.

Dr. med. Matthias Mindach

Humboldtstraße 5, 15230 Frankfurt (Oder) E-Mail: Mindach@ibel.de

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des In- ternational Committee of Medical Journal Editors besteht.

Schlusswort

Die Autoren danken für die Leserbriefe und die Gele- genheit, mögliche Missverständnisse der Empfehlun- gen der S3-Leitlinie zum Fibromyalgiesyndrom (FMS) richtig zu stellen.

– Der Symptomkomplex „chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen“ ohne erklärende orga- nische Erkrankung ist eine klinische Realität. Auf die ungelösten Probleme seiner Klassifikation und Definition in der Krankheitenliste der Weltgesund- heitsorganisation, auf die Herr Mindach mit Recht hinweist, wurde im Leitlinientext ausdrücklich eingegangen.

– Die Tender Points werden durch die Leitlinie nicht

„abgeschafft“ (Frau Jung) noch sind sie für die Definition des FMS grundsätzlich „ungeeignet“

(Herr Mindach). Für die klinische Diagnose des FMS empfiehlt die Leitlinie, entweder die ACR- Klassifikationskriterien, welche die Tender Point- Prüfung vorsehen, oder die von der Leitlinien- gruppe definierten symptombasierten Kriterien (chronische Schmerzen mehrere Körperregionen und Steifigkeits-/Schwellungsgefühl der Hände oder Füße oder Gesicht und körperliche bezie- hungsweise geistige Müdigkeit oder Schlafstörun- gen ohne Tender Point Untersuchung) zu benut- zen. Diese Diagnose-Kriterien lassen sich anhand einer vom Patienten auszufüllenden Schmerzskiz- ze und Symptomfragebogen valide erfassen und sind insofern nicht „vage“ (Frau Jung). Die Aus- wahl der Kriterien wurde durch Expertenkonsens und durch Befragung einer großen Gruppe von FMS-Patienten zu den Kernsymptomen des FMS gestützt (1). Sowohl Studien aus Kanada (2) als auch eine aktuelle deutsche Multizenterstudie (Häuser et al., in Vorbereitung) weisen auf eine hohe Konkordanzrate der Diagnose nach den ACR- und symptombasierten (ohne Tender Point Überprüfung) Kriterien hin.

Anwendung von Wärmepacks aus der Mikrowelle.

Wärme ist hier offenbar (evident) nützlicher als das signifikant, doch selten überzeugend wirksame Amitriptylin mit seiner Gewichtsförderung.

DOI: 10.3238/arztebl.2009.0728b LITERATUR

1. Müller W (Hrsg): Generalisierte Tendomyopathie (Fibromyalgie).

Darmstadt: Steinkopff Verlag 1991.

2. Mainzer K: Thinking in complexity. The complex dynamics of matter, mind and mankind. 3. Aufl. Heidelberg, Berlin: Springer 1997.

3. Wörz R: Die multidimensionale, nonlineare Schmerzkonzeption. Ein breiter Ansatz für Erklärung und Verständnis komplexer Schmerzsyn- drome. Fortschr Med 2001; 119: 129–33.

4. Häuser W, Eich W, Herrmann M, Nutzinger D, Schiltenwolf M, Henningsen P: Fibromyalgia syndrome — classification, diagnosis, and treatment [Fibromyalgiesyndrom: Klassifikation, Diagnose und Behandlungsstrategien], Dtsch Arztebl Int 2009; 106(23): 383–91.

PD Dr. med. Roland Wörz

Friedrichstraße 7, 76669 Bad Schönborn E-Mail: woerz.roland@t-online.de

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des In- ternational Committee of Medical Journal Editors besteht.

Dürftiges Ergebnis

Das dürftige Ergebnis von zwei Jahrzehnten For- schung und 8 000 gesichteten Literaturstellen ist, dass es sich um eine funktionelle Störung handelt, deren Existenzberechtigung allein auf dem Umstand beruht, dass sie mit einer somatoformen Störung nicht identisch sei.

In Auswertung der Literatur hat sich die Leitlini- enkommission entschlossen, die bisher für die Dia - gnosestellung einer Fibromyalgie erforderlichen so- genannten „Tender Points“ für fakultativ zu erklären.

Sie reflektiert damit unter anderem das spektakuläre Editorial von Wolfe 2003 (1), das zu dem Schluss kommt, diese seien für die Definition der Erkran- kung ungeeignet. Es wird jedoch nicht möglich sein, den Begriff der Fibromyalgie zu retten, indem man die vorher ungenügende Operationalität nun gänz- lich aufgibt. Wenn die Definition vorher wachsweich war, so hat sie sich jetzt vollends verflüssigt und es dürfte weniger denn je gelingen, die Kriterien zur Abgrenzung von der somatoformen Störung zu for- mulieren. Dazu passt, dass die bisher als wirksam er- kannten Medikamente sämtlich psychotrop sind.

Dieses Postulat bedarf offenbar zunächst keines wei- teren Belegs vonseiten seiner Verfechter und die For- derung nach „empirischer Überprüfung“ der Identi- tät beider Störungen stellt im Kern nichts anderes als eine elegante Umkehr der Beweislast dar.

„Unkonventionelle“ Behandlungsmethoden, die in der Einzelprüfung versagen, werden in der „multi- modalen Komplexbehandlung“ empfohlen. So je- denfalls der Konsens der Experten, die sich auf Bele- ge stützen, deren Methodik – bei diesem Ergebnis – des Hinterfragens wert wäre. Es gibt noch zahlreiche weitere Unklarheiten in den Leitlinien (2). Das Kon- zept der Fibromyalgie, ob als Syndrom oder nicht,

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