Ethik in der Palliativmedizin
Margit Schröer
Dipl.-Psych., Psycholog. Psychotherapeutin, Psychoonkologin, Medizinethikerin
Dr. med. Susanne Hirsmüller
M.A., MSc Palliative Care, Psychoonkologin, Medizinethikerin
Basiskurs Palliativmedizin
21.9.2018
Moral
• Summe der moralischen Normen und Werte, die von einer Person oder Gruppe als verbindlich anerkannt werden und ihr Handeln festlegen, d.h. sie geben vor, was „man“ üblicherweise tut
• Verhaltensregeln einer Gesellschaft, Kultur, bilden Grundrahmen für Verhalten
• Spiegelt die Wert- u. Sinnvorstellungen dieser Gruppe…
wider, wird durch Sozialisation u. kulturgeschichtlichen Entwicklungsprozess erworben
Ethik
• Nachdenken über Moral, Werteinstellungen
• Wissenschaft, die sich mit den Vorstellungen und Begründungen vom Guten befasst
• Sagt nicht, was das Gute ist, sondern wie man dazu kommt, etwas als gut zu beurteilen und warum der Mensch in dieser oder jener Weise handeln soll
• Stellt Instrumente zur Verfügung, die erlauben,
Entscheidungen und Handlungen anhand von Werten zu begründen
Grundfragen
Grundfrage der Medizin :
Was können wir alles tun?
Grundfrage der Ethik im Gesundheitswesen:
Was dürfen/sollen wir tun für diesen Patienten
(d.h. was ist in seinem Sinne)?
Ethische Probleme in der Palliativmedizin
• Aufklärung und Wahrhaftigkeit
• Entscheidungs- bzw. Einwilligungsfähigkeit des Patienten
• Einverständnis des Patienten (informed consent)
• Entscheidungen bzgl. der angemessenen
Behandlung für Schwerstkranke und Sterbende (EOLC)
• Behandlungsbegrenzung/ Therapiezieländerung
• Fragen der Verteilung knapper Ressourcen
„ Mittlere“ Prinzipien der Ethik im Gesundheitswesen
• Respekt vor Autonomie/ Selbstbestimmung des Patienten
• Schadensvermeidung
• Wohltun/ Fürsorge des Arztes/ der Pflegekraft (Patient nutzen)
• Gerechtigkeit
Beauchamp u. Childress: Principles of Biomedical Ethics (1979)
Autonomie / Selbstbestimmung
• Grundeigenschaft des Menschen, die er bedingungslos besitzt
• Anerkennung der grundsätzlichen Freiheit jedes
Menschen, über sein Leben zu bestimmen (Kriterien zur Bewertung sind individuell)
• Es beinhaltet das Recht der selbstbestimmten
Entscheidung für oder gegen eine Behandlung/ Therapie
• Jeder Mensch hat die Freiheit, auch „unvernünftige“
Entscheidungen zu treffen
• Allerdings ist der Mensch kein isoliertes Individuum
sondern Teil eines sozialen Miteinanders („Aufeinander- angewiesen-Sein“ / „Voneinander-abhängig-Sein“)
Nicht schaden
• Umfasst nicht nur, keinen Schaden zu zufügen,
sondern schon das Risiko, Schaden zu zufügen, zu vermeiden
• All das unterlassen, was nutzlos ist (Nutzen entscheidend, nicht Wirkung!)
• In palliativen Situationen Therapiegrenzen u. das therapeutisch Mögliche für den einzelnen Patienten erkennen u. durch Behandlungs-begrenzung
Belastungen vermeiden
• Nebenwirkungen verschiedener Therapien haben in der palliativen Situation oft größere Bedeutung als ihre erwarteten Erfolge
Gutes tun
• „Bestes für den Patienten tun“ heißt in der
Palliativmedizin: Anerkennung seiner Identität, Wertvorstellungen und Erwartungen, d.h. seines Willens
• Das subjektive Erleben des Patienten u. seine Wertung der Symptome leiten den Arzt
• Wohl des Patienten: Linderung von Schmerzen u.
anderen Symptomen sowie Beachtung seiner existenziellen, spirituellen u. psychosozialen Bedürfnisse („total pain“)
Gerechtigkeit
• Patienten in vergleichbaren Situationen haben Anrecht auf vergleichbare Behandlung
• Durch Rationalisierung / Rationierung darf nicht auf Maßnahmen verzichtet werden, die die Förderung von Lebensqualität, Lebenswürde sowie die
Lebensberechtigung von Menschen am Lebensende beinhalten
Wert-haltige Begriffe in der Medizin
• Indikation: abhängig von Wissen und „Erfahrung“ des Arztes und seiner Bewertung der „Gesamt- Situation“
des Patienten
• Therapieziel: Patient entscheidet - nach Information durch Arzt – ob es sinnvoll für ihn ist: Was möchte ich erreichen?
• Prognose: Was bedeuten die Zahlen für mich als Arzt/
Pflegende/ Therapeut/ Patient?
• Nutzen-Schaden-Bilanz: Nutzen, Risiken, Belastungen… sind individuell: Lohnt es sich?
• Lebensqualität: Sicht der Betroffenen entscheidend:
Möchte ich so leben?
Nach G. Neitzke
Ethische Grundsätze in der Palliativmedizin
• Ethisches Handeln muss die Individualität des Patienten in seiner Auseinandersetzung mit schwerer Krankheit u. Sterben berücksichtigen
• Aktive Sterbehilfe wird von der Palliativmedizin abgelehnt, die Auseinandersetzung mit
Todeswünschen soll mit Respekt geführt werden
Konzepte der Ethikberatung
1. Unterstützung eines Ratsuchenden durch
„Ethikfachmann/frau“ vor Ort
2. Interprofessionelle Teambesprechung z. B. mit Checklisten/ Anleitungen zum Diskurs mit
möglichst allen am Fall Beteiligten (z. B. „METAP“,
„Augsburger ethisches Basis- Assessment in der SAPV“)
3. Ethische Fallberatung im Rahmen eines Klinischen Ethikkomitees
Augsburger ethisches Basis- Assessment in der SAPV 1
• Instrument geeignet, bei einfacheren Problem-
konstellationen fundierte Entscheidungsfindung zu unterstützen und für mehr Sicherheit und
Transparenz bei allen Beteiligten zu sorgen
• Unbedingt Gespräch anhand der Punkte dokumentieren
• Wenn kein Konsens zu erreichen, ethische Fallbesprechung notwendig
Augsburger ethisches Basis- Assessment in der SAPV 2
1. Einschätzung zur Einwilligungsfähigkeit des Patienten 2. Vorliegende Willensäußerungen
3. Begründung für die Unterlassung von Maßnahmen 4. Nicht mehr indizierte und gewollte Maßnahmen 5. Erwartungen des Patienten
6. Aufklärungsgespräch erfolgt 7. Konsens
8. Weitere relevante Informationen zum Entscheidungsprozess und/oder zum weiteren Verlauf
Ethik Med (2012) 24:67-76
Ethische Fallbersprechung 1
Moderiertes, strukturiertes Gespräch im
multiprofessionellen Team (möglichst mit allen an der Versorgung eines Patienten Beteiligten) zur
Erarbeitung einer ethisch am besten begründbaren gemeinsamen Handlungs-Empfehlung für ein
konkretes (moralisches) Problem, das einen Patienten betrifft.
Ethische Fallbesprechung 2
Idee:
Entscheidungshilfe für das Behandlungsteam durch Erweiterung des Blickwinkels unter Einbeziehung medizinischer, pflegerischer, psychosozialer,
seelsorglicher und ethischer Aspekte
Behandelnde Ärzte behalten
Verantwortung und Entscheidung!
Leitfaden eth. Fallberatungen
1. Vorstellung u. Vereinbarung des Vorgehens (Dokumentation!) 2. Situationsanalyse: medizinische, pflegerische, psychosoziale Situation
des Patienten
- Informationen über Patienten (Anamnese, Befunde, Diagnosen…) - Behandlungsmöglichkeiten mit Chancen und Risiken
- Ethisches Dilemma benennen
3. Bewertung: Moralische Verpflichtungen gegenüber Patienten u. Dritten:
- Wohl des Patienten (Fürsorge/Nichtschaden) - Selbstbestimmung des Patienten
- Gerechtigkeit
4. Mögliche Handlungsalternativen (medizinisch, pflegerisch,
psychosozial mit Abschätzung der Folgen u. ethischen Implikationen) 5. Synthese: Konflikt? → Begründete Bewertung aller Alternativen
6. Handlungsempfehlung, weiteres Vorgehen (z.B. Infos an Hausarzt…
Ethische Fallbesprechung 3
Vorteile:
• Alle „behandelnden“ Berufsgruppen sind beteiligt
• Austausch im Behandlungsteam über Positionen, Differenzen und Gemeinsamkeiten
• Handlungsempfehlung kann mitgestaltet und nachvollzogen werden (Transparenz)
• Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und begründete Abwägung