Rund um die Reihe
Warum behandeln „wir“ das Thema?
Das Thema „Gebärdensprache“ ist in der Regel nicht Gegenstand des Lehrplans, eignet sich je- doch hervorragend, um das Sprachbewusstsein der Schülerinnen und Schüler* auf praxisnahe und motivierende Weise zu entwickeln. Die Materialien sind auf eine Unterrichtsstunde ausge- legt. Sie eignen sich somit sehr gut als „Notfallkoffer“ für eine Vertretungsstunde in einer Ihnen unbekannten Klasse.
* Im weiteren Verlauf wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit nur „Schüler“ verwendet.
Was müssen Sie zum Thema wissen?
Laut Statistik leben 80.000 Gehörlose und 2,5 Millionen Hörgeschädigte in Deutschland. Der medizinischen Definition zufolge gelten als gehörlos jene Menschen, die weder Geräusche noch Töne wahrnehmen können, da ihr Gehörsinn vollständig ausgefallen ist. Als „Resthörige“
bezeichnet man Menschen, die praktisch gehörlos sind, die aber einzelne Töne oder Geräu- sche wahrnehmen können. Gehörlosigkeit kann einerseits angeboren sein, andererseits auch durch Schädigungen der Hörorgane oder des Gehörsinns später auftreten.
Bis zum 18. Jahrhundert wurden gehörlose Menschen nicht als vollwertige Mitglieder der Ge- sellschaft angesehen, sie galten als geistig Behinderte. Geprägt durch den Geist der Aufklärung wurde 1770 durch Abbé Charles Michel de l’Epée die erste Schule für „Taubstumme“ in Frank- reich gegründet. Er entwickelte als Erster methodische Gebärden für den Unterricht.
Die Entwicklung der Gebärdensprache ermöglichte es Gehörlosen, auch ohne Lautsprache mit der Umgebung zu kommunizieren. In Deutschland ist die Gebärdensprache eine offiziell aner- kannte Amtssprache, seit 2002 die Gleichberechtigung der Gehörlosengemeinschaft gesetz- lich geregelt wurde. Damit haben Gehörlose das Recht auf Betreuung durch einen Gebärden- dolmetscher bei Behörden, Polizei, Gericht und auf dem Arbeitsplatz.
Die Gebärdensprache ist eine natürliche Sprache, die einem Wandel unterliegt, wie Deutsch, Englisch, Spanisch usw. auch. Daher ist sie nicht überall auf der Welt gleich: Es gibt in unter- schiedlichen Ländern eigene Gebärden und auch innerhalb eines Landes gibt es regionale Dia- lekte. Wie alle natürlichen Sprachen hat auch die Gebärdensprache eine Grammatik, also fest- gelegte Regeln für den Satzbau.
Zu en wesentlichen Elementen der „stillen Verständigung“ in der Gebärdensprache zählen ne- ben den Gebärden auch Mimik, Mundbewegung und – für komplizierte Begriffe – das Einhand- Fingeralphabet (siehe M 4).
Was ist das Besondere an dieser Reihe?
Der Beitrag eignet sich besonders für eine Vertretungsstunde. Die Materialien sind für eine Stunde konzipiert, können aber auch fächerverbindend mit dem Fach Biologie eingesetzt werden, wenn dort das Ohr Unterrichtsgegenstand ist (in der Regel in Klasse 10, ggf. auch in den Klassen 5/6).
Welche Kompetenzen vermitteln Sie?
Die Schüler
kennen die Gebärdensprache als Form einer nicht-lautbasierten Sprache;
–
erwerben Grundkenntnisse in der Gebärdensprache;
–
VORSC
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Strixner, Stefan & Wolf, Serona: Kleines Wörterbuch der Gebärdensprache. Wiesba- den: Marix Verlag 2004.
Dieses Buch bietet – klar strukturiert – eine gute Einführung in das Thema.
Verlaufsübersicht
1. Stunde:Sprechen ohne Worte – ein Einblick in die Gebärdensprache
Material Verlauf Checkliste
M 1
M 2
M 3
M 4
M 5
So hören wir – wie das Ohr funktioniert / Sich über die Funk- tionsweise des Ohres informieren (EA/UG)
Verständigung ohne Laute – ein Selbstversuch / Begriffe durch eigene Gebärden darstellen und erraten (PA)
Wie Gehörlose sich ohne Laute verständigen / Einige Begriffe der Gebärdensprache kennenlernen und üben (EA), ein Lehrvi- deo ansehen
Wie funktioniert die Gebärdensprache? / Elemente der stillen Verständigung kennenlernen, die Grammatik der Gebärden- sprache verstehen (EA)
Ohne Worte sprechen – einige Gebärden / Weitere Gebärden lernen, ein kurzes Gespräch in Gebärdensprache führen (PA)
M 1 im Klassen- satz oder als Folienkopie M 2, Hälfte des Klassensatzes M 3 im Klassen- satz, PC, evtl.
Beamer, Internet- zugang
M 4 im Klassen- satz
M 5, Hälfte des Klassensatzes Stundenziel: Grundkenntnisse in der Gebärdensprache erwerben und für die Situation gehörloser Menschen sensibilisiert werden.
Materialübersicht
1. Stunde Sprechen ohne Worte – ein Einblick in die Gebärdensprache M 1 (Ab) So hören wir – wie das Ohr funktioniert
M 2 (Ab) Verständigung ohne Laute – ein Selbstversuch M 3 (Ab) Wie Gehörlose sich ohne Laute verständigen M 4 (Ab) Wie funktioniert die Gebärdensprache?
M 5 (Ab) Ohne Worte sprechen – einige Gebärden
Abkürzungen: Ab = Arbeitsblatt
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M 1
So hören wir – wie das Ohr funktioniert
Täglich sind wir von Geräuschen umgeben, manche sind laut, manche leise, manche nehmen wir schon gar nicht mehr wahr. Manchmal aber wird es so laut, dass der Lärm unerträglich er- scheint. Dann merken wir, wie empfindsam unser Gehör ist. Wie aber funktioniert es genau?
Wie kommt es, dass wir hören?
➀
Geräusche gelangen in den Ohrkanalund verset- zen das Trommelfellin Schwingungen.
➁
Die Schwingungen werden von drei (winzigen) Knö- chelchen (Hammer, Am- boss, Steigbügel) zur Schnecke übertragen.
➂
Von hier leiten Nerven- bahnendie Klanginforma- tionen zum Gehirn.
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M 2
Verständigung ohne Laute – ein Selbstversuch
Manche Menschen können Geräusche nicht wahrnehmen, sie sind gehörlos. Hier erfährst du mehr über Gehörlosigkeit.
Aufgabe
Arbeitet zu zweit zusammen. Stellt euch folgende Situation vor: Ihr seid beide ge- hörlos und möchtet euch mitteilen. Die Begriffe einfach aufzuschreiben und zu zei- gen, ist nicht möglich, ihr habt Papier und Stift gerade nicht zur Hand.
1. Jeder von euch erhält ein Kärtchen mit drei Begriffen, die der Lernpartner nicht sehen darf!
Überlegt euch, wie ihr die einzelnen Begriffe eurem Lernpartner lautlos durch Gebärden ver- deutlichen könnt.
2. Führt euch abwechselnd je einen Begriff vor. Versucht herauszufinden, was der andere euch mitteilen möchte.
3. Wenn ihr eure Begriffe vorgestellt und erkannt habt, holt euch bei eurer Lehrkraft ein neues Arbeitsblatt, das Blatt „Wie Gehörlose sich ohne Laute verständigen“.
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Sommer Buch
Gehörlosigkeit kann durch verschiedene Schäden am Ohr entste- hen. Sie kann angeboren sein oder erst später durch Verletzungen der Hörorgane auftreten. Als „gehörlos“ gilt, wer selbst mit Hör- geräten sehr wenig oder gar nicht hören kann. Menschen, die von Geburt an gehörlos sind, haben oft nicht die Möglichkeit, die Lautsprache zu erlernen, auch wenn sie nicht stumm sind. Doch auch sie können „sprechen“ – nämlich mit ihren Händen: Gehör- lose haben eine eigene Gebärdensprache, mit der sie sich her- vorragend verständigen können. Wörter in der Gebärdenspra- che werden übrigens nicht gesprochen, sie werden gebärdet.
Ob es schwer ist, Wörter nur durch Gebärden auszudrücken? Ihr könnt es selbst einmal ausprobieren!
© Thinkstock/iStockphoto
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M 3
Wie Gehörlose sich ohne Laute verständigen
Sicherlich habt ihr bei eurer Partnerübung manche Begriffe sofort herausgefunden, andere wa- ren schwieriger zu erraten. Und vielleicht gab es ganz unterschiedliche Gesten, mit denen ihr die Begriffe dargestellt habt. Damit Gehörlose auf Anhieb wissen, welche Geste welchen Begriff meint, gibt es eine Sprache mit eigenen Regeln: die Gebärdensprache.
Hier sind die sechs Begriffe aus der Partnerübung in der Gebärdensprache dargestellt:
Zeichnungen nach: Matoff, Ulrike: Unser Tag. Eine Gebärdenfibel für Kinder, Hamburg: Verlag hörgeschädigte Kinder gGmbH 2004 (Buch, Katze). Marohl, Ulrike; Lorenzen, Tinka; Münchberger, Ute: Mit Anna und Tim durch das Jahr. Eine Gebärdenfibel für Kinder. Ham- burg: Verlag hörgeschädigte Kinder gGmbH 2006 (Apfel, Sommer, Keks, Käfer).
Aufgabe
Versucht, die sechs Begriffe nach der Vorlage zu gebärden.
Tipps zum Umgang mit Gehörlosen: Dein Gesicht sollte der Gehörlose deutlich sehen kön- nen. Sprich langsam und deutlich. Setze Mimik und Gestik ein.
Im Internet findest du Videos, in denen du Gebärdensprache beobachten kannst.
http://www.youtube.com/watch?v=BAB4n84F1og
http://www.bundesfinanzministerium.de >> Service >> Gebärdensprache
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M 4
Wie funktioniert die Gebärdensprache?
Hier findest du einige wichtige Informationen über die deutsche Gebärdensprache (DGS).
A) Elemente der stillen Verständigung:
1. Gebärden: Kombinierte Zeichen, die vor allem mit den Händen ausgeführt werden. Bedeu- tungsunterschiede ergeben sich dabei durch die Handstellung, die Handbewegung und durch den Ausführungsort der Gebärde.
Zeichnungen und Erläuterungen (gekürzt) aus: Strixner, Stefan und Wolf, Serona: Kleines Wörterbuch der Gebärdensprache.
© by marixverlag GmbH, Wiesbaden, S. 29–31.
2. Mimik: Der Ausdruck des Gesichtes wird bewusst eingesetzt und „spricht“ so mit.
3. Mundbild: Der Mund formt während des Gebärdens lautlos die Worte oder Silben.
4. Einhand-Fingeralphabet: Die Schreibweise von komplizierten Fremdwörtern, Fachbegriffen und Namen wird mithilfe der Finger einer Hand buchstabiert.
B) Der Satzbau der Gebärdensprache
Auch die Gebärdensprache hat eine Grammatik, also feste Regeln:
a) Das Verb steht am Ende des Satzes.
b) Fragewörter schließen den Satz ab und befinden sich hinter dem Verb.
c) Am Anfang des Satzes steht die Zeitform. Darauf folgt die Ortsangabe. Dann erst folgen Subjekt, Objekt(e), Verb.
d) Es gibt drei Zeitformen: Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft.
Beispiele:
Sprechsprache Gebärdensprache
Du besuchst mich. Du – mich – besuchst.
Wann besuchst du mich? Du – mich – besuchst – wann?
Handstellung Handbewegung Ausführungsort
Cent traurig stimmt stimmt nicht Sohn Dorf
Weist der Handrücken zum
Körper hin oder von ihm weg? Die Bewegung der Hand ist
besonders entscheidend Wird die Gebärde nah am Körper ausgeführt oder mit
Abstand?