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116 DIE PTA IN DER APOTHEKE | Juni 2019 | www.diepta.de

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icht nur eine Zöliakie oder Allergie gegen Weizenbestandteile lösen Bauchschmerzen nach dem Verzehr von Weizenpro- dukten aus. Ebenso kann eine Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenaller- gie-Weizensensitivität dahinter ste- cken. Diese Unverträglichkeit wird häufig kurz auch nur als Weizensen- sitivität bezeichnet. Sie führt nicht nur zu Blähungen, Bauchkrämpfen

oder Durchfällen. Typischerweise kann es zudem zu Beschwerden au- ßerhalb des Magen-Darm-Traktes wie Kopfschmerzen, Migräne, Mü- digkeit oder Muskel- und Gelenk- schmerzen kommen. Bei der Wei- zensensitivität handelt es sich bislang um eine Ausschlussdiagnose, bei der weder die Marker für eine Zöliakie noch für eine Weizenallergie festge- stellt werden können. Somit sind weder Gluten noch Weizenproteine

die eigentlichen Übeltäter. In Ver- dacht steht vielmehr eine Gruppe von Eiweißstoffmolekülen, die Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI), sowie schlecht resorbierbare Koh- lenhydrate, die FODMAPs (fermen- tierbare Oligo-, Di- und Monosac- charide und Polyole). Darüber hinaus werden die Auswirkungen moderner Technologien bei der Brot herstellung als potenzielle Aus- löser diskutiert und das Erbgut der verschiedenen Getreidesorten in Be- tracht gezogen.

ATIs Amylase-Trypsin-Inhibitoren, kurz ATIs, finden sich in glutenhal- tigen Getreiden wie Weizen, Roggen und Gerste sowie auch in älteren Weizenarten wie Dinkel, Emmer und Einkorn. Diese Proteinbestandteile sind natürliche Abwehrstoffe zum Schutz vor Fraßfeinden. Sie hemmen aber nicht nur die Verdauungsen- zyme von Insekten, sondern auch die der Menschen. Besonders problema- tisch ist, dass sie dosisabhängig über den Toll-like-Rezeptor 4 das ange- borene Immunsystem und damit die Freisetzung entzündungsfördernder Botenstoffe stimulieren. Folge sind Entzündungsprozesse im Darm, die mit einer Barrierestörung einherge- hen und folglich gastrointestinale Symptome auslösen. Zudem werden extraintestinale Beschwerden an ver- schiedenen Stellen im Körper damit assoziiert. Da die ATIs im Getreide mit Gluten vergesellschaftet sind, können sich die Beschwerden mit einer glutenfreien Diät bessern. Bei vielen ist keine vollständige Glu-

ERNÄHRUNG

Menschen, die an einer Weizensensitivität leiden, geben immer häufiger an, alte Getreidesorten besser als den herkömmlichen modernen Weizen zu vertragen. Was steckt hinter diesem Phänomen?

Auf Spurensuche

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PRAXIS

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DIE PTA IN DER APOTHEKE | Juni 2019 | www.diepta.de

tenkarenz notwendig. Oftmals reicht schon ein geringerer Verzehr, um eine deutliche Besserung zu er- zielen.

Allerdings reagieren die Betroffenen nach Verzehr verschiedener gluten- und damit ATI-haltiger Getreidesor- ten nicht immer gleich. Wiederholt wird berichtet, dass der Verzehr ur- sprünglicher Weizenarten wie Ein- korn, Emmer und Dinkel mit weni- ger Beschwerden als der Genuss von herkömmlichem Weizen einher- ginge. Forscher können diese Aus- sage jedoch nicht pauschal bestäti- gen. Auch wenn moderner Weizen häufig hohe ATI-Gehalte aufweise, enthalten alte Weizenarten wie Din- kel, Emmer oder Einkorn nicht grundsätzlich weniger ATIs. Die ATI-Gehalte schwanken vielmehr innerhalb der Sorten stark. Zudem gibt es anbauspezifische Unter- schiede (z. B. Klima, Bodenbeschaf- fenheit, Düngung). Häufig werden beispielsweise Sorten aus biodynami- schem Anbau wie die klassische Din- kelsorte Oberkulmer Rotkorn gut vertragen. Aber auch neue Zuchtli- nien sowie Sorten aus konventionel- ler Züchtung können gut verträglich sein. Schließlich gibt es moderne Weizensorten mit geringen und alte Sorten mit hohen ATI-Gehalten.

Doch es existieren auch Einkornsor- ten, die praktisch ATI-frei sind, wäh- rend Dinkel nicht grundsätzlich we- niger ATIs als Weizen aufweist, wie oftmals behauptet wird.

FODMAPs Andere Forschungspro- jekte beschäftigen sich mit fermen- tierbaren Oligo-, Di- (Fructane, Ga- lactane) und Monosacchariden (Lactose, Fructose) und Polyolen (Sorbitol, Mannitol), kurz FOD- MAPs, die unter anderem in gluten- haltigem Getreide enthalten sind.

Diese Zuckerverbindungen sind im Darm osmotisch wirksam und wer- den von dort ansässigen Bakterien fermentiert, wodurch Gase und freie Fettsäuren entstehen, die typische gastrointestinale Beschwerden verur- sachen. Alle Getreidearten – sowohl alte als auch neue Sorten - enthalten

FODMAPs, allerdings zeichnen sie sich durch einen unterschiedlichen Gehalt aus. Nach Untersuchungs- ergebnissen der Universität Hohen- heim weisen Durum und Emmer etwas weniger davon auf als Dinkel, Weizen oder Einkorn. Der Gehalt im Einkorn übertraf sogar den des Weizens.

Folgt man dem Konzept der FOD- MAP-armen Diät, wäre der Verzehr von Getreideprodukten mit Einkorn auf den ersten Blick nicht optimal.

Anders als bei einer ATI-armen Er- nährung, bei der Einkorn für Men- schen mit einer Weizensensitivität im Vergleich zu Weizen, Dinkel oder Emmer die bessere Wahl zu sein scheint - so die Ergebnisse einer Stu- die des Leibniz-Instituts für Lebens- mittel-Systembiologie an der TU München. Die Wissenschaftler konn- ten zeigen, dass Einkorn im Gegen- satz zu Weizen, Dinkel und Emmer keine oder deutlich geringere Men- gen von ATIs enthält und bewerten diese alte Getreidesorte daher als be- sonders bekömmlich.

Slow Baking Bei der Frage nach der Verträglichkeit scheint aber auch der Verarbeitungsprozess bei der Brot- herstellung eine Rolle zu spielen. Der Teig von Fertigbackmischungen, der bereits nach einer Stunde zubereitet wird, weist einen hohen FODMAP- Gehalt auf. In Weizenteigen, die eine Teigruhe von vier Stunden haben, bevor sie weiter verarbeitet werden, kommt es zu natürlichen Gärungs- prozessen. Während der langen Ru- hezeit bauen Hefen fast alle FOD- MAPs ab, was mit einer besseren Bekömmlichkeit einhergeht. Auf die ATIs haben lange Ruhezeiten jedoch keinen Einfluss.

Während lange Teigführungszeiten für die Industrie und Großbäcke- reien eher uninteressant sind, weil es dort schnell gehen muss, lassen vor allem kleine Handwerksbäckereien ihre Teige länger ruhen. Dort haben auch eher alte Getreidesorten eine Chance, deren Teige weicher und schwerer zu verarbeiten sind. Diese sind zwar teurer, da die alten Sorten

in viel geringerem Maße als her- kömmliche Getreidearten angebaut werden. Belohnt wird die Mühe und der besondere Einsatz der Bäcker aber mit Backwaren, die für Men- schen mit einer Weizensensitivität häufig bekömmlicher sind als her- kömmlich erzeugte Industriepro- dukte.

D-Genom-freie Weizenarten Eine weitere Hypothese über fragli- che Auslöser der Weizensensitivität betrachtet bei den verschiedenen Weizenarten die Glutenstruktur, die auf einem unterschiedlichen Genom beruht. So weisen die Arten der dip- loiden Einkorn- (Einkorn) und tetra- ploiden Zweikornreihe (Emmer, Khorasan-Weizen/Kamut®, Hartwei- zen) im Gegensatz zu den Arten der hexaploiden Dinkelreihe (Dinkel, Weichweizen) kein D-Genom auf, was mit einer besseren Verträglich- keit in Verbindung gebracht wird.

Fazit Es gibt viele Hinweise. Immer wieder spielen bei den Erklärungs- versuchen alte Getreidesorten eine Rolle. Doch die Spurensuche ist noch nicht zu Ende. Eindeutig ist allein, dass noch viel Forschungsbedarf bei dem überaus komplexen Thema be- steht. Wer sich noch intensiver mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten beschäftigen möchte, sei auf das gleichnamige Buch von Smollich und Vogelreuter, 2. überarbeitete und er- weiterte Auflage 2018, Wissenschaft- liche Verlagsgesellschaft mbH ver- wiesen.  n

Gode Chlond, Apothekerin

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