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Die politische Allokation ist deshalb nicht in der Lage, den normativen Test auf intergeneratives ethisches Verhalten zu bestehen

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In tern atio n ales In s titu t für Umwelt und G esellschaft (IIUG) In tern atio n al In stitu te for Environm ent and Society

W issenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

IIUG pre 86-8

ZEITPRÄFERENZEN UND

BUDGETENTSCHEIDUNGEN von

Klaus Zim m erm ann

ISSN 0175-8918

E rw e ite rte Fassung eines K onferenzbeitrags zum Symposium "Time P referen ce" (WZB, D ezem ber 1985), der in englischer Sprache v er­

ö ffe n tlic h t wird in:

Guy K irsch, P e te r Nijkamp, Klaus Zim m erm ann (eds.), Time P refere n c e: An Interdisciplinary Approach, Gower: A ldershot (in Vorbereitung).

IIUG, P o tsd am er Str. 58, 1000 Berlin 30, Tel.: 030-26 10 71

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Der Beitrag analysiert zunächst die Rolle von Zeitpräferenzen im demo­

kratischen Prozeß, wobei auf einei allgemeine Analyse des Verhältnisses von Zeitpräferenzen und Zinssätzen aufgebaut wird. Er beleuchtet insbe­

sondere die repräsentative und direkte Demokratie und kritisiert einige der meistgehörten Argumente in der Richtung, daß innerhalb der direkten Demokratie ein gewisser Grad von Altruismus die sozialen, politischen Entscheidungen bestimmt. Um dies empirisch zu testen, wird ein alters­

abhängiges Investitionsmodell entwickelt, auf dessen Basis mit empiri­

schen Daten der Budgetprozesse und -ergebnisse die realisierte soziale Zeitpräferenz des Medianwählers bestimmt werden kann. Die empirischen Ergebnisse zeigen eine typische Größenordnung der Zeitpräferenzen: Der Durchschnittsbürger in Gestalt des Medianwählers hat die niedrigste Zeitpräferenz, gefolgt von dem Ergebnis marktlicher Allokation, das durch die reale Zinsrate beschrieben werden kann-. Die Zeitpräferenz in politischer Allokation (Budgets) ist durchschnittlich signifikant höher als der reale Zinssatz, aber niedriger als eine minimale Ertragsrate in öffentlichen Investitionen, die mindestens erreicht werden muß, um Äqui valenz zwischen öffentlicher und privater Vermögensanlage zu sichern.

Die politische Allokation ist deshalb nicht in der Lage, den normativen Test auf intergeneratives ethisches Verhalten zu bestehen; weiterhin ist auch eine positive Prüfung bezüglich der Optimalität der Allokation zwischen Markt und Staat nicht erfolgreich. Diese Resultate können durch das Verhalten von Bürokraten und Politikern erklärt werden, aber es gibt auch gute Gründe anzunehmen, daß gerade dieses Verhalten als ein bedeutender Faktor für die Realisierung sozialer Optimalität der Allokation interpretiert werden kann.

Summary

Time Preferences and Budgetary Decisions

Based on a general analysis of the interrelationship between time pre­

ference and interest rates, this paper analyzes first the role of time preferences in democratic processes. It focusses on representative and direct democracy and criticizes some of the common arguments contending that there must be a special kind of altruism incorporated in the (di­

rect) democratic model. To test this empirically, an age specific in­

vestment model was developed leading to a determination of the realized social time preference rate of the median voter revealed through budge­

tary processes and outcomes. The empirical results show a typical order of magnitude of time preference: citizens or the median voters have the lowest time preference, followed by market allocations represented by the real market interest rate. The time preference rate for political budgetary allocation is on average significantly higher than the real interest rate, but lower than the minimal rate of return for public in­

vestment necessary to ensure equivalence between public and private assets. Political budgetary allocation, therefore, does not pass the normative test of intergenerational ethical behaviour nor the positive test in relation to optimality of allocation between market and govern­

ment. Typical features in the behaviour of bureaucrats and politicians can explain these results, but there are good reasons to assume that this behaviour can also be interpreted as an important factor in reali­

zing social optimality of allocation.

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I . Einführung

"Wir wollen alles, sofort und umsonst" war eines der Schlag­

worte, die im Gefolge der 1968er Studentenrevolte zu Recht als amüsant empfunden wurde und die Präferenzen eines (des dynami­

schen) Teils dieser Generation prägnant auf den Punkt brachte:

Es war Ausdruck eines gegenwartsorientierten, zeitpunktbezoge­

nen Forderungsverhaltens einer "instant generation" (Brzezinski), dem der populistische Zeitgeist des sozial-demokratischen Kon­

senses nicht nur entgegenkam, sondern alle Türen und Kassen öff­

nete (Giersch 1984).

Nun hat zweifellos jeder Mensch aufgrund seiner begrenzten Le­

benszeit eine Präferenz für das, was ihm heute von Nutzen ist (Zeitpräferenz) und schätzt daher die künftigen gegenüber den heutigen Bedürfnissen (Böhm-Bawerksches-Gesetz) geringer ein - der "Anspruchsdruck der Kurzlebigkeit" (Giersch 1984). Mit Si­

cherheit dürften diese Zeitpräferenzen aber auch zwischen den Individuen differieren entsprechend des gewohnten Wohlfahrts­

niveaus (Neumann 1985), der Erwartungen bezüglich der Verän­

derungen der Umweltbedingungen, der Anpassungsflexibilität an solche veränderten Umweltbedingungen, der Risikopräferenz

(Zukunftsangst/Lebensangst) etc. (Maital 1984, S. 54 ff). Für den plausiblen Fall, daß sich in Generationen solche typi­

schen Zeitpräferenzen unter den Individuen als dominant heraus­

bilden, ließen sich auch typische Zeitpräferenzen von Genera­

tionen identifizieren, die zwischen ihnen variieren und nach den jeweils geltenden Lebensumständen, aber vor allem in be­

zug auf das Konsum-/Sparverhalten durch den Zinssatz geprägt sind: Für Generationen, die in einer Phase hoher Realzinsen geprägt wurden, ist eine durch den Zins induzierte hohe Spar­

neigung charakteristisch, umgekehrt für Generationen, die in ihrer Jugend hohe Inflationen und niedrige Realzinen erfahren haben, eine niedrige Zukunfts- und hohe Gegenwartsorientierung.

Dabei ist davon auszugehen, daß solche Prägungen (Zeitpräferen­

zen) zeitlich in einem hohen Maße stabil sind, also Verhaltens­

weisen entsprechend der gelernten Grundmuster beibehalten wer­

den, auch wenn sich die Umweltbedingungen (Realzins) geändert haben. Erst wenn diese Distanzen "zu" groß werden, damit An­

passungsdruck in Erscheinung tritt, werden die Individuen oder

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Generationen ihr zeitliches Verhalten ändern; auf jeden Fall aber bewirkt dies, daß der Zins vergangener Perioden aufgrund dieser sehr verzögerten Anpassung noch eine gewisse Zeit in die Zukunft "regiert", dies sowohl im privaten wie auch im besonderen im öffentlichen Bereich, wo Festlegungen in Ge­

setzen oder in "Beton" bis in die Irreversibilität reichen können.

Haben wir also eine Generation vor Augen, die ih Zeiten sehr niedriger Realzinsen aufgewachsen ist wie die angesprochene

"instant generation", so setzt sich, wenn diese Generation in ihrem Lebenszyklus als die dynamischere unter den lebenden Ge­

nerationen (abgegrenzt nach solchen typischen Prägeperioden) entscheidungsbestimmend wird, ein dezidiertes gegenwartsorien­

tiertes Anspruchsdenken durch, deren Träger natürlicherweise in Protest ver f a l l e n ,wenn der Realzins merklich steigt und die Gefahr erkennbar wird, möglicherweise Anpassungsleistungen erbringenzu müssen; der Realzins (als Marktpreis für den Kredit und damit die Zeit) hat ja die Funktion, den Anspruchsdruck

der Kurzlebigkeit und damit die Zeitpräferenz zu neutralisieren, er wirkt damit wie eine Art Zuchtmeister - und wer mag schon Zuchtmeister? Es nimmt da nicht wunder, daß Anpassungsleistun­

gen am ehesten vermieden, abgeschwächt oder aufgeschoben w e r ­ den können, wenn im Rahmen eines Zeitgeistschemas aus den Polen Kollektivismus versus Individualismus und Gegenwarts- versus Zu­

kunftsorientierung (Giersch 1984) Anspruchsdenken akkomodieren- des Verhalten von dem Zeitgeist eines gegenwartsorientierten Kollektivismus in der Demokratie ausgeht: Bei der individuali­

stischen, zukunftsorientierten Lösung wird ja durch heutigen Konsumverzicht Kapital für zukünftigen höheren Konsum gebildet, bei der kollektivistischen Lösung entsteht öffentliches Kapital nur dann, wenn die Organisation der Willensbildung und demokra­

tische Institutionen und Prozesse einer Akkomodierung des An­

spruchsdenkens widerstehen würden; damit ist aber aufgrund in­

stitutioneller Gegebenheiten (Wahlzyklen), selektiver Auswahl der Aktoren (Politiker), aber auch und vor allem aufgrund der Tatsache, daß intergenerative Vorsorge intragenerative Vertei­

lungskonflikte implizieren muß (Siebert 1984, S. 34ff;Buchholz 1984, S .114ff)nicht oder nur begrenzt zu rechnen, weshalb moderne

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demokratische Systeme deutliche populistische Züge aufweisen, die gegenwartsorientiertes Anspruchsdenken systematisch ver­

stärken bzw. die Wirkungen eines zukunftsorientierten Zeit­

geistes beschränken oder abschwächen. Zu einem solchen Prozeß politischer Willensbildung ist verständlicherweise eine Politik entsprechend des gegenwartsorientierten kollektivistischen Zeit­

geistes, die auf per Inflation gedrückte Realzinsen setzt, weit­

aus affiner als eine Hochzinspolitik; die Realisierung einer zu­

kunftsorientierten Politik setzt also in jedem Falle eine kompa­

rativ stärkere zukunftsbezogene Zeitgeistorientierung voraus - zumindest in der Demokratie, zumal zukunftsorientierter Kollek­

tivismus nach den historischen Erfahrungen deutlich aus der Mode gekommen zu sein scheint. Genau dies ist auch das Phänomen, das in den 70er Jahren in der BRD, aber auch in anderen westli­

chen Industriestaaten beobachtet werden konnte, als die verein­

te Kraft von gegenwartsorientiertem, kollektivistischem Zeit­

geist und der Mechanik der politischen Willensbildung bzw. der Budgetprozesse gegenwartsorientiertem Anspruchsdenken kaum Gren­

zen setzte - mit allen schmerzhaften Folgen bezüglich der Um­

orientierung, als dieses Denken ruinös zu werden drohte und der hohe Realzins zur Neutralisierung des Anspruchsdrucks, also der niedrigen Zeitpräferenz in Erscheinung trat.

Genau diese 70er Jahre sind es auch, die im weiteren Verlauf dieser Analyse empirisch untersucht werden sollen: Zum einen in bezug auf den marktlichen Realzins, zum zweiten in bezug auf Schätzungen der sozialen Zeitpräferenz auf Basis realisier- ter Budgets, zum dritten in bezug auf die Mindestrenditen öf­

fentlicher Investitionen, die Ertragsäquivalenz mit privaten Anlagen sichern - die Konzepte werden an späterer Stelle dar­

gestellt und erläutert; die Längsschnittsansätze werden dann durch Schätzungen der sozialen Zeitpräferenz für ein Einzel­

jahr (1982) aus Nachfragedaten nach öffentlichen Gütern, also aus Zahlungsbereitschaftsangaben ergänzt. Das Ziel dieser em­

pirischen Schätzungen besteht dann in einem Vergleich der Er­

gebnisse, ihrer Einordnung und Interpretation insbesondere im Hinblick auf die (empirische) Zukunftsorientierung marktlicher und politisch-staatlicher Entscheidungen, dessen Resultate dann abschließend aktoren- und prozeßspezifisch diskutiert werden.

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Im Sinne des gestellten Themas, Budgetentscheidungen im Kontext von Zeitpräferenzen zu diskutieren, gehen diesem empirischen Teil theoretische Überlegungen zu demokratischen Prozessen, die

(auch) Budgetentscheidungen zur Folge haben, voraus und führen konklusiv zu einem Modell, mit Hilfe dessen Zeitpräferenzen hier geschätzt werden. Es erscheint daher an dieser Stelle nicht not­

wendig, die gesamte Breite und Tiefe der Literatur, der jeweili­

gen Themen und Auseinandersetzungen hier nochmals nachzuvollzie­

hen; es sei im einzelnen besonders auf den berühmten älteren Aufsatz von Marglin (1963), die zusammenfassende Diskussion bei

Zimmermann (1983) sowie die interessanten neueren Diskussionen in Olson/Bailey (1981), Warr/Wright (1981), Lind et al. (1982), Pearce (1983) und Kula (1985) verwiesen. Es steht aber zu hof­

fen, daß auch ohne eine solcher breite Rezeption offenkundig werden wird, daß Zeitpräferenz "is a phenomenon of great prac­

tical and theoretical importance that is fortunately quite amen­

able to analysis" (Olson/Bailey 1981, S. 24).

I I . Zeitpräferenz und demokratische Prozesse

Die effektive Wahl einer sozialen Zeitpräferenzrate - also for­

mal gesehen der Grenzrate der Substitution von zukünftigem für heutigen Konsum der Gesellschaft abzüglich 1 (Marglin 1983,

S. 106) - kann insbesondere aus intergenerativer Sicht unter verschiedenen ethischen Kriterien analysiert werden: Aus Sicht der utilitaristischen Ethik (das größte Glück der größten Zahl), der individualistisch-liberalen Ethik (Schutz der Individual­

rechte) und einer demokratischen Prozeßethik, die nicht so

sehr wie die beiden ersteren am Ergebnis des Prozesses (Pareto- Effizienz) anknüpft, sondern an der Prozedur selbst, wie das Ergebnis zustande kommt (im einzelnen: Pearce 1983; Schulze/

Brookshire/Sandler 1981); dabei ergibt es sich aus der Defini­

tion des Pareto-Kriteriums schon, daß demokratische Willens­

bildung dann nicht pareto-effizient sein kann, wenn keine Ein­

stimmigkeit vorliegt - also in allen relevanten Fällen.

Analysiert man nun die demokratische Prozeßethik aus der Sicht

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direkter und representativer Demokratie, so sind hier beträcht­

liche Unterschiede feststellbar: In der direkten Demokratie im­

pliziert die ethische Vorstellung entsprechend "one man - one vote" gleiches Gewicht für alle Wähler, die zu einem Zeitpunkt lebenden und wahlberechtigten Bürger eines Gemeinwesens; dies kann dann zu einem "elitären" Ergebnis tendieren, wenn die je­

weilige Generation ausschließlich ihre eigene Wohlfahrt maxi­

miert, oder aber zu einem eher "egalitären", wenn von einer kontinuierlichen Wohlfahrtssteigerung über die kommenden Gene­

rationen ausgegangen wird- In jedem Fall aber kann es sich hier­

bei nur um Tendenzen, also Richtungen handeln, denn die demokra­

tische Ethik stellt ja anders als die zuvor angesprochenen ethi­

schen Kriterien ausschließlich die Willensbildungsprozesse der lebenden Generation in den Mittelpunkt. Wenn nun die Präferen­

zen der Bürger homogen sind (oder die Abstimmungsthemen eindi­

mensional) , dann entscheidet der Medianwähler als fiktives Mit­

glied der Gesellschaft über den Ausgang der Abstimmung; damit aber wird der Medianwähler keineswegs zum Autokraten (vgl."The Authoritarian Answer", Marglin 1983, S. 96), denn jedes Thema kann durch einen anderen Medianwähler entschieden werden, je­

der Wähler hat nach wie vor gleiches Gewicht, und das Ergebnis ist nicht mehr und nicht weniger als die mittlere Präferenz der lebenden, sich überlappenden Generationen bezüglich der anstehenden politischen Frage. Im intergenerativen Kontext wird so zukünftigen Generationen kein Wahlrecht zugesprochen

(no man - no v o t e ) , aber die Mitglieder dieser Folgegeneratio­

nen können wählen, wenn sie existieren und auch die Pläne und Entscheidungen der vorhergehenden Generationen revidieren oder abändern; es liegt aber auf der Hand, daß dadurch ein Problem konsistenter dynamischer Wahl entsteht, denn demokratische Ethik würde erfordern, Nachfolgegenerationen die regret-Option offenzulassen, also die Flexibilität zur Revision vorher erfolg­

ter Entscheidungen.

Sind nun die Präferenzen der Bürger nicht homogen oder die The­

men multidimensional, so tritt Arrow's Paradoxon auf (Arrow

1951): Entweder stattet die gegenwärtige Generation ein Mitglied mit der Macht aus, intergenerative Entscheidungen zu treffen

(Diktator) oder die soziale Wahl wird inkonsistent und kann von

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den Individuen mit Problemdefinitionsmacht beeinflußt werden;

beide Lösungen sind unter ethischen Aspekten nicht befürwort­

bar .

Eine repräsentative Demokratie, in der Entscheidungsmacht an Vertreter delegiert wird, die dann ihrerseits w ä h l e n (one re­

presentative - one v o t e ) ,impliziert eine andere, vermutlich weniger egalitäre, aber "kurzsichtigere" Ethik: Bekanntlich (Downs 1957; Mueller 1979) streben Politiker danach, Wahlen zu gewinnen oder im Amt zu bleiben, und dementsprechend ge­

wichten sie die Präferenzen der Bürger oder Gruppen in ihren Wahlentscheidungen danach, wessen Unterstützung ihnen zur Er­

reichung ihrer Ziele am nützlichsten erscheint. In beiden de­

mokratischen Systemen hat der Bürger also eine Stimme, nur variiert das Gewicht der Stimme in der politischen Entschei­

dung bei direkter (gleiches) und repräsentativer Demokratie (ungleiches). Da zusätzlich die Parlamentsperioden zeitlich be grenzt sind und in manchen Ländern die Möglichkeit der Wieder­

wahl beschränkt ist, müssen Politiker aus ihrem Eigeninteresse heraus primär die Interessen der lebenden wahlberechtigten Ge­

neration berücksichtigen: Das Ergebnis ist dann, daß die Ent­

scheidungen in der repräsentativen Demokratie voraussichtlich von ihrer Zeitperspektive her kurzsichtiger ausfallen werden;

wie stark diese Abweichungen in der Regel sein werden, ist eine primär empirische Frage. Der demokratischen Ethik ange­

paßter ist aber auf jeden Fall das Modell der direkten Demo­

kratie - und innerhalb dieses Demokratiemodells glauben manche Autoren (so z.B. Schulze/Brookshire/Sandler 1981, S. 823ff) einen besonderen intergenerativen Altruismus am Werke zu sehen Dies ist ein altes Argument ("The Interdependence Answer":

Marglin 1963, S. 99ff),das aber durch die Wiederholung und A n ­ wendung auf den Fall der nuklearen Endlagerung in der Realität

nicht unbedingt wahrscheinlicher werden muß: Im Kern wird da­

bei angenommen, daß die gegenwärtige Generation ihre Nutzen­

funktion nicht nur in Abhängigkeit vom eigenen Konsum, sondern von der Nutzenfunktion der jeweils folgenden, womit sich das

Inkonsistenzproblem nur etwas verkleinert, oder aller folgen­

den (relevanten) Generationen definiert; daraus folgt zwangs­

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läufig dann eine längere Zeitperspektive oder eine niedrigere Zeitpräferenz. Was veranlaßt aber die Wahlbürger zu einem sol­

chen Verhalten? Es ist letztlich die Tatsache der Existenz und Zahl der Kinder und weiteren Nachkommen, die mit dem Alter der Individuen und damit auch mit dem Alter des Medianwählers an­

wächst; je weiter also die baby-boom-Kohorte durch die Alter­

pyramide klettert, umso älter wird plausibel auch der Median­

wähler und umso altruistischer in bezug auf die folgende Gene­

ration die soziale Wahl. Dieses Argument ist problematisch, einerseits in eher technischer Sicht, als bekannt sein müßte, ob die baby-boom-Kohorte selbst wieder so kinderreich ist, falls von der Zahl der Kinder überhaupt ein signifikanter in­

tergenerativer Altruismus ausgeht, andererseits unter grund­

sätzlichem Aspekt, ob diese Sichtweise, wenn wir sie bei Ja-Nein Entscheidungen wie der Nuklearenergie einmal bestehen lassen wollen, auch für Mehr-Weniger-Entscheidungen, also klassische Entscheidungen über öffentliche Güter in und über Budgets an­

gebracht ist. Hier bestehen etliche Vorbehalte: Zum einen wird dabei unrealistischerweise unterstellt, jedes Individuum hätte Nachkommen. Zum zweiten wird implizit unterstellt, daß für den Fall der Existenz von Nachkommenschaft diese auch sicher in den Genuß des Konsumverzichts der Vorfahren k o m m e n ; es ist aber eine asymmetrische und ungerechtfertigte Annahme, das überle­

ben der heutigen Individuen (mit an Sicherheit grenzender Wahr­

scheinlichkeit) zu verneinen, aber den überlebensfall der Nach­

fahren mit Sicherheit a n z u n e h m e n . Es ist zum vierten nicht ohne weiteres erlaubt, bei privaten und öffentlichen Gütern von ana­

logem Verhalten auszugehen - die Tatsache, daß die weitere Ver­

fügung über den Konsumverzicht zwecks Ansammlung öffent­

lichen Kapitals insoweit der Disposition der Individuen entzo­

gen ist, daß sie niemanden von diesem Erbe ausschließen können und von daher möglicherweise eine Art Verhaltensspaltung (Schi­

zophrenia": Marglin 1963, S. 98) im Sinne unterschiedlicher pri­

vater und "öffentlicher" Zeitpräferenzen erfolgt, mag zur Dis­

kriminierung öffentlicher Anlagen führen und die Zeitperspek­

tive bei Entscheidungen über öffentliche Güter komparativ zum privaten Bereich gerade verringern; und dies gilt letztlich auch für die Eingangsinvestitionen des Bürgers in die Finanzie­

rung öffentlicher Güter, die ja im Gegensatz zur privaten

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Anlage nicht mehr liquidierbar sind. Alle diese Argumente lassen die These der Zunahme des intergenerativen Altruismus doch als reichlich fragwürdig anmuten, und es erscheint ange­

bracht, einige dieser Kritikpunkte positiv in einem Modell ver knüpft, etwas genauer zu analysieren, nicht zuletzt, um von hier aus die Basis für eine empirische Schätzung der Zeitprä­

ferenzfunktion, insbesondere der Zeitpräferenzrate des Median­

wählers zu gewinnen.

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I I I .Eigentumsrechte, Medianwählerkalkül und gesellschaftliche Diskontrate

Hier soll nun angeknüpft und zunächst ein einfaches Gedanken­

experiment durchgespielt werden, das Überlegungen der ökonomi­

schen Theorie der Politik und der Theorie der Eigentumsrechte wieder aufnimmt und auf dieses Problem analog anwendet (Zimmer mann 1983; Crain/Zardkoohi 1979/80).

Im weiteren Kontext der Theorie der Eigentumsrechte können öf­

fentliche Investitionen als "Eigentum" der Wähler und Steuer­

zahler interpretiert werden, obwohl im Gegensatz zur privaten Anlage Eigentumsrechte hier nicht definiert und transferiert werden können. Nach dem ökonomischen Kalkül auf politischen Märkten sind es nun die Präferenzen der Wähler, insbesondere des "repräsentativen" Wählers oder des "Median-Wählers", die den Umfang der Staatstätigkeit und die staatliche Investitions- oder Konsumquote via Wahlverfahren bestimmen. Wird dem Steuer­

zahler und damit potentiellen öffentlichen Investor nun ein öffentliches Investitionsprogramm vorgelegt, das Z Geldeinhei­

ten Eingangsinvestitionen und laufende Kosten zur Aufrechter­

haltung der Investitionen mit sich bringt, so hängt die Zu­

stimmung des Steuerzahlers wesentlich davon ab, ob die Ertrags­

rate des öffentlichen Projekts wenigstens genauso hoch ist wie in privater Verwendung. Ein anderes Verhalten wäre ineffizient und wohlfahrtsreduzierend, vorausgesetzt, man akzeptiert die hier unterstellte Fiktion der Steuerzahlung als "voluntary ex­

change" ä la Wickseil und Lindahl und nicht als Zwangsabgabe ohne Anspruch auf Gegenleistung. Nun hat aber in privater Ver­

wendung der Investor die Möglichkeit, seine Eigentumsrechte zu veräußern - eine Möglichkeit, die bei öffentlicher Verwendung der Finanzmittel nicht besteht. Daher existiert bei öffentli­

cher Anlage nur die Option, die Nutzen der Investition zu in- ternalisieren, nicht aber die Möglichkeit, das Eigentumsrecht insgesamt und damit auch die Eingangsinvestition Z zu liqui­

dieren und dem Konsum zuzuführen. Mithin ist es plausibel, daß die Ertragsrate öffentlicher Investitionen höher sein muß als bei den privaten Äquivalenten, um eine Gleichwertigkeit beider Investitionsoptionen zu gewährleisten.

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Dieser Mangel an Transferierbarkeit in der öffentlichen Anlage­

form hat für "normale" Lebensumstände zwei wesentliche Impli­

kationen: Zum einen führt die individuelle Mobilitätsentschei­

dung für den einzelnen zum Verlust sämtlicher Steuerinvesti­

tionen der Gemeinde, eventuell des Bundeslands oder sogar der Nation bei einem Umzug ins Ausland, wobei man sich darüber streiten kann, inwieweit die Mobilitätsentscheidung selbst wie­

der von den Zeitpräferenzen bestimmt wird. Zum anderen hängt die Attraktivität der öffentlichen Anlage wesentlich von der Nutzungszeit der Investitionen im Verhältnis zur Lebenserwar­

tung der Individuen und damit dem Alter ab: Je höher das Alter eines Individuums, umso weniger Nutzen fließt ihm nach Wahr­

scheinlichkeitsstäben zu, umso höher werden die Opportunitäts­

kosten dieser öffentlichen Verwendung und umso höher müssen die Ertragsraten öffentlicher Projekte sein, um private und öffentliche Alternativen äquivalent werden zu lassen .Diesem Schluß steht auch nicht der Einwand entgegen, daß diese altersbezogene Kalkulation offensichtlich auch für langlebige private Güter gilt - es wäre beispielsweise an das Bild des 90-jährigen zu denken, der eine Eiche pflanzt -, die Unterschiede in bezug auf die Transferierbarkeit und Liquidierbarkeit der Eigentums­

rechte sind in diesem Modell konstitutiv und bleiben bestehen.

Gerade diese Variable des Alters hat sich in einschlägigen, ökonomischen, aber auch psychologischen Untersuchungen (Schulz 1985; Kurz/Spiegelman/West 1973) zu den Determinanten der Zeit­

präferenz unter anderen wie Bildung, Einkommen, aber auch Zu­

kunftsvertrauen als eine entscheidende Variable herausgestellt und auf sie sollen sich im weiteren die gedanklichen Schritte konzentrieren.

Diese Sachverhalte können nun leicht auch formal gefaßt werden (für eine graphische Darstellung vgl. Holcombe/Zardkoohi 1980/

81, S. 213), wobei hier aus den obigen Gründen nur die Variable Alter herausgegriffen wird: Wenn also ein Individuum (Median- Wähler) noch eine Lebenserwartung von t Jahren hat und Z Geldein heiten im öffentlichen Sektor bei der Ertragsrate r anlegt, dann ergibt sich der Gegenwartswert (Present Value) des öffentlichen Projekts (PV j^) a^s

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t (1> pvpubl = Z Z

j=1

wobei i den Marktzins, also den Ertrag in alternativer pri­

vater Verwendung beschreibt. Der Anleger im öffentlichen Sek­

tor verliert also aufgrund der fehlenden Transferierbarkeit de Eigentumsrechts den Wert der Eingangsinvestitionen, im Falle seines Todes zusätzlich den abgezinsten Nutzen der Investitio­

nen, der nach seinem Ableben anfällt; je älter demnach das In­

dividuum ist, desto höher muß vergleichsweise die Ertragsrate des öffentlichen Projektes sein. Bei einer alternativen priva­

ten Anlage kann das Individuum sowohl den jährlichen Ertrag als auch die Eingangsinvestition aufgrund der Definition, Dursetzbarkeit und Transferierbarkeit von Eigentumsrechten ka­

pitalisieren, und es folgt als Gegenwartswert für die private Anlage (PV . ):

priv t

(2) PVpriv = ) Zi/(1+i)j + Z/ d + i ) 1"

j = 1

Um die Äquivalenz beider Anlageoptionen herzustellen, folgt da mit für die Größe von r:

t (3) r - i+1 /

j = 1

1

k 1 <i+i)j

+ 1 uj=1

Damit zeigt sich auch formal, daß die Ertragsrate der öffent­

lichen Investitionen umso höher sein muß, je älter das Invidi- duum bzw. der Medianwähler als repräsentatives "politisches"

Invididuum ist, oder anders gesagt, es besteht mit zunehmendem Alter ein Anreiz in Richtung auf kurzfristige Projekte, auf Projekte mit niedrigerer Eingangsinvestition und niedrigen Zeit räumen der Nutzenabgabe jenseits der statistischen Lebenserwar­

tung oder ganz allgemein ein bias zuungunsten staatlicher In­

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vestitionen.

Ein so rationales, strikt auf voluntary exchange und Wahl-wie Wählersourveränität basierendes Modell führt offensichtlich zu dem Schluß, daß Entscheidungen über öffentliche Güter, von der Zeitperspektive her gesehen, kurzfristiger ausfallen als Marktentscheidungen, daß also rationale Wählerkalküle kein In­

diz in Richtung auf eine soziale Diskont- oder Zeitpräferenz­

rate bieten, die niedriger ist als die individuellen Zeitprä­

ferenzraten bzw. die Marktzinssätze. Marglins Argument, daß der Konsum zukünftiger Generationen als öffentliches Gut be­

handelt werden kann und die heutigen Individuen sich im demo­

kratischen Wahlprozeß auf eine niedrigere soziale Zeitpräferenz verständigen, erscheint zumindest so lange schwierig zu ver­

teidigen zu sein, wie die Fiktion des auf privaten und politi­

schen Märkten rational handelnden, egoistischen Individuums nicht aufgegeben wird.

IV.Zur Operationalisierung der "sozialen" Zeitpräferenz

Hier wäre nur der Punkt, die vorhergehenden Überlegungen auch empirisch zu überprüfen, sofern es gelänge, die "soziale" Zeit­

präferenzrate als Ergebnis politischer Prozesse empirisch zu schätzen. Dazu aber bietet das vorgestellte Gedankenexperiment durchaus einen einfachen, aber adäquaten Ansatzpunkt: Wenn es nämlich so ist, daß mit zunehmendem Alter eines Individuums die Ertragsrate öffentlicher Projekte bzw. die Differenz zur Er­

tragsrate privater Projekte ansteigt, um Äquivalenz der öffent­

lichen und privaten Investitionsmöglichkeiten zu sichern, dann liegt es nahe, die staatliche Investitionsquote als abhängige Variable in einer Funktion des Alters der Individuen im poli­

tischen Markt (Wahlbürger im Alter > 1 8 Jahre) zu interpretie­

ren. Setzt man voraus, es handelte sich ausschließlich um ra­

tional agierende Individuen, die solche Vergleichskalküle wie zuvor beschrieben in der Realität auch anstellen, dann könnten empirische Werte für altersabhängige öffentliche Investitions­

quoten als Grundlage einer weiteren Schätzung der realisierten sozialen Zeitpräferenzrate dienen - der realisierten sozialen Zeitpräferenzrate wohlgemerkt, die keine Schlüsse vom Gegebenen auf möglicherweise Wünschenswertes zuläßt, aber zumindest für

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einen gegebenen Zeitpunkt legitim ist, soweit nur der Prozeß, durch den sie fixiert wurde, als legitim anerkannt ist.

Gelingt also die Aufstellung einer Reihe von öffentlichen In­

vestitionsquoten und dem Alter der Individuen, dann ergibt sich die soziale Zeitpräferenzrate aus dem folgenden Kalkül: Das

(repräsentative) Individuum im Alter An favorisiert eine In­

vestitionsquote in Höhe von I bzw. das Individuum im Alter An + .j eine Investitionsquote in Höhe von In + -| • Nach den vor­

herigen Überlegungen ist zu erwarten, daß die Investitionsquote im folgenden Jahr kleiner sein wird als zuvor, und es folgt, daß die Investitionsquote I im Alter An den Individuen im Alter An + .| nur noch die niedrigere Investitionsquote In + -| wert ist, d.h. die Investitionsquote ist in bezug auf I um einen bestimm­

ten Prozentsatz r gesunken.

(4) n ' (In -

Diese Werte von rn beschreiben nun nichts anderes als die margi­

nalen Zeitpräferenzen für öffentliche Güter; da entsprechend der vorherigen Überlegungen mit steigendem Alter sinkende öf­

fentliche Investitionsquoten vermutet werden, wurde, um der Konvention zu entsprechen (positive Diskontraten - Abzinsung), die marginale Investitionsquote und damit auch die marginale

Zeitpräferenz positiv definiert. Daraus ergibt sich nun, daß es keine einheitliche öffentliche Zeitpräferenz für die Bevöl­

kerung eines Staatsgebiets gibt, sondern daß unterschiedliche altersabhängige Zeitpräferenzraten identifizierbar sind, die überwiegend von der sozialen Zeitpräferenzrate für öffentliche Güter - in diesem Modell bestimmt durch das Alter des Median­

wählers - abweichen; daher ist Kirsch/Rürup (1971, S. 447/48) in ihrer Argumentation zuzustimmen, daß nur sehr zufällig einer Identität einzelner Zeitpräferenzen mit der durchschnittlichen Zeitpräferenz einer Gesellschaft, operationalisiert durch die Zeitpräferenzrate des Medianwählers, auftritt, wenn auch diese Abweichungen so zufällig nicht mehr sind, wenn man versucht, das Konzept der Zeitpräferenz anhand dieses Modells zu opera- tionalisieren.

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Bei Vorlage entsprechender Daten wäre es nun möglich, die Zeitpräferenzfunktion für öffentliche Güter zu schätzen

und aus dieser die soziale Zeitpräferenz als Zeitpräferenzrate des Medianwählers abzuleiten: Dazu wäre es nur erforderlich, ein lineares Regressionsmodell, wie es hier verwandt wird, der öffentlichen Investitionsquote (1^) in Abhängigkeit vom Alter der Individuen (A^) zu schätzen, wobei entsprechend des Modells zu vermuten steht, daß b < 0 ist:

(5) I = f(Afc) = a + bA

Die Zeitpräferenzfunktion für öffentliche Güter rfc = g (A^), gleichzeitig auchdie Basis für die Berechnung der sozialen Zeit präferenzrate als Zeitpräferenzrate des Medianwähleralters A , ergibt sich dann als Quotient der 1. Ableitung dieser Regres­

sion nach A^_ und Relativierung auf 1^, mithin als b

(6) r

a+bA

t t

wobei die Ausdrücke (6) und (4) äquivalent sind. Um wiederum der Konvention Genüge zu tun, sollte der Ausdruck (6) mit -1 multipliziert werden, damit sinkende Investitionsquoten mit steigendem Alter (A > 0) einer positiven Zeitpräferenzrate

(Diskontrate) entsprechen. Bei der so definierten Zeitpräferenz funktion handelt es sich offensichtlich um eine Funktion mit hyperbolischem Verlauf; das zuvor beschriebene Muster der Zeit­

präferenzfunktion entsprechend des theoretischen Modells wäre daher nur eines unter mehreren, wenn auch bei hochaggregierten Daten wohl das plausibelste. 1)

1) Insgesamt ergeben sich die folgenden relevanten Fälle für A > 0; die sozialen Zeitpräferenzraten unterscheiden sich dabei in zwei Fällen entsprechend der Lage des Medianwäh­

leralters A zur Sprungstelle der Hyperbel, die durch A=a/b gegeben ist. Im einzelnen gilt:

a ,b

a > 0, b < 0 a < 0, b > 0 a < 0, b < 0 a > 0, b > 0

r^>O(Ä < a/b) r^<O(Ä > a/b)

rÄ <0

(17)

15

V. Datengrundlagen und Restriktionen

Dieser Schätzung der Zeitpräferenzraten des Medianwählers auf unterschiedlicher Datenbasis gehört nun das weitere Interesse Ausgangspunkt der empirischen Untersuchungen sind zunächst Da­

ten der Gesamtinvestitionsquoten der öffentlichen Hand in deutschen Länder von 1970 bis 1982 (Budgets), ergänzt durch das jeweilige Medianwähleralter. Mit Hilfe dieser Angaben ist es in einem Querschnittsansatz möglich, die soziale Zeitprä­

ferenzrate des Medianwählers der Bundesrepublik insgesamt (also der Wähler oberhalb von 18 Jahren) für die betrachteten Jahre zu schätzen. Diese Zeitpräferenzraten können dann auf­

grund der sich durchgängig ergebenden positiven Werte einfach in Zeitperspektiven umgerechnet werden, die angeben, nach wie- vielen Jahren genau 1/10tel eines imaginären Ausgangswertes erreicht wäre 1); dieses Verfahren hat den Vorzug der Verständ­

lichkeit, die bei Zeitpräferenzen als nicht beobachtbaren Phä­

nomenen nicht so ohne weiteres gegeben ist (Tab. 1).

Den so errechneten Zeitpräferenzraten werden anschließend die Daten der Realzinssätze (nachrichtlich: der Nominalzinssätze) und der entsprechenden Zeitperspektiven gegenübergestellt; es soll also dabei untersucht werden, in welchen Größenordnungen soziale Zeitpräferenzen in politischer Allokation und Real­

zinssätze in marktlicher Allokation zueinander stehen (Tab.2).

Dieser Untersuchungsschritt wird ergänzt durch Kalkulationen der Mindestrenditen öffentlicher Investitionen gemäß Formel

(3), die gegeben sein müßten, um private und öffentliche An­

lagen äquivalent werden zu lassen; auch diese Ergebnisse wer­

den der besseren Verständlichkeit wegen in Zeitperspektiven umgerechnet (Tab. 2).

Während sich insbesondere der erste Schritt dieser empirischen Analyse (Tab. 1) mit dem Angebot an öffentlichen Gütern und

1) Die Umrechnung in Zeitperspektiven (Jahre) erfolgt nach der Formel:

t = log 10/ log (1+r^)

(18)

den impliziten Zeitpräferenzen befaßt, zentriert nun der fol­

gende dritte Schritt auf die NachfrageSeite nach öffentlichen Gütern, hier speziell dabei die Nettozahlungsbereitschaft. Zur Zahlungsbereitschaftsanalyse mit Hilfe der Umfragetechnik wurde dabei ein Verfahren benutzt, das von Maital (1979) entwickelt wurde und zwischenzeitlich in Deutschland in den Jahren 1982 und 1984 sowie auch in Großbritannien im Jahre 1984 Anwendung fand (Kessel/Zimmermann 1983, 1985). Ohne in die dort beschrie­

benen Details vorzustoßen, ist anzumerken, daß dieses Verfahren auf einfache Weise in einem offenen Budget gestattet, gewünsch­

te Mehrausgaben, aber auch Einsparungen für diverse staatliche Ausgabenkategorien zu schätzen, so daß daraus in der Summe die jeweiligen Nettozahlungsbereitschaft kalkuliert werden kann.

Auf dieser Basis werden dann für die beiden Jahre und Länder Zahlungsbereitschaftsfunktionen (NZB) als Funktionen des Alters analog zum vorhergehenden Procedere geschätzt, aus dem sich dann die sozialen Zeitpräferenzen der Nachfrageseite ergeben - einmal für das Medianwähleralter der jeweiligen Stichproben

(BRD 1982/1984, GB 1984), zum anderen für das Medianwähler­

alter der amtlichen Statistik (BRD 1982, 1984). Wie üblich wurden auch diese Ergebnisse dann in Zeitperspektiven umgerech­

net, womit sich dann zumindest für ein Jahr (1982) die Möglich­

keit eines Vergleichs einerseits mit der Zeitpräferenz der po­

litischen Allokation auf Basis von Gesamtinvestitionsquoten (Tab. 1) als angebotsseitigem Resultat, andererseits mit dem Realzins in marktlicher Allokation(Tab. 2) ergibt (vgl. Tab. 3) Der vierte Schritt versucht nun, diese aggregativen Ergebnisse weiter zu differenzieren und untersucht mit dem beschriebenen Verfahren die Zeitpräferenzen und Zeitperspektiven diverser Aus­

gabengruppen der Länderbudgets in einem Ouerschnittsansatz für das Jahr 1982; aufgrund der Disaggregation treten nunmehr auch negative Zeitpräferenzen auf , deren inhaltliche Interpretatio­

nen in Richtung eines sich in der Zeit aufbauenden Nutzenstroms 1 ) Die Umrechnung der negativen Zeitpräferenzen in Zeit-

perspextiven erfolgt nach der Formel:

t = log (1/10)/ l o g d - r ^ )

(19)

17

gehen (Tab. 4).

Diese Ergebnisse können dann in einem weiteren Schritt, so­

weit vergleichbare Kategorien vorliegen, den nachfrageseiti­

gen Resultaten aus der Zahlungsbereitschaftsanalyse des Jah­

res 1982 gegenübergestellt werden, wobei die Zeitpräferenz­

raten wiederum nach dem bekannten Verfahren ermittelt und in Zeitperspektiven umgerechnet werden; wie zuvor schon, werden dabei soziale Zeitpräferenzraten für das Medianwähleralter der Stichprobe und in der amtlichen Statistik berechnet

(Tab. 5).

Das so entwickelte Set von Resultaten bietet eine Fülle von interessanten Interpretationsmöglichkeiten (z.B. zur Nachfrage­

adäquanz des öffentlichen Budgets), die hier verständlicher­

weise nicht zur Ausführung kommen können. Die auf den Kern des hier zu diskutierenden Komplexes zentrierten Interpretationen nehmen dabei auf Datenbeschränkungen wie z.B. Signifikanzen, die aus den Tabellen selbst ersehen werden können, nicht im einzelnen Bezug; desweiteren können auch mögliche Erweiterun­

gen der Analysen, speziell dabei auf Gemeindeebene, wo ja di­

rektere Formen demokratischen Wahlverhaltens anzutreffen sind, aus Gründen der Verfügbarkeit von Daten, die ja dann auch in die Relation zur Bevölkerungsentwicklung zu stellen sein würden, nicht zum Zuge kommen. 1 )

V I . Empirische Ergebnisse

Über die Gesamtperiode 1970/82 gesehen, ist die sich aus den Bud­

getdaten (Gesamtinvestitionenquote,, Tab.,1) ergebende soziale Zeit

1) Es liegt auf der Hand, daß dieser Aspekt dann weiter zu differenzieren wäre: Relativ höheres Durschnittsalter und relativ niedrigere Nettoinvestitionen könnten auch anzeigen, daß nur ein geringerer Bedarf an neuen AufSchließungsinve­

stitionen für künftige Generationen gegeben ist. Spezielles Augenmerk müßte dann auch den Ersatzinvestitionen und vor allem dem Verhältnis des öffentlichen Kapitalstocks zur Be­

völkerungszahl und -entwicklung gelten.

(20)

Präferenzrate 1 ) im Durchschnitt größer (4,27%) als der reale Zinssatz (Tab. 2) der privaten Anlagealternative (3,07%);

es bestätigt sich hier also auch in der Empirie, daß wie aus dem theoretischen Modell gefolgert wurde, die Ertragsrate

öffentlicher Investitionen aus den diskutierten Gründen größer sein muß als der Marktzins, wenn eine Äquivalenz der Anlage­

optionen hergestellt werden soll. Diese Größenrelation gilt mit Ausnahme von 3 Jahren (1970, 1978, 1982) und damit in

77% der betrachteten Jahre.

Dies ist aber nur die notwendige Bedingung für Optimalität der Allokation bezogen auf die Zeitpräferenzrate; die empi­

risch aufgrund der Budgetdaten der Gesamtinvestitionsquoten errechneten Zeitpräferenzen müßten dazu noch mindestens so groß sein, wie die auf der Basis der Marktzinssätze und

der Lebenserwartung des Medianwählers kalkulierbaren Mindest­

ertragsraten öffentlicher Investitionen (Tab. 2), um Äquiva­

lenz beider Anlageoptionen herzustellen. Diese weitere Größen­

relation als hinreichende Bedingung ist in den betrachteten Jahren im Durchschnitt aber offensichtlich nicht g e g e b e n ; die auf Basis der Budgetdaten berechnete mittlere Zeitpräfe­

renzrate von 4,27% (Tab. 1) ist deutlich geringer als der Durchschnitt der Mindestertragsraten öffentlicher Investitio­

nen mit 5.27% (Tab. 2). Im einzelnen ist diese Optimalbedin­

gung gar nur in 5 von 13 Jahren (38,5%) erfüllt.

Fassen wir nun diesen Punkt zusammen: Die politische Alloka­

tion in Budgets hat insgesamt in 3 Jahren (23%) zu einer ab­

soluten Suboptimalität in dem Sinne geführt, daß die Zeitprä­

ferenzrate auf Basis der Budgetdaten für das Medianwähler- 1) Der sich für die Periode 1970/82 ergebende mittlere Wert

der sozialen Zeitpräferenz liegt voll in der Größenord­

nung der Schätzungen, die Kula (1984, 1985) für die USA, Kanada und Großbritannien auf Basis der Periode 1954/76, allerdings mit Hilfe einer anderen Methode (Consumption Rate of Interest) gefunden hat (USA: 5,3%; Kanada:5,2%;

GB: 3,65%).

(21)

1 9

alter geringer war als der reale Zinssatz des Marktes und dementsprechend auch geringer als die Mindestertragsrate öffentlicher Investitionen bei Äquivalenz der Anlageoptionen.

Zusätzlich hat politische Allokation in weiteren 5 Fällen (38,5%) zu relativer Suboptimalität der Allokation geführt insoweit, als hier die Zeitpräferenz des Budgets geringer ausfiel als die entsprechende optimale Mindestertragsrate öffentlicher Investitionen. Dies heißt also, daß insgesamt in 8 von 13 Fällen (68,5%) eine suboptimale Allokation des politischen Systems festzustellen ist, die sich auch deutlich in den Durchschnittswerten der Gesamtperiode zeigt: der Mit­

telwert der auf Budgetbasis errechneten Zeitpräferenzrate von 4,27% ist ja allemal größer als der Mittelwert des Real­

zinses mit 3,07%, aber kleiner als die durschnittliche optimale Mindestrendite öffentlicher Investitionen mit 5,27%.

Da wie gesagt nur in 3 Fällen von 13 die Zeitpräferenzrate budgetärer Allokation geringer war als der reale Marktzins

(23%) und im Durchschnitt diese Zeitpräferenz deutlich größer war als der reale Marktzins, gibt es nur wenig Hinweise da­

rauf, daß die politische Allokation systematisch geringere Zeitpräferenzraten budgetär realisiert, als der Markt durch den Realzins gewissermaßen als Indikator privater Zeitalloka­

tion vorgibt. Von einer systematisch stärkeren Berücksichti­

gung der Interessen zukünftiger Generationen in der politi­

schen Allokation auszugehen, mag zwar von manchen normativen Positionen her attraktiv erscheinen, kann aber empirischer Überprüfung zweifellos nicht standhalten. Auf der anderen Seite ist auch nicht zu übersehen, daß, wenn schon keine de­

zidiert geringeren Zeitpräferenzraten in politischer als in marktlicher Allokation normativ gewählt werden, die"öffent­

liche" Wahl der Budget-Zeitpräferenz in positiver Analyse entsprechend des Optimalitätskalküls überwiegend suboptimal erfolgt ist: Wenn in 8 von 13 Fällen (61,5%) die Budget-Zeit­

präferenz geringer ist als die erforderliche Mindestrendite öffentlicher Investitionen bei Optionsäquivalenz, dann bleibt der politischen Allokation in Budgets nur eine ausgeprägte Halbherzigkeit zu attestieren: Weder werden Zukunftsinteres­

sen normativ durch eine geringere Zeitpräferenzrate gegenüber dem Marktzins systematisch berücksichtigt, noch werden über-

(22)

wiegend politische Zeitpräferenzraten realisiert, die eine optimale Allokation privater und öffentlicher Verwendung gewährleisten. Die Budgetpolitik der betrachteten Periode kann also weder einem normativen, noch einem positiven Test standhalten.

Vergleicht man nun in einer weiteren Stufe die Zeitalloka­

tion auf Basis der marktlich aufgedeckten Präferenzen (Real­

zins; Tab. 2), die politische Allokation im demokratischen System, die sich in der impliziten Zeitpräferenz des Budgets äußert (Tab.1) und die sich aus den "stated preferences" der Zahlungsbereitschaftsanalyse für öffentliche Güter ergebende Zeitpräferenz für die Nettozahlungsbereitschaft, also die Bereitschaft zur Übernahme zusätzlicher Lasten für öffentli­

che Güter (Tab. 3), wobei sich diese Analyse aus Datenver­

fügbarkeitsgründen im wesentlichen nur auf das Jahr 1982 be­

ziehen kann, so zeigt sich deutlich eine weitaus geringere Zeitpräferenz des Medianwählers in seinen "stated preferences"

Die Zeitpräferenz der Nettozahlungsbereitschaft des Median­

wählers ist im 'Jahre 1982 mit nur etwa 0,70% signifikant nie­

d r i g e r , die Zeitperspektive damit auch wesentlich größer als in politisch-budgetärer Allokation (3,04%) und in marktlicher Allokation (3,5%). Aufgrund der vorhergenden Analysen ist aber davon auszugehen, daß das Jahr 1982 für den Zeitraum 1970/82 untypisch ist, als hier eines von den drei Jahren vorliegt, in denen die Budget-Zeitpräferenz niedriger aus­

fällt als der Realzins; cum grano salis besteht also guter Grund anzunehmen, daß sich eine typische Größenrelation der Zeitpräferenzen dergestalt empirisch einstellt, daß die Zeit­

präferenz des Medianwählers gemäß seiner Nettozahlungsbereit­

schaft niedriger liegt als der reale Marktzins, dieser w i e ­ derum geringer ausfällt als die Zeitpräferenz der budgetären Allokation und diese abermals geringer ist als die bei Options äquivalenz privater und öffentlicher Anlagen erforderliche Mindestrendite in ihrer zeitpräferenzbezogenen Interpretation.

Zumindest das erste . Element dieser Größenrelation läßt sich auch für das Jahr 1984 überprüfen: Einer Zeitpräferenz auf Basis der Nettozahlungsbereitschaft des deutschen statisti-

(23)

21

sehen Medianwählers von 1,8% steht ein Realzins von 5,4%

gegenüber, und auch für den englischen Medianwähler ergibt sich eine ähnliche Relation in 1984 von ca. 1,3% (Nettozah­

lungsbereitschaft) zu 6,1% (Realzins) (vgl. Tab. 3).

Interpretiert man diese punktuellen Daten auch vorsichtig, so ist doch aufgrund der Größenrelationen der Zeitpräferenz

des Medianwählers (Nettozahlungsbereitschaft) und der bud­

getären "politischen" Allokation (Medianwähleralter) im Jahre 1982 eine mehr als vierfache Vergrößerung (BRD)

der Zeitpräferenz durch den in Budgets geronnenen politischen Prozeß zu konstatieren, und wenn die obige Hypothese der

typischen Größenrelation in der Zeitpräferenzen zueinander valide ist, was allerdings als einigermaßen wahrscheinlich anzusehen ist, dann ist im Falle des Jahres 1984 von einer mehr als Verdreifachung (BRD) oder mehr als Vervierfachung (GB) der entsprechenden individuellen Zeitpräferenz des Me­

dianwählers in seiner Zahlungsbereitschaft durch den politi­

schen Prozeß auszugehen. Wie gesagt: Auch wenn man sehr vor­

sichtig interpretiert, so weisen die empirischen Ergebnisse doch deutlich .auf eine wesentliche Eigenschaft des politischen Systems und der dort zu findenden Institutionen und ablaufenden Prozesse hin - nämlich individuelle Zeitpräferenzen (stated preferences) entsprechend der Nachfrageäußerung des Bürgers nach öffentlichen Gütern wesentlich (als quantitative Hypo­

these: Faktor 3-5) zu vergrößern bzw. die entsprechende Zeit­

perspektive analog zu verringern.

Dieser Effekt zeigt sich auch, wenn man einzelne Ausgaben für öffentliche Güter (Budgets; Tab. 4) mit den Nachfrageäußerun­

gen gemäß der Zahlungsbereitschaft für das Jahr 1982 (Tab. 5) vergleicht: Generell ist das durehschnittliche Zeitpräferenz­

niveau in der Zahlungsbereitschaftsorientierten Analyse auch hier weitaus geringer als in der Budgetanalyse; nur in einem Fall

(Hochschulen) offenbart das politische System eine niedrigere Zeitpräferenz als der Medianwähler in seiner Zahlungsbereit­

schaft konstatiert. Im einzelnen vollziehen sich im politi­

schen Prozeß aber nicht nur generelle Verkürzungen der Zeit­

perspektiven, sondern auch Umorientierungen im Verlauf der

(24)

Nutzenströme: Während der Bürger in Gestalt des Medianwählers bei den Ausgaben für Schulwesen, Verkehr und Forschung posi­

tive Zeitpräferenzen offenbart, werden diese Inputs im poli­

tischen Prozeß zum Negativen hin umgepolt, d.h. das politi­

sche System geht im Gegensatz zu den Bürgern von ansteigenden Nutzenströmen in der Zeit aus; umgekehrt ist dies deutlich bei Wirtschaftsförderung und Wohnungswesen, wo die Bürger von in der Zeit implizit ansteigenden Nutzenströmen ausgehen, das politische System aber entgegengesetzt reagiert, wobei sich aber zumindest bei Wirtschaftsförderung die Nutzenströme in ähnlicher Zeitperspektive entwickeln. Vergleicht man wieder auch über diese Einzelkategorien öffentlicher Güter die

Durchschnittswerte der (absoluten) Zeitpräferenzen, so kommt man auf eine durchschnittliche Zeitpräferenz für das Alter des statistischen Medianwählers (44,53 Jahre) auf der Basis seiner Zahlungsbereitschaft von 5,2%; dem steht eine Budget-Zeitprä­

ferenz (ohne den Ausreißer bei Schulwesen berechnet) von 24,6%

gegenüber. Berücksichtigt man nur die Ausgabengruppen mit sig- nifkanten Korrelationen (1O%) zwischen der Zahlungsbereitschaft bzw. Budget und Alter, so führt die Durchschnittsrechnung zu einer Zeitpräferenz des Medianwählers (Zahlungsbereitschaft) von 6,6% und der Budgets (ohne Schulwesen) von 33,1%; auch diese Durchschnittsrechnung führt mithin wieder zu mittleren

Vergrößerungen der Zeitpräferenz im politischen Prozeß um das mehr als 4 bis 5fache und bestätigt auch bezogen auf einzelne Ausgabenkategorien die Aussagen von zuvor. Während aber in bezug auf die Budgetdaten des Gesamtinvestitionsverhaltens des politischen Systems noch relativ lange Zeitperspektiven gemessen wurden (1982 = 77 Jahre), wo zeigen sich jetzt in

der Durchschnittsrechnung für einzelne öffentliche Ausgaben (Bud get) je nach obigem Berechnungskonzept Zeitperspektiven zwischen

8 und 10 Jahren (unter Einbezug der Schulwesenkategorie bis zu 4 Jahren bei ausschließlich signifikanten Korrelationen), denen wiederum je nach Berechnungskonzept Zeitperspektiven entsprechend der Zahlungsbereitschaft des Medianwählers zwi­

schen 36 und 45 Jahren gegenüberstehen, die auch kürzer aus- fallen als zuvor bei der Analyse der Nettozahlungsbereitschaft.

Diese Differenzierung zwischen global-aggregativen Größen und

(25)

23

Einzelkategorien ist nicht weiter verwunderlich, verwischt doch die aggregative Analyse singuläre Entwicklungen bei den einzelnen Ausgabekategorien, und letztlich sind es ja die spezifischen Ausgabekategorien in weitaus höherem Maße als die Gesamtausgaben (Gesamtinvestitionen), die politisch bedeutsam sind; dies schmälert aber keineswegs die Validität der Aussagen zur Gesamtzeitpräferenz des Budgets bzw. der Nettozahlungsbereitschaft, denn diese Gesamtzeitpräferenzen sind insgesamt für die Allokation zwischen privaten und öf­

fentlichem Sektor und ihre Beurteilung ausschlaggebend.

V I I . Ein Fazit

Als wesentliches Ergebnis der empirischen Analyse ist festzu­

halten, daß es gute Gründe gibt, von einer typischen Größen­

relation der Zeitpräferenzen zu sprechen: Entsprechend dieser Größenrelation haben die Bürger (Medianwähler) als Nachfrager nach öffentlichen Gütern gemäß ihrer Zahlungsbereitschaft die niedrigste Zeitpräferenz; die private marktliche Allokation führt zum nächstgrößeren Wert der Zeitpräferenz, gemessen durch den realen Zinssatz. Die Zeitpräferenz der politisch­

budgetären Allokation ist im Durchschnitt der Betrachtungs­

periode damit auch keineswegs niedriger als dieser Realzins, so daß keine Berechtigung dafür besteht, von einer stärkeren Berücksichtigung der Interessen zukünftiger Generationen im politischen System im Vergleich zum Markt generell auszugehen, eher ist das Gegenteil der Fall. Die politisch-budgetäre

Zeitallokation kommt also auf der einen Seite diesem normati­

ven Postulat von Gruppen, die ihr und der Zukunft. Heil in mehr Staat sehen, nicht nach, ist auf der anderen Seite aber sub­

optimal im allokativen Sinne, denn ihre Zeitpräferenz ist er­

wiesenermaßen niedriger als die Mindestrendite öffentlicher Investitionen, die für eine Äquivalenz privater und öffentli­

cher Anlagen erforderlich wäre; die politisch-budgetäre Zeit­

allokation kann damit weder den normativen Test bezüglich in­

tergenerativen ethischen Verhaltens, noch den positiven Test bezüglich Allokationsoptimalität bestehen. Speziell in bezug auf die Wünsche der Bürger, also die Nachfrage des Medianwäh­

(26)

lers nach öffentlichen Gütern und die Ausgestaltung des Bud­

gets durch das politisch-administrative System ist damit zu konstatieren, daß offensichtlich im politischen System ein Mechanismus wirkt, der die geäußerten längerfristigen Zeit­

perspektiven der Bürger (Zahlungsbereitschaften) um den Faktor 3 - 5 verkürzt bzw. die Zeitpräferenzraten entspre­

chend vergrößert; ein solcher numerisch relativ konstanter Verkürzungsfaktor der Zeitperspektiven bzw. Vergrößerungs­

faktor der Zeitpräferenzraten läßt sich sowohl für die Aggre­

gate des Budgets bzw. der Nettozahlungsbereitschaft wie auch für die einzelnen Ausgabengruppen im Budget und in der spezi fischen Zahlungsbereitschaft feststellen, wobei die entspre­

chenden Zeitperspektiven im zweiten Fall wesentlich kürzer bzw. die Zeitpräferenzraten höher ausfallen. Bei dieser

letzteren disaggregierten Analyse nach Ausgabengruppen zeigt sich dann auch deutlich, daß die Zeitperspektiven der poli­

tisch-budgetären Allokation ganz in die Nähe der ein- bis zweifachen Länge der Legislaturperiode rücken, während sich die Zeitperspektiven bezüglich der Nachfrage nach öffentli­

chen Gütern (Zahlungsbereitschaft) auf die Größenordnung von 36 bis 45 Jahre verkürzen - also nur wenig mehr als der Me­

dianwähler nach der statistischen Lebenserwartung noch an Lebenszeit aufzuweisen hat und ihm so an Nutzen der öffentli­

chen Güter zufließen kann.

Bei allem, möglicherweise auch ethisch begründet zu fordern­

den Schutz zukünftiger Generationen insbesondere in bezug auf natürliche Ressourcen und Umwelt ist dies die Realität des typischen individuellen Wählers und des politischen Systems sowie der in ihm agierenden Politiker. Nun mag man bezüglich der Fiktion des individuellen Medianwählers ein­

wenden, daß hier ein wesentliches Kriterium nicht zum Tragen kommt: Die Tatsache nämlich, ob der Medianwähler Kinder hat oder nicht, also möglicherweise zu "dynastischem" Verhalten neigt, und deshalb den Nutzen langlebiger öffentlicher Güter nicht nur auf seine Lebenszeit, sondern auch die nachfolgen­

der Familiengenerationen bezieht. Beim privaten Sparverhal­

ten ist dies ja ein ganz gängiges Muster, daß mit zunehmendem

(27)

25

Alter die Sparquote steigt, obwohl ja der Kapitalnutzen dann kaum noch individuell realisierbar ist, sondern den Nachkom­

men zufällt; der Grund dafür besteht letztlich in der Vererb­

barkeit des angesammelten Vermögens, aber auch in der Frei­

heit der Wahl bzw. des Ausschlusses der Erben zumindest bis zu einem gewissen Grade. Diese Vererbbarkeit besteht zweifel­

los auch bei langlebigen öffentlichen Investitionen, wenn auch die Freiheit der Wahl bzw. des Erbenausschlusses hier of­

fensichtlich nicht gegeben ist. Dies ist möglicherweise gerade einer der wesentlichen Gründe, die das Investitionsverhalten bei öffentlichen von privaten Gütern unterscheidet: Es ist nämlich keineswegs so, daß im Falle öffentlicher Güter bei Individuen mit Kindern mit einer niedrigeren, bei kinderlosen Individuen mit einer höheren Zeitpräferenzrate zu rechnen ist, wie es bei privaten Gütern zu erwarten wäre - das Gegenteil ist der Fall (Berechnungen auf Basis von Kessel/Zimmermann 1985): Die Nettozahlungsbereitschaftsdaten für die BRD (1984) zeigen bezüglich des typischen Medianwählers mit Kindern

(A = 34,4 Jahre) eine Zeitpräferenzrate von 1,9% gegenüber einen entsprechenden Rate von 0,6% beim Medianwähler ohne Kinder (A = 49,4 Jahre). Es liegt also nahe, eine Umkehrung des Spar- und Investitionsverhaltens im Bereich privater und öffentlicher Güter zu vermuten, und diese würde dann argu­

mentativ zu obigem möglichen Einwand wirken - ein interessan­

ter Aspekt, dem einmal detailliert nachgegangen werden sollte.

Die anschließende Frage ist dann, aus welchen Gründen eine solche starke Verkürzung der Zeitperspektive oder Erhöhung der Zeitpräferenz durch die Aktoren und Mechanismen des poli­

tisch -administrativen Systems auftritt.

Die mit der Produktion und dem Angebot öffentlicher Güter be­

faßten Bürokratien könnten theoretisch durch eine niedrigere Zeitpräferenz ausgezeichnet sein: Zum einen sind Bürokratien oder Ressorts zeitlich äußerst beständig, und zum anderen sichert das Berufsbeamtentum in Deutschland eine langfristige professionelle Existenz; dies ermöglicht den dynamischen Be­

amten aufgrund der vorhersehbaren lebenslänglichen Verweil­

dauer eine langfristig angelegte Wettbewerbs- und Expansions­

strategie und damit auch niedrigere Zeitpräferenzen in ihren

(28)

öffentlichen Aktionen, auf der anderen Seite aber zwingt der Wettbewerbsdruck in den Bürokratien und die Wahrnehmung von Kar rierechancen zu einer Anpassung an politisch oder administra­

tiv leitende Funktionsträger, die, je näher sie zu den politi­

schen Spitzen in einer Bürokratie hin angesiedelt sind,

umso höhere Zeitpräferenzen haben dürften - erst recht dann, wenn sie aus politischen Gründen in den einstweiligen Ruhe­

stand geschickt werden können. Das Berufsbeamtentum und die Bürokratie könnten demnach eine Tendenz zu längeren Zeithori­

zonten zumindest theoretisch implizieren; dies wird aber umso weniger der Fall sein, je dynamischer und politischer die bü­

rokratischen Unternehmer sind. Auch diese Frage wäre eine eigene Untersuchung wert - etwa, indem man Budgetierungspro­

zesse von den untersten bürokratischen bis zu den oberen poli­

tischen Stufen in Ressorts verfolgt und analysiert.

Wirft man noch einen Blick auf die Rolle der Politiker und ihrer Rahmenbedingungen im politisch-administrativen System, so ist aufgrund der hier vollzogenen I n p u t (Zahlungsbereitschaft) -Output(Budgets)-Betrachtung von einer entscheidenden Bedeu­

tung für die Verkürzung der Zeitperspektiven auszugehen - die ja nicht als alleiniges Faktum auftritt, denn, wie andere Untersuchungen gezeigt haben (Kessel/Zimmermann 1983,1985),

"verbiegen"die Politiker und ihr System die Nachfrageäußerun­

gen der Bürger nach öffentlichen Gütern (Zahlungsbereitschaft) in einem solchen Maße, daß Angebot und Nachfrage häufig nur noch marginal übereinstimmen. Nun ist es im gewissen Sinne heute modern, das Hauptinteresse auf "institutions" zu len­

ken, in diesem Zusammenhang also die besondere Bedeutung des vierjährigen Wahlzyklus zu betonen. Ohne Zweifel zwingt die Notwendigkeit, rechtzeitig Erfolge präsentieren zu können, um die Wiederwahl zu sichern, zu einem bias hin zu kurzfri­

stiger Ausrichtung der Politik und zur Aussortierung lang­

fristiger Optionen. Diesem mag teilweise durch Aspekte wie sicherem Wahlkreis oder Listenplatz entgegengewirkt werden, da aber bei zu langfristiger Ausrichtung und damit mangeln­

der Absicherung des kurzfristigen Wahlerfolgs das Risiko für die anderen Mitglieder des Kollektivs (die Marginalanbieter der Par­

tei) erhöht wird und sich somit auch die Chance, die Regierungs­

(29)

27

macht zu erringen oder zu behalten verringert, zwingen kol­

lektiv-interne Mechanismen auch die Politiker, denen Lang­

fristdenken und -handeln möglich wäre, auf eine kurzfristi­

ge Linie; Politiker, die sich dieser Reorientierung ver­

schließen können, also eine gesicherte Position haben müssen oder aber Langfriststrategie-Diskussionen als intellektuelle

Spielwiese benutzen,werden in der Regel zu Mitgliedern von Gre­

mien für "symbolische Politik" - sogenannter Stratecriekommissio»

nen. Dieser vierjährige legitimatorische Druck ist für das poli­

tische System und seine Zeitpräferenzrate zweifellos beson­

ders beachtenswert, doch wäre es wohl nicht vertretbar, hier die Ursache allen Übels, also die überwiegend kurzfristige

Ausrichtung der Politik zu sehen - denn, wie gesagt: Das Budget als Angebot wird keineswegs von den Nachfrageäußerungen,

also den Zahlungsbereitschaften des Medianwählers,vollstän­

dig determiniert. Wenn also die Anpassung an die Wählerwün­

sche keineswegs so vollständig ist, der legitimatorische Druck also auch nicht so eingrenzend sein kann (relative Autonomie des politischen Systems oder Meritorisierung), dann spricht doch auch einiges für eine spezifische Bedeu­

tung des Politikers selbst in der Verkürzung der Zeitperspek­

tive. Zweifellos sind die Politiker oder deren Hundertschaf­

ten im deutschen Parlament keine Abbilder des Medianwählers - sie sind wohl eher eine sehr selektive Auswahl der deutschen Bevölkerung: Einerseits sind sie dadurch zu Politikern gewor­

den, daß sie keine sonderlich erfolgreiche Ansammlung priva­

ter Güter für sich voraussahen und/oder der Übergang ins Politikerdasein relativ risikolos vollzogen werden konnte - nicht ohne Grund überwiegt in deutschen Parlamenten der öffent­

liche Dienst; auf der anderen Seite aber sind Abweichungen oder besondere Komponenten in der Persönlichkeitsstruktur des Politikers auch für seinen Erfolg in Partei und Öffent­

lichkeit maßgebend: Eine besondere extrinsische Motivation, ein hohes Maß an Extrovertiertheit, ein Zwang zur Selbstdar­

stellung bis hin zu neurotischem Verhalten, möglicherweise auch ein Hang zur Verbreitung und Umsetzung von Ideologien, und letztlich eine vergleichsweise hohe Dynamik, die auch den schnellen Erfolg zum Ziel hat. Daß eine solche Kombina­

tion von Eigenschaften eher in Richtung auf eine kurzfri­

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