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2021 // Ausgabe Sommer

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Academic year: 2022

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2021 // Ausgabe Sommer

NO 33 // SWISSLIFE

// LAST MINUTE

N O 33

SWISSLIFE

LAST MINUTE

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Lässt man das Absehbare geschehen oder interveniert man in letzter Minute? Diese Frage stellt sich hier beim Ballon, aber im übertragenen Sinne oft auch im Leben.

Besonders jetzt, da wir uns nach Leichtigkeit sehnen und unsere Verletzlichkeit doch allzu deutlich spüren. Oft braucht es nicht viel, um das Irreversible noch abzuwen- den. Was werden Sie tun?

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Liebe Leserin, lieber Leser

Wenn wir an «Last Minute» denken, dann sehen wir unbe- schwerte Tage mit viel Selbstbestimmung, Entscheidungen, die wir im letzten Moment treffen können, Reisen, Ferien und Auszeiten vor uns. Umstände und Möglichkeiten also, die uns in den letzten Monaten oft gefehlt haben.

In diesem Heft nehmen wir Sie mit auf eine Reise zu span- nenden Persönlichkeiten, die ihren eigenen Lebensweg verfolgen und einen besonderen Bezug zur «letzten Minute»

haben: Die Neuenburgerin Danica Jones beispielsweise findet, es sei höchste Zeit, das eigene Konsumverhalten zu ändern. Die Tieftaucherin Anna von Boetticher spielt tief unter Wasser und ohne Atemgerät mit dem letzten Moment, bevor sie langsam wieder an die Oberfläche steigt. Und der studierte Physiker, Philosoph und Bestseller-Autor Ludwig Hasler hat reflektiert, wie uns die mobile Kommunikation zum Leben in letzter Minute verführt – und wie vermeint- lich selbstbestimmt wir dabei noch agieren können.

Der Titel dieser Ausgabe gilt aber auch für das Magazin SWISSLIFE, das in dieser Form zum letzten Mal erscheint:

Wir haben uns dazu entschlossen, unsere Kommunikations- wege und -mittel zu Ihnen, unseren geschätzten Kundinnen und Kunden, einer vertieften Analyse zu unterziehen. Ob und in welcher Ausprägung wir auch in Zukunft ein Magazin auflegen werden, entscheiden wir in den kommenden Monaten. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Betei- ligten und Machern des Magazins bedanken, die in den vergangenen zehn Jahren wunderbare Geschichten in Text und Bild eingefangen und Ihnen, so hoffen wir, viel Lese- vergnügen beschert haben.

Bedanken möchte ich mich aber auch bei Ihnen, den Lese- rinnen und Lesern, die uns über all die Jahre die Treue gehalten haben. Sicher ist: Sie werden auch in Zukunft wie- der von uns hören. Seien Sie gespannt! Wir wünschen Ihnen allen einen schönen Sommer und entspannten Lesegenuss.

Markus Leibundgut CEO Swiss Life Schweiz

PS // Auf

swisslife.ch/blog finden Sie viele der Geschichten aus diesem Heft wieder:

angereichert mit zusätzlichen Bild-, Video- und Textbeiträ- gen. Reinklicken lohnt sich!

LAST MINUTE // 3

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© Christian Spreitz

8 // Mit nur einem Atemzug 130 Meter in die Tiefe und wieder zurück: Apnoe-Tau- cherin Anna von Boetticher erbringt unter Wasser

Höchstleistungen.

6 // Andi

Zwei Dinge unterscheiden ihn von Remo: etwas, das seinem Bruder berufs bedingt fehlt, und etwas anderes, das dafür Andi nicht hat.

7 // Ortskundig Flammen züngeln auf dem Gemeindewappen nach oben und unten, doch der Ort Les Enfers hat nichts Teuflisches an sich – trotz seines alten Namens «Inderhöll».

16 // Patrick Wenger Er hilft oft in letzter Minute: Patrick Wenger, Rettungssanitäter bei der Air Zermatt, über seine Ängste, persönli- che Grenzen und warum er manchmal an der Unglücksstelle ein Steinmännchen baut.

© Daan Verhoeven

Gedruckt in der Schweiz Gesamtverantwortung: Swiss Life, Kommunikation Schweiz, Martin Läderach Redaktionsleitung Magazin: Tim Hegglin

Redaktionsleitung UPDATE: Markus Werner Redaktionskommission: Markus Leibundgut, Andreas Fischer, Ivy Klein, Christian Pfister, Hans-Jakob Stahel, Paul Weibel Redaktionsadresse: Magazin SWISSLIFE, Public Relations, General-Guisan-Quai 40, 8022 Zürich, magazin@swisslife.ch Projektleitung: Mediaform|Christoph Grenacher, Ittenthal/Zürich Konzept und Gestaltung: Festland Werbeagentur, St. Gallen/Zürich Übersetzung: Swiss Life Language Services Druck und Versand: medienwerkstatt ag, Sulgen Adressänderungen/Bestellungen:

Magazin SWISSLIFE, General-Guisan-Quai 40, 8022 Zürich, magazin@swisslife.ch Auflage: 115 000 Erscheinungsweise: 3 × jährlich;

Februar, Juni, September Rechtlicher Hinweis: In dieser Publikation vermittelte Informationen über Dienstleistungen und Produkte stellen kein Angebot im rechtlichen Sinne dar. Über Wettbewerbe wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. ISSN 2235-7645

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32 // Zero Waste

Zuhause, am Arbeitsplatz, beim Einkaufen und in der Politik: Danica Jones setzt sich an vielen Fronten für eine Welt ohne Abfall ein. Und gibt Tipps, wie wir alle im Alltag weniger Müll produzieren.

39 // Remo

Mit Andi teilt er die Freude am Fussball.

Obwohl hier der eine schon mal für den anderen eine Verwarnung kassierte.

42 // Apropos Last Minute

40 // Wettbewerb:

Gewinnen Sie einen von fünf SAMSONITE Lite-Box Alu

-Koffer im Gesamtwert von 3750 Franken.

18 // Essay

Warten war gestern. Heute gibt es alles, und zwar sofort. Die Digitalisierung verführt zu einem Leben auf die letzte Minute und schon die verbindliche Planung des Alltags wird als Beschrän- kung empfunden. Philosoph Ludwig Hasler über das «Leben im Modus on demand».

26 // Öffentlicher Verkehr Sie sorgen jeden Tag dafür, dass wir sicher und auf die Minute pünktlich von A nach B kommen. Fotograf Giorgio von Arb ist vorne eingestiegen und hat sechs ÖV-Chauffeusen und -Chauffeure porträtiert.

© Giorgio von Arb

24 // Rund um die Uhr werden im Internet riesige Mengen an Daten und Dollars bewegt.

Um zu sehen, wie viele Millionen von Suchanfragen, Up- und Down- loads so pro Minute zusammen- kommen, «swipen » Sie doch mal zu unserer Infografik.

LAST MINUTE // 5

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© Kevin Wildhaber

Doppelpass

Andi: «Remo ist auf jeden Fall handwerklich begabter als ich. Deshalb hat er, wie es sich für einen ‹guten› Schreiner gehört, nur noch 9,75 Finger. Das ist aber nicht das Einzige, woran man uns unterscheiden kann. Remo trägt einen Ohrring, ich nicht.»

Remo über Andi: Seite 39

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Ortskundig

Les Enfers JU

Es scheint, dass es im 138-Seelen-Dorf höllisch zu und her gehen kann. Doch die Gemeinde hat trotz ihrer früheren deutschen Namen «Die Hell» und «Inderhöll» nichts Teuflisches an sich.

Dem Namen liegt das lateinische Wort «infernum» zugrunde, was auch «tiefer gelegen» bedeutet. Seine erste Erwähnung findet das Dorf 1330 übrigens unter dem Namen Au cruz des Enfers, also

«tief gelegener, abschüssiger Ort», was ganz gut die Lage an der mit Felsen durchsetzten Talflanke des Doubs beschreibt.

Da haben wir doch glatt Äpfel mit Birnen ver glichen. Aber Sie

haben den Schwindel bemerkt und richtig auf die Birnensor te

Guyot getippt. Diese sehr saf tige, süss-säuerliche Frucht

wurde übrigens um 1870 in Troyes, Fr ankreich, gezücht et und

dem französischen Winzer Doct eur Jules Guyot gewidmet.

Richtig oder falsch?

Hier sehen Sie die Namen von sieben Apfel- sorten. Wirklich? An dieser Aufzählung ist doch etwas faul. Denn einer der Namen ist hier richtig

falsch. Finden Sie auch heraus, welcher?

Braeburn Elstar

Gala Guyot Maigold Rubinette

Topaz

Nachgezählt

Hochgerechnet

Quelle: Swiss Life, BFS

© https://de.wikipedia.org/wiki/Les_Enfers#/media/Datei:LesEnfers-blazon.svg

Er arbeitet heute länger

Laut einer Studie von Swiss Life bleiben rund ein Viertel aller Frauen und ein Drittel der Männer über das Rentenalter hinaus erwerbs- tätig. 2019 waren dies etwa 190 000 Personen, die den Ruhestand teilweise mit Arbeiten verbrachten, was einer Zunahme von rund 75 %

gegenüber der Jahrtausendwende entspricht.

33 %

Quelle: WWF

Die Folgen des Klimawandels sieht man wohl nirgends eindrücklicher als bei der Gletscherschmelze. 1,5 Milliarden Kubik-

meter Eis verloren die Schweizer Gletscher

alleine im Jahr 2019. Den Negativrekord

hält dabei der Morteratsch-Gletscher:

Seine Zunge hat sich 2003 in nur einem Sommer um 76 Meter zurückgezogen.

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Freitauchen erfordert höchste Konzentration: 125 Meter tief entlang eines Seiles und ohne Pressluftflasche: «Man ist völlig losgelöst von allem», sagt Anna von Boetticher

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«Da ist Stille im Kopf,

da hält die Welt an»

Text: Christoph Grenacher // Bild: Daan Verhoeven

Anna von Boetticher nimmt einen letzten, tiefen Atemzug. Acht lange Sekunden – bis die Lunge gefüllt

ist mit dem Element, das sie zum Überleben braucht.

Dann taucht die Apnoe-Taucherin ab, um in der Tiefe des Wassers nach Höhepunkten zu suchen.

LAST MINUTE // 9

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E

s ist nur noch still. «Die Atmung, der Herzschlag. Das Leben ist in diesem Moment ja das Einzige, was noch zählt. Die Essenz des Menschen», sagt Anna von Boetticher.

Sie ist vermutlich die einzige Sportlerin, die sich in ihrer Karriere über Tiefpunkte freut: Sie taucht ohne Pressluftflasche 125 Meter tief und kann die Luft 6:12 Minuten lang anhalten.

Apnoe-Taucher gehen dorthin, wo die Ruhe voll- kommen ist. Einmal tief einatmen und weg. Dazu braucht es viel Selbsterfahrung und ein Verständnis dafür, was im Körper passiert. Wenn man die Luft an- hält, löst das Hirn bei den meisten Menschen schon nach etwa einer Minute Alarm aus. Es befiehlt den Lun- gen, sich schleunigst mit Luft zu füllen. Doch hierbei handelt es sich um einen Fehlalarm; im Blut befindet sich zu diesem Zeitpunkt noch genügend Sauerstoff, um alle wichtigen Organe für längere Zeit zu versorgen.

«Ärzte sagen, der Mensch kann den Atem 15 Minuten lang anhalten, ohne seinen Körper zu schädigen», sagt von Boetticher und schiebt nach: «Man muss sich selbst fordern. So lernt man, Ruhe zu bewahren.»

Gegen alle Widerstände

Die 50-Jährige nimmt nichts mit in die Tiefe – und bringt unfassbar viel mit sich an die Oberfläche. Selbst eine zu kleine Lunge und eine Autoimmunkrankheit halten Anna von Boetticher nicht auf: Gegen alle Wi- derstände wird sie die erfolgreichste Apnoe-Taucherin Deutschlands. Sie schwimmt, frei von störendem Equipment, in den tiefsten Tiefen der Weltmeere mit Haien, Orcas und Mantarochen. Von Boetticher ist das perfekte Beispiel dafür, dass jeder seinen Traum selbst- bestimmt verwirklichen kann, wenn er will – und lebenslang lernt: Wie finden wir mentale Stärke, wie bleiben wir in extremen Situationen ganz bei uns?

Wohin bringt mich Neugier, wenn ich sie zulasse? Wie lerne ich, vollkommen zu vertrauen?

Obwohl Anna von Boetticher schon seit ihrem 18. Lebensjahr begeisterte Taucherin ist, kam sie erst mit 37 zu dieser extremen Form des Sports. Im Apnoe- Tauchen tauchen die Sportler von einer Boje aus entlang eines Seiles in die Tiefe vor: Gesichert sind die Taucher nur mit einer Bodyline. Die kalten Wasser- temperaturen in der Tiefe bedingen das Tragen eines Neoprenanzugs.

Eine Reise zu sich selbst

Zwar geht es in diesem Hochleistungssport um Platzie- rungen, persönliche Bestleistungen, Weltrekorde.

Doch für von Boetticher geht es um sehr viel mehr.

Wenn sie abtaucht, begibt sie sich auch immer auf eine Reise zu sich selbst. Diese Erfahrung ist es, die sie auch nach mehr als einem Jahrzehnt immer noch am Tau- chen ohne technische Hilfsmittel fasziniert. «Beim Ap- noe-Tauchen setzt man sich der Welt um einen herum ultimativ aus, man ist völlig losgelöst von allem», sagt sie: «Man muss sich auseinandersetzen: mit der Tiefe, dem Wasser. Und mit sich selbst, seinem Körper, sei- nem Geist. Und seinen Grenzen.»

Die Grenzen, die Selbsterfahrung, das eigene ge- schenkte Leben: Sie wächst in Bayern auf, im Garten steht ein tolles zwölf Meter langes Schwimmbecken.

Weiss Gott warum, aber als Achtjährige versucht sie, den Pool zu durchtauchen, allein, ohne Aufsicht. Nach einer Bahn hat sie noch nicht genug, taucht weiter, wen- det erneut, ignoriert das Bedürfnis zu atmen, bleibt unter Wasser, hört nicht auf, sieht schwarze Pünktchen vor den Augen, durchstösst schliesslich doch wieder die Oberfläche. Nach 38 Metern.

Anna von Boetticher kam erst mit 37 zum Freitauchen, machte aber schon als Achtjährige erste Erfahrungen über ihre Grenzen.

Und im Sommer 2011 läuft bei einem Aufstieg von 130 Metern unter Meer fast alles schief – und sie wird ohnmächtig.

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Wie tief kann ich gehen?

Nach der Schule, während der sie auch leidenschaftlich im Bodensee taucht, studiert sie Theaterwissenschaften und Literatur, zieht für ein Kunstgeschichtediplom im Auktionshaus Christie’s nach London, arbeitet in einer Galerie – aber nach einer Ausstellungseröffnung nur zwei Monate rumsitzen und Sachen verkaufen, die an- dere Leute gemacht haben – nicht ihr Ding. Sie wechselt in eine Filmproduktionsfirma und lässt sich nebenbei zur Tauchlehrerin ausbilden. Im März 2007 erfährt sie von einem Apnoe-Seminar in einer Basis der britischen Marine. Schon nach zwei Stunden Training erreicht sie den Grund des Übungsbeckens in 28 Metern Tiefe.

«Ich habe mir gedacht: Warum ist hier jetzt ein Boden?», erinnert sie sich: «Ich muss ausprobieren, wie tief das noch gehen kann.»

Und was denkt sie auf dem Weg in die Tiefe?

Wenn sie von Erlebnissen und Begegnungen unter Wasser erzählt, leuchtet es in ihren Augen. «Auf dem Weg nach unten habe ich die Augen immer geschlossen.

«Ich sage die ganze Zeit zu mir: Still, sei still!»

Anna von Boetticher hat auf dem Weg nach unten im Wasser die Augen immer geschlossen: «Ich sinke im freien Fall wie ein Stein. Die Zeit, je nach Tiefe

rund eine Minute, vergeht sehr langsam, sie ist gedehnt.»

Ich sage die ganze Zeit zu mir: Still, sei still! Bei einem perfekten Tauchgang bin ich wie in einer Blase. Zuerst gilt es, 30 Meter tief zu tauchen, danach ist die Luft im Körper so komprimiert, dass wir in den freien Fall kom- men. Ich schliesse die Augen und sinke wie ein Stein.

Der Herzschlag verlangsamt sich, ich puste durchgän- gig Luft für den Druckausgleich in meine Ohren. Die Zeit, je nach Tiefe rund eine Minute, vergeht sehr lang- sam, sie ist gedehnt. Wenn ich an meiner Meterkarte an- gekommen bin, höre ich ein kleines Signal im Ohr, ich öffne die Augen, nehme die Karte und dann: Wow. Es ist der beste Moment. Ich sehe die Schönheit des Meeres.

Ein unfassbares Erlebnis. Dafür mache ich das alles:

Da ist Stille im Kopf, da hält die Welt an.»

Körperliche Grenzerfahrung

Der Sport sei aber auch hart, sagt Anna von Boetticher.

«Die Belastung ist enorm. Das tut weh.» Nach einem Tauchgang von zweieinhalb Minuten verbringt sie den Rest des Tages meist mit Essen und Schlafen. Der Druck

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«Ich öffne die Augen: Wow.

Es ist der beste Moment.

Ich sehe die Schönheit des Meeres.

Ein unfassbares Erlebnis.»

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4 2

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1 in der Tiefe verlangt dem Körper grosse An-

strengungen ab, die Lunge wird immer kleiner zusammengepresst, je weiter es hinabgeht. Da- bei kann sie verletzt werden, der Sauerstoff- mangel kann zu einer Ohnmacht führen.

Oder es passieren Dinge, mit denen nicht einmal ein erfahrener Apnoe-Taucher rechnet.

Im Sommer 2011 will Anna von Boetticher in Scharm El-Scheich einen Weltrekord im Wett- bewerb «variables Gewicht» aufstellen.

Bei dieser Disziplin ziehen Gewichte den Taucher nach unten. Sobald er die festgelegte Maximaltiefe erreicht hat, legt er den Ballast ab und schwimmt aus eigener Kraft zurück an die Oberfläche. 130 Meter will Anna von Boetticher schaffen – die Marke bedeutet ihr viel, genauso tief ist sie einst mit Flaschen ge- taucht. Der Abstieg gelingt, doch auf dem Weg nach oben geht etwas schief: Der Atem- reiz setzt schon in 120 Metern Tiefe ein, etwa 100 Meter zu früh. Sie bewahrt Ruhe, obwohl sie weiss, dass sie einen sogenannten «Lung Squeeze» erleiden wird, eine Überdruckverlet- zung der Lunge, in die Blut dringt. Anna von Boetticher ist klar: Vielleicht wird sie diesen Tauchgang nicht überleben. Sie konzentriert sich darauf, die Ruhe zu bewahren und ent- spannt zu schwimmen, um Sauerstoff zu spa- ren. Sie schafft es zurück bis in 40 Meter Tie- fe, wo Sicherheitstaucher auf sie warten, dann wird sie ohnmächtig.

Fünf Tage später, so beschreibt sie es in ihrem Buch «In die Tiefe» besteht Anna von Boetticher darauf, die Videoaufnahme des Unfalls anzuschauen – gegen den Rat be- freundeter Apnoe-Taucher, die Angst haben, der Anblick könnte sie traumatisieren. «Ich sah, wie mir Lotta noch im Wasser die lebens- spendenden Beatmungen gab», schreibt von Boetticher. «Sah rötlichen Schaum aus mei- nem Mund und der Nase laufen, sah mein Gesicht, bläulich verfärbt. Sah, wie sie mich auf die Plattform zogen und der Arzt mit Herzdruckmassage begann. Sah, wie Marco neben meinem Kopf kniete und mich beim Namen rief, sah, dass ich die Augen geöffnet hatte und atmete, aber ins Nichts starrte, im grauen Nebel zwischen Wachsein und Ohn- macht gefangen.»

1:15 Minuten / 130 m Weil man den Tauch- gang nicht frühzeitig abbrechen kann, wird die Tauchtiefe vor dem Abtauchen festgelegt.

Last Minute

Nach dem Wendepunkt ziehen sich die Taucher aus eigener Kraft am Führungsseil an die Oberfläche zurück.

Das Gewicht bleibt unten. Die letzte Minute des Tauchgangs beginnt.

Safety divers

T auc hv erlauf

1:00 Minuten / 100 m Die Taucher sinken etwa 100 Meter in der Minute. Pro –10 Meter steigt der Umgebungs-

druck um +1 Bar.

Die Fähigkeit zum Druckausgleich ist entscheidend.

2:30 Minuten / 20 m Der steigende Kohlen- dioxidgehalt des Blutes löst den Atemreiz aus.

Nur durch Konzentration und Übung können die Apnoe-Taucher diesen über einen längeren Zeitraum unterdrücken.

Da immer die Gefahr einer Ohnmacht besteht, werden die Apnoe- Taucher jeweils von einem oder mehreren Tauchern mit Sauerstoff-

flaschen begleitet.

Bevor sie von einem Gewicht in die Tiefe gezogen werden, senken die Athleten durch bewusstes, forciertes Atmen den Kohlen- dioxidgehalt im Blut.

Vorbereitung

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Oris – Go your

own way

Anfänglich produzierte Oris Taschenuhren, sieben Jahre nach der Gründung war das Unterneh- men mit 300 Beschäftigten der grösste Arbeitgeber in Hölstein (BL). 1925 stieg Oris in den Markt mit Armbanduhren ein.

1938 entwickelte Oris seine erste Pilotenuhr, die Big Crown, die in Variationen bis heute her- gestellt wird und deren namens- gebende übergrosse Krone es Piloten ermöglicht, die Uhr auch mit Lederhandschuhen zu bedienen.

Der 2. Weltkrieg führte zu erheblichen Umsatzeinbrüchen;

um den Betrieb trotzdem am Lau- fen zu halten, erweiterte Oris das Uhrensortiment um Wecker.

Nach Kriegsende expandierte das Unternehmen wieder; Oris produzierte mit seinen 800 Mit- arbeitern jährlich 1,2 Millionen Exemplare und zählte zu den zehn grössten Uhrenherstellern der Welt.

Anna von Boetticher ist seit acht Jahren Markenbotschafterin der Uhrenmanufaktur Oris – die Begeisterung, die Zielstrebigkeit und die Einsatzfreude der deut- schen Freitaucherin passen bes- tens zum 1904 gegründeten inno- vativen Baselbieter Unternehmen mit seiner bewegten Geschichte und der Philosophie, bewusst einen eignen Weg zu gehen.

oris.ch

1949 Plakat für den Oriswecker mit Acht-Tage-Gangreserve

1969 Oris zählt zu den zehn grössten Uhrenfirmen der Welt.

Panik tötet sofort

Schon ein paar Tage später geht sie wieder tauchen.

Dafür wird sie von Fragen gequält: Was war schief- gegangen? Passiert das wieder? Muss sie sich von ihrer Leidenschaft komplett verabschieden?

Erst ein Lungenarzt liefert ihr die Erklärung für ihren Black-out. Ihre Tauchmaske hatte zu viel Druck auf die Augen ausgeübt, was der Körper als Überdruck im Kopf interpretiert und zu bekämpfen versuchte. Dieser sogenannte Herz-Augen-Reflex führt dazu, dass die Herzfrequenz immer weiter absinkt – bis zur Ohnmacht.

Der Arzt sagt, es sei ein Wunder, dass sie in dieser Situation so ruhig geblieben sei. «Die Panik ist das, was einen umbringt», sagt Anna von Boetticher. «Panik tötet sofort.» Sie habe schon immer mit sehr viel Ruhe auf Probleme unter Wasser reagiert, was sich auch auf ihr restliches Leben übertrage: «Ich habe durchaus Angst, aber ich hebe sie mir für später auf. Übrigens habe ich auch mal einen psychologischen Test gemacht – ich bin ganz durchschnittlich, was das angeht. Ich habe normale Angst.»

Ein Spaziergang unter Wasser macht frei Auf dem Meeresboden fühlt sich Anna von Boetticher pudelwohl, sicher und ruhig – was ihr auch im Leben über

Wasser helfe: Die Ruhe helfe ihr, «die Panik ist das, was einen umbringt», sagt Anna von Boetticher – und:

«Ich habe durchaus Angst, aber ich hebe sie mir für später auf.»

annavonboetticher.com

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Einen neuen Standard setzt Oris seit Ende 2020 mit der erfolgreichen Lancierung des Calibre 400, eines komplett eigenständig entwickelten automatischen Manufaktur- kalibers. Es tickt extrem präzise und zuverlässig, verfügt über eine Gangreserve von fünf Tagen, ist unempfindlich gegen Magnetismus und muss erst nach einer Dekade zum Service.

Doch dann kam die Wende:

In den 1970er- und den frühen 1980er-Jahren gewannen Quarzuhren aus Asien massiv Marktanteile. 1970 gab Oris die Unabhängigkeit auf und wurde Teil der späteren Swatch Group.

Zehn Jahre später stand Oris mit noch einigen Dutzend Mitarbeitern vor dem Aus.

Marketingleiter Ulrich W. Her- zog übernahm zusammen mit Dr. Rolf Portmann, dem da- maligen Geschäftsführer, 1982 Reste des Unternehmens und entschied, mit der neu gegrün- deten und wieder unabhängi- gen Oris SA ausschliesslich mechanische Uhren im mittle- ren Preissegment herzustellen.

Seit der Jahrtausendwende konzentriert sich das Unter- nehmen in seiner Produktpa- lette auf die Bereiche Tauchen, Kultur und Aviatik.

2021 Das automatische Uhrwerk Calibre 400 der ORIS AQUIS DATE wird mit dem Technikpreis der «Goldenen Unruh» ausge- zeichnet.

Zwischen Kampfschwimmern und Minentauchern Ihre Fähigkeiten unter Wasser machen sie für Men- schen interessant, mit denen sie ohne das Apnoe-Tau- chen nie in Kontakt gekommen wäre. Sie hält Vorträge, 2015 meldet sich die deutsche Marine bei ihr. Ob sie sich vorstellen könne, in der Ausbildung der Kampf- schwimmer und Minentaucher mitzuarbeiten? Sie stellt sich in der Marineoperationsschule in Bremerhaven vor, erarbeitet sich im Schwimmbecken den Respekt der Ausbilder und Rekruten, neben der Bundeswehr kom- men Feuerwehrtaucher und Polizeitaucher dazu. Diese Engagements sind ihre Haupteinnahmequelle; mit Apnoe-Tauchen wird man nicht reich – und kann es wahrscheinlich auch nicht ewig betreiben.

Da fährt Anna von Boetticher das erste Mal aus der Haut: «Man hat doch kein Ablaufdatum! Ich bin doch kein Joghurt!» Wenn sie morgen nicht mehr tauchen könne, «dann gehe ich sofort intensivklettern und freue mich darüber». Wichtig sei im Leben, gleichzeitig hoch konzentriert und dennoch losgelöst zu sein, sagt die Apnoe-Taucherin: «Es ermöglicht das Überwinden von körperlichen und geistigen Grenzen: das Glück, wenn du dich wieder richtig spürst.»

Lucile Rougié-Cormorèche Vorsorgeberaterin

Generalagentur Genève Rive Gauche 022 818 36 85

Lucile.Cormoreche@swisslife.ch

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Die Swiss Life-Expertin zur Pensionierung

Kennen Sie Ihre Ausgabesituation nach der Pensionierung? Wissen Sie, wie viel Geld Sie benötigen, um Ihren gewohnten Lebensstil beizubehalten? Es lohnt sich, die Pension weitsichtig zu planen. Damit keine unliebsamen Überraschungen auftauchen, stehen Ihnen die Vorsorgebe- raterinnen und Vorsorgeberater von Swiss Life mit ihrem Know-how mit Rat und Tat zur Seite. Sorgen Sie heute schon für ein sorgenloses und selbstbestimmtes Leben nach der Pension. Je früher, desto besser.

swisslife.ch/pensionsplanung

«Damit Ihnen nach

der Pensionierung

nicht die Luft weg-

bleibt. Swiss Life

hilft Ihnen mit mass-

geschneiderten Lö-

sungen bei der früh-

zeitigen Planung

Ihrer persönlichen

Vorsorgesituation.»

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P atric k W enger

Interview: Florian Caprez // Bild: Christian Pfammatter

P atric k W enger (37) is t R ettungssanit ät er bei der Air Zermatt. Bei seiner Arbeit mit Helik opt er pilo ten und dem Ar zt k ennt er k eine R outine. U nd doc h is t jahr elange Er fahrung nö tig, damit Einsätze in le tzt er Minut e gelingen. Zur V er arbeitung der Einsätze meint er : «Die meis ten Ger ett et en haben ihr e eigene Ar t, Dank - bar keit zu zeigen – nic ht immer v er st ehe ic h diese.» Der Himmel ist die Grenze, «The Sky is the Limit» ist der Slogan v on Air Zermatt. W o sind Ihre Grenzen?

Nebst den Grenzen der modernen Luftfahrttechnik und den Wetterbedingungen sind meine persönlichen Grenzen, wenn es um die Sicherheit der Crew und des Patienten geht.

Sind im Sommer die Einsätze w eniger gefährlich als im Winter? Die Einsätze im Sommer sind meist technischer , anspruchsvoller und damit gefährlicher als im Wint er . Aus Sicht der Notf allmedizin ist das Spektrum im Sommer auch abwechslungsr eicher .

W as gibt Ihnen Sicher heit in Ihrem Job? Die Gewissheit, frühmor gens im Wissen aufzust ehen, dass unser e Heli-Mechanik er ber eits die täglichen Kontr ollen pflichtbewusst durchführ en. Wie beim Schachspielen ver suche ich immer zwei Schritt e vor - aus zu sein. Bei komple xen Situationen habe ich ein Ritual, um mich auf das W esentliche zu fok ussier en.

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W or an denk en Sie abends beim Einschlaf en?

Ich bin vor allem dankbar für die Erlebnisse eines zu Ende gehenden Tages und bleibe hungrig für die weiteren. Danach Licht löschen, umdrehen – und das war’s.

Sind im Sommer die Einsätze w eniger gefährlich als im Winter? Die Einsätze im Sommer sind meist technischer , anspruchsvoller und damit gefährlicher als im Wint er . Aus Sicht der Notf allmedizin ist das Spektrum im Sommer auch abwechslungsr eicher . Hat man in diesem Job auch Angst um sein eigenes Leben?

Wer diese Tätigkeit ausübt, ist sich der Gefahr bewusst und nimmt sie an. Während meiner humanitären Einsätze in Konfliktregionen in der Wüste Nord- und Westafrikas hätte mir die Angst um das eigene Leben bei der Arbeit keinen Vorteil gebracht. Mich selber mit eigenen Ängsten zu konfrontie- ren, ist aber eine spannende Herausforderung, die sich immer ausgezahlt hat.

W arum sind Sie Rettungssanit äter? Wie k ommt man zu einem solchen Job?

Aus Interesse und Begeisterung an der Notfallmedizin, die vielfach ausserhalb der Komfortzone und ohne Heimvorteil stattfindet. Der Job fordert mich täglich körperlich und mental – um bereit zu sein für das, was auch immer kommen wird, und meinen Teil für die professionelle Zusammenarbeit in einem kleinen, dynamischen und lösungsorientierten Team beizutragen.

W as gibt Ihnen Sicher heit in Ihrem Job? Die Gewissheit, frühmor gens im Wissen aufzust ehen, dass unser e Heli-Mechanik er ber eits die täglichen Kontr ollen pflichtbewusst durchführ en. Wie beim Schachspielen ver suche ich immer zwei Schritt e vor - aus zu sein. Bei komple xen Situationen habe ich ein Ritual, um mich auf das W esentliche zu fok ussier en. Sind die Geretteten dankbar? Haben Sie danach noch K ont akt mit Ihnen? Das ist sehr individuell. Die meist en Ger ett et en haben ihr e eigene Ar t, Dankbar keit zu zeigen – nicht immer ver st ehe ich diese. Es melden sich doch einige oder schr eiben liebe W or te. Ich habe aber auch keine Er war tungen, denn es ist für diese Menschen meist ein Moment, den sie ver gessen wollen oder verdr ängen.

Sie erleben Schicksale, bergen T ote, retten schrecklich zugerichtete Menschen. Wie gehen Sie damit um? Bei solchen Einsätzen liegt der Fok us bei mir auf der raschen und richtigen Behandlung, falls es nicht ber eits zu spät ist. Gewisse Bilder bleiben, kommen und gehen wieder . Schwieriger ist es mit den Emotionen von Ange - hörigen oder Hint erbliebenen. Mir hilf t es, zu wissen, dass es nicht mein Schicksal ist – wenn nötig nehme ich mir Zeit für den Abschied. Sof ern nicht der nächst e Einsatz anst eht, halt e ich kur z inne und baue ein St ein - männchen oder etwas Ähnliches an der Unf allst elle als Andenk en auf.

© Christian Spreitz

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«Leben im Modus

on demand»

Text: Ludwig Hasler // Illustration: Sylvia Geel

Unsere mobile Kommunikation verführt zum Leben auf die letzte Minute:

Die verbindliche Planung des Alltags wird heutzutage oft schon als Beschrän-

kung empfunden. Doch wie selbst- bestimmt agieren wir noch? Wie sichern

wir unsere Souveränität? Was bringt uns die digitale Lebensart – und welche Rolle wollen wir spielen? Ludwig Hasler,

studierter Physiker, promovierter Philo- soph und Buchautor des Bestsellers

«Für ein Alter, das noch was vorhat» hat darüber nachgedacht.

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I

m Prinzip ist der Fall klar: Dem digitalen Ich fällt manches leichter. Schon die bio- grafisch meist folgenreichste Aktion: Part- nersuche. Analog lief sie früher doch recht harzig. Die Auswahl war minim (man be- gegnete sich an der Chilbi im Dorf, bei der Arbeit, im Freibad), die Annäherung dauerte endlos.

Digital sind wir zurück im Paradies: Alles im Angebot, im Überfluss und jederzeit. Eine Frau, ein Mann für heute Abend? Kein Problem. Dating-Apps lassen kei- nen allein, offerieren uns ganze Galerien potenzieller Partnerinnen und Partner. Allein auf Tinder gehen jeden Tag 26 Millionen Male zwei

Menschen aufeinander zu – und kommen meist gleich zur Sache:

Netflix-Abend, Sex, spezielle Prak- tiken.

Was für ein Zeitgewinn! Dutzen- de Kandidaten simultan auf dem Display. Und was für ein Qualitäts- gewinn! Algorithmen sortieren ob-

jektiv, sie sind nie verliebt, nie bekifft, nie depressiv. Was sie vorschlagen – «Die könnten zu dir passen!» –, das passt recht häufig. Bereits jedes dritte Paar lernte sich online kennen. Und bleibt tendenziell länger zusammen.

Sagt jedenfalls eine Studie der University of Chicago, die immerhin 19 000 Paare befragte. Kein Wunder, Sor- tiermaschinen paaren perfekt. Dieselben Algorithmen bringen Millionen Sockenpaare fehlerfrei zusammen.

Genau so schaffen sie es mit uns, sie gleichen Vorlieben, Wünsche, Abneigungen, Haarfarbe, Bildung etc. Was zu- einander passt, kommt zusammen, der Rest fällt durch.

Eine Frage nur der Datenmenge und der Vorgaben fürs Sortierprogramm.

Vorteil digital? Theoretisch ja. In der Praxis kippen die Vorteile (Quantität, Tempo, Verfügbarkeit) leicht in Nachteile. Auf dem Dating-Markt passiert leicht, was wir vom Supermarkt kennen. Je zahlreicher die Joghurts auf dem Regal, umso mühsamer wählen wir, umso zwei- felhafter schmeckt, was wir wählen; noch bevor wir es kosten, schielen wir auf das nächste, das mit Himbee- ren, das könnte besser schmecken. So kommen wir nie wirklich an, wir haben es leicht – und haben es schwer.

Wissenschaftler ver gleichen Dating-Apps wie Tinder oder Grindr mit Spielautomaten: Wer mal drin ist, findet den Ausgang nur schwer.

Die Ambivalenz digitaler Lebensart zeigt sich hier recht anschaulich: Da sind die zahlreichen Paare, die sich online gefunden haben, das Leben gemeinsam meistern, weil sie derart reibungslos zueinander passen, wie das analog nur zufällig, also selten gelingt. Und da sind die Experimentellen im Spielkasino, die seriellen Probiererinnen und Degustierer, die eine Zeitlang durchaus auf ihre Kosten kommen, doch irgendwann die existenzielle Verbindlichkeit vermissen, auch vom Verdacht zermürbt werden, sie könnten selber stets auf Probe bloss gewählt sein.

Der Appetit auf Last-Minute-Offerten wird trotz- dem nicht schwinden. Wir mögen den Reiz eines Lebens ohne Anlauf, ohne Wartezeit – Hauptsache, keine Zeit verlieren! –, darunter dämmert eine Ahnung, das wahre Leben könnte genau da beginnen, wo wir uns und unse- re Zeit verlieren. Davon später mehr.

Weiter mit der Ambivalenz. Auch digitalisiert leben wir unter irdischen Bedingungen, und die sind nun mal durchzogen. Es wird alles immer besser – der Preis dafür stets höher. Je virtuoser wir auf der Klaviatur der Apps spielen, desto wahrscheinlicher riskieren wir unsere Souveränität – bereit in banalen Situationen, etwa im Alltagsverkehr. Ein Kollege erzählte, wie er nach einem Kongress in Basel zurück nach Luzern fuhr. Auf der Autobahn meldet das Navi: «Achtung, Stau!» Er über- holt noch schnell einen nervig langsamen Schwertrans- porter mit Blaulichteskorte, dann schwenkt er ab auf

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die Landstrasse, fährt da weiter, durch Dörfer, mühsam von Ampel zu Ampel, zwölf Kilometer, eine halbe Stun- de, dann zurück auf die Autobahn, da kommt er flott voran. Nach etwa zehn Minuten überholt er einen ner- vig langsamen Schwertransporter mit Blaulichteskorte.

Der kam ihm bekannt vor. Seither bleibt der Stauwar- ner auf seinem Navi abgeschaltet.

Da haben wir den Zwiespalt des Fortschritts. An sich ist so ein Staumelder eine prima Sache, kann uns davor bewahren, stundenlang auf der Autobahn zu stranden. Er kann das Problem, das er beheben will, allerdings auch selbst erzeugen. Der Kollege wich offen- sichtlich einem Stau aus, den es nicht mehr gab, und stand im Stau, der nur entstand, weil mit ihm viele andere dem Stauwarner blind folgen.

Blind? Die Technik kann nichts dafür. Es liegt an uns. Wir geben immer mehr Entscheidungen an Digital- geräte ab, wir glauben, wir könnten uns so das Denken ersparen. Digitalgeräte aber denken nicht, sie registrie- ren nur die Signale von all den Sensoren, die ein immer dichteres Netz über den Planeten ziehen. Der Stauwar- ner produziert keine Falschmeldung, im Moment sei- ner Durchsage deuten alle Signale auf Stau. Reagieren wir kopflos darauf, ist das nicht seine Schuld. Höchs- tens indirekt: Wir folgen bald in allen Lagen digitalen Anweisungen – und vernachlässigen unser Denktrai- ning, wir verlernen, uns selbst zu orientieren. Die Wir- kung wird messbar: Seit Jahren sinkt der IQ. Je smarter unsere Umwelt, desto bescheidener unsere Schlauheit.

Das liegt auch an der wachsenden Komplexität der Welt. Die lässt unser altes Stammhirn richtig alt ausse- hen gegen flinke Algorithmen. Es schafft es zum Bei- spiel nicht, den Verkehr so zu lenken, dass er einiger- massen fliesst. So dass nur die digitale Lösung bleibt:

den ewigen Störfall Mensch aus dem Verkehr ziehen, weg vom Steuer, weg vom Gaspedal. Algorithmen über- nehmen, Autopiloten, smarte Leitsysteme – gleich wird Mobilität mobil, sicher, ökologisch. Eine Sache nur der Anzahl Sensoren und der Rechenleistung. Bereits heute sind Autos Hochleistungsrechner auf Räder. Es genügt, sie intelligent zu verbinden.

Schöne Aussichten. Es sei denn, wir reagieren be- leidigt, weil wir nur noch Passagiere sind. Wir tippen die Destination ein, werden sicher und zeitig ans Ziel gefahren, unterwegs können wir gamen, auch Whisky trinken – zur Fahrt haben wir nichts zu sagen, wir lassen uns umherkarren wie unmündige Kinder. Fühlt sich das als Entmündigung an? Als angenehme Lizenz zur Infantilisierung? Symptome gibt es genug: Der Drang

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zur sofortigen Wunschbefriedigung durch Online- handel. Rumpelstilzchen-Manieren auf Social Media.

Selfie-Manie …

Die Gretchenfrage: Welche Rolle wollen wir im di- gitalen Wandel spielen? Piloten – oder Passagiere? Am liebsten beides, klar. Wir lieben Freiheit – und Bequem- lichkeit. Die beissen sich aber. Richtig bequem ist es, unmündig zu sein, sagte bereits Kant. Warum sonst kommunizieren wir widerstandslos über Kanäle wie Facebook, obwohl wir dort schamlos über den Tisch gezogen werden, mit Bots, mit algorithmischer Raffi- nesse? Warum machen wir mit im Onlinehandel, der uns mit billigen Tricks zu ungewollten Käufen verleitet?

Offerten zur Freiheit fehlen nicht. Eine Enkelin tourt momentan mit ihrem Freund durch Europa. Sie Bühnentechnikerin, er Gartenarchitekt. Sie wollen die Welt sehen, Leute kennenlernen, ihre Kräfte erproben.

Analog? Keine Chance. Digital unterstützt? Jede Chan- ce – dank Workaway, einer Plattform für Angebote von Gelegenheitsjobs. Von Workawayers wird erwartet, dass sie eine vereinbarte Zeit pro Tag arbeiten – im Aus- tausch für Unterkunft und Verpflegung. Ende Oktober 2020 zogen die beiden los, im November ar beiteten sie im ligurischen Tiglieto, bei Renata und Roberto bauten sie den Dachboden aus, erweiterten die Terrasse. Ab Mitte Dezember auf Sizilien, altes Landgut. Sie brach- ten den Garten in Form, reparierten marode Tore. Lern- ten Italienisch und die Lebensarten, die dazu gehören.

Ein Programm für qualifizierte Landstreicherexis- tenzen? Nach Last-Minute-Manier: Passt es nicht mehr auf Sizilien – ab nach Kalabrien? Ja, und? Workaway ist bestes Training fürs Leben in der multiplen Gesellschaft.

Eine digitale Plattform als Vehikel analoger Lebens- kunst. Der Mensch als Akteur, Informatik als Logistik.

Anderswo verkehrt sich das Verhältnis: Die Magd Technik wirft sich auf zur Hausherrin. Harmloser Fall:

Smart Home. Digitale Steuerung übernimmt die Haus- verwaltung, verriegelt Türen, senkt Storen, regelt Heizung und Licht, füllt den Kühlschrank nach. Wir, frei für Netflix-Serien, werden zu Haustieren von Algorithmen. Im besten Fall wissen wir, wer sie pro- grammiert hat und wie.

In anderen Fällen wissen wir es nicht. Etwa bei di- gitaler Medizin. Gesundheits-Apps sind fraglos nütz- lich, nicht nur für Diabetiker. Sie erfassen Blutdruck, Herzschlag, Gewicht, messen Körpersäfte – und kont- rollieren sie. Nach welchen Kriterien? Ab wann gilt mein Blutdruck als zu hoch, also krank, also therapiebedürf- tig? Das ist schon ein Problem beim Hausarzt, mit ihm aber kann ich reden, er sieht, ob ich kräftig lebe oder schon serble, Blutdruck hin oder her. Bei DocMorris trifft nicht ein kranker Mensch auf einen heilkundigen Menschen. Medizin ist da nicht länger therapeutische Beziehung. Es wird nur gemessen, geklickt, gegoogelt, gezoomt. Die Technik ist gefüttert mit Millionen Daten. Vom Leben hat sie null Ahnung. Von Gesund- heit dito. «Gesund ist, wer wieder tun darf, was ihm schadet.» Karl Kraus. Kapiert Dr. Watson nie.

So angenehm es ist, Entscheidungen auszusiedeln – das Risiko einer Enteignung ist stets dabei.

Zurück zum Online-Dating. Die Vorteile sind evi- dent. Bei eDarling zum Beispiel beantworte ich als Kunde erst 283 Fragen. Daraus wird ein Profil gebastelt.

Bei reichlich «Datenmaterial» fischt der Algorithmus die passendste Person heraus. Falls sie dann analog vor mir steht, sehe ich: die Geliebte on demand, perfekt – ich reibe mir die Augen: Was ich da sehe, bin ich selber.

Mein Bestellzettel. So entsteht passgenaue Paarung.

Gleicher Job, gleiches Hobby, gleicher Geschmack.

Volles Verständnis hin und zurück. Null Reibung, kaum Scheidung.

Verpasst das On-demand-Leben das wirkliche Le- ben? Ein Leben mit Reibung, Drama, Zufall? So etwas braucht Zeit. Wie der alte analoge Flirt in der Bar. Wie- der nichts heute Abend. Doch irgendwann, mit etwas

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Glück und Geschick, passiert eines Abends der Wahn- sinn, auf den ersten Blick nicht mein Wunschzettel, eher zu gross, zu laut. Doch gegen Mitternacht …

Die Macht des Schicksals. Dating-Apps verspre- chen gern Abenteuer. Tatsächlich versichern sie gegen Unsicherheit. Mathematik als erotische Risikominde- rung. Flirt ohne Angst? Es ist die Angst, die uns aus dem Alltag wirft. Menschliche Affären sind kompliziert, man kann sie nicht berechnen. Mit der Annäherung ist es wie mit jedem Fest: Die ungeplanten sind die besten. Glück auf Bestellung? Ich neige eher zu Arthur Schnitzler:

Glück ist, was meine Seele durchrüttelt – nicht bedient.

Das Leben on demand ist die tollste Bedürfnis- bewirtschaftung, die es je gab. Im Stich lässt sie nur Sehnsüchte, die in mir schlummern. Hätte Kolumbus damals ein halbwegs taugliches Navi mitgeführt, wäre er garantiert angekommen, wo er hinwollte – in Indien.

Er war analog unterwegs, hat sich verfahren – und ent- deckte Amerika. Ist das vielleicht unser insgeheimer Traum: Mein Amerika entdecken? Entdecken, nicht fin- den. Das braucht Mut, die Datenstränge zu verlassen.

Ich verfahre mich, also bin ich – Mensch.

Ludwig Hasler (77), studierte Philosophie und Physik, führt ein journalistisch-akade- misches Doppelleben und gehört zu den profiliertesten Denkern der Schweiz. Als Philosoph lehrte er an den Universitäten Bern, Zürich, St. Gallen; als Journalist arbeite- te er bis 2001 bei der Zürcher «Weltwoche».

Seither lebt er als Autor und Referent. In seinem aktuellen Buch «Für ein Alter, das noch was vorhat» (Verlag Rüffer & Rub) plädiert Hasler, im Alter an einer Zukunft mitzuwirken, auch wenn diese nicht mehr die eigene sein wird.

www.ludwighasler.ch

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Der Swiss Life-Experte für Haus und Wohnen

Fabio Egger Verkaufsleiter

Generalagentur Meilen 044 925 39 25

Fabio.Egger@swisslife.ch

«Sind Sie ständig auf allen Kanälen erreich- bar? Finden Sie Ruhe und Entspannung in Ihrem Traumhaus oder in Ihrer Traum- wohnung: Damit Sie vom selbstbe- stimmten Leben im Eigenheim nicht nur träumen.»

«Viele Menschen hegen den grossen Wunsch von Wohneigentum. Für viele bedeutet es Sicherheit. Damit dieser Wunsch in Erfüllung geht, gilt es offene Fragen zu beantworten und vorausschauend zu planen. Wie kann ich effizient auf mein Eigenheim sparen? Wie sieht es mit der Tragbarkeit für das Eigenheim aus?

Wie finanziere ich mein Wunscheigenheim?

Und wo finde ich die passende Hypothek?

Swiss Life unterstützt Sie bei Ihren Plänen mit einer umfassenden Beratung und wertvollen Informationen zum Thema Eigenheim. So dass Ihre Träume vom selbstbestimmten Leben im Eigenheim bald wahr werden.»

swisslife.ch/hausundwohnen

© Urs Jaudas

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Was passiert in einer

Minute online

24 Stunden pro Tag, sieben Tage in der Woche – das Internet macht niemals Pause. In der einen Minute, die Sie mit diesem Artikel verbringen, werden rund 190 Millionen

E-Mails verschickt, beantwortet Google über 4 Millionen Fragen und etwa 1,6 Millionen Mal wischt auf Tinder jemand nach links oder rechts. Wir wünschen Ihnen jetzt eine unterhaltsame Zeit, in der Sie nichts zu diesen Zahlen beitragen (ausser Sie hören gleichzeitig einen Song auf Spotify).

194 444

setzten auf Twitter ihre Tweets ab

4,7

Millionen YouTube-Videos angeschaut

38 052

Stunden Musik auf Spotify gehört

1,1

Millionen Dollar online ausgegeben

© Arbnore Toska

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Was passiert in einer

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© Arbnore Toska

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In meinem Beruf kann ich meine Passion ausleben und technische Innovationen realisieren, so aktuell im Centovalli, wo ich die Seilbahnen Verdasio-Rasa (hier im Bild noch die heutige, alte Bahn) und Intragna-Pila-Costa mit einer technischen Weltneuheit neu bauen darf.

Damit wird nicht nur ein nationales Kulturgut gefördert, sondern werden auch Menschen sicher, wirtschaftlich und umweltfreundlich mit einem faszinierenden Erlebnis befördert.

centovalli.swiss

Reto Canale (66), Centovalli (TI)

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ÖV //

Giorgio von Arb por

trätiert Chauffeusen und Chauf

feure im öffentlichen Verkehr: Sie sorgen dafür, dass Tag für Tag das Leben funktioniert – und manc

hmal auch dafür, dass uns in le

tzter Minute das Tram, der Bus oder die

Seilbahn vor der Nwegfährt. ase

Der tägliche Kontakt mit unterschiedlichsten Passagieren ist das, was mir an meinem Beruf besonders gefällt – man ist am Puls des Lebens, jeder Tag, jede Fahrt ist anders.

Es ist auch dieses Gefühl der Freiheit, das Unterwegssein, das mir behagt – neben der tollen Kameradschaft, die wir in unserem Unternehmen haben.

www.bsu.ch

Patrick Zürcher (50), Lommiswil (SO)

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Das Schöne an meinem Job ist die Abwechslung mit Fahrdienst, Gästebetreuung und den Unterhaltsarbeiten an einer der längsten Standseilbahnen Europas. Die vielfältige Arbeit und der Kontakt mit den Touristen, sei es in der Bahn oder auf unseren Wanderwegen – in dieser zauberhaften Natur ist das etwas ganz Spezielles!

niesen.ch

Felix Stucki (58), Horboden (BE)

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Was mir am meisten gefällt an meinen Job ist das Bewusstsein, für die Genfer Bevölkerung wirklich etwas Sinnvolles zu tun. Aber ich bin mir auch der grossen Verantwortung bewusst, mit meinem Fahrzeug so viele Menschen zu befördern.

Das nehme ich mir sehr zu Herzen. Und ich halte es für ein tolles Privileg, Tag für Tag in der prächtigen Stadt Genf unterwegs zu sein.

www.tpg.ch

Melisa Fazlic (34), Le Grand-Saconnex (GE)

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Sylvio Rechenbach (52), Flims (GR)

Buschauffeur ist mein absoluter Traumjob: Ich bin mein eigener Chef, habe mit vielen Menschen Kontakt und kann dazu erst noch jeden Tag gratis Bus fahren. Manchmal merke ich, wenn ich einem Passagier in letzter Minute davonfahre, aber irgendwann muss ich ja los – und vielleicht bin ich das nächste Mal etwas zu spät, dann reicht’s dann auch für die Nachzügler.

www.churbus.ch

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David Babic (31), Rudolfstetten (ZH)

Ich würde den Beruf Trampilot nochmals wählen. Warum? Es ist ein grosses Privileg, dass ich den Wandel Zürichs Tag für Tag aus der ersten Reihe miterleben darf.

Dabei transportiere ich die unterschiedlichsten Menschen, welche die Vielfalt der Stadt ausmachen.

www.vbz.ch

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«Ich schränke mich etwas

ein, lebe aber besser.»

Text: Yvonne Eckert // Bild: Giorgio von Arb

Gar keinen Abfall mehr zu produzieren, das gelingt auch Danica Jones nicht. Doch die zwei-

fache Mutter setzt sich an vielen Fronten für einen nachhaltigen Konsum ein. Zuletzt gründete sie,

zusammen mit sechs anderen Frauen, einen Laden, dessen Name

Programm ist: «Superethic».

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#1

Unverpacktladen Reis, Pasta, Müesli, Hülsenfrüchte, Mehl, Gewürze, Kaffee und Tee, ja sogar Öl und Reinigungsmittel gibt es auch ohne Verpackung in Läden wie dem «Super- ethic» in Neuenburg.

Diese so genannten Unverpacktläden (siehe auch Seite 36) werden immer beliebter. Trans- portiert werden die Waren in mitgebrachten Weckgläsern, Aludosen und Stoffbeuteln.

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W

enn man Kollapstheoreti- kern zuhört, dann sind wir schon zu spät dran, um gegen die ökologischen Probleme anzukämpfen.

Ich glaube, sie haben recht und wir müssen wirklich etwas tun, jetzt, nicht nur da- rüber reden», sagt Danica Jones mit Nachdruck.

Die Ökonomin, die sich seit fünf Jahren nebenbe- ruflich im Verein ZeroWaste Switzerland engagiert, hat zwar schon in jungen Jahren den Abfall getrennt, «ohne mir aber gross Gedanken darüber zu machen», wie sie sagt. Danicas damaliges Engagement für die Umwelt beschränkte sich nebst Abfalltrennung darauf, der Grossmutter bei der Gartenarbeit zu helfen. Ein Be- wusstsein für Ernährung wurde ihr aber bereits von klein auf mitgegeben. Die Mutter kaufte in Bioläden ein, während der Woche gab es Gemüse und Getreide, Fleisch kam nur am Wochenende auf die Teller.

Abfall an der Quelle reduzieren

Die gesellschaftlichen Veränderungen beginnen beim selbstbestimmten Wandel jedes Einzelnen, davon ist Danica Jones überzeugt. Sie sei früher viel gereist, habe auch in anderen Ländern ihren ökologischen Fussab- druck hinterlassen, aber dann stellte sie sich immer mehr Fragen zu ihrem Konsumverhalten. Die zweifa- che Mutter engagierte sich zunächst in der Politik und wurde 2016 auf ZeroWaste Switzerland aufmerksam, einen gemeinnützigen Verein, der durch seine Aktivi- täten dazu inspiriert, Abfälle an der Quelle zu reduzie- ren. Im selben Jahr liess sie sich bei den Grünliberalen als Kantonsratskandidatin aufstellen und veranstaltete ein Podium zu Zero Waste. Der Event sei gut angekom- men, mit der Wahl klappte es aber nicht. Später wech- selte Danica nach reiflicher Überlegung die Partei.

Mit Ökonomie zu mehr Ökologie

«Die Wirtschaft hilft nicht wirklich dabei, die Umwelt zu verbessern», sagt sie, obwohl es durchaus Parallelen zwischen den beiden Bereichen gebe. «In der Ökono- mie schaut man aufs Geld, versucht, die Ausgaben zu reduzieren. Das ist beim Abfall dasselbe.» Das ökono- mische Modell könne helfen, «grüner zu werden und nachhaltiger zu konsumieren». Wenn bei einem Pro- dukt auch die nicht wiederverwertbare Verpackung in- klusive Herstellung und Entsorgung in die Kostenrech- nung integriert wäre, würde man es aus Kostengründen

nicht mehr produzieren. «Ich möchte beispielsweise, dass Gemüse, das nicht bio produziert wurde und in Plastik verpackt wird, teurer ist als Biogemüse ab dem Bauernhof», sagt Danica Jones.

Um den Konsum von lokalen Gütern anzukur- beln, hat sie mit sechs passionierten Frauen ein Ge- schäft aufgezogen. Momentan ist das Ladenlokal in der Altstadt von Neuenburg noch leer, Danicas Worte hallen durch das alte Gewölbe. Bald aber wird es mit Lebensmitteln gefüllt sein, die grösstenteils von loka- len Produzenten stammen, sowie Getreide, das man in mitgebrachte Behältnisse abfüllen kann. Die Ökono- min hat die Gründung des partizipativen Ladens koordiniert und wird auch in der Aufbauphase des

«Superethic» in verschiedenen Funktionen tätig sein.

Als Mitglied des Komitees wird sie zudem darauf achten, dass die gemeinsam bestimmten Werte einge- halten werden.

Engagement gegen den Frust

Nach ihrer Motivation für ihr grosses Engagement be- fragt, antwortet die umtriebige Frau: «Ich habe viel Energie, vielleicht gar etwas zu viel. Ich muss das, was mir durch den Kopf geht, in irgendeiner Form umset- zen.» Manchmal hat sie Mühe mit unserer Gesellschaft, ist frustriert darüber, wie gewisse Dinge laufen. «Das mag ich nicht, ich will nicht frustriert sein. Deshalb en- gagiere ich mich in der Politik und bei ZeroWaste, um selbstbestimmt etwas verändern zu können.»

Auch ihre Töchter bezieht Danica Jones in ihr En- gagement für die Umwelt mit ein. «Klar, muss ich sie immer mal wieder darauf hinweisen, wenn sie zum Beispiel mit Plastikbechern auftauchen», erzählt die Mutter, aber Ella Gwen, 12, und Effi Maï, 10, seien sich der Problematik bewusst und kommentieren manch- mal gar das Verhalten anderer als nicht ökologisch.

Schon seit einigen Jahren versucht die Vegetarierin möglichst saisonal, lokal und unverpackt einzukau- fen. Im dreiköpfigen Haushalt fallen pro Monat nur noch zwei 35-l-Säcke Abfall an – nur wenig mehr als die 700 Kilogramm, die im Durchschnitt eine Person in der Schweiz an Abfall anhäuft. Dabei hilft auch, dass organischer Abfall kompostiert wird und Danica frisches Gemüse, das nicht gleich auf den Teller kommt, blanchiert und es portionenweise einfriert. So reduziert sie Food Waste und kann auch hors saison mal Zucchetti geniessen. «Im Winter immer Kohl zu essen, ist ja auch etwas langweilig», lacht sie.

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#2

Bambuszahnbürste Auch Zahnbürsten aus natürlichen Materialien müssen nach drei bis vier Monaten ausgewechselt werden. Doch im Gegen- satz zur Plastikvariante bestehen bei der ökologi- schen Alternative Griff, Borsten und Verpackung aus biologisch abbau- baren Stoffen, deren Entsorgung umwelt- freundlich ist.

#5

Lunchbox Über Mittag beim Chinesen etwas Leckeres holen ist praktisch. Praktisch und gut für die Umwelt ist es, dabei die eigene, wiederverwend- bare Lunchbox mitzuneh- men. Damit kann eine Men- ge Plastikmüll eingespart werden. Besonders gut sind Behälter aus Edelstahl oder gleich eine Sandwichbox aus Holz, die hat eine lange Le- bensdauer und ist erst noch biologisch abbaubar.

Wochenmarkt

#3

Frische Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Milch kauft man am besten direkt vom Bauernhof.

Alle, die in der Stadt leben, können auch auf den verschiedenen Wochenmärkten lokal, saisonal und vor allem ohne viel Verpackungs- müll einkaufen. Dort gibt es oft auch frischen Fisch, Käse sowie Fleisch und Würste. Wer es noch nachhaltiger will, bringt zum Einkauf seinen Stoffbeutel mit.

#4

Bienenwachstuch

Eine gute Alternative zu herkömmlicher Frischhalte- oder Alufolie sind wieder- verwendbare Bienenwachs- tücher. Einfach die Lebensmittel damit ein- packen und das Tuch mit warmen Händen gut fest- drücken, dadurch wird die Wachsschicht weich und hält alles sauber und hygienisch frisch.

#6

SmartphoneAuch mit dem Smartphone kann man Abfall sparen.

Pro Jahr landen in der Schweiz rund 1,7 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Das sind 190 Kilo pro Person. Beispielsweise die App «Too good to go» er- möglicht es Gastrobetrieben und Supermärkten, übrig gebliebene Frischware vor Betriebsschluss günstig zu verkaufen.

«Was kann ich für die Umwelt tun?» Diese Frage ist für Danica Jones der erste Schritt zu einem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Und tun kann man wirklich eine Menge, wie unsere sechs Tipps zum Abfallsparen im Alltag beweisen.

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Unverpackt einkaufen:

100 Läden schweizweit helfen beim Abfallsparen

«700 Kilogramm – so viel Abfall häuft jede Schweizerin und jeder Schweizer durchschnittlich pro Jahr an. Für viele ist das viel zu viel.» Kein Wunder, gibt es von Aarau

bis Zürich und von Lausanne bis Lugano immer mehr spezielle Unverpacktläden. Viele

Tipps sowie eine aktuelle Liste aller Einkaufsmöglichkeiten ohne unnötigen Müll

findet man beim gemeinnützigen Verein ZeroWaste Switzerland.

zerowasteswitzerland.ch

Vor fünf Jahren gab es in der Schweiz noch keine Unverpacktläden, inzwischen sind es über 100. Hier kauft man nicht nur mit gutem Gewissen ein, man kommt auch mit Gleichgesinnten ins Gespräch.

Und was kann ich für die Umwelt tun?

Danica achtet auch darauf, dass sie wenig Ein- käufe tätigt. «Ich kaufe selten Kleider, für mich persönlich meist Secondhand, und trage sie, bis es nicht mehr geht.» Auch ihre Töchter haben nur je zwei Paar Schuhe und eine Jacke. «Alles, was zu klein ist, geben wir weiter. Und das, was man nicht mehr tragen kann, verwenden wir dann für ‹Su- perethic›, beispielsweise um Stoffsäcklein daraus zu nähen.» Im Haushalt Jones gibts beinahe kein Plastik mehr, wenn Danica ein Auto braucht, kann sie eines von ihrem Arbeitgeber ausleihen – gegen eine Kilometerpauschale, auch Putzmittel stellt sie selbst her. Und selbstverständlich rezyk- liert sie, was sie kann.

Wer sich die Frage stelle, was er für die Um- welt tun könne, der habe schon den ersten Schritt getan, meint die Ökonomin. Man solle da begin- nen, wo es für einen Sinn mache. «Die erste Idee, die man hat, diejenige, die am einfachsten umzu- setzen ist – das soll man tun.» Menschen aus ih- rem Umfeld, die sich für Danicas Engagement interessieren, gibt sie Tipps, verweist auf Online- Artikel zum Thema, die Website von ZeroWaste und Workshops, die der Verein durchführt. Auch bei ihrem Arbeitgeber, bei dem sie in einem 100-Prozent-Pensum als Controller tätig ist, hat sie die Belegschaft für die Anliegen der Umwelt sensibilisiert. «Wir haben spontan eine Arbeits- gruppe gegründet, weil wir zu viele Kartonbecher und Rührstäbchen verbraucht haben», erzählt sie. «Jetzt haben wir Geschirr angeschafft, das danach abgewaschen wird.»

Nachhaltiger Konsum kann Spass machen Weniger Abfall zu produzieren, verlangt aber auch nach gewissen Einschränkungen. Danica, die gerne von Tag zu Tag lebt, musste lernen, mehr zu planen, zu überlegen, was sie alles mit- nehmen muss, wenn sie aus dem Haus geht; die Trinkflasche, Stoffbeutel für die Einkäufe – Plas- tiksäcklein rührt sie nicht mehr an. «Der Anfang ist schwierig, da braucht es etwas Disziplin, aber nachher wird es zur Gewohnheit», sagt sie mit einem entspannten Lächeln.

Wenn man schaut, wer sich bei ZeroWaste Switzerland engagiert, dann fällt auf, dass es mehrheitlich Frauen sind. Darauf angesprochen meint Danica Jones: «Es sind immer noch die

@Sebastien Agnetti

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Peter Svanotti Verkaufsleiter

Generalagentur Lugano 091 911 99 28

Peter.Svanotti@swisslife.ch Frauen, die sich hauptsächlich um den Haushalt küm-

mern, und deshalb machen sie die ersten Schritte im Be- reich nachhaltiger Konsum.» Sie weiss, dass es keine Wunderlösungen gibt, Veränderungen nicht von heute auf morgen vonstattengehen, aber auch, dass nachhalti- ger Konsum Spass machen kann.

Die 46-Jährige, die gerne in einem Mehrgeneratio- nenhaus leben würde, mit eigener Wohnung, Gemein- schaftsräumen, Garten und Hühnern, ist davon über- zeugt, dass Umweltprobleme auf verschiedenen Ebenen angegangen werden müssen. Sei es im Rahmen von finanziellen Mitteln für Organisationen wie ZeroWaste oder indem auf politischer Ebene Anreize für einen nachhaltigen Konsum geschaffen werden. Sie lebt den nachhaltigen Lebensstil selbstbestimmt und mit viel Freude. «Ich habe diese Entscheidung getroffen. Vorher fühlte ich mich etwas als Sklavin der Gesellschaft, in der ich nicht viel selbst kontrollieren konnte. Klar, gibt es gewisse Einschränkungen, aber ich lebe viel besser so.»

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Danica Jones arbeitet als Controller in Neuenburg, wo sie mit ihren zwei Töchtern auch lebt. Sie engagiert sich für den Verein ZeroWaste Switzerland und in der Politik bei den Grünen.

Zudem ist sie Mitbegründerin des partizipativen Ladens «Superethic».

superethic.ch

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© Kevin Wildhaber

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Remo: «Andi ist sicher der analytischere von uns beiden. Dafür habe ich mehr Geduld. Was wir miteinander teilen, sind der Humor und unsere Leidenschaft für Fussball. Dabei erhielt Andi auch schon eine Gelbe Karte, obwohl ich der Übeltäter war.»

Andi über Remo: Seite 6

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Referenzen

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