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W Ausbruch aus der Einsamkeit

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granat apfel 3|2015

LEBEN & GESUNDHEIT Lebenshilfe

er erinnert sich nicht an solche oder ähnliche Situationen: Viele im Freun- deskreis sind zur Geburtstagsfeier eingeladen, selber hat man keine Einladung bekommen.

Oder im Turnunterricht: Wenn die beiden Teams gewählt wurden, war man immer unter den Letzten, die aufgerufen wurden.

Oder: Gerade als man den Beistand der besten Freundin gebraucht hätte, war sie nicht da.

Jeder Mensch kennt Momente, in denen man sich ausgegrenzt und alleingelassen fühlt.

Die Psychoanalytikerin Rotraud A. Perner spricht von Einsamkeitssituationen, vor denen niemand gefeit ist. In ihrem neuen Buch „Der einsame Mensch“ schreibt sie sogar von der

„Biografie der Einsamkeit“, die dann beginnt, wenn ein Mensch auf die Welt kommt: „Die erste Einsamkeit erleben wir bei unserer Ge- burt, wenn wir vom Mutterleib getrennt wer- den.“ Aber wer gibt schon gerne zu, dass er einsam ist? „Unsere gegenwärtige Gesellschaft steht unter dem Leitbild des stets fitten, um- schwärmten, erfolgreichen ‚Jungen und Schö- nen‘. Wer da nicht hineinpasst, gilt als Versa- ger, mit dem niemand was zu tun haben will, als ob Andersartigkeit ansteckend wäre“, sagt Rotraud A. Perner. Einsamkeit in einer solchen Welt ist unattraktiv und tabuisiert.

Fehlender Beistand macht einsam

Einsamkeit sei nicht dasselbe wie Alleinsein, erklärt die Psychoanalytikerin. „Einsamkeit ist ein Gefühl, Alleinsein eine Tatsache.“ Die ältere verwitwete Frau, die unter dem man-

gelnden Kontakt zu ihren Kindern leidet, ist im überfüllten Wartezimmer des Arztes nicht allein. Aber sie fühlt sich einsam. Ein Mann, der berufsbedingt viel Zeit alleine verbringt, muss sich hingegen keineswegs ausgegrenzt oder einsam fühlen. Das Wissen um die Liebe seiner Ehefrau und um das offene Ohr seiner Freunde lässt ihm das Alleinsein nicht zur Last werden. „Einsamkeit tritt immer dann auf, wenn man dringend Beistand von ande- ren brauchen würde“, erklärt Perner. Wenn ein junger Mensch seinen Eltern enttäuscht vom Scheitern seiner Beziehung erzählt und vom Vater nur ein lapidares „Ich hab es dir ja gleich gesagt“ zu hören bekommt, ist das feh- lender Beistand und die bittere Erfahrung von Einsamkeit. Kranke oder sterbende Menschen bedürfen des Beistands anderer besonders.

Da sein, die Hand halten, streicheln und den Sterbenden so aus dem irdischen ins jenseiti- ge Leben begleiten – so sollten Menschen auf ihrem letzten Weg begleitet werden.

Die Wege aus der Einsamkeit beschreibt Rotraud A. Perner erstaunlich unsentimental und nüchtern. Ihre Devise: Nicht warten, bis jemand kommt, der einen aus dem Sumpf von Einsamkeit herausholt, sondern selber Schritte setzen. „Der Anspruch, jemand soll sich um einen kümmern, ist der Anspruch des Babys, und bei dem passt er auch.“ Vor allem ältere Menschen würden dazu neigen, auf diesen Zustand von Hilflosigkeit wieder zurückzufallen. Sie klagen und jammern, damit sie von anderen emotional versorgt

Einsamkeit schmeckt bitter. Niemand ist gerne einsam, und doch kennt jeder Momente, in denen er sich alleingelassen und ausgegrenzt fühlt.

Neugierde, Wagemut und Humor können den Weg aus der Einsamkeit bahnen, sagt die Psychoanalytikerin Rotraud A. Perner.

TEXT: SANDRA LOBNIG

Ausbruch aus der Einsamkeit

W

Prof. Rotraud A.

Perner ist Juristin, Psychoanalytikerin und evangelische Theologin und als Supervisorin und Strategischer Coach tätig. Sie leitet das Institut für Stressprophylaxe

& Salutogenese und unterrichtet Gesundheits- kommunikation und Gewaltprävention an mehreren Universitäten.

Internet:

www.perner.info

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Fotos: z. V. g., contrastwerkstatt/Fotolia.com

Lebenshilfe

Nicht warten, bis jemand kommt, der einen aus dem Sumpf von Einsamkeit herausholt, sondern selber Schritte setzen.

zu bewahren. Was viele nicht wissen, sei, dass es von ihnen abhängt, ob sie sich statt einsam auch neugierig, offen, hoffnungsvoll oder freudig fühlen können.

Liebe kann man nicht bestellen

Statt sich in Einsamkeitsgefühle hineinzu- steigern, rät Perner, bewusst in Beziehung zu treten, „zur Natur, zur Kunst, aber auch zu anderen Menschen, mit denen man Lebens- erfahrungen austauschen kann“. Wer sich nach Intimität und Zweisamkeit mit einer an- deren Person sehnt, müsse sich bewusst sein, dass man Liebe nicht bestellen kann. „Man kann nur selbst liebenswert sein, und das braucht inneren Einklang mit sich selbst.“

Auch wenn Rotraud A. Perner davor warnt, das eigene seelische Gleichgewicht von an- deren abhängig zu machen, unterstreicht sie, wie hilfreich es sein kann, andere Menschen um Hilfe zu bitten. Denn es sei nicht immer einfach, die Gefühle von Einsamkeit, die zu schaffen machen, alleine zu verändern. Ohne Angst zu haben, zur Last zu fallen, könnte man fragen: An wen kann ich mich in meiner Not wenden? Wie haben andere ähnliche Si- tuationen bewältigt? Ein erster Schritt könnte sein, die eigenen Gefühle mitzuteilen und zu sagen, wie es einem geht – ganz ohne Vor- würfe und Erwartung, dass die anderen das Problem lösen.

Einsamkeit habe allerdings nicht nur nega- tive Seiten, sagt Perner. „Einsamkeit – Ruhe, Stille, Besinnung – ist Voraussetzung für den Weg in die eigene Tiefe, zur Herzöffnung und zu Gott.“ Im Grunde seien Menschen, die an Gott glauben, nie allein. „Gläubige Menschen können ihr So-sein immer vor Gott bringen“, so Perner, die selbst gläubige Christin ist. „Sie haben ein stets ansprechbares ‚Du‘, und wenn sie ihr Herz öffnen, spüren sie auch das, was wir als Gottes Antwort bezeichnen.“

«

werden – ein Weg aus der Einsamkeit sei das aber nicht. Die Witwe, die sich mehr Kontakt zu ihren Kindern wünscht, fordert diesen vielleicht lautstark ein, indem sie ihre Kinder drängt und ihnen Vorwürfe und Schuldge- fühle macht. Sie erwartet und verlangt von ihren Kindern, ihre eigene Situation zu ver- ändern. Doch auch wenn die Kinder regel- mäßig auf Besuch kommen: Solange sie sich nicht grundsätzlich mit Neugierde für die Welt rundherum öffnet, wird es ihr weiterhin schlecht gehen. „Es ist wichtig, selbst aktiv zu werden, neugierig, wagemutig zu sein“, betont Perner. Mit Frust oder Rückzug zu re- agieren, wenn es nicht immer so klappt wie man es sich vorgestellt hat, sei kontrapro- duktiv. Humor hingegen helfe, sich Offenheit

Rotraud A.

Perner: Der einsame Mensch.

Amalthea- Signum, 246 Seiten, € 22,95

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