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STUDIEN UND
MITTE I LUNGEN
ZUR GESCHICHTE DES
. BENEDIKTINERORDENS
UND SEINER ZWEIGE
HERAUSGEGEBEN VON DER BAYERISCHEN BENEDIKTINERAKADEMIE
DER GANZEN REIHE BAND 51 1933
MICINCHEN 1933
KOMMISSIONSVERLAG R. OLDENBOURG
Nochmals der Tassilokelch von Kremsmünster.
Von f pr. P. Theophilus Dorn OSB, Subprior und Bibliothekar, Krems- münster.
Unter allen Klöstern, die dem letzten Agilolfinger-Herzog Tassilo IlI. von Bayern ihren Ursprung verdanken, war Krems-
münster seine Lieblingsstiftung. Kein anderes Kloster hat er so reich begabt wie dieses; er konnte in der Stiftungsurkunde
mit Recht sagen, er habe sein Möglichstes getan (tradidi quod potui). 1 Außer den großen Landschenkungen konnte und kann sich Kremsmünster auch noch eines anderen Geschenkes
rühmen, das es aus der Hand des gütigen Stifters empfangen hat, nämlich des sog. Stifterbechers oder Tassilokelches, dessen Wert und Bedeutung die neuere Kunstarchäologie voll zu
würdigen versteht.
In der reichen Literatur über dieses Kunstwerk findet sich auch nicht ein Beispiel, daß man dem Kloster Krems-
münster den ständigen Besitz dieses Kleinods streitig gemacht hätte. Erst in der allerletzten Zeit wurde in dem Aufsatz dieser Zeitschrift aus der Feder des Schriftleiters P. Ro muald
Bauerreiß
Der Tassilokelch und seine Inschriften" (50. Bd.
III. Heft, S. 508ff. ) die Vermutung ausgesprochen, der Tassilo- kelch sei ursprünglich ein Geschenk an Niedernburg (Passau) und befinde sich sozusagen per nefas in Kremsmünster. Es ist gewiß berechtigt, die Gründe dieser Behauptung zu erforschen
und auf ihre Stichhaltigkeit zu untersuchen.
Der Verfasser geht aus von den Niellobildern am Fuße des Tassilokelches. Er kommt (im Gegensatze zu Alax Fast- linger) auf eigenen Wegen zu einer Erklärung derselben, wie sie schon seit alter Zeit mit einigen Änderungen in Kremsmünster aufgefaßt wurden. 2 Die Lieblingsheiligen Tassilos (T. Al. - Ti-
burtius Martyr, P. T. = Pantaleon Thaumaturgus) bringt P.
Bauerreiß auch in Beziehung zu seinen Klosterstiftungen.
Da nun St. Pantaleon auch Patron von Niedernburg in Passau war, spricht er die Vermutung aus, der Kelch sei ursprünglich für Niedernburg bestimmt gewesen. Diese Annahme erklärt
1 Hagn Theod., Urkundenbuch Nr. I.
z Stingeder Raph., Die Stiftskirche v. Kr. Linz 1877.
Nochmals der Tassilokelch von Kremsmünster. 51 sich aus der besonderen Vorliebe des Verfassers für Passau.
Doch ist damit nicht der geringste Beweis erbracht, denn mit dem gleichen Rechte könnte man den Kelch für Pfaffmünster in Anspruch nehmen, weil sich auch St. Tiburtius Martyr,
der Patron dieses Klosters, auf dem Kelche dargestellt findet.
Wenn ferner der Verfasser den Kelch als Profeß-Votuni an Niedernburg ansieht, so ergäbe sich daraus das Undenkbare, daß Tassilo in ein Frauenkloster eingetreten oder besser ver- wiesen worden sei. Man betrachte ferner die Lage des Herzogs
nach seinem Sturzei Tassilo war auf dem Reichstag zu Ingel- heim von seinen eigenen Untertanen angeklagt und zum Tode verurteilt worden, wurde aber von Karl d. Gr. samt seinem Sonne Theodo zur Verbannung in ein Kloster begnadigt. Er hätte sich auf dem sog. Profeßgeschenk unmöglich noch als Dux fortis" bezeichnen können. Außerdem weiß kein Ge- schichtsschreiber weder aus alter noch aus neuer Zeit über den Aufenthalt Tassilos in Niederburg etwas zu berichten. Die
Gleichung: Lorsch (Lauresheim) = Lorch (Laureacum)
Passau (Niedernburg) hat noch so viele historische Unbekannte, = daß von einer endgültigen Lösung nicht gesprochen werden kann. Unser Bernardus Noricus, der doch größtes Interesse und auch beste Gelegenheit Matte, über Leben und Tod unseres
Stifters das Richtige zu erfahren, schreibt:
Tassilo 11Monasterium Lorischaim cum filio, quem Adrianus Papa baptizaverat,
ingreditur et ibidem fine optinio requiescit. "3
Ebenso schreibt einer der besten Kenner bayerischer Ge- schichte S. von Riezler in der Allg. Deutschen Biographie:
Karl d. Gr. begnadigte Tassilo zur Verbannung in ein I<loster4;
in St. Goar wurde er am 6. Juli eingekleidet; ein Aufenthalt, den der Unglückliche bald mit dem Kloster Jumieges unterhalb
Rouen und später mit Lorsch bei Worms vertauschte. Seine Familie ward auseinandergerissen und in verschiedene Klöster gesteckt. " (37. Bd., S. 409. ) Die Behauptung, der Tassilo- kelch sei ursprünglich ein Weihegeschenk an Niedernburg gewesen, halte ich darum für ganz unbegründet.
Fragen wir nun, welche Beweisgründe der Verfasser für das Bedenken anführen kann, daß der Tassilokelch sich sozu- sagen per nefas in Kremsmünster befinde". Er spricht nur
von einem argumentum ex silentio. Es müsse auffallen, sagt er, daß die kremsmünsterische Hausgeschichte von dem schönen
Geschenke keine Silbe erwähnt, daß nirgends in der gesamten älteren kremsmünsterischen Geschichte, auch nicht im Nekro-
3 Bern. Nor. Cat. Abb. f. 20 v. Ordo duc. Naw. MG SS. 25,660 (48).
Allg. Deutsche Biographie, Artikel Tassilo, Bd. 37, S. 409. Siehe auch Mühlbacher Englbert, Deutsche Geschichte unter den Karolingern, S. 175.
4"
52 fi Dr. P. Theophilus Dorn OSB.
log, davon die Rede sei. Dem ist aber nicht so! Wir haben in unserem Bernardus N., der uni das Jahr 1300 hier seine Werke schrieb, eine klare und sichere Angabe, daß
unser Stifter uns dieses kostbare Geschenk gewidmet hat, und daß es bei uns von jeher mit großer Ehrfurcht (in sacrario) aufbewahrt wurde. Er schreibt in der Historia eccle- siae Cremsmunstrensis, Abteilung de monachicis institutis fol- gendes:
Vas quoque cupreum scelaturis (caelaturis) insigne ex auro et argento, ad modum vasis Karolo missi cum epistola praenotata, eminam (heminam) pt credimus, capientem in ventre pariter et in pede, nobis praeparari fecit, in quo mensuram poculi mane et vespere designavit. Quod usque in praesen- tem diem in sacrario conservatur. "s
Mit diesen Worten wird unser Stifterbecher deutlich be- schrieben. Er ist ein Gefäß aus Rotkupfer bedeckt von Silber-
blech und mit Gold und Niello verziert". " Die Ornamente, nut denen der ganze Kelch überzogen ist, sind tief in das Kupfer nach Art des Keilschnittes eingegraben und vergoldet. Sie bilden Riemengeflechte und sich durchschlingende, bandförmige Tiergestalten, größere und kleinere Palmetten, am Nodus sich
durchschneidende Kreise, mit Halbedelsteinen verziert. Das Gefäß hat mit seinem hohlen, trichterförmigen, einem unige- stürzten Becher gleichenden Fuß (capientem in ventre pariter
et in pede) eine etwas plumpe, pumpenförmige Gestalt. 111 dieser Form erschien es schon im 14. Jahrhundert als etwas
fremdartig. Man erkannte nicht mehr seine kirchliche Bestim- mung. Die Form der Kelche hatte seither eine andere Ent- wicklung genommen, die von der ältesten (Becherforin) be- deutend abwich. Daher war sich Bernardus Noricus nicht mehr
klar über die Verwendung. Er vermutete darunter eine Heniina, das Maß für den täglichen Trunk eines Mönches nach der
Regel des hI. Benedikt. Doch war er sich nicht ganz sicher in seiner Annahme: heminam ut credimus. Wie Bernardus ini
Anfange des 14. Jahrhunderts hat man auch später infolge der geringen archäologischen Kenntnisse diesem Gefäße eine solche Verwendung zugeschrieben. Man nannte es deshalb
Stifterbecher" und alljährlich wurde am Todestage Tassilos (11. Dezember, Stiftertag) daraus die
Minne des Stifters" ge- trunken. ' Das blieb so bis in die neueste Zeit.
Als aber im Jahre 1857 Franz Bock, ein hervorragender Kunsthistoriker, nach Kremsmünster kam, bezeichnete er mit voller Sicherheit den Becher als kirchliches Gefäß und nannte
ihn Tassilo-Kelcli".
b MG. SS. 25.643 (50).
6 Creutz Max, Geschichte der Metallkunst, S. 77.
Der Brauch fand nach den Publikationen des Fr. Bock ein Ende.
Nochmals der Tassilokelch von Kremsmünster. 53
In den Mitteilungen der k. k. Centralkommission zur Er- forschung und Erhaltung der Baudenkmale, herausgegeben von Karl Freiherrn von Czörnig, 11. Bd., S. 247, gab er davon kurze Nachricht. Im IV. Bd., S. 6 ff., lieferte er unter dem Titel:
Frühkarolingische Kirchengeräthe in Kremsmünster"
eine eingehende Beschreibung. jetzt entstand ein wissenschaft- licher Streit. Die ältere Generation unseres Hauses hält an der
Hemina fest und sprach nur vom Stifterbecher". P. Beda Piringer, Gymnasialdirektor, setzte sich auch in einem Aufsatz der Mitteilungen der Centralkommission nochmals mit allem
Eifer, wenn auch vergeblich, dafür ein (Bd. IV, S. 169 Der Tassilokelch nochmals"). Die jüngeren Kunsthistoriker stimm- ten jedoch mit Fr. Bock überein und nannten das Gefäß Kelch". Die modernen Archäologen und ihre neuesten For- Tassilo- schungen haben die kirchliche Bestimmung außer jeden Zweifel gestellt.
Soviel geht aus dem Gesagten hervor, daß Bernardus Noricus unseren Tassilokelch als Geschenk unseres Stifters bezeichnet, wenn er ihn auch freilich nicht mehr als Kelch, sondern, wohl mit einer gewissen Unsicherheit, als Hemina auffaßt. Schon zu seiner Zeit galt er als uraltes Geschenk unseres Gründers an unser Haus (n obis praeparari fecit).
Wenn dieser Kelch nicht in Urkunden oder iin Nekrologium erwähnt wird, so muß man bedenken, daß neben dem wert- vollen Grundbesitz und reichen Meßstiftungen der Kelch immer- hin nicht so besonders hervortrat. $ Erst die neueste Zeit hat die Seltenheit dieses Kunstwerkes sowie Wert und Bedeutung für die Gegenwart richtig einzuschätzen verstanden.
Wenn der Verfasser im vorausgehenden Heft die Möglich- keit einer Abwanderung dieses Kunstwerkes von Niedernburg nach Kremsmünster in die Zeit von 1300-1500 verlegen will, so ist zu bemerken, daß Bernardus Noricus gerade zu dieser Zeit das jahrhundertelange Vorhandensein in Kremsmünster bezeugt und. außerdem erzählt, daß damals manche Schätze von Kremsmünster nach Passau, und nicht umgekehrt, ab- gewandert seien. Al. G. SS. 25.648 (10 ff. ).
Das Münster an der Krems, Tassilos Lieblingsstiftung, kann sich also seit seinem Bestande mit Recht dieses wertvollen
Geschenkes aus der Hand des Stifters rühmen und wird es hochhalten und ehrfurchtsvoll aufbewahren, solange es bestehen wird.
s So z. B. wurde bei der Silbereinlieferung unter Kaiser Josef 11. der- selbe samt den Leuchtern auf 5 fl. eingeschätzt (als altes Kupfer) und ent-
ging so der Einlieferung.
54 P. Romwald Bauerreiß OSB.
Nachwort.
Der Aufsatz und meine Erwiderung waren längst gesetzt als V. P. Theophil Dorn am 28. Alärz dorthin entrückt wurde, wo all unsere Erdenfragen, die großen wie die kleinen, gelöst
sind. In der Annahme, daß die lieben Kremsmünster Atit- brüder die Anschauungen ihres Hauses und ihres geschätzten
verstorbenen Bibliothekars weiterführen, lasse ich das schon gedruckte Nachwort folgen.
1. V. P. Subprior Theophil muß ich zunächst danken für
Beibringung des Zitates aus dem sog. Bernardus Noricus (AMGSS.
XXV, 643), das mir, da es an entlegener Stelle, in dem Kapitel De monachis institutis" nebenbei erwähnt wird, entgangen war. Ich habe eine Erwähnung des Kelches, der doch wegen seiner deutlichen Schenkerinschrift schon den Alten nicht be- langlos erscheinen konnte, vergeblich in dem Inventar des
Reformabtes Sigmar (ebd., S. 669) gesucht. Auch ich möchte das von Bernardus beschriebene Gefäß auf den Tassilokelch beziehen. Die Stelle beweist aber nur - nicht mehr und nicht weniger -, daß der Kelch um 1300 in Kremsmünster war.
2. Bei der Untersuchung des Tassilokelches war es mir übrigens zunächst nur um eine sichere Lösung der umstrittenen Abkürzungen bei den Kelchbildern zu tun, uni so ein bißchen tiefer in die Kultgeschichte einer frühen und quellenarmen
Zeit einzudringen. Daß der Kelch zu Niedernburg in Beziehung steht, habe ich ausdrücklich nur als Vermutung ausgesprochen.
Von Beweisgründen" habe ich niemals geredet. Die Beziehung zu Niedernburg ergab sich einmal aus der auffallenden Anbrin- gung des Nebenpatrons des Klosters Niedernburg auf dem Kelch,
S. Pantaleon, ferner aus den engen Beziehungen Tassilos zu dem genannten Kloster.
3. Mag Kremsmünster immerhin die Lieblingsstiftung des letzten Agilolfingers genannt werden, ich bleibe entschieden stellen auf den engen Beziehungen Tassilos auch zu Niedern-
burg-Passau. Der Herr Verfasser geht aber meiner Behaup- tung, daß Niedernburg die Begräbnisstätte Tassilos sei, mit einem allgemeinen Satz aus dem Wege. Unrichtig ist die Be- hauptung, daß keine Quelle der früheren oder späteren Zeit von einem Aufenthalt Tassilos in Niedernburg etwas erwähne;
richtig ist, daß keine Quelle der Karolingerzeit davon berichtet, so wenig wie sie aber auch von einem Aufenthalt
in Lorsch etwas zu sagen weiß! Dagegen bitte ich meinen Aufsatz (Band 49, S. 99) nachzulesen, in dem eine bisher unbeachtete Quelle des 18. Jahrhunderts, die sich aber in ihrer Eigenart als keine späte Erfindung ausweist, deut- lich von einem Begräbnis Tassilos in Niedernburg spricht.
Nachwort. 55
Und dieser Autor war sicher nicht von meinen Untersuchungen beeinflußt". Aber auch die älteste Quelle, die von einem Aufenthalt in Laureacum berichtet, spricht mit unverkennbarer
Deutlichkeit von dem Kloster in Laureacum (Lorsch = Passau):
Rex Carolus
.. in monasterio Laureacensi, quod ipse construxerat (! ), eum monachicum habitum assumere ...
permisit. " Karl hat Lorsch so wenig gegründet wie Tassilö.
Und wenngleich Karl grammatikalisch genommen Subjekt ist, der Nebensatz gewinnt erst dadurch einen Sinn, daß Tassilo als Stifter des monasterium Laureacense angenommen wird.
Otto von Freising wollte eben das Tragische oder auch die Huld des Königs (T. durfte sich in ein selbstgegründetes
Kloster zurückziehen) darstellen. Ich gebe daher meine durch die spätere Niedernburger Überlieferung bestätigte Behauptung erst auf, wenn ein früheres widersprechendes Zeugnis als Otto von Freising beigebracht wird.
4. Daß Niedernburg von Anfang ah ein Frauenkloster gewesen sei, läßt sich in keiner Weise behaupten.
5. Bei aller Hochschätzung S. v. Riezlers als Altmeister bayerischer Geschichte steht ein großer Teil seiner Ansichten aus dem Gebiet frühbayerischer Geschichte selbst in der zweiten Auflage des ersten Bandes seiner Geschichte Baierns" keines- wegs auf der Höhe heutiger Forschung und Quellenkritik.
Das kann natürlich kein Vorwurf sein, sondern nur die unaus- bleibliche Folge der rasch fortschreitenden Forschung in unserer Zeit. Völlig belanglos ist mir natürlich ein Artikel Riezlers in der ADB über Tassilo, d. h. aus dem Jahr 1894 (! ): Wer auf Quellen
baut, kann ja ohnehin auf einen guten Teil der Literatur ver- zichten. Der tiefere Gedanke der Untersuchung über Tassilos
Grab war ja ohnedies auf die Unzuverlässigkeit der Quellen, auf das Moment des Mißverständnisses und die Hartnäckigkeit
manches Irrtums hinzuweisen.
München. P. Romuald Bauerreiß, OSB.