• Keine Ergebnisse gefunden

"Von einem Augenblick zum andern ist alles anders"

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie ""Von einem Augenblick zum andern ist alles anders""

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Polizistenmorde

"Von einem Augenblick zum andern ist alles anders"

Von Burkhard Müller

"Von einem Augenblick zum andern ist alles anders ..." Ich habe diesen Satz eines Kollegen aus dem Wach- und Wechseldienst noch im Ohr, und ich konnte ihn so gut verstehen, macht er doch Dienst in der Polizeiwache Datteln: "Von einem Augenblick zum andern ist alles anders ..."

Ich glaube, dieser Kollege in Datteln hat das auf den Punkt gebracht, was viele in diesen Tagen nach den Morden von Dortmund und Waltrop empfunden haben: Wie kleinlich und überflüssig ist auf einmal mancher Streit um Beurteilung und Beförderung, wie unwichtig sind all die alltäglichen Fragen, die aus einem "Miteinander" vielerorts ein "Nebeneinander" und da und dort auch ein "Gegeneinander" haben werden lassen. Nicht nur bei uns in der Polizei - aber eben auch bei uns in der Polizei. Sind das wirklich die wichtigen Fragen, die uns viel zu oft beschäftigen und sogar streiten lassen?

"Von einem Augenblick zum andern ist alles anders ..." das ist ganz sicherlich auch ein Satz der Angehörigen - und dieser Satz tut entsetzlich weh. Keine Macht der Welt gibt ihnen ihre Ehefrau, ihren Ehemann, die Mama, den Papa, die Tochter, den Sohn wieder. Für das, was sie von einem

Augenblick zum andern verloren haben, für das, was sie erleben, nein erleiden mussten und müssen, dafür gibt es keinen "Schadensersatz" - auch wenn wir vielleicht die materiellen Folgen zusammen lindern können.

"Von einem Augenblick zum andern ist alles anders ..."

Die Polizei in unserer Behörde, ja die Polizei in unserem Land hielt den Atem an - am Montag danach.

Das war zu spüren in Dortmund, das war mit Händen zu greifen in Selm-Bork: "Von einem Augenblick zum andern ist alles anders ..."

Da standen Kollegen an der Mahnwache in Waltrop, die sich ihrer Tränen nicht schämten. Da gab es keinen mehr, der den anderen als "Weichei" belächelte, keinen mehr, der den harten Sheriff mimte.

Ja, von einem Augenblick zum andern ist alles anders ...

Berufliche Routine wich der Erkenntnis, worum es geht, worum es auch im kleinen, banalen Einsatz und Tagesgeschäft geht: Es geht darum, den Kopf hinhalten zu müssen. Für unsere Gesellschaft, für unseren Staat, für das, was wir gemeinsam für schützenswert und erhaltenswert halten.

Es geht darum, den Kopf hinhalten zu müssen. Und eben auch für den Kollegen, die Kollegin. Und der Kollege, die Kollegin tut das auch, und zwar für mich.

Für den anderen da sein - darum geht es.

"Soll ich meines Bruders Hüter sein" - so fragte die Marler Pfarrerin Heike Hilgendiek in einer Zeitungskolumne wenige Tage nach Dortmund und Waltrop.

Ja, du sollst - und nicht nur im Großen, sondern auch im täglichen Kleinen.

Den Kopf hinhalten - das fängt damit an,

(2)

dass Du Ohren hast für den anderen und seine Sorgen,

dass Du Augen hast und nicht übersiehst, wo es jemand schlecht geht direkt neben Dir, dass Du einen Mund hast und fragen kannst und sollst: "Was kann ich für Dich tun?"

"Wir achten mehr aufeinander als vorher ...", so sagte der Kollege in Datteln.

Mehr auf sich selbst, auf den Kollegen, die Kollegin zu achten.

Viele sehen das viel zu oberflächlich und einseitig.

Da wird es Fortbildungen geben, neue und andere Techniken - einfach alles zum Thema Eigensicherung, das alles wird kommen. Und das ist ja auch alles gut, richtig, sinnvoll.

Und andere fordern eine Amerikanisierung der Polizeiarbeit. Ob das für uns gut, richtig und sinnvoll ist - das weiß ich nicht, sterben doch drüben auf der anderen Seite des Atlantiks zehnmal so viele Kollegen im Dienst durch Schusswaffen.

Ob noch mehr von uns so wie der Kollege in Datteln daran denken, dass "Eigensicherung" viel mehr ist, als die eigene Haut zu schützen und zu retten? Ob es auf jeder Wache, in jeder Dienstgruppe, in jedem Kommisariat wenigstens einen gibt, der sich und die anderen fragt: "Was tut ihr eigentlich für eure Psyche, für euer Inneres, ja für eure Seelen?"

Als Polizeipfarrer ist man ja auch Unterrichtender im Fach "Berufsethik". Berufsethik - das klingt erst mal so trocken und lebensfern, insbesondere, wenn man schlechte Erfahrungen mit diesem "Fach"

gemacht hat.

Dabei geht es in der Berufsethik genau um die Frage: Was zählt, wofür stehe ich, und worauf kann ich mich verlassen? Woran halte ich mich, und was hält mich?

"Von einem Augenblick zum andern ist alles anders ..."

"Von diesem Augenblick an muss sich manches ändern ..." So klingt derselbe Satz aus dem Mund der reinen Praktiker. Aber ist das wirklich noch derselbe Satz?

Sicher, da gibt es berechtigte Forderungen an Politik, was Ausrüstung, Ausbildung und auch Personalstärken angeht. Aber hat sich genug geändert, wenn diese so berechtigten (weil

selbstverständlichen und darum auch selbstverständlich zu erfüllenden!) Forderungen erfüllt sind? Ist dann sozusagen "alles wieder gut"?

Der Mord in Hessen - auch bei einem scheinbar alltäglichen Einsatz - gibt die deutliche Antwort: Nein.

Und zum Schluss gibt es Leute, die sagen: "Wir müssen zurückfinden zur Normalität!"

Nein, habe ich gedacht, genau das müssen wir nicht.

Das kommt von ganz alleine, und wahrscheinlich kommt es wieder viel zu schnell. Irgendwann ist alles wieder normal.

"Ein ehrendes Andenken bewahren ..." - so hieß es mehr als einmal in diesen Tagen. Wenn wir unserer erschossenen Kollegin, unseren erschossenen Kollegen eines schuldig sind, dann das: Dass es nicht mehr so ist wie vorher - und dass manches anders wird, auch bei uns, und das nicht nur für den Augenblick.

(3)

Der Autor

Burkhard Müller arbeitet als Polizeipfarrer im Nebenamt (im Hauptberuf ist er Gemeindepfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Herten-Disteln) in der KPB Recklinghausen und als Lehrbeauftragter für Berufsethik am PIA Selm-Bork.

(aus DEUTSCHE POLIZEI 8/2000)

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

„Dann leben wir eben eine Weile von meinem Geld.“ Olli schloss Schubert in die Arme und gab ihm einen Kuss?. Olli arbeitete in

Man kann das Fürwort „das“ auch durch „dieses“, „dies“, „welches“ oder..

Seit 2016 fördert OSRAM das Deutsche Rote Kreuz – und seinen zukunftsweisenden und innovativen Ansatz für vorausschauende humanitäre Hilfe bei

dass du so großartig durchhältst, dass du so geduldig mit mir bist, dass ich auch von dir lernen kann, dass wir miteinander lachen können, dass du mich so nimmst, wie ich

Für den Fall, dass ich meine Wünsche nicht mehr selbst äußern kann, habe

Alisa Altgeld, Pia Doll, Marie Simon und Maren Wobser Seite | 32 Die Ergotherapie ist eine dieser Disziplinen und kann in der therapeutischen Arbeit mit Kindern

Es diskutiert Kreativität als gesellschaftliches Thema und bietet kreativen, engagierten Menschen eine Bühne für ihre Ideen und Visionen zur Zukunft Tirols und des

§ 45 SGB V besteht der Anspruch auf Vergü- tung für die Dauer von 10 Tagen, und nur wenn das Kind noch keine 12 Jahre alt ist. Außerdem besteht gemäß § 45 SGB V ein Anspruch auf