Melupum.
Von Eberhard Nestle.
In Nr. 12 des Wöchentlichen Verzeichnisses der erschienenen
und der vorbereiteten Neuigkeiten des deutschen Buchhandels vom
24. März d. J. las ich unter Sprach- und Literaturwissenschaft
angekündigt :
Adler, Vorscb.-Lehr., N.: Hebräische Buchstabenbilder. (30 Bl.)
40. Fürth, G. Rosenberg in Komm., '04. In Leinw. Mappe
9.60; m. Die Renaissance des alten hebr. Lese-Unterrichts.
10.50.
, Die Renaissance des alten hebräischen Lese-Unterrichts
im Lichte der modernen Methodik. Eine didakt. Studie.
(31 S. mit 4 lithogr. Abbildungen.) gr. 8». Ebd. ('04). —.90.
Ich verschaffte mir das Werk, fand aber, daß es für die Zwecke,
die ich durch dasselbe zu fördem hoffte, eine gute hebräische
Schrift einzuüben, gar nicht dient. Es sind Bilder, welche den
ersten kleinen ABC-Schützen das Erlernen der Buchstabennamen
und -formen erleichtem sollen. Gibt es kein Bild, fragte sich der
Verfasser, das Laut, Name und Form des Buchstabens zugleich
vergegenwärtigt. „Tch hielt beim Pasach und suchte nach einem
Bilde , durch welches der horizontale Strich , das Lautsymbol
des Pasachs, gleichzeitig mit dem Laut selbst dem Ge¬
dächtnis der Kinder gesichert werden könnte. Wie ein Lichtstreif
fiel im nächsten Augenblick der Gedanke auf meinen dunklen me¬
thodischen Weg: Dieser Strich des Pasachs ist selbst ein Bild,
das einfachste und natürlichste Bild, das für den a-Laut gewählt
werden kann, nämlich eine skizzenhafte Darstellung der Mundöffnung
beim Bilden und Sprechen dieses Lautes." So zeichnete er also
den Kopf eines Judenmädchens mit breit geöffnetem Munde für
das Pasach, ebenso für das Chi rik den eines Judenknaben, der
den Mund zum Pfeifen spitzt; beim Segol ein Gesicht, das auf
Weinen gestimmt ist; die 2 Augen mit dem Mund vertreten die
drei Punkte des Segol; beim Komoz schreit ein als Kutscher an¬
gedeuteter Junge oh! Ähnlich ist es bei den Konsonanten. Kaf
ist als (Hemden-)Kragen gezeichnet und das Dagesch in der Mitte
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598 Nestle, Melupum.
das dazu gehörige Knöpfchen, Lamed ein Leuchter, Schin ein
Schiff u. s. w. Ich würde auf die ganze Sache , die für meinen
Unterricht wertlos ist, schon weil sie auf das Schwa mit seinen
Zusammensetzungen gar keine Rücksicht nimmt, nicht zu reden
kommen, wenn nicht die Namen, die der Verf. den Buchstaben
gibt, wissenschaftliche Fragen nahe legten. Er schreibt sie :
Pasacb, ZiSre, Segol, Chirit Komoz, Schuruk, Melupum,
Chaulom.
Oleph, Ajin, B6s und Wös, Gimmel, Ballet, He, Wow, Sojin,
Tes, Jud, Kaf und Chaf, Lamed, Mem, Nun, Samech, P6 und
Phe, Zadi, Kuw, Res, Schin-Sin (mit Recht in dieser Ordnung;
beim Sin stehe der Punkt über dem Teil des Buchstabens, der
eigentlich ein Sojin sei), Tow-Sow.
Ich habe nicht verfolgt, ob sie auch in andern jüdischen
Lehrbüchern so geschrieben werden ; wohl aber habe ich die wissen¬
schaftlichen Grammatiken der Christenheit nachgeschlagen, wieweit
sie über den Vokal Melupum Auskunft geben, und bin dabei
wieder einmal auf seltsame Dinge gestoßen. Daß die kleinen land¬
läufigen Grammatiken von Alting bis Steuernagel nichts geben
würden, überraschte mich nicht. Ich vergUch Alting, Baltzer,
Bickell, Bissen, Danz, Dreher, Hollenberg, Kihn-
Schilling, Mezger, A. Müller, Nägelsbach, Stein¬
weeg, Steuernagel, Stier, Strack, Vosen-Kaulen,
Wintergerst.
Aber auch von den größeren ließen Ewald, Gesenius-
Kautzsch, König, Olshausen mich völlig im Stich.
Bei Stade (1879) liest man § 35a 6, obin d. i.
.Fülle', vollständiger Die Nb7;, i p-ni^i; Pfeifen. Vom "gleichen
Vorgange, nämlich von der Zusammenziehung des Mundes sind
benannt yisp — ü und ü (syr. '^säsä, ar. dammä) und — ynp^.
Das dies zu der obigen Aufzählung nicht stimmt, liegt auf
der Hand.i)
Denselben Aufschluß gibt des Waldensers Alb. Revel, Manuale
per la studio della lingua ebraica, das 1879 bei P. Smorti e C. in
Plorenz lithographiert erschien, S. 119:
„Hölem significa „pingraetudo, plenitudo, integritas (oris)',
del verbo obr (= esser pingue) e indica per conseguenza un
. suono pronunziato .ore rotundo', did Nbu.'
Diese Auskunft ist mir um so auffälliger, als ich schon 1877
in meiner ersten wissenschaftlichen Veröffentlichung in .Conradi
Pellicani de modo legendi et intelligendi Hebraeum, Deutschlands
1) Vgl. auch Bachers Aufsatz in Bd. 49 dieser Zeitschrift .Die Anfänge der hebräischen Grammatik, S. 16 f. Auch er kennt Melupum nur als Name für das Cholem, nicht für das „Kibbus".
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erstes Lehr-, Lese- u. Wörterbuch der hebr. Sprache . . . (durch
Lichtdruck neu herausgegeben') wiederholt hatte, daß es im Hebrä¬
ischen 9 einfache Vokale gebe: 1. Patsah, 2. Cometz, 3. Zere,
4. Segol, 5. Scheua, 6. Hirick, 7. Holem,
Octavum est Piip schurick tribus punctis infra literam hoc
modo ordinatis ... et significat vocalem quandam literam inter
hu du gu bu u
M 4- z medio modo se habentem: scribitur sic n a N
Nonum est punctum mellupim n^p Nib» unicum intra
vav literam tantum collocatum faciens cum eädem vocalem u
hu du gu bu u
sie in n 13 13 IN.
Daß hier Schuruk und Melupum verwechselt sind, liegt
auf der Hand; daß die Verwechslung aber nicht dem Pellikan zur
Last fällt, kann jeder sehen, der meine spätere, hierher gehörige
Veröffentlichung zur Hand nimmt: „Nigri, Böhm und Pellican.
Ein Beitrag zur Anfangsgeschichte des hebräischen Sprachstudiums
in Deutschland' (in: Marginalien und Materialien, Tübingen 1893,
und in Sonderdruck). Dort habe ich S. 8f aus Nigris Stern
Messiä von 1477 dessen so ungemein lehrreichen Abschnitt über
das hebräische ABC wiederholt, z. B. :
Zere bedeutet ein tunkel oder ein grobs E (später sagt er:
ein nid ers E), wie in Meer = Wasser, Zegol bedeutet ein
hochs schwebisch E (ein klars e) wie in gute Mähr.
Holem bedeutet ein 0. „
Schfiriq bedeutet ein Ü: p'niip: T 3 3 ^.
Meluppim bedeutet ein V: D^ENibli :' 13 13 IN.
Ehe ich neuerdings auf diesen Punkt geführt wurde, war mir
in Erinnerung: W. Bacher, Abraham ibn Esra als Grammatiker
Straßburg 1882, S. 62):
Der Name Cbölem bedeutet „vollständig' nach dem talmu¬
dischen a^bn (b. R. H. 28 a) und dem biblischen Verbum obn
(Jes. 38, 16; Hiob 39, 4); denn die übrigen Vokale sind diesem
gegenüber mangelhaft. Auch der Name DID Nb73 „Mundfülle'
wird gebraucht. Das Ch. kann der König der Könige heißen,
weil es allein von allen Vokalzeichen oben gesetzt wird..-
S. 63 fährt er fort:
Das Schurek (m) ist aus o und i zusammengesetzt; daher
sein Zeichen — wenn plene geschrieben : 1 — ein Punkt in der
Mitte, zwischen dem oben gesetzten Punkte des ö und dem unten
stehenden des i die Mitte haltend. Wenn ohne i geschrieben,
ist das Zeichen von der Gestalt des Mundes bei der Aussprache
des M hergenommen, die der Mundform eines „Pfeifenden' ähnlich
ist. Es heißt auch did yi3p Zusammenziehung des Mundes.
600 Nestle, Melupum.
In seiner Abhandlung über die grammatische Terminologie des
Jehüdä b. Däwid Hajjüg (Wien 1882 = SBWA. 102, S. 1118)
sagt derselbe Gelehrte:
Die Namen der einzelnen ,7 Könige" sind bei H. zumeist
die bekannten hebräischen. Doch wendet er auch sehr oft die
3 arabischen Benennungen mit ihren Derivaten an . . . fr^^y
N. 5, 1 pniffla, D. 4, 10 dibn^wt yiapa.
Somit stehen sich 3 Angaben gegenüber:
1. Ibn Esra (Stade, Revel): ms Nibn = Cholem.
2. Nigri, Pellican = unsrem Schureq.
3. Adler = unsrem Qibbuz.
Reuchlin führt 1506 das Melupum nicht an, nur: V surek n
et kibuz .. S. 10 sagt er, nachdem er surek als lateinisches tt
behandelt ' hat :
CoUateralis eius est collectio labiorum et scribitur tribus punctis scalariter seu gradualiter sibi invicem subiuntis sic ... et
nominatur kibuz. Habetque eum, sonum quem apud Gallos V
scilicet commixtione i vocalis. Est autem vox media inter V
et I qualem olim Graeci suae literae hypsilo dedere. Unde solebant
in ventre ipsius notam vocalis i ponere sic v- Quam postea
eximentes subter adnexuerunt sic Y ut in harpyia.
Es ist nicht die Absicht dieser Zeilen, die Untersuchung zu
einem Ende zu führen. Ich bin, weil ich brauchbare hebräische
Schreibvorlagen suchte, auf die Tatsache gestoßen, daß 1. Christen
und Juden für ein und dasselbe hebräische Vokalzeichen ganz ver¬
schiedene Benennungen brauchen, daß 2. die jüdische Benennung
desselben auch noch für einen ganz anderen Laut dienen soll,
endlich 3. daß die ältesten christlichen Bearbeitungen der hebräischen
Sprache, die auf jüdischem Grunde bauen, das x nennen, was die
Juden jetzt y nennen, und umgekehrt.
Nur zum Schluß bemerke ich noch, daß auch das lehrreich
wäre zu untersuchen , seit wann der dritte und vierte Buchstabe
des hebräischen Alphabets mit Verdoppelung des mittleren Konso¬
nanten Gimmel und Dall et geschrieben wird.
Aus einem sprachwissenschaftlichen Werk von 1539.
Von Eberhard Nestle.
Im Jahre 1539 erschien zu Pavia Sumptibus et Typis Autoris
libri ein jetzt seltenes Werk mit dem Titel:
Introductio in Chaldäi cam linguam, Syriacam, atque Ar-
menicam, et decem alias linguas. Characterum differentium
Alphabeta, circiter quadraginta, et eorundem invicem conformatio,
Mystica et Cabalistica quamplurima scitu digna. Et de¬
scriptio ac simulachrum Phagoti Afranii. Theseo Ambros io
ex comitibus Albonesii I. V. Doct. Papien. Canonico Re-
gulari Lateranensi, ac Sancti Petri in Coelo Aureo Papiae Prse-
posito, Authore.
M.D. XXXIX.
d" Linguarum vero, et Alphabetorum nopiina sequens pagella
demonstrabit.
Der rot und schvearz gedruckte Titel ist von einer schönen Holz¬
schnittleiste umrahmt, die auf schwarzem Gmnd unten die Pabel
vom Fuchs und Storch abbildet, daneben einen Drachen und Löwen.
Die auf dem Titelblatt angekündigte Liste der Rückseite
lautet so:
([ Nomina Linguarum, et Alphabetorum, de quibus in hoc opere
fit mentio; et eorum numems
Chaldaeorum. 3.
Samaritanoram. 3.
Assyriorum. ),
Syrorum. ) O . 3.
Phoenicum. ) '
Hebraeorum, computatis his
quae ab aliis ponuntur. 10.
Aarabum. ).
Punicorum. )\)\
Pei-sarum. ) M M . 1.
Tartarorum. ) \ )
Latinorum. 1.
Graecorum. 3.
Jacobitaram. ), ,^
Cophtitarum. y ' '
Macedonum. ) .
)0'
Missiorum, ^)
Turcarum. ) )■
Bd. LVIII.
)J)
Bulgarorum. ) O \ )
Seruianoram. )l)
Rusiorum. )
Dalmataruni. ), ^
Illyricorum. )
Indorum. 2.
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