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Kindertagesstätten mit 24 stündiger Betreuung - Das Zukunftsmodell?!

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H o c h s c h u l e N e u b r a n d e n b u r g

Fachbereich Soziale Arbeit

KINDERTAGESSTÄTTEN MIT 24 STÜNDIGER

BETREUUNG – DAS ZUKUNFTSMODELL?!

B a c h e l o r a r b e i t

zur

Erlangung des akademischen Grades

Bachelor of Arts (B.A.)

Vorgelegt von: Alexander Gniech

urn:nbn:de:gbv:519-thesis 2016-0331-0

Erstprüfer/in: Prof. Dr. Joachim Burmeister Zweitprüfer/in: Prof. Dr. Julia Franz

(2)

2 Inhalt

„KINDERTAGESSTÄTTEN MIT 24 STÜNDIGER BETREUUNG - DAS ZUKUNFTSMODELL?!” ...3

Einleitung und Fragestellung ...3

1. Gesellschaftlicher Wandel ...4

1.1. Demographischer Wandel ...5

1.2. Familiärer Wandel ...6

2. Gesellschaftliche Positionierungen zur Etablierung von 24 Stunden Kitas ... 12

2.1. Politische Positionen zur Etablierung von 24 Stunden Kitas ... 12

2.2. Wirtschaft und die Flexibilisierung von Betreuungsangeboten ... 16

2.3. Die Etablierung von 24 Stunden Kitas sozialer Sicht: Schwerpunkt Arbeitnehmersicht/Erzieher ... 20

3. Pädagogische Aspekte zur 24 stündigen Betreuung im Kindertagesstättenbereich ... 24

3.1. Das pädagogische Konzept des Situationsansatzes: innerhalb einer 24 stündigen Betreuung möglich? ... 24

3.2. Sozialisationsprozess bei Kindern zwischen 0 und 3 Jahre ... 26

3.3. Frühkindliche Bindungsprozesse ... 30

4. Beispiele für 24 Stunden Einrichtungen ... 33

4.1. Die Kindertagesstätte „Nidulus“ in Schwerin ... 33

4.2. Das Kinderhotel „Engel und Bengel“ in Hamburg: Darstellung und kurzer Vergleich zur Kindertagesstätte „Nidulus“ ... 35

5. Befragungen: Interviews und Fragebögen zur Akzeptanz der Etablierung von 24 Stunden Einrichtungen... 36

5.1. Darstellung der angewandten Methodik ... 36

5.2. Auswertung des Interviews und der Fragebögen ... 41

5.2.1. Auswertung des Interviews ... 41

5.2.2. Auswertung der Fragebögen ... 43

5.3. Gegenüberstellung der Ergebnisse aus Interview und Fragebögen ... 47

6. Fazit ... 49

Literaturverzeichnis: ... 52

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3

„K

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ETREUUNG

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UKUNFTSMODELL

?!”

Einleitung und Fragestellung

„Liebe kann man lernen. Und niemand lernt besser als Kinder.

Wenn Kinder ohne Liebe aufwachsen, darf man sich nicht wundern, wenn sie selber lieblos werden.“

Astrid Lindgren

In meiner Bachelor Thesis möchte ich mich mit der Fragestellung auseinandersetzen, ob das viel diskutierte Konzept der 24 Stunden Betreuung im Kindertagesstättenbereich1 tatsächlich das Modell

der Zukunft ist oder ob es nicht vielmehr eine Idee darstellt, welche in ein paar Jahren schon keinen Bestand mehr hat, da sie sich als nicht praktikabel erweist.

Beweggründe für die Themenwahl sind zum einen persönlicher Natur. Denn mein größter beruflicher Wunsch ist es, eine Kindertagesstätte zu gründen. Da ich mich mit dieser möglichen Gründung schon seit einiger Zeit beschäftige, drängte sich mir bei meiner Auseinandersetzung mit sämtlichen Aspekten, welche eine solche Gründung einschließt, immer wieder folgende Frage auf: „wenn ich ein funktionierendes, an die derzeitigen Entwicklungen der Gesellschaft angepasstes, Konzept einer Kita erarbeiten möchte, ist es dann der einzig logische Weg, eine 24 Stunden Betreuung anzubieten? Wohlmöglich nicht nur eine Betreuung, welche von Montag bis Freitag Tag, Abend- und Nachtstunden umfasst, sondern auch am Wochenende für die Eltern die Möglichkeit bietet, eine Betreuung ihrer Kinder in Anspruch zu nehmen.

Ist das das Modell der Zukunft?

Die Ausführungen in dieser Arbeit werden sicher dazu beitragen, mir auf diese Frage eine Antwort zu geben.

Beweggründe für die Themenwahl andererseits, aber natürlich gar nicht losgelöst von der persönlichen Bedeutung möglich, ist die aktuelle gesellschaftliche Relevanz, welche die Konzeption der 24 Stunden Betreuung gerade in der letzten Zeit erfährt. Die Idee, Betreuungszeiten so weit auszudehnen, dass sogar eine nächtliche Betreuung der Kinder möglich ist, scheint neu. Zumindest wurde kaum in diesem Ausmaß darüber diskutiert und staatliche Fördergelder in diesen Höhen in Aussicht gestellt. Innerhalb der vorliegenden Thesis möchte ich zunächst eine Zusammenfassung wichtiger gesellschaftlicher Veränderungen geben, welche sich im Kapitel des „Gesellschaftlichen Wandels“

1 In meinen Ausführungen beziehe ich mich auf die Betreuung von Kindern in den Abend- und Nachtstunden.

Die Betreuung der Kinder durch Kindertagesstätten am Wochenende wird in dieser Arbeit nur am Rande Berücksichtigung finden.

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4 finden. Hierbei werde ich sowohl auf den demographischen Wandel im Allgemeinen als auch auf den Wandel in familiären Strukturen im Speziellen eingehen.

Darauf folgend sollen Beweggründe zusammengefasst werden, welche für die Notwendigkeit der Gründung von 24 Stunden Kitas genannt werden bzw. welche Argumente sich gegen die Etablierung dieser Einrichtungen finden lassen. Diese werden differenziert in die politische, wirtschaftliche und soziale Ebene.

Darauf aufbauend möchte ich einen besonderen Fokus auf pädagogische Aspekte legen. Das bedeutet, dass ich herausstellen möchte, ob die gängigen pädagogischen Konzepte mit solchen Einrichtungen vereinbar sind oder ob sie im Widerspruch zueinander stehen. Ich möchte darauf aufbauend einen Blick auf die Theorie zum Sozialisationsprozess von Erikson werfen und eine Hypothese aufstellen, ob eine derart umfassende Fremdbetreuung ein Hindernis für einen „gesunden“ Ablauf der Sozialisation darstellen kann. Separiert soll in diesem Kontext auch die Bindungstheorie beleuchtet werden um herauszufinden, ob Bindungsprozesse möglicherweise durch 24 Stunden Kindertagesstätten gestört werden können.

Im weiteren Verlauf möchte ich eine solche Einrichtung vorstellen. Hierzu habe ich mit der Schweriner Einrichtung „Nidulus“ Kontakt aufgenommen. Das Konzept der Einrichtung werde ich kurz vorstellen und mit dem Kinderhotel „Engel und Bengel“ in Hamburg vergleichen. Innerhalb meines Forschungsaspektes habe ich ein Interview konzipiert, das sowohl die Leitung der Kindertagesstätte als auch Eltern dahingehend befragt, ob und warum die Notwendigkeit einer derartigen Betreuung gegeben ist, ob, und falls ja, welche Gefahren oder Risiken durch die umfassende Fremdbetreuung gesehen werden und ob es mögliche Alternativen zu 24 Stunden Kindertagesstätten gibt. Nach einer Auswertung der Befragung ziehe ich mein persönliches Fazit, erhoffe mir so eine Antwort auf die Frage „24 Stunden Kindertagesstätten – das Modell der Zukunft?!

1. Gesellschaftlicher Wandel

In diesem Abschnitt der Thesis möchte ich mich zunächst mit wesentlichen Tendenzen des demographischen Wandels2 auseinandersetzen und dann einen Schwerpunkt auf Veränderungen legen,

welche sich im familiären Bereich vollzogen haben. Diese Beleuchtung scheint unumgänglich, um verstehen zu können, warum sich Strukturen in der Betreuung von Kindern verändert haben und gerade im massiven Umbruch sind.

2 Hierzu beziehe ich mich in meinen Ausführungen auf die aktuell vorliegenden Daten des Datenreportes 2013.

Eine neuere Datengrundlage lag zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Arbeit nicht vor. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass bei der Darstellung von gesellschaftlichen Tendenzen sehr häufig Internetquellen erscheinen werden. Dies ist keine absichtliche Abkehr von der Literatur im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr der Aktualität des Themas geschuldet.

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1.1. Demographischer Wandel

Unter Demographie versteht man die „(…) wissenschaftliche Disziplin, die sich statistisch mit der Entwicklung von Bevölkerung und deren strukturellen Eigenarten beschäftigt. Ihre Kernaufgaben liegen in der Beschreibung der Geburtenzahl (Fertilität) sowie der Sterblichkeit (Mortalität) in einer Gesellschaft (…).“ (Betz et al. 2013, S. 50).

Wichtige demographische Tendenzen, die zum Verständnis meiner Fragestellung dienen können, werden nun zusammengefasst:

Eine der wichtigsten Entwicklungen, welche immer wieder sorgenvoll betrachtet wird, ist der Rückgang der Geburtenrate, bei gleichzeitiger Zunahme des Bevölkerungsanteils der Generation „60 +“, also dem Teil der Bevölkerung, der bereits Rentenansprüche hat oder in absehbarer Zeit haben wird.

Abbildung 1: Lebendgeborene und Gestorbene in Deutschland im Vergleich

(aus: Statistisches Bundesamt (Destatis) 2013, S. 16)

Durch die Grafik wird ersichtlich, dass es seit dem Jahr 1962 (1350 Lebendgeborene) und 2010 (680) die Geburtenrate nahezu halbiert hat. Zwar weist die Grafik immer wieder kleine, aber tendenziell eher geringfügige Zunahmen an Geburten auf, dennoch muss festgestellt werden, dass es seit 1997 eine kontinuierliche Abnahme im Hinblick auf die Geburtenrate gibt. Wenn jetzt die Sterbefälle in die Betrachtung mit einbezogen werden, so ist festzustellen, dass seit dem Jahr 1972 mehr Menschen starben als Kinder geboren wurden. Das führt natürlich in der Konsequenz zu einer Reduktion der Bevölkerungszahl.

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6 Rein rechnerisch müsste jede Frau 2,1 Kinder bekommen, damit die Bevölkerungszahl erhalten bliebe (Statistisches Bundesamt (Destatis) 2013, S. 16).

Ein weiterer Trend besteht darin, dass die Lebenserwartung der Menschen, wohl primär resultierend aus besserer medizinischer Versorgung und guten allgemeinen Lebensbedingungen, beständig steigt „Bislang sind für die menschliche Alterung keine biologischen Grenzen erkennbar. Es werden für die zukünftige Entwicklung stetige Verläufe vorausgesagt und in 100 Jahren könnte über die Hälfte eines Geburtenjahrganges das Alter von 100 Jahren erreichen.“ (Statistisches Bundesamt (Destatis) 2013, S. 27).

Aus dieser Entwicklung resultiert, dass es nahezu unumgänglich scheint, diesem Trend politisch entgegenzuwirken, was letztlich nur auf zweierlei Weisen geschehen kann. Zum einen kann die inländische Bevölkerung durch ausländische ergänzt werden, so dass die Bevölkerungszahl insgesamt ansteigt, aber das Verhältnis von junger und alter Bevölkerung zugunsten der jungen Bevölkerung modifiziert wird. Und zum anderen besteht eine Möglichkeit darin, Anreize oder vielmehr Erleichterungen für Familien zu schaffen, Kinder zu bekommen.

1.2. Familiärer Wandel

Wie bislang festgestellt wurde, besteht einer der wesentlichen Aspekte des gesellschaftlichen Wandels darin, dass die Geburtenrate gesunken, die Lebenserwartung aber gestiegen ist und es dementsprechend ein Ungleichgewicht zwischen jungen/jüngeren und alten/ älteren Menschen gibt. Wenn Menschen eine immer höhere Lebenserwartung haben, so ist es nicht erstaunlich, dass auch das Alter der Frauen bei der Geburt des ersten Kindes fast kontinuierlich zugenommen hat.

Abbildung 2: Durchschnittsalter von Frauen bei der Geburt des ersten Kindes

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7 War die Frau im Jahr 1960 bei der Geburt des ersten Kindes noch 24,9 Jahre alt, ist sie im Jahr 1989 bereits 26,6 Jahre alt und 2011 bereits 29,2 Jahre alt (Werte bezogen auf Westdeutschland). Gründe hierfür sind sicherlich die zunehmende berufliche Qualifikation der Frauen, welche auch verknüpft ist mit der steigenden Zahl von Frauen in Führungspositionen (Betz et al. 2013, S. 27), welche dazu führt, dass es einen späteren Berufseintritt und damit auch eine spätere Kinderplanung gibt. Obwohl sich die weibliche Fruchtbarkeitsphase von etwa 45 Jahren auf 50 Jahre und mehr ausgedehnt hat (Bertram & Betram 2009, S. 52), spielt der Zusammenhang zwischen dem Alter der Frau und der Rate von kindlichen Behinderungen wie der Trisomie 21 (Braun et al. 2012, S. 195) sicher eine zentrale Rolle. Es ist zu vermuten, dass Frauen, die zu den Spätgebärenden zählen, eine stärkere Abwägung im Hinblick auf die weitere Kinderplanung vornehmen.

Das klassische Modell der Rollenverteilung, in der der Mann zumindest Hauptverdiener (wenn auch nicht immer Alleinverdiener) war, hat also einen starken Wandel erfahren:

Abbildung 3: Frauen mit Kindern in Erwerbsarbeit

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8 Aus obiger Grafik abzuleitende Trends sind,

- dass sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland ein hoher Anteil von Frauen mit Kindern im Alter von 0 - 2 Jahren Nichterwerbspersonen sind (32 bzw. 40 %), dieser Anteil aber mit zunehmendem Alter der Kinder abnimmt.

- dass sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland nur ein geringer Anteil von Männern in Elternzeit geht (2 %) und diese dementsprechend weiterhin häufiger von Frauen in Anspruch genommen wird. Folgerichtig sind sowohl in Ostdeutschland als auch in Westdeutschland scheinbar unabhängig vom Alter der Kinder die Männer in Vollzeitbeschäftigung tätig.

- dass Frauen in Ostdeutschland tendenziell schneller wieder voll in den Beruf einsteigen (bei einem Alter der Kinder zwischen 3 und 6 Jahren in Westdeutschland 18 %, in Ostdeutschland hingegen 54 %). In Westdeutschland bleiben Frauen tendenziell auch mit steigendem Alter der Kinder eher in Teilzeit tätig (Alter der Kinder 7 - 17 Jahre; 51 % Westdeutschland in Teilzeit tätig, aber nur 22 % in Ostdeutschland). Von Westdeutschen wird eher das traditionelle Modell befürwortet (Mann als Alleinverdiener), während sich in Ostdeutschland eher eine Befürwortung der Vollzeitbeschäftigung beider (Ehe) Partner finden lässt (Esch, Klaudy und Stöbe-Blossey, S. 41).

Diese Unterschiede zwischen Ost und West lassen sich sicher mit den unterschiedlichen Strukturen während der Teilung Deutschlands erklären. Im Osten Deutschlands war es sehr viel gängiger, dass Frauen schnell wieder in den Beruf einstiegen, was durch eine gute Versorgung mit Kindergartenplätzen auch durchaus möglich war (Alt 2005, S. 32).

Eine weitere Tendenz des familiären Wandels ist, dass entgegen der langläufigen Meinung keine signifikante Zunahme von Ehescheidungen zu beobachten ist, dass aber die Höhe der Ehescheidungen, welche im Mittel jede zweite Ehe umfasst, seit den 1990er Jahren konstant geblieben ist.

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Abbildung 4: Entwicklung der Ehescheidungsrate

(URL 1:

https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2015/07/PD15_266_ 12631.html;jsessionid=9E8448675607DF5E0CEAAECE831477F1.cae1)

Aus der Statistik geht neben der Zahl der Ehescheidungen auch die Anzahl der Kinder hervor, welche von der Scheidung ihrer Eltern betroffen sind. Aus der Sicht des Kindes ist die Scheidung der Eltern häufig als traumatisches Ereignis zu begreifen, das zu Problemen in der Entwicklung sowie zum Schulversagen führen kann, wenn es nicht ausreichend aufgearbeitet wird (Schlemmer 2004, S. 178 ff.).

Aus der Sicht der Eltern ergibt sich zunächst die Frage über das Sorgerecht. Zwar teilen sich die Eltern dieses in der Regel, jedoch beinhaltet diese Aufteilung häufig, das Besuchen des Elternteils am Wochenende. Dementsprechend bleibt gerade bei Alleinerziehenden die Frage nach der Betreuung der Kinder. Dies geht natürlich damit einher, dass häufig Frauen, aber durchaus auch Männer, alleinerziehende Eltern sind. Problematisch wird dies immer dann,

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10 wenn die Arbeitszeit in den Abend- und Nachtstunden liegt und kein soziales Netzwerk greift, das die durch die Kindertagesstätten nicht abgedeckte Betreuungszeit kompensieren kann.

Abbildung 5: Anteil der Erwerbstätigen in Abend- sowie Nachtarbeit

(URL 2:

https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/QualitaetArbeit/Dimension3/3_3_AbendNachtar beit.html)

Zwar hat sich keine drastische Zunahme bei den Menschen gezeigt, die in der Nacht arbeiten müssen (Zunahme um zwei Prozentpunkte), wohl aber beim Anteil der Erwerbstätigen, welche in den Abendstunden arbeiten. Dieser Wert ist zwischen 1992 und 2014 um zehn

Prozentpunkte gestiegen (URL3:https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/QualitaetArbeit/Dimension3/3_

3_AbendNachtarbeit.html) und umfasst nicht nur die Vollzeitarbeit, sondern auch die Arbeit in Teilzeit (Esch, Klaudy und Stöbe- Blossey 2005, S. 93). Gerade im Gastgewerbe, im Einzelhandel, im Gesundheits- und Sozialwesen finden sich sehr hohe Anteile von Erwerbstätigen, die auch in den Abendstunden arbeiten müssen. Dies sind natürlich gerade die Zeiten des Tages, welche durch die gängigen Betreuungszeiten bis maximal 17:00 Uhr nicht abgedeckt werden. „Das geht am Bedarf vorbei. Einer anderen Erhebung des Statistischen Bundesamtes zufolge arbeiten mittlerweile 60 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland gelegentlich oder häufiger am Wochenende, nach 18 Uhr oder in Wechselschichten. Die Bundesagentur für Arbeit spricht mit Blick auf die unflexiblen Öffnungszeiten der Kindertagesstätten von einem `grundlegenden Problem´.“ (URL 4:

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http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/menschen-wirtschaft/kinderbetreuung-vierzig-stunden-in-der-kita-12018977.html).

Der Bedarf an Einrichtungen, welche über das reguläre Maß hinaus Betreuung anbieten, scheint durch die Veränderungen in der familiären Struktur in jedem Fall vorhanden zu sein. Die eingangs aufgeworfene Frage wie politische „Anreize“ so gesetzt werden könnten, dass sie Familien ermutigen, sich bewusst für mehr Kinder zu entscheiden, hängt mit dem Betreuungsangebot scheinbar maßgeblich zusammen:

Abbildung 6: Politische Maßnahmen, welche die Bereitschaft für ein Kind fördern können

(Statistisches Bundesamt (Destatis) 2013, S. 41)

Am häufigsten genannte Faktoren, welche die befragten Personen als förderlich für die Kinderplanung empfinden, hängen maßgeblich mit dem Betreuungsangebot zusammen und umfassen die gesicherte Ganztagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren und bessere Regelungen zu flexiblen Arbeitszeiten für Berufstätige.

Der Wunsch nach Betreuung von einer Institution ist nämlich so groß, dass zu beobachten war, dass im Jahre 2012 89 % der Dreijährigen den Kindergarten besuchen (URL 5:

https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2012/09/PD12_314_217. html). Das heißt im Umkehrschluss auch, dass rein familiäre Betreuung kaum mehr praktiziert wird, sondern kindliche Betreuung sehr umfassend institutionalisiert ist.

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12 In Kombination mit den Faktoren: hohe Anzahl alleinerziehender Eltern, hoher Anteil von Frauen in festen Arbeitsverhältnissen und Zunahme an Tätigkeitsbereichen, die eine Arbeitszeit auch in den Abend- und Nachtstunden fordert, scheint die Frage nach der flächendeckenden Etablierung von Betreuungsangeboten, die auch die Abend- und Nachtstunden sowie das Wochenende umfassen, also durchaus gerechtfertigt.

2. Gesellschaftliche Positionierungen zur Etablierung von 24 Stunden Kitas

Im Folgenden sollen verschiedene Standpunkte aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen dargestellt werden, um die unterschiedlichen Sichtweisen auf die umfassende Betreuung von Kindern widerzuspiegeln.

Hierzu werden zunächst die bestehenden politischen Konfliktlinien nachgezeichnet. Daraufhin sollen Stellungnahmen aus dem wirtschaftlichen Bereich folgen und abschließend erfolgt eine Auswahl an Positionen aus dem sozialen Bereich.

2.1. Politische Positionen zur Etablierung von 24 Stunden Kitas

„Politik ist die Gesamtheit der Aktivitäten zur Vorbereitung und zur Herstellung gesamtgesellschaftlich verbindlicher und/oder am Gemeinwohl orientierter und der ganzen Gesellschaft zugute kommender Entscheidungen.“ (Meyer 2003, S. 41)

Diese Definition, die eine von zahlreich kursierenden darstellt, möchte ich bei meiner Auseinandersetzung mit politischen Konfliktlinien, welche sich um die flächendeckende Etablierung von 24 Stunden Kitas ranken, zugrunde legen. Wichtige Aspekte in der Definition sind, dass die Durchsetzung von Entscheidungen, die natürlich häufig innovativen Charakter haben, nur aktiv gelingen kann. Außerdem gibt es häufig eine vorbereitende Phase, in der die Bevölkerung zunächst mit der möglichen Entscheidung vertraut gemacht wird. Diese hat den Charakter, dass sie stets am Gemeinwohl orientiert ist und der Gesellschaft im Ganzen, nicht einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft, positiven Nutzen bringen soll. Das bedeutet natürlich nicht, dass jeder gleichsam von einer solchen Entscheidung profitiert, geschweige denn die Bevölkerung im Kollektiv die Entscheidung begrüßt. Politik ist also immer mit Konflikt verbunden oder beinhaltet vielmehr immer Konfliktpotential, welches nicht negativ belastet ist, sondern eher als notwendiger Motor des Prozesses zu verstehen ist.

Bei der Auseinandersetzung mit dem vorliegenden politischen Konflikt möchte ich folgende Fragen zur Untersuchung eines Politikzyklus (Breit und Frech 2010, S. 23) zugrunde legen. Hier wird in folgende Phasen differenziert:

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13 o Auseinandersetzung (Akteure, Interessen)

o Entscheidung

o Reaktionen und Bewertungen

o Neues Problem (Breit und Frech 2010, S. 23 f.).

Der Inhalt besteht darin, dass diskutiert wird, ob eine (früh)kindliche Betreuung, welche über das bislang praktizierte „normale“ Maß hinausgeht, notwendig ist und wie diese überhaupt praktiziert werden kann/soll. Es geht also vordergründig darum, das Problem von Alleinerziehenden zu lösen, welche so berufstätig eingespannt sind, dass ihnen die bislang gängigen Betreuungszeiten der Kindertagesstätten nicht ermöglichen, problemlos arbeiten zu gehen. Dieses Dilemma wird besonders dann verstärkt, wenn kein familiäres Netzwerk greift, welches kompensatorisch wirken/ ausgleichen kann. Da es in der Bundesrepublik Deutschland gut 1,6 Millionen Alleinerziehende gibt, kann davon ausgegangen werden, dass es zumindest für einen Anteil dieser Menschen problematisch sein kann, ihre Kinder nur zu regulären Zeiten durch die Kindertagesstätte betreuen zu lassen, denn dieser Zahl stehen nur gut ein Dutzend 24-Stunden-Kitas gegenüber (URL 6: http://www.focus.de/magazin/archiv/politik-und-gesellschaft-mein-kind-schlaeft-nachts-woanders_id_4620013.html). Zudem betrifft das Problem natürlich auch Ehepaare, die beide in den Abend- und oder Nachtstunden berufstätig sind.

Die Ursachen des Problems liegen zum einen darin begründet, dass eine immer höhere Flexibilisierung von Arbeitnehmern zu beobachten ist: „Daß die Norm lebenslanger Ganztagsarbeit durch vielfältige Formen arbeitszeitlicher Flexibilisierungen aufgebrochen wird, ist inzwischen wohl auch in den letzten gesellschaftlichen (Schmoll-) Winkel vorgedrungen.“ (Beck 2015, S. 225). Zum anderen die familiären Netzwerke weniger Stabilität aufweisen und weniger stark greifen als das noch vor 20 Jahren der Fall war: „Wir sind weniger geworden. Vielleicht auch deshalb, weil seit ein paar Generationen keiner mehr damit rechnen musste, auf seiner Lebensreise in irgendeinem verschneiten Pass festzustecken.“ (Schirrmacher 2006, S. 19). Es ist also für das Überleben sicher nicht mehr notwendig, eine große Familie zu haben, aber die von Schirrmacher aufgeworfene Frage nach dem „wer rettet wen?“ scheint gerade in Zeiten der „Kleinstfamilie“ interessant: „Wie steht es mit einer Gesellschaft, deren Schicksal es ist, dass sie immer weniger Verwandte hat, weil sie immer weniger Nachwuchs bekommt? Wer rettet wen, wenn es die Familie nicht mehr gibt? Oder genauer: wenn sie zu klein geworden ist, um im Notfall eingreifen zu können?“ (Schirrmacher 2006, S. 50). Wer springt also ein, wenn keine Familie da ist, um die Betreuung des Kindes am Abend zu übernehmen? Da bliebe als einzige Lösungsmöglichkeit nur eine Betreuung durch eine Kindertagesstätte oder aber die kostspieligere und damit gerade für

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14 Erwerbstätige, die gerade einmal den Mindestlohn erhalten, kaum realisierbare Alternative, das Kind durch eine Privatperson betreuen zu lassen.

Bei der Auseinandersetzung mit dieser Schwierigkeit ist natürlich eine Vielzahl von Akteuren beteiligt, welche in Auszügen in diesem Kapitel dargestellt werden sollen. In diesem Abschnitt möchte ich mich aber auf die politischen Akteure beschränken und hier die zentralen Konfliktlinien nachzeichnen.

Zentrale Figur ist natürlich die Familienministerin Manuela Schwesig, SPD. Sie verkündete, dass zwischen 2016 und 2018 bis zu 100 Millionen Euro in den Ausbau von 24 Stunden Kitas investiert werden sollen. Ausschlaggebend sei für sie bei dieser Überlegung, dass Menschen, die z. B. im Schichtdienst tätig seien, ihre Kinder gut betreut wüssten. Wichtig sei, dass die Kinder nicht länger, sondern lediglich zu anderen Zeiten betreut würden (URL 7:

http://www.sueddeutsche.de/politik/kinderbetreuung-ministerin-schwesig-plant-stunden-kitas-1.2551083).

Interessant ist, dass sich der konservative Koalitionspartner CDU nicht vollständig ablehnend zeigt, was in gewissem Widerspruch zur Grundausrichtung der Partei steht. So sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Nadine Schön, dass es Angebote für Eltern im Schichtdienst geben müsse, die keine andere Möglichkeit der Betreuung ihrer Kinde hätten (URL 8: http://www.rp-online.de/politik/deutschland/24-stunden-kita-cdu-stellt-sich-hinter-manuela-schwesig-aid-1.5217400).

Markus Weinberg zeigte sich hier schon deutlich reservierter und bemerkte, dass die Betreuung über das Regelmaß hinaus nur in Ausnahmesituationen greifen solle und eine nächtliche Betreuung keinesfalls die Regel darstellen dürfe (URL 9:

http://www.sueddeutsche.de/politik/kinderbetreuung-der-stunden-kita-streit-1.2551608). Unabhängig von politischen Interessen ist diese Übereinstimmung natürlich nicht. Denn immerhin muss die große Koalition eine gewisse Einigkeit nach außen repräsentieren, um ihre Glaubwürdigkeit und ihre Handlungskompetenz nicht zu verlieren. Doch die noch konservativere Schwesterpartei der CDU, die CSU, spielt, wie auch schon beim vom Bundesverfassungsgericht gekippten Betreuungsgeld zu beobachten, eine oppositionelle Rolle. So war die erste Reaktion des Generalsekretärs Andreas Scheuer: „Staatlich verordnete 24-Stunden-Kitas - da schütteln alle mit dem Kopf.“ (URL 10: http://www.rp- online.de/politik/deutschland/24-stunden-kita-cdu-stellt-sich-hinter-manuela-schwesig-aid-1.5217400).

Die tatsächliche Opposition in Gestalt der Partei „Die Linke“ begrüßt den Vorschlag Schwesigs hingegen. So ist Katja Kipping der Meinung, dass dies Schichtarbeitern das Gefühl gäbe, ihre Kinder seien an einem vertrauten Ort gut betreut (URL 11:

http://www.finanzen.de/news/16493/schwesig-will-24-stunden-kita-csu-lehnt-staatliche-verordnung-ab). Allerdings betont sie dem Parteiprogramm folgerichtig entsprechend, dass

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15 „´Arbeit und Arbeitszeit müssen so gestaltet sein, dass Leben und Arbeiten in Einklang gebracht werden können.´“, was gleichzeitig mit einer Verkürzung und Umverteilung der Arbeit einhergehen müsse (URL 12: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/zustimmung-fuer-manuela-schwesigs-kita-24-stunden-betreuung-13687262.html). Ähnlich positioniert sich auch die Partei „Die Grünen“, die stellvertretend durch die familienpolitische Sprecherin Franziska Brantner bekannt gibt, dass der Plan Schwesigs grundsätzlich die Zustimmung der Grünen erhalte, aber dennoch sehr viel stärker der Arbeitsmarkt in der Verantwortung stände zu erkennen und entsprechend zu reagieren, dass es Menschen gäbe, die für andere eine Fürsorgepflicht hätten (URL 13: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/zustimmung-fuer-manuela-schwesigs-kita-24-stunden-betreuung-13687262.html).

Insgesamt lässt sich also feststellen, dass sich die Konfliktlinie weniger zwischen Koalition und Opposition finden lässt, sondern dass sie vielmehr innerhalb der großen Koalition zu verorten ist. Hierbei zeigt sich die konventionelle CSU deutlich kritischer als die große Schwesterpartei CDU. Motive hierfür sind sicherlich die Glaubwürdigkeit, welche in engem Zusammenhang mit dem Parteiprogramm steht. CDU und CSU verstehen sich als Parteien, die den Wert der Familie sehr hoch halten. Noch im Wahlprogramm aus dem Jahr 2013 wird von einer „Großelternzeit“ (URL 14: http://www.bundestagswahl-bw.de/wahlprogramm_cdu-csu.html) gesprochen, welche verdeutlicht, welchen Wert das „Netzwerk Familie“ hat. Eine Betreuung, die gänzlich unabhängig von der Familie stattfindet, wäre hier sehr widersprüchlich.

Die SPD, die weitaus weniger konservativ ist, betonte in ihrem Wahlprogramm so, ganz im Gegensatz zur CDU, dass es Frauen schneller wieder möglich sein solle, in Vollzeit zurückzukehren (URL 15: http://www.bundestagswahl-bw.de/wahlprogramm_spd.html). So ist der Vorstoß Schwesigs durchaus kompatibel mit den parteipolitischen Ausrichtungen. Das Ausmaß der konträren Ansichten darf natürlich stets nur so hoch sein, dass immer noch ein Konsens zwischen den Parteien besteht bzw. herbeigeführt werden kann, denn immerhin teilen sie sich die Regierungsaufgabe und bilden gemeinsam die Regierung. Insofern spielen machtpolitische Interessen natürlich eine maßgebliche Rolle, die den vorliegenden Kompromiss widerspiegelt: es werden hohe Summen für die Etablierung von 24 Stunden Kitas bereitgestellt, allerdings soll dies nicht heißen, dass alle Kindertagesstätten diese Form der Betreuung anbieten sollen/müssen und zudem solle die Betreuung gerade in Abend- und Nachtstunden nicht zur Regel werden und muss natürlich starken Kontrollen unterliegen. Dennoch ist ein Erfolg der SPD zu verzeichnen, die sich in der politischen Kontroverse durchgesetzt zu haben scheint. Dies wird natürlich erst in den kommenden zwei Jahren ersichtlich, da abzuwarten bleibt, ob die finanziellen Mittel tatsächlich in den Ausbau der 24 Stunden Kitas investiert werden.

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16 Gesellschaftliche Reaktionen finden sich natürlich in vielfältiger Weise. Während gerade betroffene Arbeitnehmer und Arbeitgeber diese Möglichkeit der flexibleren Kinderbetreuung befürworten, entgegnen Kritiker, dass es zu einer Ökonomisierung der Familie käme. Nicht die Kinder und das Kindeswohl ständen im Fokus, sondern ausschließlich die „Arbeitskraft Mensch“ und ihr bestmöglicher, also profitmaximierender, Einsatz. Eine so umfassende Fremdbetreuung sei eine Grausamkeit an der Kinderseele (URL 16:

http://www.tagesspiegel.de/politik/die-24-stunden-kita-seelische-grausamkeit-oder-erleichterung/12048204.html).

Natürlich etablieren sich so neue Probleme, die aus offenen Fragen resultieren: reichen die Gelder aus, um einen so flächendeckende Ausbau zu gewährleisten? Erreicht der Ausbau auch infrastrukturell schwächere Gegenden und falls nicht, führt dies dann in der Konsequenz zu weiterer sozialer Ungleichheit? Wie müssen rechtliche Regelungen aussehen, damit Kinder gerade in den Abend- und Nachtstunden besonders geschützt sind? Benötigen Erzieher eine gesonderte Ausbildung bzw. Weiterbildung? Was macht das mit der Einstellung der Erzieher zu ihrer Tätigkeit, wenn sie die Betreuung der Kinder gerade in dieser höchst sensiblen Zeit übernehmen? Inwiefern wird ihr Leben maßgeblichen Veränderungen unterworfen? Und natürlich ganz grundsätzlich, ob diese Ausgestaltung überhaupt möglich ist, da die Politik nur eingeschränkte Zugriffsmöglichkeiten auf die Einrichtungen hat, die ihre Öffnungszeiten bislang selbst festlegen (URL 17: http://www.tagesspiegel.de/berlin/kinderbetreuung-in-berlin-24-stunden-kita-spaeti-fuer-die-kleinen/11887134.html).

Und die zentralste Frage, welche sich aufdrängt, ist die nach den betreuten Kindern. Was macht das mit ihnen? Kann man die Folgen abschätzen, gibt es überhaupt Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung? Im weiteren Verlauf dieser Arbeit hoffe ich, hierauf eine Antwort geben zu können.

2.2. Wirtschaft und die Flexibilisierung von Betreuungsangeboten

Denkt man an die Wirtschaft, an mächtige, große Konzerne, so kommt manch einem schnell das Bild eines wenig sozialen, fast ohne menschliche Züge handelnden Wirtschaftssubjektes in den Sinn. Der Homo oeconomicus, so wurde dieser Modelltyp in der Wissenschaft getauft und umfasst die: „Modellvorstellung (…) eines idealen, ausschließlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten denkenden und handelnden Menschen. Der Homo oeconomicus kennt nur ökonomische Ziele und ist besonders durch Eigenschaften wie rationales Verhalten, das Streben nach größtmöglichem Nutzen (Nutzenmaximierung), die vollständige Kenntnis seiner wirtschaftlichen Entscheidungsmöglichkeiten und deren Folgen (…) charakterisiert. (Gleichsner et al. 2014, S. 169).

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17 Doch was würde das für die Etablierung flächendeckender 24 Stunden Kitas bedeuten? Überspitzt weitergedacht müsste der Vorstoß auf ein generelles positives Echo stoßen, denn dann würde das „Wirtschaftssubjekt“ doch zu jeder Tages- und Nachtzeit dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen. Es hätte den Kopf frei für die reine wirtschaftliche Tätigkeit, ohne sich gedanklich zu entfernen und wohlmöglich mit geringerem Einsatz am Arbeitsplatz zu wirken. Doch so verallgemeinernd die Vorstellung des „homo oeconomicus“ ist, ja sein muss, da es sich eben um ein Modell handelt, so wenig möglich ist es, die Wirtschaft als ein großes Ganzes zu betrachten. Aus diesem Grund können nachfolgend dargestellte Umfragen nur als Ausschnitt eines großen Ganzen verstanden werden.

So veröffentlichte die DIHK 2014 eine Umfrage, in der von den 1625 befragten Unternehmen fast 60 % angaben, dass betriebliche Abläufe durch unzureichende staatliche Betreuungsangebote starken Einschränkungen unterworfen seien. Eltern müssten in mehr als 66 % der befragten Betriebe ihre Arbeitszeit wegen nicht vorhandener Betreuung am Nachmittag reduzieren.

Abbildung 7: Faktoren, die Arbeitgeber durch unzureichendes Kinderbetreuungsangebot als beeinträchtigend empfinden

(URL 18: www.dihk.de/…/ihk-unternehmensbarometer-kinderbetreuung.pdf)

Dies hat in der Konsequenz zur Folge, dass Unternehmen selbst Betreuungsangebote schaffen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf herzustellen. Da die Idee der 24 Stunden Betreuung noch recht neu ist (bzw. erst jetzt in diesem Ausmaße gesellschaftliche Diskussion

(18)

18 erfährt), wird zunächst ein Blick auf die Kinderbetreuung geworfen, welche schon heute zu den „gängigen“ Tageszeiten von den Unternehmen selbst angeboten wird:

Abbildung 8: Konzerne mit firmeninterner Kinderbetreuung

(URL 19: http://www.welt.de/wirtschaft/article112299327/Wie-Konzerne-Staatsversagen-bei-Kitas-ausbuegeln.html)

Betrachtet man die vorliegenden Zahlen, so scheinen diese möglicherweise gering. Gerade das Verhältnis eines Mitarbeiters pro Kinderbetreuungsplatz mag ausbaufähig wirken. „Gesamtwirtschaftlich betrachtet ist der Beitrag, den Unternehmen zur Kinderbetreuung leisten, auch tatsächlich noch sehr gering. Von den 3,1 Millionen Plätzen, die das Statistische Bundesamt im Frühjahr 2011 landesweit für Kinder bis 14 Jahre zählte, entfielen gerade mal 20.978 Plätze – also nur 0,7 Prozent – auf Betriebs-Kitas.“ (URL 20:

http://www.welt.de/wirtschaft/article112299327/Wie-Konzerne-Staatsversagen-bei-Kitas-ausbuegeln.htm)

Allerdings muss angemerkt werden, dass der weitere Ausbau von Betreuungsplätzen in Planung ist und damit eine Abkehr von dem System der staatlichen Betreuung von Kindern weiter vorangetrieben wird. Dies wird laut der Studie von Esch, Klaudy und Stöbe- Blossey gerade von Mitarbeiterinnen als sehr entlastend empfunden (Esch, Klaudy und Stöbe- Blossey 2005, S. 93).

(19)

19 Doch neben dem Betreuungsangebot in Form von Kindertagesstätten in Unternehmen gibt es noch weitere Instrumente zur Unterstützung der Beschäftigten. Hierzu zählen z. B. das Angebot der Telearbeit oder die Möglichkeit einer Notfallbetreuung. In der Umfrage der DIHK wurden nach Bestehen und Notwendigkeit des Ausbaues solcher Instrumente gefragt und es ergab sich folgendes Bild:

Abbildung 9: Möglichkeiten zur Unterstützung von Arbeitnehmern mit Kindern

(URL 21: www.dihk.de/.../ihk-unternehmensbarometer-kinderbetreuung.pdf)

Hieran wird ersichtlich, dass den befragten Unternehmen ein reibungsloser, konstanter betrieblicher Ablauf sehr wichtig ist und sie dementsprechend gewillt sind, Mitarbeiter so zu unterstützen, dass dem Betreib die Arbeitskraft möglichst ohne Einschränkungen zur Verfügung steht.

Auf der Grundlage der hier dargestellten Ergebnisse stelle ich die Vermutung an, dass gerade für Unternehmen, deren Arbeitsprozesse auch in den Abend- und Nachtstunden stattfinden, die 24 Stunden Betreuungsmöglichkeit eine entlastende Wirkung hätte, sowohl im Hinblick auf die psychologischen Auswirkungen auf Mitarbeiter als auch auf den finanziellen Faktor. Denn schon jetzt beklagen Unternehmen, dass die komplexe Gesetzeslage sie bei der Einrichtung betrieblicher Betreuungsangebote überfordere. Diese Aspekte lägen u. a. in der staatlichen Bezuschussung oder in der Vielzahl von bau- und versicherungsrechtlichen Vorschriften begründet (URL 22: http://www.dihk.de/ressourcen/downloads/ihk-unternehmensbarometer-kinderbetreuung.pdf/at_download/file?mdate=1406707248270).

(20)

20 Dies legt die Vermutung nahe, dass eine externe, sprich staatliche, Möglichkeit der Kinderbetreuung sowohl Mitarbeiter als auch Unternehmen entlasten würden.

2.3. Die Etablierung von 24 Stunden Kitas sozialer Sicht: Schwerpunkt Arbeitnehmersicht/Erzieher3

Kindertagesstätten sind Sinnbild sozialer Einrichtungen. Bei der gesellschaftlichen Kontroverse, die sich um das Thema der 24 Stunden Betreuung rankt, wird natürlich, und das auch ganz zu recht, immer wieder nach möglichen Konsequenzen für die Entwicklung des Kindes gefragt (was auch ich im folgenden Kapitel tun werde). Doch viel zu kurz kommen meiner Ansicht nach dabei die Konsequenzen, welche sich für die Erzieher aus dieser Veränderung ergeben. Deshalb möchte ich in diesem Abschnitt die Arbeitnehmersicht in den Fokus stellen.

Schon jetzt sind die Anforderungen, die an das Berufsbild des Erziehers gestellt werden, sehr hoch: „(…) Erzieherinnen und Erzieher können Rahmenbedingungen schaffen, die es Kindern erleichtern, miteinander in Kontakt zu treten, sie können unterstützen und Impulse setzen, um Verhandlungen unter den Kindern anzuregen oder hilfreich zur Seite stehen, wenn die Kinder in den Verhandlungen nicht mehr weiter kommen. Sie können Trost und Aufmerksamkeit spenden, wenn die Kinder sich von ihresgleichen nicht verstanden fühlen und sie können der manchmal merkwürdigen Art und Weise, wie Kinder manchmal miteinander umgehen, mit Anerkennung und Respekt begegnen.“ (Bernardo & Speck-Hamdan 2010, S. 131). Dieser kurze Auszug aus dem Buch „Kinder brauchen Kinder“ wurde ausgewählt, um nur an einem Beispiel, nämlich der Förderung zwischenkindlicher Beziehungen, zu verdeutlichen, welche Aufgaben an Erzieher gestellt werden. Sie sind mit dem kostbarsten und zugleich zerbrechlichsten Gut unserer Gesellschaft vertraut, den Kindern dieser Gesellschaft. Und die Anforderungen, die an sie gestellt werden, sind vielfältig und werden sicher, man denke nur an die interkulturellen Bildungsaufgaben, welche sich durch die Flüchtlingskrise sicher verstärken werden, noch umfangreicher.

Die Idee einer 24 Stunden Betreuung wird den Anforderungsbereich der Erzieher um einen ganz wesentlichen Aspekt erweitern: die Betreuung der Kinder in den sensiblen Abend und Nachtstunden. Sensibel ist dieser Zeitabschnitt aus zweierlei Sicht. Zum einen handelt es sich um eine Phase des Tages, die für Menschen im Allgemeinen ein Abschnitt ist, in dem sie besonders angreifbar sind. Man denke daran, wie man sich fühlt, wenn man zur Zeit des Schlafens vom Klingeln an der Tür gestört wird. Man ist schutzloser als zu jeder anderen

3 Im Folgenden wird von „Erziehern“ die Rede sein. Hiermit schließe ich Erzieherinnen mit ein (im Hinblick auf

die immer noch geringe Zahl männlicher Erzieher sollte dies nicht als diskriminierend verstanden werden können).

(21)

21 Tageszeit, da es in dieser Phase darum geht, zu regenerieren, losgelöst von allen Rollen die im Laufe des Tages ansonsten anlasten. Die Übertragung der Betreuungsaufgabe an Erzieher in diesem sehr sensiblen Zeitfenster stellt also eine sehr große Herausforderung gepaart mit einem sehr hohen Maß an Verantwortung und Vertrauen dar.

Zum anderen greift gerade diese Betreuungsarbeit stark in die Lebenswelt der Erzieher ein, die nun nicht mehr nur die Kinderbetreuung am Tage bewerkstelligen müssen, sondern zusätzlich das Zubettgehen, die Einschlafphase sowie ein möglichst störungsfreies Durchschlafen des Kindes betreuen müssen und zwar möglichst so, dass es zur Entspannung und Erholung kommt - und das von allen Beteiligten.

In einer Studie der GEW aus dem Jahre 2004 wurde die Belastungssituation von 947 Erzieherinnen und Erziehern in Baden-Württemberg untersucht (URL 23: http://www.gew-berlin.de/4498.php). Dabei stellte sich heraus, dass es im Erzieherberuf eine überdurchschnittlich hohe Belastungssituation gibt, welche sich laut der Untersuchung auf folgende Elemente zurückführen lässt:

o Lärm,

o Vielfältigkeit des Aufgabenbereiches , o Zeitdruck,

o Gruppengröße,

o Verhaltensauffälligkeiten bei den Kindern, o Personalmangel,

o unzureichende Entspannungsmöglichkeiten, o unzureichende Unterstützung durch Träger o körperliche Beanspruchung.

In der Studie wird dargestellt, dass sich 10 % der befragten Erzieher ausgebrannt fühlen und zumindest eine erhöhte Gefährdung für ein „Burnout“4 aufweisen würden. Zu sehr ähnlichen

Ergebnissen kommt die Studie von Johannes Jungbauer vom Institut für Gesundheitsforschung und Soziale Psychiatrie aus dem Jahre 2012 „(…) d. h. im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung weisen mehr als doppelt so viele Erzieherinnen und Erzieher ein deutlich erhöhtes Stressniveau auf, welches grundsätzlich entlastende und stressreduzierende Maßnahmen nahelegt. Bemerkenswert ist außerdem, dass fast ein Fünftel der befragten Personen (18,9%) unter starken bis sehr starken beruflichen Stressbelastungen leidet und dementsprechend als Hochrisiko-Gruppe für Burnout angesehen werden kann.“ (URL 24:

4 Ich verwende den Begriff des Burnouts ohne ihn kritisch klinisch zu hinterfragen. Ich bin mir aber durchaus

bewusst, dass dieser kontrovers diskutiert wird. Eine Darstellung dieser Kontroverse scheint mir aber im Kontext dieser Arbeit nicht angemessen.

(22)

22

http://www.katho-nrw.de/katho-nrw/forschung-entwicklung/institute-der-katho-nrw/institut-

fuer-gesundheitsforschung-und-soziale-psychiatrie-igsp/igsp-aachen/aktuelle-forschungsprojekte-der-abteilung-aachen/stressbelastungen-bei-erzieherinnen/).

Es kann davon ausgegangen werden, dass die zusätzliche Betreuung von Kindern am Abend und in der Nacht für die Erzieher einen zusätzlichen Stressfaktor darstellt. Denn rein physiologisch betrachtet wird die Nacht, in der in der Kindertagestätte gearbeitet wird, mit weitaus weniger Erholungs- und damit Regenerationsphasen verknüpft sein. Die Verantwortung, die auf der nächtlichen Kinderbetreuung liegt und mit der Aufgabe einhergeht, dass die Kinder in den Schlaf finden, dürfte von vielen Erziehern als belastend oder zumindest herausfordernd wahrgenommen werden.

Abbildung 10: Auswirkungen von Belastungen

URL 25: http://www.gew-berlin.de/public/media/040510_Belastung_Erzieher_Kurz.pdf

Die obige Grafik visualisiert vereinfacht, wann Belastungen zu Erkrankungen führen und wann trotz einer Belastungssituation Menschen gesund bleiben. Der zentrale Aspekt sind die (persönlichen) Ressourcen. Sind diese groß, ist auch die Wahrscheinlichkeit hoch, gesund zu bleiben. Das Maß an Ressourcen ist einerseits in der persönlichen Konstitution begründet, aber lässt sich in nicht unerheblichem Maße durch Komponenten wie regelmäßige Erholungsphasen positiv beeinflussen.

Gekoppelt mit einer positiven Beanspruchungssituation, die natürlich auch immer individuell wahrgenommen wird, sind zwei wichtige Grundvoraussetzungen gegeben, um berufliche Gesundheit trotz Belastungen, die, anders als der Begriff suggeriert, nicht immer negativ sein müssen, zu erhalten.

(23)

23 Ich möchte an dieser Stelle aus meiner eigenen beruflichen Praxis heraus Stellung zu den Auswirkungen der Nachtarbeit im sozialen Bereich nehmen. In unserem Wohnhaus, das psychisch erkrankte Erwachsene betreut, ist es gängige Praxis, dass Nachtbereitschaften vor Ort sein müssen. Hierbei handelt es sich in der Regel um geschultes Personal, das aber lediglich drei bis vier Dienste im Monat hat. Das im Wohnhaus fest angestellte Personal übernimmt, anders als das noch vor vier Jahren üblich war, nur in Ausnahmensituationen die Nachtbereitschaft.

Für die Mitarbeiter unseres Unternehmens ist es sehr entlastend, dass es keine regelmäßige nächtliche Tätigkeit gibt. Ich stelle die Vermutung an, dass die Arbeitszeiten in Abend– und Nachtstunden sowie der Dienst am Wochenende negative Auswirkungen auf die persönlichen Ressourcen, aber auch auf die Beanspruchungsreaktion haben werden.

Diese Problematik kann aus meiner Sicht nur entgangen werden, wenn:

- es keine Verpflichtung zur Nachtarbeit in Kindertagesstätten gibt (es hier also nach persönlichen Präferenzen geht)

- die Gruppengrößen extrem klein gehalten werden

- gerade in Nachtstunden ein hoher Personalschlüssel vorliegt

- eine erhöhte Bezahlung und/oder überproportional starker Ausgleich für diese Arbeitszeit vorliegt.

Allerdings vermute ich, dass diese Vorschläge kaum realisierbar sind. Im sozialen Bereich bedurfte es einiger Demonstrationen und Tarifrunden, um das Gehalt von Erziehern und Sozialarbeiter steigen zu lassen, wobei dieser Anstieg weit hinter den Forderungen zurückblieb (URL 26: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/kita-streik-tarifstreit-bei-ver-di-und-gew-beendet-a-1060145.html).

Gerade die Nachtarbeit wird im sozialen Bereich oft geringfügiger vergütet, da diese in Teilen nur als bloße Bereitschaft gilt (URL 27: https://www.lebenshilfe.de/de/themen-recht/artikel/keine-Regelung-zu-Bereitschaftsdiensten.php?listLink=1).

Was den Personalschlüssel in Kindertagestätten betrifft, ist hier zwar eine leichte Verbesserung zu bemerken, jedoch muss sich beispielsweise in den neuen Bundesländern eine Vollzeitkraft um 6,1 Kleinkinder bzw. um 12,4 Kindergartenkinder kümmern (URL 28:

http://www.ndr.de/nachrichten/Studie-Immer-noch-zu-wenig-Personal-in-Kitas,kitastudie106.html). Dies ist sicherlich noch stark ausbaufähig, vor allem im Hinblick auf das bestehende Ost-Westgefälle.

(24)

24 Auch ausschließlich auf persönliche Präferenzen Rücksicht zu nehmen, wird in der Praxis sicherlich schwierig. Denn was passiert, wenn niemand den Nachtdienst übernehmen möchte? Hieraus ergibt sich, dass die Schaffung entlastender Faktoren in der Realität sicher kaum in dem Maße umsetzbar ist, wie sie es sein müsste, um die zusätzliche Belastung angemessen zu kompensieren.

3. Pädagogische Aspekte zur 24 stündigen Betreuung im Kindertagesstättenbereich

Im nachstehenden Kapitel soll es um pädagogische Aspekte gehen, die bei einer Betrachtung dieses Themas unerlässlich sind.

Zunächst wird das in Kindertagesstätten häufig zugrunde gelegte pädagogische Konzept des „Situationsansatzes“ kurz erläutert, um dann der Fragestellung nachzugehen, ob eine direkte Anwendung des Konzeptes auch dann erfolgen kann, wenn die regulären Betreuungszeiten modifiziert werden.

Daraufhin wird allgemein auf den Sozialisationsprozess bei Kindern im Alter 0 von bis 3 Jahren Bezug genommen. Zugrunde gelegt werden hier die Ausführungen von Erikson.

In diesem Kontext unerlässlich ist ebenfalls die Struktur von Bindungsprozessen. Um diese besser zu verstehen, werde ich das Modell der Bindungstypen näher betrachten.

Hierauf aufbauend soll eine Hypothese vorgenommen werden, die eine mögliche Antwort darauf gibt, ob eine Betreuung in den Abend- und Nachstunden negative Konsequenzen für die Entwicklung von Kindern haben kann.

3.1. Das pädagogische Konzept des Situationsansatzes: innerhalb einer 24 stündigen Betreuung möglich?

Neben der Waldorf, Montessori, Reggio oder Freinetpädagogik ist der Situationsansatz eines der häufigsten zugrunde gelegten Konzeptionen in Kindertagesstätten. Während z. B. in den Konzeptionen von Montessori und Freinet die Selbsttätigkeit die zentrale Rolle spielt (Elsner In: Hellmich & Teigeler 2007, S. 76) bezieht zwar der Situationsansatz das Bestreben nach kindlicher Autonomie mit ein, allerdings ist der Fokus ein anderer. Dieses Konzept, das in den 60er Jahren an Hochschulen entwickelt wurde, betont sehr besonders die individuelle Lebenssituation von Kindern und deren Familien. So dass neben Autonomie vor allem Kompetenz und Solidarität, welche in direktem Zusammenhang mit dem integrativem Charakter der Konzeption steht, zu den Zielen gehören. Behinderte und entwicklungsverzögerte Kinder sollen also in die Gruppenstrukturen vollständig integriert werden: „Alle Kinder haben das Recht, gemeinsam aufzuwachsen und, miteinander zu spielen

(25)

25 und zu lernen, das Glück ihrer Kindheit zu erleben sowie ihr Leben zu entdecken und ihre vielfältigen Ressourcen auszubauen.“ (Krenz 2014, S. 23).

Die Rolle des Erziehers wird innerhalb des Situationsansatzes als sehr aktiv aufgefasst. Der Erzieher wird als Partner und Anwalt des Kindes betrachtet, soll sich nach außen öffnen und die Lebensrealität des Kindes in den Fokus nehmen, so dass seine Arbeit stets am Kind, dessen Lebenssituation und Entwicklungsstand angepasst ist (Krenz 2014, S. 41 f.).

Die Kindertagesstätte wird als Ort begriffen, der Wertschätzung, Rückzug, Entschleunigung, Lebendigkeit, Lebensfreude, Demokratie, Sicherheit und Vertrauen in sich trägt (Krenz 2014, S. 44 f.). All diese Faktoren spielen, wie im Vorfeld erläutert, gerade am Abend und in der Nacht eine übergeordnete Rolle.

Werden nun die zentralen Grundideen des Konzeptes (nach Krenz 2014) auf die Idee einer Betreuung in den Abend- und Nachtstunden angewendet, dann ergibt sich kein einheitliches Bild bei der Beantwortung der Frage, ob sie kompatibel sind. Passende Elemente sind:

o Fokussierung auf die Lebenswelt der Kinder: das würde in der Konsequenz bedeuten, dass das Kind mit all seinen Eigenarten, speziellen Bedürfnissen im Fokus steht und dementsprechend ganz individuell auf das Kind und entsprechende Schlüsselsituationen eingegangen würde. Beispielsweise Probleme, die beim Einschlafen bestehen.

o Unterstützung in der Entwicklung der kindlichen Fantasie: gerade während der Dunkelheit haben Kinder oft Ängste, die am Tag nicht bestehen. Das Paradebeispiel des Monsters, welches unter dem Bett lauert, wäre hier zu nennen. Durch eine offene Auseinandersetzung, die Ängste zulässt und sie auch bearbeitet, wäre dieses Konzept durchaus praktikabel.

o Aktive Auseinandersetzung mit Regeln und Normen sowie die Mitgestaltung der Kinder an Regeln: so z. B. wann die Zeit ist, ins Bett zu gehen, andere Kinder nicht am Schlafen zu hindern etc. führt in der Konsequenz eher zu einer Einhaltung der Regeln, da diese selbstgemacht und nicht nur diktiert werden. Eine generelle aktive Mitgestaltung z. B. am Abendprogramm fördert sicherlich ebenso, dass die Kinder sich auf die Übernachtung freuen und keine Ängste entwickeln.

o Partnerschaftliches Verhältnis zwischen Eltern und Erziehern: Eltern und Erzieher stehen in einem regen Austausch und halten sich gegenseitig, was die Entwicklung des Kindes anbelangt, auf dem Laufenden. Das fördert, dass das Kind die Institution als etwas Normales, Alltägliches wahrnimmt.

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26 Die aufgeführten Elemente würden in der oben dargestellten Umsetzung sicherlich zu einem Gelingen der Idee einer 24 Stunden Betreuung beitragen. Allerdings würden alle Faktoren voraussetzen, dass es einen sehr guten Personalschlüssel gibt. Denn die individuelle Betreuung von Kindern, mögliche Einschlafrituale, die diese benötigen, ist unmöglich zu leisten, wenn ein Erzieher gleichzeitig auf „diverse“ kindliche „Besonderheiten“ eingehen soll. Wenn man sich dann noch vorstellt, dass der vom Situationskonzept geforderte integrative Charakter eingeschlossen werden soll, dann scheint eine Überforderung vorprogrammiert.

Eine Übertragung zentraler Merkmale des Situationsansatzes steht und fällt also mit dem Betreuungsschlüssel, dem Austausch zwischen Erziehern und Eltern sowie der Konstanz in der Betreuung für die Kinder (feste Bezugspersonen) bei gleichzeitiger Erholungsmöglichkeit für die Erzieher (wechselnder Einsatz).

3.2. Sozialisationsprozess bei Kindern zwischen 0 und 3 Jahre

Zunächst erfolgt eine Definition, die erläutert, was unter dem Begriff der Sozialisation zu verstehen ist: „Sozialisation ist als Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit eines Individuums in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten, sozialen und materiellen Umwelt zu verstehen. Der Schwerpunkt (…) liegt auf der Frage nach den gesellschaftlichen Integrations- und Partizipationsmöglichkeiten des Individuums, d. h. nach dessen Befähigung am sozialen Leben teilzuhaben und an der gesellschaftlichen Entwicklung mitzuwirken.“ (Niederbacher & Zimmermann 2011, S. 15). Sozialisation meint also das Einwirken der Umwelt auf den Menschwerdungsprozess. Einflüsse der Umwelt führen zur Übernahme von Werten und Normen, der Ausbildung von Einstellungen, der Übernahme sozialer Rollen sowie der Ausbildung eines Gewissens (basierend auf den erlernten Wert- und Normvorstellungen) (Betscher-Ott et al. 2006, S. 79). Als Umwelt gilt insbesondere für kleinere Kinder die Familie, in der sie sich entwickeln (Blank- Mathieu et al. 2006, S. 101).

Innerhalb der Auseinandersetzung mit der Sozialisation gibt es eine Vielzahl von Theorien, welche in der folgenden Abbildung noch einmal zusammengestellt wurden:

(27)

27 Abbildung 11: Theorien der Sozialisation im Überblick

(Betscher-Ott et al. 2006, S. 81)

Ich möchte für meine Auseinandersetzung mit dem möglichen Zusammenhang zwischen der 24 Stunden Betreuung in Kindertagesstätten und Einflüssen auf den Sozialisationsprozess die Theorie von Erik Homburger Erikson5 zur Sozialisation zugrunde legen. Denn „Erikson wird

nicht nur wegen seiner präzise ausgearbeiteten psychosozialen Stadien und der Identitätskrise bei Jugendlichen anerkannt, sondern auch wegen bedeutender Beiträge zur psychoanalytischen Forschungsmethodologie.“ (Thomas und Feldmann 2002, S. 159).

Der deutschstämmige Psychoanalytiker hat sich sehr ausführlich mit kindlichen Entwicklungsprozessen auseinandergesetzt und geht von drei Grundannahmen aus:

ƒ Entwicklung folgt einem epigenetischen Prinzip, das bedeutet, dass es einen Grundbauplan gibt, der immer abgestimmt werden muss mit dem sozialen Entwicklungsplan, also ein Zusammenspiel von organischer Entwicklung und gesellschaftlichem Mitwirken (Niederbacher und Zimmermann 2011, S. 27). ƒ Innerhalb der Persönlichkeitsentwicklung gibt es immer Konflikte, sowohl

innere als auch äußere. Das heißt, dass es einen Widerspruch gibt zwischen dem, was das Individuum tun möchte und dem, was es, bedingt durch äußere Rahmenbedingungen, tun kann (Niederbacher und Zimmermann 2011, S. 27).

ƒ Die Persönlichkeitsentwicklung basiert auf einer Stufenfolge. In dieser Stufenfolge steht das Individuum mit seiner Umwelt in Wechselwirkung. In

5

Ich verwende nur kleine Auszüge aus der Theorie von Eriskon um mich meiner Leitfrage zu nähern, wohl wissentlich, dass ich seinen Ausführungen damit nicht gerecht werde.

(28)

28 jeder Stufe finden sich typische Aufgaben. Wenn diese bewältigt werden, entsteht die Ich-Identität. Das Wachstum der Persönlichkeit begreift Erikson als genetisch fixiert und damit unabhängig von der Kultur, in der das Individuum lebt (Thomas und Feldmann 2002, S. 137).

Abbildung 12: Stufenmodell der Entwicklung nach Erikson

(URL 29: https://www.userpages.uni-koblenz.de/~luetjen/ws12/prole1025b.pdf)

Innerhalb des Stufenmodells sind für die Frage nach möglichen Auswirkungen von 24 Stunden Kindertagesstätten auf den Sozialisationsprozess die ersten beiden Phasen von Bedeutung. In der ersten Phase „Urvertrauen gegen Urmisstrauen“ entsteht im günstigen Fall das Gefühl des Vertrauens. Kinder lernen dann, trotz nicht als optimal wahrgenommener Bedingungen, wie dem Entfernen der Mutter, auch anderen Menschen Vertrauen zu können. Es bildet sich also das so genannte Urvertrauen aus (Niederbacher und Zimmermann 2011, S. 28).

In der zweiten Phase „Autonomie gegen Scham und Zweifel“, welche sich im Kleinkindalter lokalisieren lässt, entdeckt das Kleinkind, dass es über einige Fähigkeiten verfügt z. B. Laufen. Wenn es positiv verstärkt (z. B. durch verbales Lob) wird, entwickelt sich tendenziell das Gefühl von Autonomie, während negative Verstärkung (z. B. in Form von verbalem Tadel) in Scham und Zweifel an der eigenen Persönlichkeit resultieren (Niederbacher und Zimmermann 2011, S. 28).

(29)

29 Ersichtlich ist, dass die erste Phase als Grundlage für den Eintritt in die Kindertagesstätte entscheidend ist, während sie an der zweiten Phase ganz aktiv mitwirkt.

Ausschlaggebend innerhalb dieses Sozialisationsmodells im Hinblick auf die möglichen Konsequenzen einer 24 Stunden Betreuung für das Kleinkind ist, dass in dieser Entwicklungsstufe die Eltern als wichtigste Bezugspersonen gelten. Das bedeutet, dass das Spektrum von Personen, welche von elementarer Bedeutung für die Entwicklung sind, begrenzt ist „(…) mehrere gleichwertige Hauptbezugspersonen schafft das kleine Kind noch nicht, das geht erst vom dritten oder vierten Lebensjahr an. Mehr als zwei Bezugspersonen, die für seine leibliche Versorgung zuständig sind, erträgt ein Kind zwischen null und drei Jahren nur schwer (…).“ (Struck 1996, S. 11). Für Kleinkinder ist also ein fester Rahmen mit nicht wechselnden Personen entscheidend. Damit soll nicht ausgeschlossen werden, dass ein Kind in diesem Alter nicht ohne Beeinträchtigung die Kindertagesstätte besuchen kann, denn immerhin besuchten ja im Jahre 2012 89 % der 3-Jährigen den Kindergarten. Aber im Vergleich zu den meist vorliegenden festen Gruppenstrukturen wird es innerhalb einer 24 Stunden Betreuung keine immer wiederkehrenden Bezugspersonen am Abend geben können., was für Kleinkinder aber auch Kinder schwer auszuhalten sein kann „(…) und die Addition ganz vieler Betreuer zu einer Rund-um-die-Uhr-Versorgung überfordert sogar noch ältere Kinder - wenn auch stetig abnehmend - bis zum Alter von etwa 16 Jahren.“ (Struck 1996, S. 11).

Aus meiner eigenen beruflichen Praxis weiß ich, dass die Nachtkräfte in unserem Wohnhaus ständig wechselnd sind, zwangsweise sein müssen, damit das Familienleben der Arbeitnehmer nicht gänzlich auf der Strecke bleibt. Bei der Planung des Einsatzes der Erzieher, die in der Nacht arbeiten, kann nicht dafür Sorge getragen werden, dass allabendlich derselbe Erzieher dasselbe feste Ritual praktiziert. Aber das ist für Kinder, gerade in dieser Altersstufe, unabdingbar. Ihre Bezugspersonen, die in erster Linie die Eltern sind, werden nun um weitere ergänzt, die dann zumindest verlässlich sein müssen. Das kann in einem 24 Stunden Kindergarten schwer geleistet werden und ich stelle die Vermutung an, dass dies in einem Widerspruch zu den Bedürfnissen des Kindes steht. In einem Artikel, welcher sich wohlgemerkt „nur“ mit der Mittagsschlafproblematik in den Kindergärten auseinandersetzt, heißt es: „Kann eine Betreuung durch konstantes Personal stattfinden, die mit ausreichend Sicherheit, Konstanz und Geborgenheit bei der Ablösung von den Hauptbezugspersonen Mama und Papa hilft? Ist die neue Generation Erzieher und Sozialpädagogischer Assistenten, die für den raschen Kita- Ausbau gebraucht wird, überhaupt ausreichend für den U3-Bereich ausgebildet? (…) Die Befürchtung steht im Raum, dass mit dem Krippen-Ausbau eine Generation Kinder heranwächst, deren Grundbedürfnisse nach sicherer Bindung, einem ritualisierten Tagesablauf, stressreduzierter Atmosphäre, ausreichend Schlaf, Wärme, Nähe usw. nicht ausreichend sichergestellt werden können.“ (Bredow 2014, S. 12). Diese

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30 Befürchtung steht während des nächtlichen Schlafens noch sehr viel massiver im Raum, denn es geht, anders als beim Mittagsschlaf, wo der Aspekt der Angst vor dem Verpassen von Dingen ganz zentral ist (Schader In Käsgen & Ott-Hackmann 2001, S. 38), noch um Aspekte wie: wie soll eine sichere Bindung, ein Abendritual, stressfreies Einschlafen, Wärme und Nähe entstehen können, wenn es wechselndes Personal, Personalmangel, Kinder mit ganz unterschiedlichen Schlafbedürfnissen und Einschlafmustern gibt? Schlaf ist gerade für Kinder von essentieller Notwendigkeit. Im Schlaf verarbeitet der Mensch, das Erlebte des Tages (Bayrhuber, Hauber und Kull 2012, S. 319). Das Gehirn des Kindes ist aber, wie sein Körper auch, in der Wachstumsphase. Schlafmangel kann demnach zu Entwicklungs- und Verhaltensstörungen führen (Bredow 2014, S. 12 und Zimmer 2005, S. 160 ff.).

Angewendet auf die Theorie von Erikson entsteht nämlich ein massiver, und das ist ganz entscheidend: unüberwindbarer Konflikt, in dem das, was das Kind möchte und das, was die Rahmenbedingungen ermöglichen, nicht miteinander vereinbar ist. Denn der „Grundbauplan“ im Sinne der Grundbedürfnisse wird nicht eingehalten, da das Grundbedürfnis des sicheren Einschlafens und Durchschlafens nur von festen Bezugspersonen gestillt werden kann. „Die Familie ist der primäre Lebensraum des Kindes (…). Die Eltern sind die wichtigsten, frühesten und dauerhaftesten Bezugspersonen des Kindes, sie können in unvergleichlichem Maße die Entwicklung des Kindes unterstützen.“ (Zimmer 2006, S. 176). Die Kindertagesstätte hingegen ist ein öffentlicher Raum, „(…) ein Ort der Kultur, der Impulse und Entwicklungen von außen aufnimmt und Impulse nach außen abgibt.“ (Hammes-Di Bernardo & Speck-Hamdan 2010, S. 60), der für die Entwicklung und den Sozialisationsprozess des Kindes ganz bestimmt sehr wichtig ist, aber am Tage und mit begrenzter Stundenzahl. Allerdings bleibt anzumerken, dass die Rolle der Kindertagesstätten und damit der Erzieher einem Wandel unterliegt, der dahingehend zu verstehen ist, dass die Einflussnahme wächst und die Gestaltung der Erziehung sich eben nicht nur Zuhause, sondern mehr und mehr in Institutionen abspielt (Volkert 2008, S. 57).

3.3. Frühkindliche Bindungsprozesse

Anknüpfend an die oben dargestellte Bedeutung der Bezugspersonen möchte ich in diesem Abschnitt auf Bindungsprozesse während der frühkindlichen Entwicklung eingehen. Hierzu stelle ich zunächst die Bindungstypen bei Kindern tabellarisch zusammen (nach Haug-Schnabel & Bensel S. 14):

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31 Bindungstyp Fürsorgeverhalten der Eltern Bindungsverhalten des Kindes (Schwerpunkt liegt auf dem 2. Lebensjahr)

Inneres Modell des Kindes

Sicher Wahrnehmung der

Eltern ist fürsorglich und geht direkt und angemessen auf die kindlichen Bedürfnisse ein. Die Eltern sind emotional und

körperlich zugänglich. Der Umgang mit dem Kind löst Freude bei den Eltern aus.

Das Kind

kommuniziert mit den Eltern und zwar direkt und offen. Bei der Trennung von den Eltern wird Protest kenntlich, wobei dies nicht mit einem erhöhten Cortisolausstoß, welcher Stress anzeigt, einhergeht.

Spieltätigkeit wird eingeschränkt, aber das Verhalten normalisiert sich, wenn die Eltern wieder anwesend sind. Die Eltern gelten als sichere Basis.

Das Kind kann anderen vertrauen, es empfindet sich selbst als

liebenswert und wichtig und empfindet seine Welt als sicher.

Unsicher - vermeidend Eltern können nicht angemessen auf die Befindlichkeiten des Kindes eingehen, sie sind nicht ansprechbar, können sich

unzureichend einfühlen und weisen das Kind auch körperlich zurück

Es gibt wenig Kommunikation, der Zugang zu Gefühlen ist nur eingeschränkt vorhanden. Während Trennungsphasen scheint das Kind nach außen gleichgültig, aber es lässt sich ein hoher Level an Cortsiol messen. Spielaktivität wird zwar fortgesetzt, aber wenig

konzentriert. Häufig kommt es bei der Wiederkehr der Eltern zu einer kindlichen Abwendung.

Das Kind empfindet andere Menschen oft als abweisend, es hat das Gefühl, sich schützen zu müssen und das eigene Verhalten an die Erwartung der anderen, nicht an eigenen Bedürfnissen

orientieren zu müssen.

Unsicher- ambivalent Eltern sind in ihrem Verhalten

widersprüchlich. Der Umgang mit dem Kind ist unvorhersehbar und wirkt willkürlich. Die Befindlichkeiten der Eltern dominieren.

Kinder reagieren mit übersteigerten Gefühlen, sie

klammern und wirken ängstlich. Dies wird gerade in

Trennungssituationen deutlich, in denen sehr viel Stress für das Kind entsteht. Spielaktivität

Andere Menschen sind nicht einschätzbar. Manchmal reagieren sie liebevoll, aber manchmal auch

zurückweisend. Für das Kind ist es wichtig, immer im Fokus zu haben, was andere erwarten, weil das mit

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32 ist bei der Trennung

von den Eltern nicht zu beobachten. Bei Rückkehr wird einerseits die Nähe gesucht, andererseits aber auch mit

Verärgerung reagiert.

der Bekundung von liebevollen Gesten einhergehen kann.

Desorganisiert Eltern ängstigen ihr Kind, dies geht bis hin zur Vernachlässigung.

Verhalten des Kindes ist in sich

widersprüchlich. Bei der Spielaktivität finden sich oft Stereotype. Eltern werden häufig gemieden.

Das Kind hat das Gefühl, dass die Eltern oft ärgerlich sind, auch andere Menschen werden als missbrauchend wahrgenommen. Im Kind überwiegt das Gefühl, dass die eigenen Bedürfnisse nicht befriedigt werden können.

Abbildung 13: Kindliche Bindungstypen im Vergleich

Im Hinblick auf die Fragestellung, inwiefern die 24 Stunden Betreuung Auswirkungen auf die Bindungsfähigkeit von Kindern haben kann, sind vor allem Typ 1 und 3 von entscheidender Bedeutung. Ein sicher gebundenes Kind, das natürlich den Idealfall (Modellcharakter) darstellt, kann sich auf seine Eltern und auf feste Rituale verlassen. Die Bezugsperson ist stets offen und geht auf die kindlichen Befindlichkeiten ein. Die Ausführungen zeigen schon, dass Eltern die Rolle der Bezugspersonen einnehmen. Ein Erzieher kann mit großer Sicherheit als weitere Bezugsperson fungieren, nicht aber die Eltern in ihrer Funktion ersetzen.

Eine mögliche Folge, welche sich aus der nächtlichen Fremdbetreuung in 24 Stunden Einrichtungen ergeben kann, ist, dass das Kind unsichere ambivalente Bindungseigenschaften zeigt. Dies scheint möglich, da Reaktionen von Eltern und unterschiedlichen Erziehern wahrscheinlich keine vollständige Übereinstimmung zeigen können. So haben Erzieher natürlich unterschiedliche Persönlichkeiten, unter Umständen unterschiedliche Reaktionsmuster und Rituale und hier wiederum noch einmal ganz andere als die Eltern. Das kann das Kind gerade in der sensiblen Phase von 0 - 3 Jahren durchaus verunsichern, da es noch nicht in der Lage ist, diese Vielzahl von Verhaltensmustern, neben den elterlichen, zu sortieren. Dementsprechend besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Fremdbetreuung in der

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33 Kindertagesstätte, die über das normale Maß hinaus geht, in einer höchst sensiblen Tagesphase stattfindet und im Prinzip zwangsläufig mit starken personellen Wechseln gekoppelt ist, vor allem die unsichere ambivalente Bindung fördern kann. Feste Strukturen und Rituale mit gleichbleibendem Personal scheinen der einzige Weg, dem entgegenzuwirken „Wichtig sind Zuverlässigkeit und Kontinuität bei liebevoller Pflege. Zwischen Bezugspersonen und Kind muss die Gelegenheit zu regelmäßiger Zwiesprache gegeben sein. Denn nur bei Kontinuität in der erzieherischen Betreuung (…) entsteht eine sichere Bindung.“ (Haug-Schnabel & Bensel, S. 12).

4. Beispiele für 24 Stunden Einrichtungen

Die Beispiele für 24 Stunden Kindertagesstätten sind aktuell noch nicht besonders vielfältig. Einrichtungen, die im Internet und auch in Zeitungsartikeln als „24 Stunden Kitas“ bezeichnet werden, stellten sich bei Nachfrage meinerseits gar nicht als solche dar bzw. waren noch derart am Anfang ihrer Entwicklung hin zu einer 24 Stunden Einrichtung, dass abgelehnt wurde, ein Interview mit mir zu der Thematik zu führen. Eine in der Presse viel genannte Kindertagesstätte, die eine Betreuung über Nacht anbietet, findet sich in Schwerin. Es handelt sich um die Einrichtung „Nidulus“, welche im Folgenden kurz vorgestellt und mit einem ganz anderen Konzept, dem Kinderhotel „Engel und Bengel“ in Hamburg verglichen werden soll.

4.1. Die Kindertagesstätte „Nidulus“ in Schwerin6

Die Einrichtung „Nidulus“ gliedert sich in zwei Einrichtungen und damit unterschiedliche Standorte. Zum einen gibt es die Kindertagesstätte „Nidulus“ (64 Plätze) seit dem Jahr 2009, welche sich auf dem Gelände der Helios Kliniken befindet und vom Park der Klinik umgeben ist. Zum anderen gibt es die Einrichtung „Nidulus duo“ (69 Plätze), die auf dem Gelände der „Sozius GmbH“ zu finden ist. Diese Einrichtung ist recht neu und wurde am 1 November 2014 im Beisein von Manulea Schwesig eröffnet. In beiden Einrichtungen findet sich das Konzept der 24 Stunden Betreuung.

Den Kindertagesstätten liegt das Konzept von Kneipp zugrunde. Hierunter wird verstanden, dass die 5 Säulen von Kneipp zum Tragen kommen, worunter folgende Elemente verstanden werden: Ernährung, Bewegung, Wasser, Heilpflanzen, Lebensordnung. Weitere Angaben zu dieser Konzeption finden sich auf der Homepage nicht. Bei Recherchen zu dieser Konzeption hat sich ergeben, dass es sich bei der Säule „Ernährung“ um eine ausgewogene Ernährung

6 Die folgenden Informationen sind der Homepage der Kindertagesstätte „Nidulus“ entnommen: URL 30:

http://www.kita-ggmbh.de/index.php/ausrichtung-128.html. Im Verlauf der Beschreibung wird keine

Formulierung im Konjunktiv erfolgen, da an dieser Stelle explizit darauf hingewiesen wird, dass es sich nur um die Wiedergabe von Informationen der Homepage handelt. Somit liegt keine Wertung des Autors vor.

(34)

34 handelt, welche den Kindern in der Einrichtung zur Verfügung gestellt wird. Bewegung soll dem Kind ermöglichen, den eigenen Körper wahrzunehmen, welches auch eine förderliche Wirkung auf die psychische Entwicklung des Kindes hat. Unter der Säule „Wasser“ ist zu verstehen, dass die Kinder aktiv mit diesem Element in Berührung kommen, indem sie z. B. einfach „plantschen“ oder aber „Wassertreten“. Das Element „Wasser“ hat bei Kneipp eine zentrale Funktion. Die Säule der „Heilpflanzen“ geht mit der Kunde von Kräutern einher, welche die Kinder in einem Kräutergarten selbst bewirtschaften. Durch die Pflege gewinnen sie zunehmende Kenntnis über die Pflanzen. Die Säule der „Lebensordnung“ umfasst einerseits im eigentlichen Sinne das Ordnung halten, aber auch die Etablierung fester Regeln und Rituale wie z. B. dem Beginn und dem Ende des Besuches des Kindergartens, fester Rituale wie einem Morgenkreis etc. (URL 31: http://www.familie-und-tipps.de/Kinder/Kinderbetreuung/Kindergartenmodelle/Kneipp-Kindergarten.html#Saeulen).

Außerdem finden sich einige Aspekte aus dem Situationsansatz. So betont die Einrichtung auf ihrer Homepage, dass das Kind mit all seinen gemachten Erfahrungen und der ganz individuellen Lebenswirklichkeit im Fokus steht. Kinder werden als autonome Persönlichkeiten verstanden, die ihr Verständnis von der Welt selbst entwickeln. Erzieher sollen die Rolle von Partnern und Impulsgebern einnehmen. Die Kinder planen am Morgen eines Tages, was sie im Verlaufe der folgenden Stunden vorhaben. Sie werden hierbei von den Erziehern unterstützt.

Die Einrichtung möchte ein Lösungsangebot für Eltern und deren Kinder anbieten, die besondere Bedürfnisse, im Sinne von anderen als den regulären Betreuungszeiten, haben. Dementsprechend werden flexible Öffnungszeiten, gekoppelt an die Betreuung über Nacht sowie eine ganzjährige Öffnung, angeboten. Ganz entscheidend ist, dass die Einrichtung auf ihrer Homepage betont, dass beide Erziehungsberechtigten den Nachweis erbringen müssen, dass sie bedingt durch ihre Berufstätigkeit nicht in der Lage sind, durch reguläre Betreuungszeiten die Unterbringung ihrer Kinder zu gewährleisten. Explizit genannt werden Personengruppen, die im Schichtdienst tätig sind oder deren Arbeitszeit auch am Wochenende stattfindet.

Die Räumlichkeiten sind vielfältig gestaltet. So gibt es einen separaten Nachtschlafraum, eine Sauna, ein Kinderrestaurant sowie einen Garten, der von den Kindern genutzt werden kann. Bei den Arbeitnehmern in der Einrichtung handelt es sich ausschließlich um ausgebildetes Fachpersonal (also vermutlich Erzieher und sozialpädagogische Assistenten).

Der monatliche Beitrag für die Betreuung in der Kindertagesstätte liegt bei 1.101,54 Euro. Hiervon zahlen die Eltern 441,25 Euro, was ca. 150,00 Euro monatlich mehr ist, als die

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