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Archiv "Wohin führt die naturwissenschaftliche Forschung über Misteltherapie?" (09.09.1994)

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(1)

Wohin führt die

naturwissenschaftliche Forschung über Misteltherapie?

D

ie Popularität verschiedener unkonventioneller Metho- den in der Medizin drückt sich auch in der Höhe der häufig unterschätzten Kosten aus, die für die Anwendung solcher Ver- fahren aufgewendet werden (6, 8).

Werbeaussagen mit positiv belegten Reizworten wie „erfahrungsheil- kundlich, sanft, natürlich" stehen je- doch in deutlichem Kontrast zu den ernüchternden Schlußfolgerungen aus Analysen der verfügbaren Litera- tur auf der unabdingbaren Basis der Wissenschaftlichkeit, die die ableh- nende Haltung der Schulmedizin leicht verständlich machen (4, 11, 41, 42, 58). Dies gilt ohne Abstriche auch für unterschiedliche unkonventionel- le Methoden im Bereich der Onkolo- gie (25, 28, 39, 40, 47, 51, 53). Einen Teilaspekt dieses Sektors stellt die Anwendung von Mistelpräparaten dar (26, 50). Trotz unterschiedlicher Herstellungsweisen, die in Verbin- dung mit Abweichungen im Aus- gangsmaterial (Pflanzenteile, Ernte- zeitpunkt, Wirtsbaum) zu drasti- schen Varianzen im Gehalt der im Extrakt enthaltenen Einzelsubstan- zen führen können, und trotz fehlen- der präziser Deklaration von Wirk- substanzen, Konzentrationen und nach schulmedizinischen Kriterien klinisch belegten Dosierungsvor- schriften erheben die Vertreiber der verschiedenen marktgängigen Präpa- rate einen ähnlichen Indikationsan- spruch für ihre Produkte, der die Be- handlung maligner Tumoren, Hä- moblastosen und definierter Präkan- zerosen sowie die postoperative Re- zidivprophylaxe einschließt (Tabelle 1). Eine kritische Analyse vorliegen- der Befunde der Anwendung von Mi- stelpräparaten kommt zu dem

Hans-Joachim Gabius') Sigrun Gabius 2)

Patient und Arzt richten an ein Arz- neimittel die Erwartung seiner Wirk- samkeit. Von der Erfüllung gängiger Qualitätskriterien und der Orientie- rung der Anwendungsempfehlung an den Resultaten der Erfolgskontrolle in klinischen Studien sind auch die Präparate, die zu den unkonventio- nellen Methoden in der Onkologie gerechnet werden, nicht auszuneh- men. Die gegenwärtige Zurückhal- tung und Ablehnung der wissen- schaftlich fundierten Medizin kann nur durch Präparatestandardisierung anhand präziser Wirkstoffdefinition und durch unstrittige Wirksamkeits- nachweise in nach anerkannten Kri- terien durchgeführten klinischen Stu- dien revidiert werden.

Schluß, daß diese Daten „nicht die unkontrollierte, allgemeine Anwen- dung und die in der Werbung erho- benen Ansprüche rechtfertigen"

(26). Dieser Bewertung wurde mit der Argumentation widersprochen, daß „die klinische Wirksamkeit der Misteltherapie am eigenen Kranken- gut wohl nicht statistisch, aber ein- drucksvoll gezeigt werden konnte"

(49). Eine prinzipielle Ablehnung

1) Institut für Physiologische Chemie (Di- rektor: Prof. Dr. rer. nat. Hans-Joachim Gabius) an der Tierärztlichen Fakultät, Lud- wig-Maximilians-Universität München 2) Internistische Gemeinschaftspraxis, Hei- lig-Geist-Straße 42, 83022 Rosenheim

der Erfolgskontrolle der Mistelthera- pie durch Studien ist nicht statthaft.

Soll eine Plazebowirkung ausge- schlossen werden (10, 35), so lassen sich geeignete Studienprotokolle aus den Möglichkeiten der Durchfüh- rung klinischer Prüfungen problem- los auf die Misteltherapie anwenden (7). Voraussetzung für die Anerken- nung ihrer Aussagekraft ist die Siche- rung der Konstanz der pharmazeuti- schen Qualität des eingesetzten Prüf- präparates mit erforderlicher Nor- mierung auf biochemisch definierte Wirksubstanzen, so daß prospektiv mit nachvollziehbaren Dosisangaben reproduzierbar gearbeitet werden kann. Stehen der Nutzung von Ein- zelkomponenten keine sachlich zwin- genden Argumente entgegen, explizit die Einschränkung der Potenz des Wirkstoffes durch Isolation, experi- mentell nachgewiesener Synergismus verschiedener Komponenten, förder- liche Resorptionsmodulation durch Begleitstoffe oder Reduktion von un- erwünschten Nebenwirkungen durch Begleitstoffe (46), so sollte der Ein- satz von isolierter Reinsubstanz oder von rationalen Wirkstoffgemischen, die aus Reinsubstanzen hergestellt werden, angestrebt werden. Der kon- trollierte Einsatz eines Wirkstoffes anstelle eines Gemisches variieren- der Zusammensetzung reduziert die Gefahr von schwerwiegenden Ne- benwirkungen, wie sie auch für Mi- stelpräparate beschrieben sind (24, 45). Auch wenn man die Vielfalt der Extraktkomponenten betrachtet (2, 13, 50), die unter anderem Proteine wie Viscotoxine und Lektine, Poly- saccharide, Triterpene, Flavonoide und Phenylcarbonsäuren umfaßt, so besteht kein Anlaß, von einer gedul- digen Analyse der Einzelsubstanzen

A-2320 (40) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 36, 9. September 1994

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Einführung;

Promotor, Hersteller

Produktionsverfahren/

Frischpflanze für 1 ml Injektionslösung

vermeintliche Wirksubstan- zen

behauptete Wirkprinzipien Präparat

laktofermentierter Extrakt, kombi- niert mit Metallen/

10 -4 mg bis 50 mg planta tota

Lektine, Proteine, Alkaloide, Polysacchari- de, Vitamin C und

andere

immunstimulie- rend,

Hemmung des Tumorwachstums Iscador 20er Jahre; Rudolf Steiner,

Ita Wegmann, Weleda AG, Arlesheim, Schwäbisch Gmünd

etwa 1972; Gutsch, Sektion für Leukämie und Krebstherapie der Gemeinschaft Fischermühle e. V., Helixor Heilmittel GmbH, Rosenfeld

Helixor wässeriger Kaltauszug

aus frischen

Misteln/1 mg bis 50 mg

Lektine, Vis- cotoxine, Alkaloide

natürliche Ab- wehrleistung des Organismus steigernd

Isorel/

Vysorel

registriert 1983; Wolf, Novi- pharm GmbH, Pörtschach (A), Pforzheim (D)

wässeriger Flüssig- keitsextrakt aus gan- zer Pflanze/60 mg

tumoraktive Proteine

selektiv kan- zerostatisch, immunstimulie- rend, Aktivie- rung der Grundsubstanz wärmerhythmischer

Prozeß, Potenzierung nach den Regeln der Homöopathie

Hinweise auf

„Polare Bildungspha- sen der Mi- stelpflanze"

Aktivierung des Mesenchyms und des Wärme- organismus Iscucin etwa 1958; Köhler, H. H., Vogel,

Wala-Heilmittel-GmbH, Eckwäl- den

Abnoba- Viscum

seit 1972 im Handel; von Laue, Abnoba-Heilmittel GmbH, Pforz- heim

Verdünnung grünen Preßsaftes als Kolloid aus einjährigen ganzen Trieben

Immunmodula- tion, chrono- biologische Syn- chronisation unklar

30er Jahre; Dr. Madaus & Co, Köln

wässeriger Auszug aus Mistelkraut (unterschiedliche Stärken verfügbar)

„mittelstarker Reizkörper"

vor allem zur Schmerz- therapie, nur palliativ Plenosol

1990; Medisculab Arzneimittel GmbH, Fellbach

wässeriger Auszug aus Mistelkraut, 1 ml enthält 1 mg (entspricht einer Stärkeform des Pleno- sols)

Eurixor Lektin

(VAA = ML-1)

Immun- modulation, palliativ MEDIZIN

AKTUELL

Tabelle 1: Vergleich der verschiedenen kommerziellen Mistelpräparate')

') nach S. P. Hauser (in 26, mit freundlicher Genehmigung)

abzusehen. Der Einstieg in solche Arbeiten kann auch geleitet werden von Erkenntnissen über die schon be- legte Bedeutung von Vertretern ei- ner im Mistelextrakt vorhandenen Substanzklasse in anderen Systemen.

Lektine - Mediatoren biologischer

Informationsübertragung Neben Nukleinsäuren und Pro- teinen wird zunehmend Zuckerstruk-

turen eine Rolle als Träger biologi- scher Information zugewiesen (55).

Zuckerketten an Proteinen oder Li- piden können demnach Erkennungs- prozesse wie Zellinteraktionen oder Transportvorgänge zwischen ver-

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 36, 9. September 1994 (43) A-2323

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schiedenen Zelltypen oder Zellkom- partimenten steuern. Hierzu gehören auch klinisch relevante Vorgänge wie die Anheftung von pathogenen Orga- nismen, beispielsweise Viren, Bakte- rien oder Parasiten, an ihre Zielzel- len beziehungsweise zelluläre Inter- aktionen im Immunsystem (14, 18, 20, 48, 55). Abgelesen werden kann die in der Abfolge von Zucker- einheiten niedergelegte Information durch zuckerbindende Proteine, zu denen die Lektine gehören (14, 18).

Sie vermitteln nicht nur Zellkontak- te, sondern auch Biosignale, zum Beispiel über Änderungen der Ver- fügbarkeit von sekundären Boten- stoffen, so daß Protein-Zucker- Wechselwirkung auch das Wachs- tumsverhalten oder den Aktivitätszu- stand von Zellen, beispielsweise Im- mun- oder Tumorzellen, merklich beeinflussen kann (17, 18, 20, 48).

Ausgehend von dieser Basis, haben wir dem galaktosid-spezifischen Lek- tin der Mistel (Viscum album aggluti- nin = VAA) besondere Beachtung geschenkt.

Das

galaktosid-spezifische Lektin der Mistel (VAA) Das galaktosid-spezifische Lek- tin der Mistel besteht aus zwei Unter- einheiten, die durch eine Disulfid- brücke miteinander kovalent verbun- den sind (12, 19, 34, 43). Die Unter- einheit mit der Nomenklaturbezeich- nung A läßt sich in zwei Subtypen trennen (19). In den N-terminalen Sequenzen dieser beiden Proteine bestehen ladungsneutrale Aminosäu- resubstitutionen, die auf Präsenz zweier unterschiedlicher Gene, nicht jedoch unterschiedlicher post-trans- lationaler Modifikationen schließen lassen (19). Diese Art von Unterein- heit bedingt die Toxizität der Lektine aufgrund ihrer enzymatischen Aktivi- tät als RNA-N-Glykosidase (9). Die B-Untereinheit vermittelt dem Ge- samtprotein den Lektincharakter.

Optimierung der Aufreinigung durch geeignete Wahl des Affinitätsligan- den und seiner Kopplungsart an die Matrix liefert eine Ausbeute von et- wa 1 mg Lektin aus 12 g kommerziell

verfügbarem Mistelkraut, wobei Ern- tejahr, Erntezeitpunkt und Wirts- baum die Ausbeute beeinflussen können (15). Das Lektin bindet ter- minal gelegene Galaktose-Einheiten von Zuckerketten an Glykokonjuga- ten ohne deutliche Präferenz für die Anomerie der Bindung an den sub- terminalen Zucker (29, 59). In dieser Position innerhalb einer Zuckerkette erhöhen die beiden 2'- und 3'-Hydro- xylgruppen in äquatorialer, nicht axi- aler Stellung die bestehende Bin- dungsaffinität (30).

Da terminal stehende Galaktose ein gängiger Bestandteil mancher Glykolipide und auch Glykoproteine ist, weist die Spezifität des Lektins somit keine hohe Selektivität zu den natürlich vorkommenden Endstruk- turen bei Glykokonjugaten auf. Die- ser Umstand erklärt, warum man nicht erwarten darf, mit dem Lektin eine zelltypspezifische Chemothera- pie erzielen zu können. Die gleiche Schlußfolgerung gilt aber auch für andere toxische Proteine im Extrakt, die Viscotoxine.

Damit entfällt die Anwendung von Lektindosierungen, die den Lek- tinteil als Steuereinheit für die hoch- toxische A-Kette nutzen würden. Ob der Einsatz von monoklonalen Anti- körpern als Zielfindungsinstrument für die A-Kette zu einer Verbesse- rung der Transportgenauigkeit führt, befindet sich im Falle des verwand- ten Ricins in der experimentellen Prüfung. Somit verblieb für das ga- laktosid-spezifische Mistellektin die Möglichkeit, daß es in niedriger Do- sierung Signalprozesse auslöst.

Wie von der mitogenen Stimula- tion von Zellen durch pflanzliche Lektine, zum Beispiel Concanavalin A, her bekannt, kann bei unter- schiedlichen Zelltypen durch Lektin auf zelluläre Biosignalketten beson- ders im niedrigen Dosisbereich ein markanter Einfluß ausgeübt werden (5). Verfügbarkeit und Affinität der unterschiedlichen Klassen von Ligan- denstrukturen für solche Lektine sind entwicklungsabhängig einer deutlichen Modulation unterworfen (37). Da sich in biologischen Regula- tionsprozessen häufig relativ kleine Änderungen der Konzentration eines Effektors stark auswirken, ist die konzentrationsabhängige Bindung

des Lektins an native Zellen analy- siert worden. An menschliche Zellen der Linie THP-1 bindet das Lektin, chemisch schonend modifiziert zur Messung der Zellbindung, im Kon- zentrationsbereich unterhalb von 2 µg/ml x 106 Zellen mit positiver Ko- operativität (19). Dieses Bindungs- verhalten korreliert mit Änderung verschiedener Zellparameter im Fal- le anderer pflanzlicher Lektine (5).

Bei Kulturzellen oder mononukle- aren Zellen ändern sich nach Bin- dung des Mistellektins in diesem Konzentrationsbereich intrazelluläre Parameter wie Ca 2 + -Verfügbarkeit oder Phosphorylierungsgrad von Pro- teinen und Lipiden oder zelluläre Funktionen wie Sekretion von Zyto- kinen, speziell Interleukin-1, Inter- leukin-6 und Tumornekrosefaktor-a (16, 21, 22). Mit Sicht auf lektinver- mittelte Zytokinsekretion in vitro und in vivo ist der histologische Be- fund der Präsenz von Lektinbin- dungsstellen auf intratumoralen Ma- krophagen von potentieller Bedeu- tung (22). Dieser Faktor kann auch den Anstieg der Serumspiegel von Akutphaseproteinen sowie die Erhö- hung der Expression von Markern des Aktivitätszustandes von Lympho- zyten erklären (3). Welche humora- len und/oder zellulären Mechanis- men den antitumoralen Effekt bedin- gen, der in getesteten Tumormodel- len (Lymphosarkom, Fibrosarkom, Melanom) in der Maus bei der im- munmodulatorisch effektiven Dosie- rung von 1 bis 2 ng Lektin/kg Körper- gewicht auftritt, ist zur Zeit nicht präzise festzulegen (16, 21, 22). Fest- zuhalten ist hingegen, daß das Mi- stellektin keine außergewöhnlichen Eigenschaften aufweist. Neben dem galaktose-spezifischen Ricin indu- ziert auch ein Lektin aus Boletus sa- tanas die Zytokinfreisetzung im Kon- zentrationsbereich < 1 µg/ml (32, 33).

Spielraum für Einbringung einer my- thologischen Sonderstellung ist nicht gegeben.

Prüfung von

Extrakt oder Lektin?

Nach den in der Einleitung ge- nannten Vorgaben (46) gibt es nach- vollziehbare Kriterien, die Prüfung

A-2324 (44) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 36, 9. September 1994

(4)

MEDIZIN

mit der Reinsubstanz der Extraktan- wendung vorzuziehen. Das Lektin besitzt auch nach Isolation eine hohe Stabilität. Darin unterscheidet es sich markant von dem nativen basi- schen Proteinkomplex, der bei einer Dosis von 100 ng/kg in Ratten und Mäusen Thymusstimulierung auslöst (57). Wählt man als Meßparameter immunologische Eigenschaften wie Phagozytoseaktivität von Granulozy- ten oder NK-Zellzahl, so bedingt Lektinverarmung des modulatorisch wirksamen Gesamtextraktes drasti- sche Reduktionen des Ausgangswer- tes, der beachtlicherweise auch mit identischer Dosis der Reinsubstanz erreicht wird (23). Relativ zu VAA erweisen sich N-Acetylgalaktosamin- bindende Aktivitäten aus Mistelex- trakt als weniger effektiv (23). In die- sem Vergleich von Extrakt zu Rein- substanz bei gleicher Dosierung des Lektins zeigt sich zudem, daß kein Indiz dafür besteht, daß für die Ver- mittlung der Wirkung des Lektins weitere Substanzklassen des Extrak- tes eine essentielle Rolle spielen. Be- achtenswert ist hingegen die schon genannte Reduktion von Begleitstof- fen, die an der Injektionsstelle zu Reizungen führen können.

Die beschriebenen Versuchsrei- hen mit Extrakten relativ zur Nut- zung der Reinsubstanz hatten eine unabdingbare Voraussetzung, die verläßliche Quantifizierung des Lek- tingehaltes. Hierfür wurde ein gängi- ges Meßverfahren eingesetzt, das die spezifische Lektin-Glykoligand-Er- kennung kombiniert mit der hohen Empfindlichkeit immunologischer Nachweisverfahren (54). Die Verfüg- barkeit dieses Verfahrens erlaubt es, sowohl mit Extrakten, deren Lektin- gehalt im ng-Bereich quantifizierbar ist, als auch mit Lösungen reinen Lektins zu arbeiten. Die erste Stufe des Verfahrens, die Bindung an den Glykoliganden, garantiert, daß nicht der immunologisch erfaßbare Lektin- gehalt, sondern die biologisch aktive Konzentration bestimmt wird. In die- sem Zusammenhang ist es erwäh- nenswert, daß Anwendung des im- munologischen Verfahrens bei ver- schiedenen Präparatezubereitungen zu folgenden Lektinwerten führte: Is- cador®, 145 bis 920 ng/ml, Isorel®, 12 bis 750 ng/ml, und Helixor®, 230 bis

AKTUELL

6400 ng/ml (60). Da mit dem Lektin sowohl immunologische Effekte als auch antitumorale/antimetastatische Resultate erhoben wurden (16, 20, 21, 22), empfiehlt es sich, diese Li- nie weiterzuverfolgen, um kausale Beziehungen herauszuarbeiten. Wel- che Parameteränderungen nämlich zu dem gemessenen Resultat maß- geblich beitragen, ist zur Zeit noch nicht verläßlich und präzise zu defi- nieren.

Klinische Relevanz für das Lektin?

Die Messung der Erhöhung der NK-Zellzahl, ihrer Aktivität in vitro oder des Anstiegs der Serumspiegel bestimmter Zytokine sowie positiv wertbarer Effekte in Tiermodellen kann dazu verführen, ungerechtfer- tigt klinische Wirksamkeit zu impli- zieren. Der Modellcharakter erstge- nannter Meßreihen, die in vitro (nicht in situ) nicht die in der Regel heterogenen Tumorpopulationen als Zielzellen einsetzen, die nachweis- lich ambivalente Wirkung von Zyto- kinen sowie die Beobachtung der Be- einflussung von Tumorausbreitung und Tumorwachstum im Modell, also nach Injektion von Kulturzellen in das Versuchstier, mahnen zur vor- sichtig zurückhaltenden Einschät- zung. Augenmerk verdienen im Rah- men dieser Aufzählung insbesondere In-vitro-Befunde, daß Interleukin-1, Interleukin-6 und Tumornekrosefak- tor-a als Wachstumsfaktoren für ver- schiedene Zelltypen fungieren kön- nen, beispielsweise Nieren-, Kolon- und Ovarialkarzinomzellen, Mye- lomzellen, akut-myeloische Leuk- ämiezellen sowie Haarzell-Leuk- ämiezellen, und in vivo erhaltene Re- sultate, wonach die Metastasierungs- kapazität in Tiermodellen nach Zyto- kingabe erhöht sein kann oder die Prognose negativ mit erhöhtem Zyto- kinspiegel bei fortgeschrittenem Krankheitsstadium korrelieren kann (1, 16, 21, 22, 36, 38).

Diese beschriebene Ambivalenz gilt es auszuloten. Der historisch be- dingten Begriffswahl für Tumorne- krosefaktor-a, die die zunehmend entschlüsselte Vielfalt der Wirkungs- möglichkeiten eines Zytokins, zu be-

werten im Kontext der aktuellen Si- tuation, nicht gebührend reflektiert, ist jedenfalls keine Priorität einzu- räumen (52, 56). Daher darf die ex- perimentelle Feststellung von Modu- lation von Immunparametern nicht als Beweis für die Berechtigung klini- scher Anwendung dieser Substanz angesehen werden, wie es zu Werbe- zwecken geschieht, sondern lediglich als Argument für den Einstieg in die gewissenhafte, vorbehaltlose Prü- fung. Insgesamt wird somit deutlich, daß zur realistischen Bewertung des zukünftigen onkologischen Stellen- wertes einer immunmodulatorischen Lektinbehandlung zwar wichtige Prüfvoraussetzungen wie Definition einer aktiven, biochemisch charakte- risierten Substanz, Dosis, Verabrei- chungsform und Injektionshäufigkeit festgelegt sind.

Nur prospektive randomisierte Studien mit Plazebokontrolle können jetzt die angestrebte Klärung erbrin- gen. Erfassung von Angaben zu Kri- terien wie Lebensqualität und Ak- zeptanz sollte natürlich im Vergleich mit der Plazebogabe aufmerksam be- trieben werden. Ein Verweis auf die

„Sicherung von mittelständischen Arbeitsplätzen in Bereichen der Pharmazeutischen Industrie auch im Sektor ,Naturheilverfahren` und Si- cherung und Förderung der Thera- piefreiheit", wie im Vorwort zu einer

„Dokumentation der besonderen Therapierichtungen und natürlichen Heilweisen in Europa" angeführt, die im Auftrag des niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Techno- logie und Verkehr 1991/92 herausge- geben wurde, ist für die angemessene Bearbeitung und Lösung der gestell- ten Fragestellung nicht sachdienlich (44). Bezüglich des Einflusses eines solchen Faktors bei Therapieent- scheidungen hat L. Lewin schon vor hundert Jahren explizit darauf ver- wiesen, daß „Geschäftsinteresse da- zu verleitet, mehr zu sagen, als ver- antwortet werden kann, und es da- durch manche Ärzte verleitet, solche Präparate zu benutzen, die sie bei näherer Kenntnis der Verhältnisse nicht oder noch nicht verordnet ha- ben würden" (31).

Wie es auch für andere synthe- tisch zugängliche oder aus natürli- chen Quellen stammende Immunmo- A-2326 (46) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 36, 9. September 1994

(5)

dulatoren gilt, muß jede Tumorform in nach gängigen Kriterien durchge- führten Studien für sich betrachtet werden, ohne daß voreilige Schlüsse aus Einzeldatensätzen gezogen wer- den dürfen. Das Problem der eindeu- tigen Zuordnung von Relevanz ge- messener Änderungen immunologi- scher Parameter zur Funktionstüch- tigkeit des Immunsystems stellt sich über den medikamentösen Bereich auch für die Psychoneuroimmunolo- gie, für die eine aktuelle Literaturbe- wertung ebenfalls zur Vorsicht vor übereilten Interpretationen mahnt

(27). Wenn nun die Entscheidung über den klinischen Stellenwert einer Lektinbehandlung noch als offen an- zusehen ist, so steht schon jetzt un- umstößlich fest, daß die Mistel gleichwohl ihren liebgewonnenen Platz im Brauchtum behalten wird.

Wir danken der Dr.-M.-Scheel-Stiftung für Krebsforschung für die großzügige Förderung unserer tumorbezogenen Lektinforschung.

Deutsdies Xrzteblatt

91 (1994) A-2320-2328 [Heft 36]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, an- zufordern über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. rer. nat.

Hans-Joachim Gabius Direktor des Instituts für Physiologische Chemie Tierärztliche Fakultät

Ludwig-Maximilians-Universität Veterinärstraße 13

80539 München

Klarheit tut not

D

en Ausführungen von Gabius &

Gabius ist eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen. In der Tat muß sich im wirtschaftlichen wie im politischen Bereich der Verantwortli- chen langsam herumsprechen, daß die Arzneibehandlung solider neoplasti- scher Erkrankungen ein Experimen- tierfeld ist: Hätten wir schon eine The- rapie, die Gesundung verspricht, wür- den wir uns wohl nicht so zieren.

Außer dem Messer und/oder dem Strahl, rechtzeitig angewendet, bleibt ja nicht sehr viel, was die Be- zeichnung Therapie verdient. Wir nehmen ausdrücklich die neoplasti- schen Entartungen im Bereich der lymphatischen und myeloischen Zell- reihen des Blutes aus. Hier gibt es im Kindesalter bemerkenswerte Fort- schritte in der Therapie und beim Er- wachsenen jedenfalls therapeutische Möglichkeiten bei der Anwendung von Chemotherapeutika, die die Be- zeichnung Therapie verdienen.

Wir können mit der Chemothe- rapie den Patienten allerdings le- bensverlängernde Maßnahmen an- bieten, die in bestimmten Lebenssi- tuationen nicht zu gering bewertet werden sollen. Wer noch bestimmte Aufgaben zu erledigen hat, wird die Lebensverlängerung von manchmal ein bis zwei Jahren in Anspruch neh- men. Am Endpunkt der Erkrankung,

Wolfgang Forth

dem Tod, ist allerdings auch mit die- sen Behandlungsverfahren, nicht zu rütteln.

Viele Ärzte meinen, diese Infor- mationen ihren Patienten vorenthal- ten zu müssen. Hier bedarf es einer Umorientierung: erwachsene Men- schen wissen, daß das Leben endlich ist. Ein Patient, der mit der Diagnose einer neoplastischen Erkrankung konfrontiert ist, weiß in der Regel sehr gut mit diesem Urteil umzuge- hen. Es gehört außerdem zu den ärztlichen Aufgaben, den Patienten in dieser sicherlich nicht einfachen Situation des Lebens zur Seite zu ste- hen. Mit Ehrlichkeit und natürlich mit den verfügbaren Mitteln der mo- dernen Medizin. Wie gesagt, je frü- her die Diagnose gestellt worden ist, um so größer ist wahrscheinlich die Aussicht auf Erfolg.

Früher oder später ist jeder Arzt aber am Ende seiner Möglichkeiten angekommen. Dann ist der Patient allerdings ganz besonders hilfsbe- dürftig. Einmal hat er Anspruch dar- auf, nach dem besten Wissen der ge- samten Medizin behandelt zu wer- den. Es zahlt sich nicht aus, wenn ihm dabei Versprechungen gemacht werden, die einfach nicht zu halten sind. Man darf einem Patienten zu einer sehr eingreifenden Chemothe- rapie wohl nur dann raten, wenn er

sich in voller Kenntnis dessen, was auf ihn zukommt, freiwillig dieser Behandlung unterwirft. Wir alle wür- den es einen Fortschritt nennen, wenn wir eine Chemotherapie ent- wickeln könnten, die sich lediglich auf Tumorgewebe beschränkt; das tut sie nicht.

Trotzdem gibt es viele Patienten, die sich derartigen Behandlungssche- mata unterwerfen, um ein bestimm- tes Ziel zu erreichen, für ein Kind noch einige Zeit verfügbar zu sein, oder bestimmte Aufgaben noch zu Ende zu bringen. Der Patient hat aber auch Anspruch auf die Alterna- tive der Linderung seiner Beschwer- den und der Erlösung von einem manchmal grauenhaften Schicksal der Erkrankung. Dann kommt das, was von einigen Kolleginnen und Kollegen die „alternative" Behand- lung genannt wird, ins Spiel.

Der Begriff wird allerdings nicht so gebraucht, wie ich das oben bei der Schilderung der Alternativen ge- tan habe: allzu oft ist damit die Sug- gestion verbunden, daß alles bisher dagewesene in den Schatten gestellt wird. Das ist sträflich, weil die Aus- nutzung der Suggestibilität der Patien- ten in dieser Situation unethisch ist. Es ist auch unethisch, wissenschaftlich nicht begründete oder in der Erfah- rung nicht bewährte Therapieansätze

A-2328 (48) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 36, 9. September 1994

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