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Archiv "Japan: Nur Ärzte „essen“ mittags" (14.11.2003)

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D

ie deutsche Sprache hat momentan auch in der Medizin keine realen Chancen, sich als eine interna- tionale Sprache durchzuset- zen. Das Phänomen der Ang- loamerikanisierung, das in Deutschland auch auf Skepsis und Kritik stößt (2, 3), be- kommt man in Japan ebenfalls zu spüren.Allerdings sind nach wie vor auch deutsche Aus- drücke gebräuchlich.

Die Japaner scheuten sich seit eh und je nicht,Wörter aus fremden Sprachen in die eige- ne zu integrieren. Sie passten die Aussprache nach ihren Be- dürfnissen an und nahmen das Wort in den Wortschatz auf. So nimmt man an, dass zum Bei- spiel das japanische Wort „Ka- ruta“ (in Anführungszeichen jeweils die japanische Ausspra- che nach deutscher Schreib- weise) um das frühe 16. Jahr- hundert von portugiesischen Seefahrern eingeführt wurde.

„Karuta“ ist ein traditionelles japanisches Kartenspiel, das einer Nachahmung europäi- scher Spielkarten entspricht.

Das Wort lässt sich vom portu- giesischen Wort „cartão“ her- leiten. Es handelt sich bei „ka- rute“ um das Wort „Karte“. Im japanischen Krankenhausall- tag wird dieser Begriff für die Krankenakte beziehungsweise Krankengeschichte verwen- det. Der Patient wird in Japan als der Kranke („Kuranke“) bezeichnet. Das in verschie- densten Sprachen verwendete Wort „Patient“ existiert nicht.

„Oben“, „Mitte“ und „Ne- ben“: Mit diesen Worten wird die Hierarchie eingeteilt.

„Oben“ umfasst Professoren, Klinikdirektoren und Leiten- de Ärzte. Unter die Kategorie

„Mitte“ fallen Oberärzte und Residents. Assistenten bezie- hungsweise Freshmen fallen unter die Kategorie „Neben“.

Anstelle von „Unten“ wird der Begriff „Neben“ verwendet,

angeblich weil „Unten“ als er- niedrigend und diskriminie- rend gilt. Im japanischen Krankenhausalltag sprechen Ärzte vom „Essen“, wenn sie zu Mittag essen. Außer den Ärzten verwendet niemand dieses Wort, selbst das Pflege- personal nicht.

Begriffe aus dem Alltag Bei „Muntera“ handelt es sich um das Ergebnis der Verstüm- melung von Worten. Der ur- sprüngliche Ausdruck hieß

„Mund Therapie“, womit das Aufklärungsgespräch mit Pati- enten und deren Angehörigen bezeichnet wird. „Meruku- maaru“: Das Wort Merkmal („Merukumaaru“) wird aus- schließlich von Chirurgen ver- wendet. Bei bestimmten Ope- rationstechniken orientiert man sich an anatomischen Struktu- ren, die als „Merkmale“ die- nen. Das Wort Narbe („Naru- bekutomii“) wird sinngemäß verwendet, besonders bei Keloiden. Es handelt sich da- bei um eine Kombination aus dem deutschen Wort „Narbe“

und dem griechischen „Ekto- mie“. Das ist der japanische Fachausdruck für die Narben- exzision. Das Wort „Maagen“

wird ausschließlich von Visze- ralchirurgen verwendet. Da- bei ist nicht das Organ als sol- ches gemeint, sondern die Ma- genoperation.

Interessanterweise handelt es sich um Ausdrücke, die ein deutsch Sprechender nicht in erster Linie mit der Medizin in Verbindung bringen würde.

Vielmehr sind es Begriffe, die im deutschsprachigen Alltag auftreten. In diesem Kontext ist es auch interessant zu wis- sen, dass die Schulmedizin in Japan eine nur aus Japanisch bestehende Nomenklatur be- ziehungsweise Terminologie besitzt, wobei das System der lateinischen beziehungsweise V A R I A

Amputation der Hand durch einen europäischen Militärarzt.

Farbholzschnitt um 1815

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4614. November 2003 AA3031

Nur Ärzte

„essen“

mittags

Japan

Feuilleton

Obwohl Englisch inzwischen zur wichtig-

sten Fremdsprache Japans geworden ist,

existieren in der medizinischen Fach-

sprache – historisch bedingt – auch noch einige deutsche Begriffe.

Foto:akg-images

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griechischen Sprache entnom- men ist. Es existiert also für je- des einzelne Gefäß, jeden ein- zelnen Nerv, jedes eigene En- zym oder Krankheitsbild eine japanische Bezeichnung.

Historischer Hintergrund Die Meiji-Ära (1868 bis 1912) dürfte bei historisch Interes- sierten ein bekannter Begriff der japanischen Geschichte sein. In dieser Zeit verwandel- te sich Japan in einem atembe- raubenden Tempo von einem mittelalterlichen Feu- dalstaat zu einer nach westlichem Vorbild konzi- pierten imperia- len Großmacht, und mit Staunen verfolgte der eu- ropäische Zivili- sationskreis die Niederlage Russlands in einer kriegeri- schen Auseinander-

setzung mit Japan im Jahr 1905. In der Meiji-Ära wurde auch die Medizin nach westli- chem Vorbild revolutioniert, und durch den Aufbau eines staatlichen Erziehungssystems auch ein entsprechendes Aus- bildungssystem aufgebaut. Bis zur Meiji-Ära wurde die japa- nische Medizin und die durch den Buddhismus nach Japan gekommene chinesische Heil- kunde praktiziert.

Die Ausbildung war eine Lehre, wobei der Lehrling vom „Meister“ besondere Be- handlungsmaßnahmen, chir- urgische und geburtshilfliche Handgriffe, erlernte. Diese Verfahren waren streng gehü- tete Geheimnisse, die von Ge- neration zu Generation wei- tergegeben wurden. Die Aus- bildungsmethode erinnert an diejenige des mittelalterlichen Wundarztes in Europa. Einige europäische Ärzte verstanden es im 19. Jahrhundert, sich als

„Meister“ zu etablieren. Un- ter anderem der Würzburger Philipp Franz von Siebold, der von 1823 bis 1826 und von 1859 bis 1862 als „Meister“

tätig gewesen war (4, 9, 11, 12).

Siebold machte sich durch sei- ne neuartigen erfolgreichen Be- handlungsmethoden schnell

einen Namen und baute eine eigene Medizinschule auf. Es gab eine Hand voll solcher westlicher Medizinschulen vor der Meiji-Ära, wobei diese le- diglich eine Art von freiwilli- ger Ergänzungsschule für an ausländische Medizin Interes- sierte waren. Eine davon be- fand sich in Edo, dem heuti- gen Tokio. Mit dem Beginn der Meiji-Ära wurde diese Schule zu einer staatlichen Medizinschule namens Dai- gaku-Tôko. Ranghohe Per- sönlichkeiten waren der Überzeugung, dass die „deutsche Me- dizin“ die beste sei. Aufgrund dieser Über- zeugung trat die japanische Regierung an den deutschen Geschäftsmann von Brandt heran und bat um die Ent- sendung deutscher Ärzte als Lehrer für die Staat- liche Medizinschule in Tokio.

Von Brandt empfahl in sei- nem Bericht an Berlin die Auswahl zweier Militärärzte, da diese infolge der Zu- gehörigkeit zur Kriegerkaste ein höheres Ansehen genos- sen.

Deutsche Ärzte in Japan Am 23. August 1871 trafen zwei deutsche Militärärzte an Bord eines Dampfers nach ei- ner langen Reise im Hafen von Yokohama ein: Hee- resoberstabsarzt Dr. Benja- min Carl Leopold Müller und Marinestabsarzt Dr. Theodor Eduard Hoffmann. Diesen beiden Herren verdankt Japan die organisatorische Grundlage seiner medizinischen Hoch- schulentwicklung (6, 7, 9). An der Medizinschule in Tokio waren vor Amtsantritt der beiden deutschen Ärzte ab- wechselnd holländische, engli- sche, amerikanische und fran- zösische Lehrer tätig gewe- sen, die aber infolge ihrer un- tergeordneten und unselbst- ständigen Leitung keine we- sentlichen Durchbrüche er- zielen konnten. Die Sicherung der Selbstständigkeit der bei-

den deutschen Ärzte durch die energischen Bemühungen des deutschen Geschäfts- manns von Brandt war aus- schlaggebend.

Die „Daigaku-Tôko“ wur- de in die Kaiserlich Medi- zinisch-Chirurgische Akade- mie verwandelt und ein acht- jähriger Studienplan gesetz- lich festgelegt. Als ausländi- sche Unterrichtssprache war allein Deutsch zugelassen, ei- nerseits, um eine Zersplitte- rung zu vermeiden, und ande- rerseits, um eine gute Aus- gangslage für die Weiterbil- dung in Deutschland zu schaf- fen. 1877 wurde die Univer- sität Tokio gegründet und die Kaiserlich Medizinisch-Chir- urgische Akademie zur Medi- zinischen Fakultät der Uni- versität. 1883 wurde durch die Regierung eine staatlich vor- geschriebene Medizinalprü- fung als gesetzliche Voraus-

setzung für die Ausübung des Berufes als Arzt vorgeschrie- ben. Nach und nach wurden deutsche Ärzte nach Japan berufen (5, 8). Im Laufe der Zeit reisten begabte japani- sche Ärzte zur Fortbildung nach Deutschland. Nach der Rückkehr wurden viele die-

ser Ärzte Professoren an Me- dizinischen Fakultäten der neuen Universitäten, die durch unvorstellbare Auf- baugeschwindigkeit inner- halb von knapp anderthalb Jahrzehnten nach europäi- schem Muster geschaffen wurden. Hayari Miyake ist ein bekanntes Beispiel (4). Er eignete sich chirurgisches Wissen an der Universität in Breslau (heute Wroclaw in Polen) im Jahr 1898 an. 1904 wurde er zum Professor der Chirurgischen Klinik an der Kaiserlichen Universität in Kyushu ernannt. Unter ande- rem publizierte er 1913 in ei- ner deutschsprachigen medi- zinischen Zeitschrift eine Studie über Gallensteine (10). Die einseitige Orientie- rung nach Deutschland und die deutsch-japanischen Be- ziehungen in der Medizin dauerten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges an. Die Krankenakten und Berichte wurden in Japan bis circa 1950 teilweise in deutscher Sprache geschrieben.

Nach dem Ende des Zweiten Welt- kriegs erlosch durch die politische Neuori- entierung der Einfluss durch Deutschland.

Die japanischen Ärz- te orientierten sich jetzt an den Verei- nigten Staaten. Die US-amerikanische Mi- litärregierung in Ja- pan begann mit dem Wiederaufbau des ja- panischen Gesund- heitssystems und brach- te zahlreiche Profes- soren nach Japan.

Englisch wurde zur wichtigsten Fremd- sprache in der japani- schen Medizin, und für die Karriere war nicht mehr ein Deutschlandaufenthalt wich- tig, sondern einer in den USA (4). Dr. med. Carl Muroi

Dr. med. Toshihiko Watanabe V A R I A

A

A3032 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4614. November 2003

Philipp Franz von Siebold beim Ader- lass; gezeichnet von seinem Begleiter Hubert de Villeneuve, um 1825 Franz von Siebold

Fotos:Siebold-Gesellschaft,Würzburg

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das im Internet un- ter www.aerzteblatt.de/lit4603 abrufbar ist.

Referenzen

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