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er Auftakt im Foyer des Mies-van-der-Rohe-Bau- es der Neuen National- galerie ist vor allem einla- dend. Durch seinen Hinter- sinn. Nach Fritz Cremers eindrucksvoller Plastik „O Deutschland, bleiche Mutter“(1961 bis 1965) auf dem Vor- platz bilden drinnen je ein großformatiger A. R. Penck (1974), ein Werner Tübke („Weihnachtsnacht 1524“, 1982) und ein Hermann Glöckner („Achtfach reflek- tierter Strahl“, 1977) die schwebende Empfangstrias für die seit ihrer Eröffnung stark besuchte Ausstellung.
13 Jahre nach dem Zusam- menbruch der DDR setzen die Kuratoren Eugen Blume und Roland März auf den Reiz ausgeprägter Hand- schriften und suchen nach ästhetischer Qualität jenseits
des in den vier DDR-Jahr- zehnten proklamierten Selbst- bildes, aber auch jenseits der aufgestauten, verständlichen Verbitterung der einst aus dem Land Gedrängten. Ge- lungen ist ein unverkrampfter Blick zurück und einer, der Gegenständlichkeit und Sinn- suche nicht per se verdäch- tigt. Es ist fast schon eine Re- habilitierung nach den über- hitzten ideologieüberschatte- ten Nachhutgefechten, an de- nen bislang retrospektive Versuche gescheitert waren, dem Phänomen DDR-Kunst beizukommen.
Man kann vieles gegen die Schau der 390 Exponate von 145 Künstlern einwenden, fehlende Namen oder die Un- terbelichtung mancher Kunst- Orte ebenso wie eine gewisse Berlin-Lastigkeit – das ist das Schicksal jeglicher Auswahl.
„Kunst in der DDR“ meint mit exemplarischem An- spruch die dort entstandene Kunst. Und zwar jene, die im politischen Auftrag und mit dem Segen der Mächtigen entstand, aber auch jene, die gegen die Repressionsversu- che eines Staates zustande kam, der sich gerne vom
„Geist“ legitimiert und von
den Künstlern am liebsten ge- lobt und gefeiert sehen woll- te. Die Ausstellung ist ein Gang durch die Geschichte vom Auftakt dezidiert antifa- schistischer Haltung bis hin zum Wetterleuchten des Ab- gesangs und dem Scheitern der Utopien.
Sie thematisiert in den 20 ineinander greifenden Räu- men verschiedene Facetten.
So vor allem das Weitertragen deutscher Maltraditionen.
Am Beispiel der eigensinni- gen Dresdner Schule, zusam- mengefasst unter dem Stich- wort „Poesie des Alltags“ und
„Peinture Elbflorenz“, oder in den Exponenten der Leipzi- ger Schule. Die Berliner ka- men gegen diese „Leucht-
kraft“ nicht nur der Farben, sondern auch des Sinnan- spruchs und des Ausschrei- tens des malerischen Gestus nie wirklich an. Freilich lässt sich bei den ausgewählten Werken ohnehin keines auf den Nenner Staats- oder Wi- derstandskunst simplifizieren.
„Staatsmaler“ Tübkes „Sizi- lianischer Großgrundbesitzer vor Marionetten“ (1972) etwa ist einer am Italienreisen ge- hinderten Bevölkerung kaum als DDR-Werbung erschie- nen. Andererseits hatten auch die genialischen großen Ein- zelgänger Carl Friedrich Claus, Gerhard Altenbourg, aber auch Hermann Glöck- ner ihre Anhänger, ihren
„Markt“. Dr. Joachim Lange V A R I A
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4110. Oktober 2003 AA2669
Kunst in der DDR
Ein unverkrampfter Blick zurück
Die neue Nationalgalerie Berlin versucht eine Retrospektive über ein
abgeschlossenes und immer noch aufregendes Kapitel deutscher Kunstgeschichte.
Die Ausstellung ist bis 26. Oktober in der Neuen Nationalgalerie, Pots- damer Straße 50, Berlin, zu sehen.
Katalog: G+H Verlag Berlin, 360 Seinen, 22 Euro, gebunden 36 Eu- ro; Bestandsverzeichnis:
Verlag E. A. Seemann Leipzig, 312 Seiten, 24,90 Euro, mit CD-ROM, 29,90 Euro
Feuilleton
Bernhard Heisig, Behaarlichkeit des Vergessens, 1977, Öl auf Leinwand, 151 × 242 cm
Werner Tübke, Weihnachtsnacht 1524, 1982, Öl auf Leinwand, 400 × 300 cm
Abbildungen:© VG Bild-Kunst,Bonn 2003