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Archiv "Plädoyer für eine gemäßigte Sozial- und Gesundheitspolitik" (20.01.1977)

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Dr. Horst Bourmer während seines Tätigkeitsberichtes. Am Podium von links: Vor- standsmitglied Dr. Hedda Heuser, stellvertretender Vorsitzender Dr. Hermann Braun, persönliche Referentin Helga Engbrocks, Hauptgeschäftsführer Klaus Nöldner, stell- vertretender Vorsitzender Dr. Dietrich von Abel, Vorstandsmitglied Professor Dr.

Heinz-Günther Schmidt Foto: Klaus Eisenacher

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen TAGUNGSBERICHT

Mit dem Leitthema „Der verantwort- liche Bürger und die soziale Siche- rung" dokumentierte der Hartmann- bund — Verband der Ärzte Deutsch- lands — bei seiner Baden-Badener Hauptversammlung im Dezember 1976 einmal mehr, daß der Patient, der Versicherte Mittelpunkt seiner berufspolitischen Bestrebungen und Ziele ist. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß dem Arzt die Vor- aussetzungen gegeben und erhalten werden, seine Patienten bestmög- lich versorgen zu können.

Die Thematik dieser Hauptversamm- lung wird der Grundton aller sozial- und gesundheitspolitischen Diskus- sionen in der 8. Legislaturperiode

des Deutschen Bundestages werden müssen, erklärte Dr. Horst Bourmer in seinem Tätigkeitsbericht. Sicher- lich müsse der verantwortliche Bür- ger gegen die Grundrisiken des Le- bens voll abgesichert sein. Die Ma- schen des sozialen Netzes dürften jedoch nicht so eng werden, daß sie ihm die Luft zum Atmen nehmen.

Der Hartmannbund sei der Auffas- sung, daß der verantwortliche Bür- ger durchaus imstande sei, über diese Absicherung hinaus freiwillig Vorkehrungen für die Daseinsrisiken zu treffen. Dr. Bourmer appellierte an alle im Bundestag vertretenen Parteien, sich zu entscheiden, wel- ches Bild vom „verantwortlichen Bürger" sie ihrer Gesellschaftspoli-

tik zugrunde legen wollen. Wenn sie ihn „von der Wiege bis zur Bahre"

mit Sozialleistungen einhüllen wol- len, melde er seine Zweifel an, ob dann überhaupt ein mündiger Bür- ger entstehen könne, obwohl es si- cherlich für den Politiker einfacher sei, einen so „eingehüllten" Bürger zu regieren, dem mit der Verantwor- tung auch das Denken abgenom- men werde.

Dem Bericht des Ersten Vorsitzen- den und dem anschließenden Tätig- keitsbericht von Hauptgeschäftsfüh- rer Klaus Nöldner folgte eine zügige und dichte Diskussion, in deren Ver- lauf die Delegierten vier wichtige Beschlüsse verabschiedeten: zur Steuerung der Kostenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversiche- rung, über die Stärkung der Selbst- verwaltung sowohl der Versicherten als auch der Ärzte als Forderung an die Gesundheitspolitiker der 8. Le- gislaturperiode, eine Warnung vor den Plänen, weitere Kostenanteile der Krankenversicherung der Rent- ner auf die gesetzliche Krankenver- sicherung zu verlagern, und — be- sonders intensiv diskutiert — eine Stellungnahme zu Empfehlungsver- einbarungen zwischen den Selbst- verwaltungskörperschaften. Die bei- den dringlichsten Forderungen die- ses Beschlusses sind,

> daß der Grundsatz der Vertrags- freiheit für Länder, Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen

— als wesentliches Prinzip des gel- tenden Krankenversicherungssy- stems — nicht durch Empfehlungs- vereinbarungen auf Bundesebene außer Kraft gesetzt werden dürfe und

> daß die bis Ende 1977 getroffene Empfehlungsvereinbarung daher als Ausnahmeregelung betrachtet wer- den müsse.

Die Delegierten bekräftigten damit eine Meinungsbildung des Hart- mannbund-Gesamtvorstandes, der bereits im Mai 1976 festgestellt hatte, daß Verträge mit den Kran- kenkassen, die eine Obergrenze der Gesamtvergütung festlegen und da- mit die Übernahme des Morbiditäts-

Plädoyer für eine gemäßigte Sozial- und Gesundheitspolitik

Hauptversammlung 1976 des Hartmannbundes

172 Heft 3 vom 20. Januar 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Hauptversammlung des Hartmannbundes

risikos durch die Kassenärztlichen Vereinigungen einschließen, die wissenschaftliche und organisatori- sche Weiterentwicklung der ambu- lanten ärztlichen Versorgung ent- scheidend behindern.

Prof. Molitor

über den verantwortlichen Bürger

„Der verantwortliche Bürger und die soziale Sicherung" war im Verlauf der Hartmannbund-Hauptversamm- lung nicht nur Diskussionsthema für die Ärzte, sondern auch Vortrags- thema für einen namhaften Nationalökonomen, den Würzburger Universitätsprofessor Bruno Molitor.

„Innerhalb des Systems der sozialen Sicherung stehen für die erforder- liche Kurskorrektur als Orientie- rungspunkte obenan:

— Beschränkung Eies Kreises der Pflichtversicherten. Eine „Öffnung"

der Sozialversicherung verwässert nur deren Verteilungseffekt.

— Saubere Durchführung des So- zialversicherungsprinzips. Politiker, die versicherungsfremde „Lei- stungsverbesserungen" beschlie- ßen, müssen sie auch aus Steuermit- teln bezahlen.

— Keine weitere Erhöhung der Bela- stungsquote der Arbeitnehmerein- kommen durch Pflichtbeiträge und Steuern. In der periodischen Anpas- sung der Altersrenten ist zum Netto- prinzip überzugehen. Der Krank- heitsschutz der Rentner gehört schwergewichtig zu den finanziellen Aufgaben der Alterssparte.

In der gesetzlichen Krankenversi- cherung empfiehlt sich eine allge- meine und angemessene Selbstbe- teiligung beim Medikamentenkon- sum und den medizinischen Hilfs- mitteln (mit sozialer Ausnahmerege- lung). Das Naturalleistungsverfah- ren, das früher unter anderen Ein- kommensbedingungen gute Dienste leistete, ist in diesem Bereich heute überholt. Der Übergang zum Erstat- tungsverfahren bietet überdies eine wesentliche Bedingung dafür, die

Mengen- und Preisentwicklung im Medikamentensektor in Schach zu halten."

Zu der Öffentlichen Veranstaltung waren auch zahlreiche Ehrengäste gekommen, darunter Mitglieder des Deutschen Bundestages, Landesmi- nister, Landtagsabgeordnete, Re- präsentanten der Bundes- und Lan- desministerien, der Kirchen, des DGB, der DAG, der Landesärztekam-

Prof. Dr. Bruno Molitor, Ordinarius für Nationalökonomie der Universität Würz- burg und Direktor des Instituts für Vertei- lungs- und Sozialpolitik, bei seinem Festvortrag: „Der verantwortliche Bürger und die soziale Sicherung" Foto: HB

mern, der Ärzteschaft der europäi- schen Länder und anderer Gruppie- rungen. Die Grüße der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung und der Bundesärztekammer überbrachte der Erste Vorsitzende der KBV Dr.

Hans Wolf Muschallik. „Der Hart- mannbund weiß um die Schwierig- keiten, die gerade jetzt bei dem Be- mühen um Erhaltung und Festigung unseres Systems der sozialen und gesundheitlichen Sicherung zu be- wältigen sind", führte er aus. „Ich wende mich daher an einen guten Nachbarn, wenn ich darum bitte, bei der Lösung dieser Schwierigkeiten, wie bisher dazu beizutragen, mit ei- ner besonnenen Realpolitik unter Erhaltung innerärztlicher Solidarität

fortschrittliche und für alle tragbare Lösungen möglich zu machen. ..

Eine Überwälzung weiterer Kosten aus dem Gesamtbereich der sozia- len Sicherung allein auf die Kran- kenversicherung — die manche an- scheinend als den Lastesel der Na- tion ansehen — stellt meiner Mei- nung nach keine Lösung dar, um den hohen Standard unseres heuti- gen Gesundheitssicherungssystems zu erhalten und gleichzeitig den so- zialen Frieden zwischen Ärzten und Krankenkassen wie bisher zu si- chern."

Aktionsprogramm für vier Jahre

Die HB-Hauptversammlung verab- schiedete ein Aktionsprogramm für eine intensive Verbandsarbeit in den nächsten vier Jahren mit den Schwerpunkten

— Mitgliederbetreuung;

— Mitgliederinformation;

— Mitgliederberatung;

— Mitgliederwerbung;

— Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Gemeinsames Kennzeichen der Schwerpunkte ist, daß sie die Infor- mation und Kommunikation auf Kreis- und Bezirksebene verstärken wollen. So werden beispielsweise die Bezirks- und Kreisvereine des Hartmannbundes regelmäßiger als bisher zusammenkommen; es wer- den in den Landesverbänden Semi- nare zu unterschiedlichen Themen angeboten. Wie erstmals 1976 wer- den künftig sämtliche HB-Mitglieder das Jahrbuch ins Haus geschickt be- kommen. Auch über Detailgebiete seines Verbandes soll das einzelne Mitglied besser informiert werden als bisher.

Rechtsberatung wird den Mitglie- dern künftig auch in den Landesver- bänden angeboten. Die Niederlas- sungsberatung „an der Peripherie"

wird intensiviert. Die Öffentlich keits- arbeit in den Landesverbänden soll

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 3 vom 20. Januar 1977 173

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Einige Beschlüsse der Hauptversammlung

Steuerung

der Kostenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung

„Auch in der kommenden Legislatur- periode des Deutschen Bundestages wird die Kostenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung zu den dringlichsten Problemen gehö- ren. Der Hartmannbund vertritt die Auffassung, daß der medizinische Fortschritt und die unterschiedlichen Ansprüche der Bürger nach gesund- heitlichen Dienstleistungen eine Neuorientierung der gesetzlichen Krankenversicherung erfordern.

Kostenklarheit und Kostenbewußt- sein müssen den Versicherten die Grenzen der Möglichkeiten einer so- zialen und solidaren Krankenversi- cherung nahebringen.

Mehr Verständnis für die Finanzie- rung der verschiedenartigen Leistun- gen der Krankenkassen ist auch Vor- aussetzung für eine vorurteilsfreie Diskussion über Leistungsangebot und -umfang sowie über die Befrei- ung der Solidargemeinschaft von sachfremden Leistungen.

Eine freiere, auf die Selbstbestim- mung der Versicherten abgestellte Beitrags- und Leistungsgestaltung macht die Abgrenzung solidarer Ver- sicherungsleistungen von individuel- len Versicherungswünschen möglich und fördert damit die finanzielle Sta- bilität der gesetzlichen Kranken- kassen."

Vertragsfreiheit

und Selbstverantwortung in der Selbstverwaltung

„Der Grundsatz der Vertragsfreiheit für Kassenärztliche Vereinigungen der Länder und Krankenkassen ist eine wesentliche Grundlage des gel- tenden Krankenversicherungssy- stems, Dieser Grundsatz darf nicht durch Empfehlungsvereinbarungen zwischen den Selbstverwaltungskör- perschaften auf Bundesebene außer Kraft gesetzt werden. Die bis Ende des Jahres 1977 getroffene Empfeh- lungsvereinbarung, die in die Auto- nomie der Kassenärztlichen Vereini- gungen und der Krankenkassen inso- fern eingreift, als davon abweichende Verträge praktisch ausgeschlossen

sind, muß daher als Ausnahmerege- lung betrachtet werden.

Nur im Rahmen der Vertragsfreiheit der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen können die wirtschaftliche Lage der Kostenträger und die allgemeine Preisentwicklung differenziert berücksichtigt werden.

Auf diese Weise bleibt auch das Ein- zelleistungsvergütungssystem finan- ziell tragbar. Voraussetzungen dafür sind, daß sachfremde Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversiche- rung herausgenommen werden und daß die Versicherten in die Verant- wortung für die Wirtschaftlichkeit in der gesetzlichen Krankenversiche- rung einbezogen werden."

Stärkung

der Selbstverwaltung

„Der Hartmannbund fordert für die Gesundheitspolitik der 8. Legislatur- periode des Deutschen Bundestages den Ausbau der Selbstverwaltung der Versicherten und eine Bestätigung der Selbstverwaltung der Ärzte. Er fordert eine Stärkung des Subsidiari- tätsprinzips in beiden Bereichen. Der verantwortliche Bürger muß stärker als bisher in die Entscheidungspro- zesse der Krankenversicherung ein- bezogen werden. Durch die Selbst- verwaltung der Sozialversicherten insgesamt, insbesondere der Kran- kenversicherten, wird eine bürgerna- he Verwaltung erreicht, die den Be- dürfnissen der Versicherten angepaßt ist.

Auf seiten der Ärzte ist das Recht zur Selbstverwaltung der eigenen Be- rufsbelange in den Körperschaften des öffentlichen Rechts, nämlich den Ärztekammern und den Kassenärztli- chen Vereinigungen, stark ausge- prägt und wirkt sich auch hier zum Vorteil des gesamten Systems aus, da Interessenkonflikte innerhalb der Körperschaften ausgetragen werden und sich nicht zu Sozialkonflikten auswachsen können.

Das Prinzip der Subsidiarität sowohl bei den Selbstverwaltungsorganen der Versicherten als auch bei denen der Ärzte muß nach wie vor eingehal- ten werden. Nur wenn die kleinste Gemeinschaft, die dazu imstande ist, die Aufgaben der Selbstverwaltung übernimmt, kann ein unvernünftiges Wachstum von Verwaltungsbürokra- tien verhindert werden."

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Hartmannbund

lebhafter als bisher werden, mit der Einladung von Journalisten zu allen Veranstaltungen, mit regionalen Presse-Seminaren, mit der Heraus- gabe eigener Presse-Informationen der Landesverbände.

Auch Regularien können interessant sein

Zwei „Regularien", die von den De- legierten behandelt wurden, haben über den Verband hinaus Bedeu- tung. Die erste betrifft den Beschluß einer Namensumstellung. Der Ver- band führt seinen traditionsreichen Namen künftig nicht mehr in Klam- mern, sondern heißt „Hartmann- bund — Verband der Ärzte Deutsch- lands e. V.".

Außerdem gab es eine „Wenn.. . dann"-Diskussion über Ort und Um- fang künftiger Hauptversammlun- gen. „Unter der Voraussetzung, daß der Deutsche Ärztetag nur noch alle zwei Jahre in der bisher repräsenta- tiven Form stattfindet, werden die Hauptversammlungen des Hart- mannbundes in Zukunft nur noch alle zwei Jahre in Baden-Baden in dem bisherigen Rahmen zusam- mentreten, und zwar jeweils in dem Jahr, in dem der Deutsche Ärztetag nicht stattfindet. In den dazwischen- liegenden Jahren wird eine Haupt- versammlung als reine Arbeitsta- gung in Bonn durchgeführt", hieß es in einem Beschluß-Antrag.

Diese Diskussionen gibt es auch in anderen ärztlichen Gremien, und mit Spannung wartet immer eins auf das Beratungsergebnis des anderen.

Beim Hartmannbund wurde die Ent- scheidung vertagt und die Vorlage zur weiteren Bearbeitung dem Ge- schäftsführenden Vorstand überge- ben. In der Diskussion waren klar die Vorteile insbesondere der Öffent- lichkeitswirksamkeit einer Hauptver- sammlung in der Bonner Szenerie zutage getreten. Viele Mitglieder würden sich jedoch nur sehr ungern von dem Baden-Badener Herbst- kongreß trennen, der nun schon seit länger als einem Vierteljahrhundert Höhepunkt des Hartmannbund-Ver- bandsjahres ist. He

174 Heft 3 vom 20. Januar 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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