Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1219. März 2004 AA753
S E I T E E I N S
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er demographische Faktor in der Rentenreform, den die christ- lich-konservative Vorgängerregie- rung eingeführt hatte, war für Rot- Grün erst des Teufels, nun soll er wieder im Hauruck-Verfahren in der anstehenden Rentenreform einge- führt und das Rentenniveau in ei- nem nie gehabten Ausmaß abge- senkt werden. Die sozialversiche- rungsfreien Mini-Jobs, erst abge- schafft, wurden bald nach der Bundestagswahl von der SPD- Bündnis-Grünen-Bundesregierung wieder gesetzlich reaktiviert. Der Kündigungsschutz wurde erst ver- schärft, dann wieder gelockert – al- les unter dem Motto einer aktiven Arbeitsmarktpolitik und einer Fle- xibilisierung der Arbeitsvertrags- verhältnisse.Eine Politik nach Art der Echter- nacher Springprozession!
Bei der Gesundheitsreform sieht’s nicht anders aus, nehmen wir etwa das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Bundesgesundheitsministerium und dem Gemeinsamen Bundesaus- schuss (dazu DÄ, Heft 10/2004, Seite eins: „Fieser Trick“).
Und nur wenige Wochen nach In-Kraft-Treten des GKV-Moderni- sierungsgesetzes wurden schon die ersten Ausnahmen von der Kassen- gebühr (genannt: Praxisgebühr) ge- macht. Kaum ein Tag vergeht, an dem die Kassengebühr auch bei ein- gefleischten Sozialdemokraten, schon gar bei Gewerkschaftern, als baldi- ges Auslaufmodell hingestellt wird.
Selbst die Bundesministerin für Ge- sundheit und Soziale Sicherung, Ulla
Schmidt, will keine Wetten anneh- men, dass in fünf Jahren die Praxis- gebühr, wie sie noch formal im So- zialgesetzbuch V verankert ist, exi- stent ist. In der Tat: Die Krankenkas- sen haben inzwischen einen Wettbe- werb mit Anreizen, Boni und haus- arztzentriertem Versorgungssystem entfacht, bei denen versprochen wird, dass am Jahresende als Bonus die vorgeleistete Kassengebühr er- stattet oder ganz gestrichen wird.
Dringend und wesentliche Aufga- be des Bundeskanzlers und des neu- en SPD-Parteivorsitzenden ist: mehr Klarheit und Verlässlichkeit, drin- gende Korrekturen handwerklicher Fehler, von Schieflagen und Miss- griffen. Die Politik des Vor und Zurück muss schleunigst beendet werden. Dr. rer. pol. Harald Clade
Sozial- und Gesundheitspolitik
Springprozession
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eitdem die gesetzlichen Kranken- kassen beim Abschluss von Zu- satzversicherungen zwischen ihren Versicherten und den privaten Krankenversicherungen (PKV) ver- mitteln dürfen, geht ein Riss durch die PKV-Branche: Manche Anbieter suchen die Kooperation mit den Krankenkassen – auch wenn dies mit Anlaufverlusten verbunden ist.Andere halten sich zurück und ver- weisen auf ihr bestehendes Angebot privater Zusatzpolicen. Man wolle sich keine Konkurrenz zu den eige- nen Produkten aufbauen, lautet das Argument.
Inzwischen ist das „Fell des GKV- Bären“ (so der Dienst für Gesell- schaftspolitik) größtenteils verteilt.
Die großen Krankenkassenverbän- de haben ihre privaten Koopera- tionspartner gefunden: 13 der 17 Ortskrankenkassen arbeiten mit
der Deutschen Krankenversicherung (DKV) zusammen. Die Barmer Er- satzkasse kooperiert mit der HUK Coburg, die Deutsche Angestellten- Krankenkasse mit der Hanse-Mer- kur Versicherungsgruppe, die Tech- niker Krankenkasse mit der Central Versicherungsgruppe, der BKK- Bundesverband mit der Barmenia Krankenversicherung und der IKK- Bundesverband mit der Signal Idu- na Gruppe.
Die DKV zählt zu den privaten Anbietern, die den neuen Vertriebs- weg für ihre Zusatzversicherungen unbedingt nutzen wollen. Rund 50 000 Neukunden erhoffe er sich im ersten Jahr der Kooperationen mit den Krankenkassen, sagte der DKV- Vorstandsvorsitzende Günter Dib- bern bei der Bilanzpressekonferenz am 4. März in Köln. Der Eintritt in den Markt Gesetzliche Krankenver-
sicherung (GKV) sei eine unterneh- merische Herausforderung und mit Investitionen verbunden. Dibbern:
„Ich habe aber die Hoffnung, dass das Investment langfristig Gewinne abwirft.“
Der Chef des Marktführers unter den privaten Krankenversicherun- gen spekuliert also – wie die anderen heute investitionsfreudigen PKV- Vorstände auch – darauf, dass in den nächsten Jahren zunehmend mehr Leistungen aus dem GKV-Katalog ausgegliedert und privat versichert werden müssen. Der betreffende Anbieter hat dann bereits einen Fuß in der Tür dieses lukrativen Marktes.
Denn bei weiteren Leistungskür- zungen in der GKV kann das Unter- nehmen seine jetzt teuer gewonne- nen Neukunden einfach anschrei- ben und ihnen ein maßgeschneider- tes Angebot unterbreiten.Jens Flintrop