A 1720 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 33|
19. August 2011PFLEGEREFORM
Zweifel am Zeitplan
Das Bundesgesundheitsministerium dementiert Meldungen, nach denen die Pflegereform verschoben wird. Bis Ende September sollen Eckpunkte vorliegen. An den großen Wurf glauben viele aber nicht mehr.
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igentlich sollte 2011 das „Jahr der Pflege“ werden. So hatte es zumindest der ehemalige Ge- sundheitsminister Philipp Rösler angekündigt. Doch mittlerweile gibt es Zweifel daran, dass der schwarz-gelben Koalition noch Wegweisendes in Sachen Pflege ge- lingt. Die pflegepolitische Spreche- rin von Bündnis 90/Die Grünen, Elisabeth Scharfenberg, glaubt nicht mehr an eine umfassende Pflegereform. „Ich empfinde das al- les momentan als Hinhaltetaktik“, sagte sie dem Deutschen Ärzteblatt.Junge Unionspolitiker warnen vor „Minireform“
Das Bundesgesundheitsministeri- um hat bereits Meldungen demen- tiert, nach denen die Pflegereform in die nächste Legislaturperiode verschoben werden soll. Eine Spre- cherin teilte mit, Bundesgesund- heitsminister Daniel Bahr (FDP) wolle nach wie vor „im Sommer“
Eckpunkte vorlegen. Und der Som- mer ende am 23. September.
Nicht nur Scharfenberg zweifelt allerdings am Zeitplan für die Pfle- gereform. Der gesundheitspoliti- sche Sprecher der Unionsbundes- tagsfraktion, Jens Spahn, sagte, es gebe Kräfte in der Koalition, „die die dringend notwendige Umgestal- tung der Pflegeversicherung auf die lange Bank schieben oder sich mit einem Miniumbau begnügen wol- len“. Gemeinsam mit 21 weiteren Unionsabgeordneten hat Spahn ein Positionspapier veröffentlicht, um den Druck zu erhöhen. Die vor- nehmlich jüngeren Politiker fordern darin eine zügige Finanzreform:
Das bestehende Umlageverfahren der gesetzlichen Pflegeversiche- rung müsse um eine Kapitalrückla- ge ergänzt werden. Angesichts des demografischen Wandels sei dies
überfällig. „Die Pflege wird teurer, deshalb brauchen wir die Kapital- rücklage“, erklärte Spahn.
Dazu, wie ein solcher Kapital- stock aussehen soll, äußerten sich Spahn und seine Mitstreiter nicht.
Sie fordern lediglich, er müsse vor zweckentfremdetem Zugriff ge- schützt sein und dürfe die Beitrags-
zahler nicht überfordern. Im Koali- tionsvertrag hatten sich Union und FDP eigentlich bereits auf eine „Er- gänzung durch Kapitaldeckung“
geeinigt, die „verpflichtend, indivi- dualisiert und generationengerecht“
sein müsse. Diese Ankündigung hatte zunächst in der privaten Versi- cherungswirtschaft für positive Stimmung gesorgt. Denn es klingt ganz nach einem Zwang zur priva- ten Zusatzversicherung, also einem verpflichtenden „Pflege-Riester“.
Kapitalrücklage?
Nicht mit Horst Seehofer
In der schwarz-gelben Koalition wird die Vereinbarung unterschied- lich ausgelegt. Auch innerhalb der Union gehen die Meinungen aus - einander. Der CDU-Wirtschaftsrat spricht sich dafür aus, die Leistun- gen der Pflegeversicherung zu sen- ken und die individuelle Vorsorge auszubauen – mit einem einkom- mensunabhängigen Zusatzbeitrag.Anders die Vorstellung des Vorsit- zenden des CDU-Arbeitnehmerflü- gels, Karl-Josef Laumann: Er for- dert eine gemeinsame Rücklage aller Beitragszahler. Von Einzelver- trägen rät er ab. Es sei sehr bürokra- tisch, zu überprüfen, ob jeder Bür- ger eine Versicherung habe. Teile der Union können sich vorstellen, einen kollektiven Kapitalstock aus höheren Beiträgen anzulegen. Ge- gen eine Kapitalrücklage und höhe- re Beiträge wandte sich CSU-Chef Horst Seehofer. Er will Pflege stär- ker über Steuergelder finanzieren, wie der „Spiegel“ berichtet. Be- stimmte Leistungen sollen aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden.
Die SPD hält einen Kapitalstock ebenfalls für falsch. Gesundheits - experte Karl Lauterbach lehnt es ab, die „überflüssige Rücklage“
ausschließlich von Arbeitnehmern bezahlen zu lassen. Grünen-Politi- kerin Scharfenberg meint: „Das ist für mich überhaupt keine Lösung.“
Mehr Geld, zum Beispiel für De- menzkranke, werde jetzt gebraucht, nicht erst in einigen Jahren.
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Dr. med. Birgit Hibbeler
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Weitere Informationen und ein Kurz - interview mit Elisabeth Scharfenberg:www.aerzteblatt.de/111720 Im Koalitionsvertrag hatten Union und FDP im Oktober
2009 unter anderem folgende Punkte vereinbart:
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Neue Definition von „Pflegebedürftigkeit“: Der Be- darf Demenzkranker soll besser berücksichtigt werden.Das würde zu deutlichen Mehrkosten führen.
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Finanzierungsreform: Das bestehende Umlage - verfahren der gesetzlichen Pflegeversicherung wird durch eine kapitalgedeckte Säule ergänzt.●
Neues Berufsgesetz: Die Ausbildung von Kranken- und Altenpflegern wird zusammengeführt.DAS WAR GEPLANT
Warten auf die Pflegereform:
Die schwarz-gelbe Koalition konnte sich bisher nicht auf die Finanzie- rung einigen.
Foto: iStockphoto