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Archiv "„Wenn es Nacht wird, bin ich so erschöpft, daß ich kaum sprechen kann“" (08.01.1990)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

m

oscheh ben Maimon, als Maimonides all- gemein bekannt, war Arzt, Philosoph und Theolo- ge. Sein Motto war: Der Mensch lasse nie seinen ge- sunden Verstand hinter sich;

denn seine Augen sind vorn und nicht hinten. Sein Leben war zwei Anliegen gewidmet:

seinen Patienten und dem Bestreben, Religion mit Ra- tionalität zu vereinbaren. Wie weit ihm letzteres gelungen ist, sei dahingestellt. An die- sem Problem haben sich viele Philosophen und Theologen versucht. Maimonides hat vie- le bleibende Schriften hinter- lassen, von denen die medizi- nischen von besonderem In- teresse sind, wenn auch nur von historischem.

Sein Leben, eine Odyssee

Maimonides wurde in Cordoba, der „Braut von An- dalusien", im Jahre 1135 am 30. März um ein Uhr nach- mittags geboren und starb 1204 in Kairo. Sein Vater war Führer der Judengemeinde, Richter und Gelehrter. Die Familie soll bis auf König Da- vid zurückgehen.

Moscheh soll ein Wunder- kind an Gelehrsamkeit gewe- sen sein. Außer mit der tradi- tionellen Lehre der heiligen Schriften beschäftigte er sich früh mit Mathematik und Philosophie. Es wird behaup- tet, daß er ein Freund und Schüler des neun Jahre älte- ren arabischen Philosophen.

Ibn Ruschd, genannt Aver- roes (* Cordoba 1126, 1 Mar- rakesch 1198) gewesen sei.

Maimonides soll einmal län- gere Zeit verschwunden ge- wesen sein, um plötzlich im Lehrhaus zu erscheinen und zu jedermanns Verwunde- rung und Entzücken einen glänzenden Lehrvortrag zu halten. Wieviel von derarti- gen Berichten zu halten ist, bleibt zweifelhaft.

Diese Ereignisse müssen sich vor seinem dreizehnten Geburtstag abgespielt haben, da zu diesem Zeitpunkt Cor- doba von den Almohaden er-

Eines der post- humen Porträts von Maimonides (1135-1204) mit seiner Unterschrift als Faksimile New York Academy of Medicine

obert wurde und diese fanati- schen Moslems alle, Christen und Juden, über die Klinge springen ließen, wenn sie sich nicht zum Islam bekannten oder eiligst die Stadt verlie- ßen. Die Maimons flüchteten, um an die zehn Jahre in Spa- nien, dem maurischen und dem christlichen, herumzu- ziehen. Sie entschlossen sich dann, nach Fes in Marokko überzusetzen, wo sie sieben Jahre weilten. Wie dies mög- lich war, ist ein Rätsel, da Fes das Hauptquartier der Almo- haden war. Daher kann ver- mutet werden, wenn es auch von den Juden bestritten wird, daß sich die Familie scheinbar zum Islam bekannt hat. Die Indizien sprechen dafür.

Aus welchem Grund die Maimons dann weiterzogen, ist nicht klar. Vielleicht woll- ten sie ebenso wie später viele der zum Christentum zwangs-

bekehrten Juden Spaniens und Portugals wieder als Ju- den leben und versuchten da- her ihr Glück in Palästina.

Aber sie blieben nur kurze Zeit, da sie das Land in Un- ordnung und Unruhe vorfan- den und die Sympathien der Kreuzfahrer für die Juden nicht gerade groß waren.

Schließlich traf die Fami- lie Maimon die Entschei- dung, nach Ägypten zu ziehen und sich in Alt-Kairo nieder- zulassen. Der Vater und Mo- schehs geliebter Bruder sorg- ten für den Unterhalt durch Juwelenhandel. Aber beide starben bald, der Vater im Alter, der Bruder ertrank auf einer Handelsreise nach In- dien. Nun mußte Moscheh selbst für sich sorgen.

Maimonides hatte an- scheinend schon in Fes Medi- zin studiert, kannte die Schriften des Hippokrates, Galens, der arabischen Ärzte

Al Farabi, Ibn Zuhr, des Per- sers Rhases und begann, als Arzt zu praktizieren. Er er- langte durch seine Kenntnisse und Gewissenhaftigkeit bald einen guten Ruf und wurde im Alter von 39 Jahren Hof- arzt beim Wesir Al Fadhil, dem Regenten des abwesen- den großen Saladins, der die Kreuzritter befehdete. Nach Saladins Tod blieb er Hofarzt von dessen Nachfolger, dem ältesten Saladin-Sohn Al Af- dal Nur ad Din Ali. Die Ein- ladung des „Königs der Fran- ken in Askalon", dessen Leib- arzt zu werden, lehnte er ab.

Seine Verpflichtungen waren derart anstrengend und zeit- raubend, daß es kaum glaub- lich erscheint, wie er noch Zeit fand, seine Werke zu verfassen.

Schon während der Wan- derungen der Familie, zum Teil auf dem Reittier oder im sturmgepeitschten Schiff, oh- ne Werke zum Nachschlagen, hatte er im Alter von 33 Jah- ren eine seiner größeren Schriften fertiggestellt, den Kommentar zur Mischnah, dem jüdischen Gesetz. Zehn Jahre später beendete er sein von vielen als magnum opus angesehenes vierzehnbändi- ges Werk, die Mischneh To- rah, das alle biblischen und talmudischen Gesetze darlegt und immer noch von den jüdi- schen Theologen als maßge- bend zitiert wird. Teile dar- aus sind im täglichen jüdi- schen Gebetbuch enthalten, wie zum Beispiel die dreizehn Glaubensartikel. Zwölf Jahre danach vollendete er sein philosophisches Meister- stück, den „Führer der Ver- irrten" oder auch „Führer der Unschlüssigen" genannt.

Sein angestrengtes Le- ben, das gewiß seinen Tod — er war immer kränklich — be- schleunigte, schildert er in seinem berühmten Brief an seinen treuen Übersetzer Tibbon. (Fast alle seine Wer- ke, außer der Mischneh To- rah, die in klassisch-klarem Hebräisch geschrieben ist, verfaßte er in Arabisch.) Ein Zitat aus diesem Brief über seine Arbeitsbelastung als Arzt:

„Wenn es Nacht wird,

bin ich so erschöpft, daß ich kaum sprechen kann"

Ein Praxistag des Arztes Maimonides

D. J. Salfield

A-68 (68) Dt. Ärztebl. 87, Heft 1/2, 8. Januar 1990

(2)

„Ich wohne in Fostat. Der Sultan residiert in Kairo, un- gefähr zwei Sabbatreisen ent- fernt (das heißt soweit der Ju- de am Sabbat sich von Hause entfernen darf, nämlich etwa.

zweieinhalb Kilometer). Mei- ne Pflichten beim Sultan sind schwer. Ich muß ihn täglich besuchen, und zwar am frü- hen Morgen; wenn er oder seine Kinder unwohl sind, wage ich nicht, Kairo zu ver- lassen, und muß den größten Teil des Tages im Palast blei- ben. Oft erkranken auch kö- nigliche Beamte, und dann muß ich mich auch um diese kümmern. Gewöhnlich gehe ich also früh am Tage, und selbst wenn nichts Unge- wöhnliches sich ereignet, komme ich nicht vor Nach- mittag zurück, wenn ich vor Hunger fast sterbe; aber ich finde das Vorzimmer mit Ju- den und Nichtjuden, mit adli- gen und gewöhnlichen Leu- ten angefüllt, die alle auf mei- ne Rückkunft warten.

Ich steige von meinem Reittier, wasche die Hände und gehe zu meinen Patien- ten und flehe sie an, Geduld mit mir zu haben, während ich einen leichten Imbiß zu mir nehme, die einzige Mahl- zeit in vierundzwanzig Stun- den. Dann widme ich mich den Patienten und schreibe Rezepte für ihre verschieden- sten Krankheiten. Patienten kommen und gehen bis zur Nacht und manchmal, glaube mir, zwei oder mehr Stunden in die Nacht hinein. Ich un- terhalte mich mit ihnen und schreibe die Rezepte im Lie- gen, aus reiner Erschöpfung.

Wenn es Nacht wird, bin ich so erschöpft, daß ich kaum sprechen kann.”

Es ist kein Wunder, daß man von seinem Familienle- ben kaum etwas liest. Seine ad- lige ägyptische Frau bekam ei- nen Sohn, als er fünfzig Jahre alt war. Er war zu jener Zeit so schwach, daß er sich einen al- ten, kranken Mann nannte. Er hat gewiß seine eigene Schrift, das „Regimen Sanitatis",

selbst nicht befolgt.

Es wird erzählt, daß man seine Leiche auf den Rücken eines Esels band. Das Tier

wanderte nach Tiberias, wo Maimonides begraben ist.

Sein Grabmal ist noch heute dort zu sehen.

Medizinische Schriften Maimonides verfaßte zehn medizinische Schriften:

1. Auszüge aus Galen:

Galen hatte über hundert Bü- cher verfaßt. Maimonides ex- zerpierte, was ihm das Wich- tigste erschien, und vereinte die Exzerpte in einem Buch, das für Studenten der griechi- schen Medizin bestimmt war.

2. Kommentar der Apho- rismen des Hippokrates: In diesem Werk scheute er sich nicht, Hippokrates und Galen zu kritisieren, wo er Mißver- ständnisse und Fehler ent- deckte. Er glaubte zum Bei- spiel nicht, daß ein männ- liches Kind vom rechten, ein weibliches vom linken Ovar stamme und bemerkte dazu:

Man müßte ein Prophet oder Genie sein, um dies festzu- stellen.

3. Medizinische Aphoris- men des Moses: Es ent- hält eintausendfünfhundert Aphorismen in 25 Kapiteln, jedes über ein Gebiet der Me- dizin, zum Teil genaue und originelle Beobachtungen.

Als Beispiele seien angeführt:

„Die Zeichen von Hepatitis sind acht: hohes Fieber, Durst, Appetitlosigkeit, eine erst rote Zunge, die schwarz wird, galliges Erbrechen, das erst eigelb, dann dunkelgrün ist, rechtsseitige Schmerzen, die bis an das Schlüsselbein steigen, gelegentlich ein leichter Husten und Schwere- gefühl, erst auf der rechten Seite, dann diffus." Oder:

„Die basischen Symptome der Pneumonie, die nie abwe- send sind: akutes Fieber, pleuritischer Schmerz in der Flanke, kurze und schnelle Atemzüge, zackiger Puls und Husten meist mit Sputum."

4. Abhandlung über Hä- morrhoiden.

5. Abhandlung über Se- xualverkehr, die sich haupt- sächlich mit Aphrodisiaca und Antiaphrodisiaca be- schäftigt.

6. Abhandlung über Asthma mit dreizehn Kapi- teln, in denen Diät, Klima, Rezepte für Heilmittel und besonders hygienische Vor- schriften beschrieben wer- den.

7. Abhandlung über Gifte und Gegengifte, Schlangen-, Hunde-, Skorpion-, Bienen-, Wespen-, Spinnenbisse und deren Behandlung, die noch immer anwendbar ist.

8. Regimen Sanitatis:

Diese Schrift enthält haupt- sächlich Ratschläge für psy- cho-hygienisches Leben und wurde auf Verlangen für ei- nen etwas ausschweifend le- benden Sohn von Saladin ver- faßt.

9. Rede über Krampfan- fälle.

10. Ein Glossar der Dro- gen.

Wenn auch nicht viel Ori- ginalität in diesen medizini- schen Schriften zu Tage tritt, so sind sie doch alle klar und systematisch. Was besonders modern anmutet, ist Maimo- nides' Erkenntnis, wie wichtig eine psychosomatische Be- trachtungsweise ist. Auffällig sind sein scharfer Blick und die Fähigkeit, Wichtiges von Nebensächlichem zu trennen.

Nicht alle diese Abhand- lungen sind in deutschen Übersetzungen verfügbar, aber fast alle in Englisch, ei- nige in vielen anderen Spra- chen. Der Verfasser hat kürz- lich die Abhandlung über Asthma ins Deutsche über- tragen, die in einiger Zeit im Druck erscheinen wird.

Philosophisch- theologische Werke Die philosophisch-theolo- gischen Schriften sind so viel- fältig, daß sie im Rahmen die- ses kurzen Artikels nur aufge- zählt werden könnten. Mai- monides hat kein eigentlich ethisches Werk verfaßt. Je- doch sind sein Kommentar und besonders seine Einlei- tung zu den Sprüchen der Vä- ter aus der Mischnah, als die

„Acht Kapitel" bekannt, des Studiums wert. Maimonides philosophisches Hauptwerk

ist „Der Führer der Verirr- ten", der sich bemüht, die Aristotelische Philosophie mit der Religionslehre in Ein- klang zu bringen. Die Gottes- beweise und die Prophetie spielen dabei eine Hauptrol- le. Wie schon aus dem sieben- ten der „Acht Kapitel" er- sichtlich und besonders aus seiner Interpretation der Sphärenphilosophie im „Füh- rer", nähert er sich mysti- schem Gedankengut.

An anderen Stellen des

„Führers", an denen er unter- streicht, daß vieles von dem, was er erklärt, esoterisch auf- zufassen sei, vermeidet er ei- ne Konfrontation mit der Lo- gik. Anthropomorphe Aussa- gen, auch in der Bibel, seien für den naiven Plebs geschrie- ben, der nur derart Naives verdauen könne. Auf diese Weise umgeht er gewisserma- ßen grundlegende Probleme, die, wie wir wissen, rational nicht faßbar sind.

Einflüsse

durch Maimonides Spinoza beschäftigt sich ziemlich eingehend mit Mai- monides, kommt allerdings zu recht negativen Urteilen, im Gegensatz zu Leibniz, der ihn sehr schätzt. Dies ist ersicht- lich aus einer Rezension von Leibniz, die in den Anhang zur lateinischen Ausgabe des

„Führers der Verirrten" von 1629 („Doctor Perplexorum", von Buxdorf herausgegeben) aufgenommen wurde. Zu er- wähnen sind außerdem die Einflüsse maimonidischer Gedanken auf Albertus Ma- gnus, Thomas Aquinas und auf viele jüdische Philoso- phen und Theologen.

Alle diese Aspekte werden in meinem im Druck befind- lichen Buch „Moses Maimo- nides, Philosoph, Theologe, Arzt", im Verlag Schäuble, eingehend behandelt.

D. J. Salfield

Dr. med., B.A., B.Sc., D.P.M.

Tresawsen Cottage Callestick

Truro TR4 9HG Großbritannien

Dt. Ärztebi. 87, Heft 1/2, 8. Januar 1990 (69) A-69

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