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Archiv "EU-Kinderarzneimittelverordnung: Magere Zwischenbilanz" (19.03.2010)

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EU-KINDERARZNEIMITTELVERORDNUNG

Magere Zwischenbilanz

Die EU-Kinderarzneimittelverordnung, die Ende Januar 2007 in Kraft trat, soll zu einer besseren und sichereren Versorgung von Minderjährigen führen.

Der erwartete Boom an Kinderarzneimitteln lässt allerdings auf sich warten.

D

er 8. Dezember 2005 war aus Sicht von Ulla Schmidt (SPD) ein „guter Tag für die Kin- der“. An jenem Donnerstag hatten sich die Gesundheitsminister der 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union (EU) in Brüssel auf eine Re- gelung zur Verbesserung der Arz- neimittelsicherheit und -versorgung von Kindern und Jugendlichen in der EU geeinigt. Ziel der Verord- nung, die seit Ende Januar 2007 in allen EU-Staaten gilt, ist es, die Zahl der Arzneimittelzulassungen für Minderjährige zu erhöhen, um die Behandlung von Kindern und Jugendlichen zu optimieren. Verab- reichungen von Medikamenten im off-label use sollten alsbald weitge- hend der Vergangenheit angehören.

Denn nach Angaben der Euro- päischen Kommission ist circa die Hälfte aller Arzneimittel, die euro-

paweit bei Minderjährigen zum Einsatz kommen, nicht für diese Gruppe zugelassen. Im stationären Bereich erhalten bis zu 70 Prozent der pädiatrischen Patienten Off-la- bel-Verordnungen. Auf Neugebore- nenstationen sind es teilweise sogar mehr als 90 Prozent.

Risiko off-label use

Der off-label use ist jedoch nicht nur aufgrund des Haftungsrisikos für den Arzt heikel, sondern wegen der erhöhten Gefahr unerwünschter Arzneimittelwirkungen vor allem für die Patienten. Das Risiko für unerwünschte Wirkungen ist Studi- en zufolge bei einer nichtzugelas- senen Anwendung im Schnitt zwei bis dreimal höher als bei einer ge- prüften Indikation. Viele Pädiater und Eltern kranker Kinder setzten daher große Hoffnungen in die eu- ropäischen Vorschriften. Doch die Erwartungen werden bislang nicht erfüllt.

„Wir sind sehr frustriert“, sagt Hermine Nock, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Herzkranke Kinder. Drei Jahre nach Inkrafttre- ten der europäischen Verordnung habe sich die Situation für herzkran- ke Kinder in Deutschland nicht we- sentlich verbessert. „Bei Säuglingen mit Herz-Rhythmus-Störungen zum Beispiel werden noch viel zu häu- fig ungeprüfte Medikamente einge- setzt, die sich entweder als unwirk- sam erweisen oder zu unerwünsch- ten Wirkungen führen können.“

Dass Kinder und Jugendliche oft nur eine unzureichende Arzneimit- telversorgung erhalten, ist indes nicht erst seit dem Erlass der EU- Verordnung bekannt. Experten wei- sen seit circa 20 Jahren immer wie- der auf das Problem hin. Und auch auf EU-Ebene spielt das Thema schon seit geraumer Zeit eine Rolle.

Sowohl das Europäische Parlament als auch die EU-Gesundheitsminis- ter forderten bereits im Jahr 2000, gesetzliche Voraussetzungen für klinische Studien bei Kindern in- nerhalb der EU zu schaffen, und drängten auf eine rasche Lösung.

Doch es sollte noch vier Jahre dau- ern, bis die EU-Kommission einen Verordnungsvorschlag vorlegte, und noch weitere drei Jahre, bis er in Kraft trat.

Die Kinderarzneimittelverord- nung verpflichtet die Pharmaher- steller dazu, pädiatrische Studien vorzulegen, wenn sie einen Wirk- stoff neu zulassen oder die Indikati- on eines patentgeschützten Produk- tes für die Anwendung bei Minder- jährigen bis zu 17 Jahren ändern wollen. Ausgenommen von den Vorschriften sind Generika, Biosi- milars, homöopathische und pflanz- liche Präparate, Arzneimittel mit mindestens zehnjähriger medizi- nischer Verwendung sowie Medi- kamente, deren Anwendung bei Kindern nicht sinnvoll ist, wie Mit- tel gegen die Alzheimer-Krankheit, den Brustkrebs oder das Parkinson- Syndrom.

Anreize reichen nicht aus Um den relativ kleinen Markt für die Pharmaindustrie attraktiver zu ma- chen, gewährt die Verordnung den Unternehmen einen um sechs Mo- nate verlängerten Unterlagenschutz für Neuzulassungen. Patentfreie Medikamente, für die die Hersteller freiwillig eine Zulassung beantragen können, erhalten eine zehnjährige Marktexklusivität für die Daten aus den pädiatrischen Studien (orphan drugs bis zu zwölf Jahre). Ferner stehen für pädiatrische Studien mit patentfreien Therapien, für die die Europäische Arzneimittelagentur (EMEA) eine Prioritätenliste erstellt

Foto: Picture-Alliance

Risikoreiche Praxis:

In den Krankenhäu- sern erhalten noch immer bis zu 70 Pro-

zent der Kinder Arz- neimittel, die nicht auf ihre Wirksamkeit bei dieser Patientengrup-

pe getestet wurden.

Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 11

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19. März 2010

P O L I T I K

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Deutsches Ärzteblatt

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19. März 2010 A 485 hat, Mittel aus dem EU-Forschungs-

haushalt zur Verfügung. Von 2007 bis 2010 waren das nach Angaben der Generaldirektion Forschung 40,3 Millionen Euro.

Aus Sicht des CDU-Europaabge- ordneten Peter Liese reichen die Anreizmechanismen jedoch nicht aus: „Bei Blockbustern mögen die Anreize den zusätzlichen Aufwand aufwiegen, bei anderen Arzneimit- teln sicherlich nicht.“ Tatsächlich scheinen sich die Forschungsbemü- hungen der Industrie zunächst auf Medikamente zu konzentrieren, von denen sich die Hersteller den größten Gewinn versprechen.

Nach Angaben der EMEA in Lon- don sind es vor allem Arzneimittel gegen Herz-Kreislauf-Erkrankun- gen, Asthma und Infektionen, für die die Unternehmen pädiatrische Studien beantragt haben. In zwei Dritteln der Fälle handelt es sich um Arzneimittel, für die bislang keine Zulassung erfolgt ist – also auch nicht für Erwachsene. Weitere 31 Prozent der bei der EMEA zur Genehmigung eingereichten Anträ- ge betreffen verschreibungspflich - tige Medikamente, die bereits auf dem Markt sind und für die neue Anwendungsgebiete oder neue Dar- reichungsformen in der Pädiatrie erprobt werden sollen. Der Rest (etwa drei Prozent) entfällt auf pa- tentfreie Arzneimittel.

Die meisten der aktuell für 221 Medikamente genehmigten Studien befinden sich allerdings noch in der Planungsphase. Pro Jahr kommen somit weiterhin im Schnitt lediglich 25 neue Kinderarzneimittel hinzu.

Der Verband forschender Arz - neimittelhersteller (VFA) rechtfer- tigt dies damit, dass die Studien an Minderjährigen häufig erst begin- nen, wenn für die betreffenden Medikamente die Zulassungsstudi- en mit Erwachsenen abgeschlossen sind. Der Verband geht allerdings davon aus, dass sich die Zahl der Kinderarzneimittel demnächst ver- dreifachen wird.

Prof. Dr. med. Fred Zepp, Prä - sident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), rechnet gleichwohl frü- hestens in drei bis fünf Jahren da- mit, dass Kinder und Jugendliche

von der EU-Verordnung profitieren werden und der off-label use bei der Behandlung von Minderjährigen mehr und mehr zur Ausnahme wird.

Zepp kritisiert zudem, dass bei der Prüfung und Entwicklung von Kin- derarzneimitteln der pädiatrische Sachverstand bislang nicht ausrei- chend berücksichtigt wird.

Auch bei der EMEA verfolgt man die Forschungsanstrengungen auf dem Kinderarzneimittelmarkt kri- tisch. Die zuständigen Experten der Behörde bemängeln, dass einige Hersteller klinische Studien an Minderjährigen noch zu zögerlich in Angriff nehmen. Darüber hin- naus fordern sie eine verstärkte In- formation der Bevölkerung über den Nutzen und die Risiken pädia- trischer Studien.

Dies sieht auch Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung, Ent- wicklung und Innovation beim VFA, so. Nachholbedarf besteht seiner Ansicht nach insbesondere bei der Aufklärung der Eltern von

Früh- und Neugeborenen sowie Kleinkindern über die Vor- und Nachteile einer Studienteilnahme.

„Vor allem muss man ihnen ver- deutlichen, wie gut ihre Kinder im Rahmen der Studie geschützt und betreut sind. Ehe sich dies nicht herumgesprochen hat, dürfte es schwierig sein, genügend Teilneh- mer für solche Studien zu finden.“

Throm hält es außerdem für sinnvoll, EU-weite Referenzwerte für zulässige Belastungen von Kin- dern und Jugendlichen in klinischen Studien einzuführen. „Es ist unbe- friedigend, wenn bestimmte Arten von Belastungen ein ums andere Mal zum Diskussionsgegenstand werden oder wenn gleiche Belas- tungen von verschiedenen Ethik- Kommissionen völlig unterschied- lich bewertet werden.“

Liese wiederum kritisiert die fehlende Bereitschaft einiger Mit- gliedsländer, öffentliche Mittel für

die Kinderarzneimittelforschung bereitzustellen. Die europäische Forschungsförderung entbinde die EU-Staaten schließlich nicht, zu- sätzliche Anreize für die Erfor- schung von Kinderarzneimitteln zu schaffen, meint der Politiker. Dass die Bundesregierung die Förderung des deutschen PAED-Net einge- stellt habe, sei zudem ein Skandal, moniert der Europaabgeordnete.

Vom Bund hatte das auf sechs Uni- versitätsstandorte verteilte PAED- Net zwischen 2002 und 2008 eine Anschubfinanzierung in Höhe von 5,4 Millionen Euro erhalten. Seither liegt es auf Eis.

Überlegungen, die ausgelaufene Förderung in Form eines Förder- schwerpunkts für ein Forschungs- netzwerk wie das PAED-Net im Rah- men des Gesundheitsforschungspro- gramms fortzusetzen, seien zurzeit nicht Gegenstand der Planungen, teilt das Bundesministerium für Bil- dung und Forschung (BMBF) mit.

„Aus Sicht des BMBF ist es erfolg-

versprechender, die geschaffene Expertise durch die Förderung von Studienprojekten zu konsolidie- ren“, erklärt Kirsten Steinhausen vom Referat Gesundheitsforschung des BMBF. Das Ministerium finan- ziere pädiatrische Projekte mit jähr- lich mehr als zehn Millionen Euro, einschließlich klinischer Studien.

DGKJ-Präsident Zepp kann die Entscheidung des Bundes dennoch nicht nachvollziehen, zumal die EU anstrebt, die einzelstaatlichen Netz- werke miteinander zu verknüpfen, um die grenzüberschreitende Zu- sammenarbeit in der Kinderarznei- mittelforschung zu erleichtern. Den finanziellen Aufwand für ein natio- nales Netzwerk, das 18 bis 24 klini- sche Studienzentren umfassen soll- te, beziffert der Pädiater auf vier Millionen Euro pro Jahr. „Das ent- spricht lediglich 30 Cent pro Jahr

und Kind.“ ■

Petra Spielberg

Ehe es sich nicht herumgesprochen hat, wie gut die Kinder im Rahmen von Studien geschützt sind,

dürfte es schwierig sein, genügend Teilnehmer zu finden.

Siegfried Throm, Verband forschender Arzneimittelhersteller

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