A 1474 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 30|
30. Juli 2010AUFSTREBENDE PHARMAMÄRKTE
Renditejagd rund um den Globus
Die Pharmaindustrie erschließt neue Absatzmärkte fern der Heimat.
Zu den weltweit wachstumsstärksten Märkten zählen China, Brasilien und Russland.
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ür die großen Pharmakonzer- ne steht fest, wohin die Reise geht: Nach China, Brasilien, Russ- land oder Indien. Dort wächst der Markt für Medikamente rasant.China steht mit einer Bevölkerung von 1,3 Milliarden Menschen an der Spitze der aufstrebenden Pharma- märkte. Im vergangenen Jahr stei - gerte die Branche ihren Umsatz im Reich der Mitte um 27 Prozent auf 25 Milliarden US-Dollar. Bis zum Jahr 2013 werde der Absatz um weitere 40 Milliarden US-Dollar steigen, prognostiziert der Markt- forschungsdienst IMS Health in ei- ner aktuellen Studie.
Die chinesische Regierung stützt das Gesundheitssystem kräftig und hat ein Konjunkturprogramm im Wert von 125 Milliarden US-Dollar aufgelegt, um die Infrastruktur im Gesundheitssektor zu verbessern.
Schon im kommenden Jahr soll eine flächendeckende Gesundheitsversor- gung erreicht sein.
China ist der aktuelle
„Blockbuster-Markt“
Noch ist China die drittgrößte Wirt- schaftsmacht der Welt – hinter den USA und Japan. Aber schon im nächsten Jahrzehnt könnte das Land an erster Stelle stehen. IMS Health bezeichnet China zwar euphorisch als „Blockbuster-Markt“, weist aber auch auf die Risiken hin: Der Aus- gang der geplanten Gesundheits - reform sei „ungewiss“ – China sei
„kein Selbstläufer“.
Der schweizerische Pharmakon- zern Novartis engagiert sich bereits in großem Stil in China. Novartis hat ein Forschungs- und Entwicklungspro- gramm im Wert von einer Milliarde US-Dollar für die nächsten fünf Jahre aufgelegt. Zudem sicherte sich No - vartis für 125 Millionen US-Dollar einen Anteil von 85 Prozent an einem chinesischen Impfstoffhersteller.
Der Leverkusener Bayer-Konzern plant, 100 Millionen US-Dollar für den Bau eines neuen Forschungs- und Entwicklungszentrums in Pe- king zu investieren. Zurzeit ist Astra-Zeneca vor Bayer der größte ausländische Hersteller im Reich der Mitte.
Wie schnell sich allerdings die Investitionsbedingungen in den auf- strebenden Pharmamärkten ver- schlechtern können, zeigt das Bei- spiel Russland: Dort hat die Regie- rung jüngst die Preise für Arznei- mittel reguliert und teilweise sogar per Dekret gesenkt. Noch im ver- gangenen Jahr herrschten in Russ- land für die Pharmabranche gera- dezu paradiesische Zustände: Im Krisenjahr 2009 schrumpften alle Wirtschaftszweige – mit Ausnahme der Pharmabranche. Sie verzeichne- te Zuwächse.
Ab sofort protegiert Russlands Präsident Dimitrij Medwedjew al- lerdings die heimische Pharmain- dustrie: In Russland hergestellte Präparate werden bei der Erstattung durch die Krankenkassen bevor- zugt. Ausländischen Herstellern bleibt als Ausweg nur die Koopera- tion mit russischen Produzenten oder der Aufbau eigener Produkti- onsanlagen vor Ort. Bisher schöpf- ten in Russland internationale Kon- zerne wie beispielsweise Bayer oder Boehringer-Ingelheim die Ge- winne ab. Ihr Marktanteil liegt bei 80 Prozent. Dabei produzieren die wenigsten ausländischen Unterneh- men vor Ort – sie exportieren ihre Arzneien nach Russland. Einige Pharmakonzerne haben die Wei- chen bereits neu gestellt: Das dä - nische Pharmaunternehmen Novo Nordisk baut im zentralrussischen Kaluga ein Werk zur Produktion von Insulinpräparaten. Der Herstel- ler Berlin Chemie – bisher Markt- führer in Russland für Hustensäfte
– will ebenfalls in Kaluga eine Fa- brik bauen. Zu den Frühstartern am russischen Markt zählt IMS Health das schweizerische Unternehmen Nycomed, das seit 1990 in Russ- land aktiv ist und nun auf Rang 11 steht. Auch die Unternehmen Nov- artis und Bayer hätten eine gute Po- sition auf dem russischen Markt er- rungen, während viele US-Firmen wie Pfizer und Bristol-Myers Squibb Nachholbedarf hätten.
Anteile der Pharmamärkte in den EU-Staaten sinken
Russland rangiert in der aktuellen Prognose von IMS Health zusammen mit Brasilien und Indien auf Rang zwei der weltweit wachstumsstärks- ten Pharmamärkte. Dahinter kommt eine Gruppe von 13 weiteren Län- dern, darunter zum Beispiel Argenti- nien, Ägypten, Pakistan, Polen, die Ukraine und Vietnam. In diesen Län- dern werde der Pharmamarkt bis zum Jahr 2013 um jeweils eins bis fünf Milliarden US-Dollar wachsen.Die 18 „aufstrebenden Pharma- märkte“ insgesamt dürften bis zum Jahr 2013 zusammen 48 Prozent zum weltweiten Wachstum des Phar- mamarktes beitragen – 2008 waren es noch 37 Prozent. Im gleichen Zeit- raum werde der Anteil der fünf größ- ten EU-Staaten von 16 auf 9 Prozent sinken. Die USA – der derzeit lukra- tivste Markt – bleibt interessant. Dort werde der Wachstumsbeitrag von 11 auf 22 Prozent steigen.
Noch sind die meisten Weltun- ternehmen der Pharmabranche in den „Aufstrebenden Regionen“ un- terrepräsentiert – obwohl dort bei- nahe die Hälfte der Weltbevölke- rung zu Hause ist. 2009 entfielen vom Gesamtumsatz der 17 weltweit führenden Arzneimittelhersteller ge- rade einmal 9,4 Prozent auf die auf- strebenden Märkte. ■
Petra Prenzel