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Archiv "Betriebliches Gesundheitsmanagement: Lohnende Investition in die Gesundheit der Mitarbeiter" (18.01.2008)

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A90 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 318. Januar 2008

D

ie fortschreitende Globali- sierung erzeugt einen perma- nenten Anpassungsdruck, der hier- zulande und in zahlreichen weiteren entwickelten Gesellschaften mit ei- ner älter werdenden Bevölkerung bewältigt werden muss. Deshalb werden der Erhalt und die Förde- rung der Arbeitsfähigkeit, neben dem Erhalt von Arbeitsplätzen, zu einem zentralen gesellschaftspoliti- schen Problem.

Spätestens seit dem radikalen Schwenk weg von der Frühberen- tung hin zur Rente ab 67 Jahren ist diese Entwicklung mit all ihren Konsequenzen auch für die indivi- duelle Lebensplanung in das Be- wusstsein der Öffentlichkeit gedrun- gen. Gleichwohl ist die Einstellung

immer noch vorzufinden, den ge- sundheitlichen Verschleiß von heute zugunsten eines vorzeitigen Aus- scheidens aus dem Erwerbsleben in Kauf zu nehmen. Soll die neue Poli- tik der Spätberentung nicht in einer Politik der Rentenkürzung enden, muss dem Zusammenhang von Ar- beit und Gesundheit weit mehr Auf- merksamkeit geschenkt werden, als dies bisher der Fall ist.

Gegenwärtig steigen die krank- heitsbedingten Fehlzeiten bei zahl- reichen Berufen nach dem 50. Le- bensjahr steil an. Bedingt durch den demografischen Wandel wird das demnächst noch weit mehr Beschäf- tigte betreffen. Sehr häufig sind durch chronische Krankheiten aus- gelöste längere Fehlzeiten zudem

Vorboten eines drohenden Verlusts der Erwerbsfähigkeit. Zur Flankie- rung der Rente erst mit 67 Jahren werden Investitionen in die Gesund- heit zu einer zwingenden Notwen- digkeit. Daraus folgt zunächst ein- mal: Unternehmen und Sozialversi- cherungsträger müssen mehr Ver- antwortung für den Erhalt und die Förderung der Erwerbsfähigkeit übernehmen, gemeinsam mit den Beschäftigten und ihren Interessen- vertretern in den Unternehmen, in den Selbstverwaltungsgremien und in der Tarifpolitik.

Heute werden lange Fehlzeiten, Frühberentungen, Krankheits- und Sterbeursachen durch eine über- schaubare Zahl chronischer Beein- trächtigungen bestimmt. Dies sind BETRIEBLICHES GESUNDHEITSMANAGEMENT

Lohnende Investition in die Gesundheit der Mitarbeiter

Ohne Datenbasis, Standards und Qualifizierung der Gesundheits- experten lassen sich die zentralen Kernprozesse im betrieblichen Gesundheitsmanagement nicht fachgerecht durchführen.

Bernhard Badura, Uta Walter

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Foto:dpa

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 318. Januar 2008 A91

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vor allem Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparats, psychi- sche Störungen, Herz-Kreislauf- Erkrankungen, Neubildungen und Stoffwechselkrankheiten (World Eco- nomic Forum 2007). Ursächlich dafür sind vor allem Wechselwir- kungen zwischen unspezifischen Einflüssen, wie zum Beispiel chro- nischem Stress oder mangelhafter sozialer Integration, und krankheits- spezifischen Risikofaktoren, wie et- wa Rauchen, Bewegungsarmut oder körperliche Fehlbelastung.

Das Alter ist einer der wichtigs- ten Prädiktoren für Krankheitsanfäl- ligkeit. Die Alterszusammenset- zung einer Belegschaft ist deshalb mitverantwortlich für die anfallen- den Fehlzeiten und dadurch verur- sachte Kosten. Der Zusammenhang zwischen Alter und Gesundheit ist jedoch eine variable Größe, abhän- gig auch vom Bildungsgrad und Be- rufsstatus der Beschäftigten, abhän- gig auch von der betrieblichen Ge- sundheitspolitik. Unsere zentrale These lautet: Gesundheit fördert Ar- beit. Investitionen in das psychische und körperliche Befinden der Be- schäftigten erhöhen die Arbeitspro- duktivität und reduzieren die Perso- nalkosten. Sie leisten zudem einen Beitrag zum Erhalt der Arbeits- fähigkeit und reduzieren die Nach- frage nach Leistungen der sozialen Sicherungssysteme.

Notwendige Innovationen Mit Blick auf die Alterung der Be- legschaften, das Panorama arbeits- bedingter chronischer Erkrankun- gen sowie das angehobene Beren- tungsalter ist die Einführung eines nachhaltigen betrieblichen Gesund- heitsmanagements eine notwendige Innovation. Betriebliches Gesund- heitsmanagement bedeutet:

Die Entwicklung betrieblicher Rahmenbedingungen, betrieblicher Strukturen und Prozesse, die die ge- sundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit und Organisation und die Be- fähigung zum gesundheitsförderli- chen Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Ziel haben.

Im Kern geht es um eine nachhal- tige Kompetenzentwicklung inner- halb der Unternehmen sowie die Ge- staltung einer gesundheits- und da-

mit auch lernförderlichen Arbeits- umgebung. Kernprozesse des be- trieblichen Gesundheitsmanage- ments sind – orientiert an dem nach W. Edwards Deming benannten Zy- klus – Diagnostik, Projektplanung, Projektdurchführung und Projekt- evaluation. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen (Betriebsvereinba- rung, Arbeitskreis Gesundheit, Bud- get, Integration in betriebliche Rou- tinen, qualifizierte Experten, betrieb- liche Dateninfrastruktur) sind heute

selbst in Großbetrieben oft noch nicht ausreichend gewährleistet.

Kleineren Unternehmen fehlen häufig die Ressourcen für den ei- genständigen Aufbau eines betrieb- lichen Gesundheitsmanagements.

Hier empfiehlt sich die Entwicklung regional operierender Netzwerke aus Unternehmen und weiteren Ak- teuren – wie den Sozialleistungsträ- gern und der öffentlichen Hand – zur laufenden Beratung und Beglei- tung von Projekten und Schwer- punktprogrammen.

Die Erfolge bei der Bekämpfung gesundheitlicher Risiken an der Mensch-Maschine-Schnittstelle ha- ben lange Jahre zur Unterschätzung von Risiken an der Mensch- Mensch-Schnittstelle und der sie mit beeinflussenden Organisations- pathologien (Mobbing, Burn-out, innere Kündigung) beigetragen.

Das dazu heute bereitliegende Wis- sen findet seinen Weg nur sehr lang- sam in die betriebliche Praxis, auch weil die Unternehmen mit Blick auf ihre Dateninfrastruktur, die Qualifi- kation ihrer Experten und ihre Ma- nagementsysteme dafür nicht aus- reichend ausgestattet sind (Bertels- mann-Stiftung und Hans-Böckler- Stiftung 2004). Betriebseigene Leis- tungen im Arbeits- und Gesund- heitsschutz sowie die betriebsüber- greifenden Angebote der Berufsge- nossenschaften und der gesetzlichen Krankenkassen konzentrieren sich noch zu sehr auf physische Risiken

oder sind – wegen ihrer Schwer- punktsetzung auf verhaltensbeding- te Einflüsse – zu wenig bedarfsge- recht und nachhaltig. Sie sind unter- einander zu wenig vernetzt und auch zu wenig an den Zielen der Un- ternehmen und den Bedürfnissen der Mitarbeiter ausgerichtet.

Die Beobachtung und Bewertung des Gesundheitszustands der Be- schäftigten erfolgt in den Betrieben bisher mithilfe zweier Kennzahlen:

Arbeitsunfälle und krankheitsbe-

dingte Fehlzeiten, was zur deutli- chen Unterschätzung betrieblicher Krankheitslasten beiträgt. Im Rah- men einer Studie mit 12 000 Voll- zeitbeschäftigten der Firma Dow Chemical konnten dazu jüngst neue Erkenntnisse vorgelegt werden. Sie zeigen, dass die mit der Alterung der Belegschaften zunehmenden chro- nischen Erkrankungen sich signifi- kant auf die Leistungsfähigkeit ei- nes Unternehmens auswirken (Baa- se 2006).

Kosten des „Präsentismus“

Beschäftigte, die trotz Krankheit ar- beiten, verursachen wegen vermin- derter Arbeitsfähigkeit erhebliche Produktivitätsverluste. Die Kosten dieses sogenannten Präsentismus liegen in der genannten Studie weit über den durch „Absentismus“ ver- ursachten Kosten. Daraus folgt, dass Fehlzeiten auch deshalb als Kennzahlen immer ungeeigneter werden, weil sie weder den Gesund- heitszustand der Beschäftigten adä- quat einzuschätzen erlauben noch die krankheitsbedingten Kosten, die in der genannten Studie auf circa zehn Prozent der gesamten Perso- nalkosten veranschlagt werden. Das World Economic Forum schätzt die Rendite für ein professionelles Ge- sundheitsmanagement auf 300 Pro- zent. Für die Zielsetzung eines inno- vativen betrieblichen Gesundheits- managements folgt daraus: Nicht die Vermeidung von Fehlzeiten,

Unternehmen und Sozialversicherungsträger müssen

mehr Verantwortung für den Erhalt und die Förderung

der Erwerbsfähigkeit übernehmen.

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gung messbarer Zielparameter. Für die Präventionsarbeit gilt: Was am Ende zählt, sind nachweisbare Er- gebnisse. Gute Ergebnisse erfordern neben einer klaren Zielsetzung ein systematisches, zielorientiertes Handeln. Zielfindung und Identifi- zierung von Handlungsbedarf soll- ten stets datenbasiert erfolgen. Für das betriebliche Gesundheitsma- nagement kommen insbesondere drei Datenquellen infrage: die Mit- arbeiterbefragung zur Identifikation der Ursachen guter Gesundheit und möglicher Risiken sowie zur Erfas- sung des psychischen und körperli- chen Befindens, Routinedaten der Sozialversicherungsträger (Unfälle, Fehlzeiten) und schließlich Routi- nedaten der Unternehmen unter an- derem zur Qualität, Produktivität, Fluktuation. Ohne diese Daten las- sen sich die zentralen Kernprozesse im betrieblichen Gesundheitsmana- gement – Organisationsdiagnose mit anschließender Indikationsstel- lung, Intervention und Evaluation – nicht fachgerecht durchführen.

Betroffene zu Beteiligten machen

Das Setzen von Zielen ist bei aller fachgerechten Vorbereitung am En- de immer ein betriebspolitischer Prozess und erfordert eine Konsen- susfindung unter den beteiligten Ex- perten, Führungskräften inklusive Betriebs- oder Personalräten und den betroffenen Mitarbeiterinnen

und Mitarbeitern. Ist der Prozess der Zielfindung abgeschlossen, hängt die Qualität des betrieblichen Ge- sundheitsmanagements maßgeblich von ihrer Qualifikation und den wissenschaftlich begründeten Stan- dards ihres Handelns ab.

Natürlich gibt es in Wissenschaft und Praxis Kontroversen um die

„reine Lehre“ und das daraus abge- leitete Vorgehen. Eine Gruppe ist in erster Linie pathogenetisch orien- tiert. Für sie steckt jede Organisati- on voller „Risiken“, die es zu

„bekämpfen“ gilt. Eine zweite Gruppe ist primär salutogenetisch orientiert. Für sie bergen Organisa- tionen auch „Gesundheitspotenzia- le“ (Sozialkapital in Form von ver- trauensvollen Beziehungen, einer mitarbeiterorientierten Unterneh- menskultur und einer auch gesund- heitsorientierten Führung), die es gerade in Zeiten permanenter Ver- änderung verstärkt zu „fördern“ gilt.

Eine dritte Gruppe schließlich kon- zentriert sich vorrangig auf die Dia- gnose und die Bekämpfung von Ri- sikofaktoren bei den einzelnen Mit- gliedern einer Organisation (Rau- chen, hoher Blutdruck, Bewegungs- armut etc.). Ihrer aller Beiträge sind wichtig und sollten bedarfsgerecht und problemorientiert zur Anwen- dung kommen.

Die bestehenden Differenzen un- ter den Experten betreffen jedoch nicht das Vorgehen im Grundsätzli- chen, das sich mit den folgenden Merkmalen kennzeichnen lässt: Be- troffene zu Beteiligten machen, da- tengestützte Zielfindung, das Arbei- ten mit wissenschaftlich begründe- ten Standards oder Leitlinien, Eva- luation der Prozesse und Ergebnis- se, Qualifizierung und regelmäßige Weiterbildung der Verantwortlichen.

❚Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2008; 105(3): A 90-2

Anschriften der Verfasser Prof. Dr. rer. soc. Bernhard Badura Universität Bielefeld

Institut für Gesundheitswissenschaften Universitätsstraße 25, 33615 Bielefeld Dr. Uta Walter

Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung an der Universität Bielefeld e.V.

Betriebliches Gesundheitsmanagement Postfach 100 131, 33501 Bielefeld Überschaubar ist

heute die Zahl der chronischen Beein- trächtigungen, die für lange Fehlzeiten und die meisten Frühberentungen verantwortlich sind.

Foto:Photothek

A92 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 318. Januar 2008

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sondern der Erhalt und die Förde- rung der Arbeitsfähigkeit durch In- vestitionen in das betriebliche Sozi- alkapital werden künftig zur zentra- len Zielgröße betrieblicher Gesund- heitsarbeit.

Der Sozialkapitalansatz – mit sei- ner Unterscheidung in Netzwerk-, Werte- und Führungskapital – macht das soziale Vermögen einer Organisation sichtbar, messbar und dadurch beeinflussbar. Inzwischen ist wissenschaftlich gut belegt, dass Organisationen, die reich sind an Sozialkapital, mitarbeiterorientiert, erfolgreich und deshalb attraktiv als Arbeitgeber sind. Organisationen, die arm sind an Sozialkapital, blei- ben hingegen weit unter ihren Mög- lichkeiten und neigen zum gesund- heitlichen Verschleiß ihrer Mitar- beiterinnen und Mitarbeiter.

Langjährige Erfahrungen mit der Einführung eines betrieblichen Ge- sundheitsmanagements in einer in den letzten Jahren stetig wachsen- den Zahl von Unternehmen erlau- ben eine Identifikation von Min- deststandards, die auch in der Prä- ventionspolitik generell von Nutzen sein könnten: Unabdingbare Vor- aussetzung ist die Formulierung von Zielen, verbunden mit der Festle-

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