M E D I E N
STATISTIK
Überzeugende Gradlinigkeit
Hamburg, Alexander-Fleming- Straße 20, zweiter Stock, Wohnzim- mer. Mein Neffe würfelt jetzt bereits die fünfte Sechs hintereinander, und obwohl das Spiel „Mensch ärgere Dich nicht“ heißt, verliere ich nicht gern. Vermutlich hat sich der cle- vere kleine Racker im Internet ein paar Trickwürfel besorgt, die er jetzt bei passender Gelegenheit einsetzt, um seinen Onkel beim Zocken zu demütigen. Außerdem geht es um ein Eis, es steht also einiges auf dem Spiel. Bevor ich aber haltlose Be- schuldigungen von mir gebe, wäre ein kleiner Signifikanztest nicht schlecht. Dann hätte man immerhin die Mathematik auf seiner Seite. Wo findet man so was?
Der „kleine Bortz“ hilft. Zuerst wird dem Leser mit nachvollziehba- ren Beispielen die Grundidee der Wahrscheinlichkeitstheorie nahe-
gebracht, angefangen beim Münz- wurf. Dann wird die Zielsetzung der Hypothesenprüfung dargestellt: Das Ergebnis „Kopf“ hat eine Quote von eins zu eins (Nullhypothese). Die Alternativhypothese ist, dass es sich um eine Trickmünze handelt, die beim Münzwurf weit öfter „Kopf“
als „Zahl“ zeigt. Wie groß muss die Stichprobe sein, damit das Ergebnis aussagekräftig ist (Signifikanz), und was bedeutet das genau? Welche Größenordnung wäre optimal?
Diese Fragen und noch mehr werden im „kleinen Bortz“ ausführ- lich behandelt. In übersichtlichen Kapiteln werden für vielfältige Test- formate (etwa mehrdimensional, mit Rangplätzen, mit bekannter Ver- teilung oder verteilungsfrei) die Signifikanztests vorgestellt, immer mit Beispiel. Ferner werden auch die einzelnen Tests untereinander in Beziehung gebracht, und die Test- wahl wird dadurch erheblich trans- parenter gemacht. Dabei lassen die Autoren zu keinem Zeitpunkt die
mathematische Stringenz bei der Testdurchführung außer Acht. Aber keine Angst: Es werden keine Be- weise ausgeschrieben, viel- mehr wird das Gewicht auf die Anwendung gelegt. Im Anhang findet man nütz- liche Tabellen, welche die Durchführung der Tests auch ohne entsprechende Software ermöglichen. Zur besseren Übersicht sind die Tests nach Typen sortiert tabella- risch aufgelistet, was das Finden des passenden deutlich erleichtert. Alles in allem ein hervorragendes Nach- schlagewerk, das durch seine Grad- linigkeit überzeugt.
Ob mein Neffe jetzt wirklich ge- schummelt hat, wollen Sie wissen?
Tja, rechnen Sie es doch nach. Wo Sie eine Anleitung finden, wissen Sie ja jetzt. Ich hatte viel Spaß beim Eisessen und bringe demnächst meine eigenen Würfel mit.
Karl-Heinz Schmidt
MEDIZINISCHE NOTHILFE
Ärzte an ihren Grenzen
Die Organisation „Ärzte ohne Gren- zen“ leistet in Krisenregionen über- all auf der Welt medizinische Not- hilfe. Dabei gehen die Helferinnen und Helfer nicht selten an ihre eige- nen Grenzen und darüber hinaus.
Petra Meyer berichtet in ihrem Buch von den Erfahrungen, die sieben hu- manitäre Helfer bei ihren Einsätzen machten.
Schlagzeilen wie „Angola: Seu- che“, „Irak: Nachkriegsversorgung“
oder „Niger: Unterernährung“ beti- teln die einzelnen Porträts und er- wecken im Leser schon einen Ein- druck von dem, was die Menschen vor Ort erwartet. Doch oft sind die Herausforderungen ganz andere. Ei- ne Ärztin berichtet beispielsweise von ihren Erfahrungen im Irak. Trotz der großen Zahl an Verletzten, die von den einheimischen Medizinern nicht mehr behandelt werden konn- ten, verweigert man ihr die Erlaub- nis, in einem der Krankenhäuser zu arbeiten. In Angola wird ein Logisti-
ker von der Bevölkerung mit Steinen beworfen, als er mit seinen Kollegen Opfer des Marburg-Virus auf einen Lkw lädt. Die Regierung hatte die Menschen nicht über die Folgen der Seuche informiert. In ihren Augen stahlen die Weißen ihre Leichen.
Dabei geht es der Autorin nicht nur darum, die Situation in den Krisenge- bieten zu beleuchten. Ihr besonderes Augenmerk legt sie auf die Helfer, wie sie mit dem Scheitern, der Ver- zweiflung und den Ängsten umge- hen. Viele gönnen sich weder Pausen
zur Erholung oder etwa Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten. Dabei wäre gerade das sehr wichtig. Zurück in Deutschland, werden viele noch von den Erlebnissen verfolgt. Nach sei- nen Erlebnissen in Sierra Leone steht Volker Herzog nachts oft auf und kontrolliert, ob seine Kinder noch Hände, Arme und Beine haben. Eine Psychologin bricht beim Fahren über den Ku’damm spontan in Tränen aus.
„Schmerzgrenzen“ ist ein Buch, das den Leser mitnimmt zu Hun- gersnöten, in Seuchen- oder Kriegs- gebiete. Man schaut den huma- nitären Helfern über die Schulter, erlebt mit ihnen Erfolge und Misser- folge, Ängste und Zweifel sowie Freude und Dankbarkeit, aber auch das Gefühl des Versagens. Es ver- mittelt einen Eindruck vom Alltag bei der Arbeit in Krisengebieten und von den physischen und psychi- schen Belastungen, denen sich die Helfer aussetzen. Marc Meißner
Petra Meyer: Schmerzgrenzen.Unterwegs mit Ärzte ohne Grenzen. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2008, 192 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 16,95 Euro
Jürgen Bortz, Gustav A. Lienert: Kurz- gefasste Statistik für die klinische Forschung.3. Auflage, Springer, Berlin, 2008, 458 Seiten, gebunden, 39,95 Euro
Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 34–3525. August 2008 A1791