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Archiv "Glutarazidurie Typ I: Eine schwere neurologische Erkrankung im frühen Kindesalter" (11.04.1997)

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D

ie Glutarazidurie Typ I (GA I) ist eine Stoffwechseler- krankung, die durch den au- tosomal rezessiv vererbten Defekt des Enzyms Glutaryl-CoA- Dehydrogenase verursacht wird. Sie wurde erstmals vor 21 Jahren be- schrieben und galt als seltene, schwer verlaufende und nicht befriedigend behandelbare Erkrankung (2).

Pathobiochemie

Das Enzym Glutaryl-CoA-De- hydrogenase wandelt im Abbau der Aminosäuren Lysin, Hydroxylysin und Tryptophan Glutaryl-CoA über Glutaconyl-CoA zu Crotonyl-CoA um (Graphik). Bei fehlender Enzym- aktivität kommt es zu einem Anstau von Glutaryl-CoA und Glutaconyl- CoA in den Mitochondrien, zu einer massiven Erhöhung von Glutarsäure, 3-Hydroxy-Glutarsäure, Glutacon- säure sowie Glutarylcarnitin überall im Körper und schließlich zu einer er- höhten Ausscheidung all dieser Sub- stanzen im Urin. Im Körper entsteht durch den erhöhten Verbrauch ein Carnitinmangel, verstärkt bei Hun- gerzuständen oder fieberhaften In- fekten. In solchen Zuständen ent- steht vermehrt Glutarsäure, da der Körper seine Eiweißreserven und da- mit Lysin, Hydroxylysin und Trypto- phan abbaut. Der Carnitinmangel im Blut und Gewebe ist wesentlich am Entstehen der Symptome der GA I beteiligt (5).

Krankheitsbild

Die GA I verursacht ein schwe- res neurologisches Krankheitsbild, gekennzeichnet durch Instabilität des Rumpfes und eine dyston/dyskineti- sche Bewegungsstörung. Krankheits- bild und -verlauf, neuroradiologische und biochemische Befunde sind sehr charakteristisch, wurden aber erst in den letzten Jahren erkannt, da sie sich wesentlich von anderen bekannten Aminosäure-Stoffwechselerkrankun- gen unterscheiden (Textkasten). Es muß davon ausgegangen werden, daß

bis heute nur bei einem kleinen Anteil betroffener Patienten die Diagnose gestellt wird (1, 2, 3, 5, 6, 8, 9).

Enzephalopathische Krise

Bei Geburt besteht häufig eine Makrozephalie als isoliertes Sym- ptom, in den ersten Lebensmonaten kommt es zu einer Beschleunigung des Kopfwachstums mit Kreuzen der Perzentilen. Ansonsten entwickelt sich die Mehrzahl der Patienten weit- gehend unauffällig (Abbildung 1 a), bis sie im Mittel mit zwölf Monaten an einer akuten enzephalopathischen Krise erkanken. Diese beginnt meist mit zunächst harmlos erscheinenden fieberhaften Erkrankungen. Dabei wird Glutarsäure infolge der ursächli- chen Stoffwechselentgleisung stark vermehrt ausgeschieden. Routine- laborchemische Anzeichen für akute Stoffwechselerkrankungen, wie meta-

bolische Azidose, Hypoglykämie, Hyperammonämie und Laktatazido- se, fehlen dagegen fast immer. Für die Diagnosestellung ist die Urinunter- suchung auf organische Säuren ent- scheidend. Häufig wird die akute Er- krankung als Enzephalitis fehlgedeu- tet und die entstandene, irreversible, schwere dyston/dyskinetische Bewe- gungsstörung (Abbildung 1 b)als Fol- geschädigung. In Deutschland wur- den die ersten Patienten mit GA I 1989 auf der Jahrestagung der Gesell- schaft für Neuropädiatrie vorgestellt (4). Seither wird eine steigende An- zahl von Erkrankungen diagnosti- ziert. Die genaue Häufigkeit ist nicht bekannt; für Schweden wurde sie auf 1 : 30 000 Lebendgeborene geschätzt (7); eine ähnliche Häufigkeit ergibt sich aus den ersten Ergebnissen eines flächendeckenden Neugeborenen- screenings auf Organoazidopathien aus den USA (10).

Frühsymptom Makrozephalie

Einen Hinweis für die (Früh-) Diagnose der GA I kann die Beobach- tung des perzentilenflüchtigen Kopf- umfangswachstums im ersten Lebens- halbjahr mit Entwicklung beziehungs- weise Zunahme einer Makrozephalie liefern (Textkasten)(1, 2, 3, 5, 6, 8, 9).

Die betroffenen Säuglinge entwickeln sich in den ersten Lebensmonaten zu- meist nicht völlig unauffällig, sondern zeigen eine wechselnd ausgeprägte, rumpfbetonte Hypotonie, Zittrigkeit und Schreckhaftigkeit. Der entschei- dendste Hinweis auf das Vorliegen ei- ner GA I ist der Nachweis vermehrter Flüssigkeitsansammlungen frontotem- poral im Schädelsonogramm, CT oder NMR (Abbildung 2 a, b)(1, 2, 3, 5, 6, 8, 9). Die Brückenvenen, welche die er- weiterten Subduralräume durchzie- hen, können schon bei geringfügigen Traumata einreißen und subdurale so- wie retinale Blutungen verursachen (Abbildung 2 b). Mehrzeitige subdura- le Hämatome und Hygrome sind die Folge und können als Verdachtsmo- mente für ein Schütteltrauma, eine häufige Form der Mißhandlung von A-981

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Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 15, 11. April 1997 (41) AKTUELL

Die Glutarazidurie Typ I verursacht ei- ne schwere dyston/dyskinetische Be- wegungsstörung. Frühsymptom ist eine Makrozephalie. Akute enzephalopathi- sche Krisen werden häufig als Enzepha- litis fehlgedeutet, subdurale Hämato- me und Hygrome als Kindesmißhand- lung. Die Prognose nach Eintreten der neurologischen Symptomatik ist ernst.

Frühzeitig diagnostizierte Kinder ent- wickeln sich demgegenüber normal.

Vermehrte Anstrengungen zur Diagno- sestellung vor Ausbruch der neurolo- gischen Erkrankung sind erforderlich.

Eine schwere

neurologische Erkrankung im frühen Kindesalter

Georg Friedrich Hoffmann Glutarazidurie Typ I

Abteilung für Neuropädiatrie und Stoffwech- selerkrankungen (Leiter: Prof. Dr. med. Georg Friedrich Hoffmann) der Universitäts-Kinder- klinik, Marburg

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A-982

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(42) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 15, 11. April 1997 AKTUELL

Glutarazidurie I

Glutarylcarnitin

Glutaconsäure

3-Hydroxyglutarsäure Glutarsäure 3-Hydroxyanthanilsäure

Tryptophan Lysin

2-Aminomuconsäure

2-Aminoadipinsäure 2-Aminoadipin-

4-Semialdehyd

Saccharopin Hydroxylysin

2-Oxoglutarsäure

2-Oxoadipinsäure

Glutaryl-CoA

Glutaconyl-CoA

Crotonyl-CoA

3-Hydroxybutyryl-CoA

Acetoacetyl-CoA Grafik

Stoffwechseldefekt der GA I. Der Enzymdefekt ist durch die Rechtecke symbolisiert. Die anstauenden patholo- gischen Metabolite sind durch rot unterlegte Kästen gekennzeichnet.

Abbildung 2: Neuroradiologische Befunde bei GA I.

(a) Frontotemporal erweiterte Liquorräume, vor al- lem im Bereich der Sylvischen Furche. Zerstörung von Nucleus caudatus sowie Globus pallidus und Atro- phie der weißen Substanz eines neurologisch er- krankten Patienten mit GA I im Alter von drei Jahren (kernspintomographische Untersuchung, Spinecho- technik 1,0 Tesla: TR 2660 msecs/TR 30 msecs;

Schichtdicke 5 mm). (b) CT eines Patienten mit GA I im Alter von acht Monaten. Zusätzlich zu der fronto- temporalen Atrophie stellt sich linksseitig ein chroni- sches subdurales Hämatom dar, welches nach akuter Blutung zu einem Verstreichen der Hirnfurchen sowie einer Mittellinienverlagerung geführt hat. Nach Dia- gnosestellung und Beginn der spezifischen Therapie bildeten sich diese Veränderungen langsam zurück.

Der Junge entwickelte sich bis heute altersentspre- chend und unauffällig.

Abbildung 1a: Patientin mit GA I im Alter von acht Monaten. Das Kind entwickelte sich bis zur krisenhaf- ten Verschlechterung im Alter von 14 Monaten un- auffällig. Beachten Sie die frontal betonte Makro- zephalie.

Abbildung 1b: Patientin im Alter von 16 Monaten im Vollbild der dyston/dyskinetischen Bewegungs- störung. Das Kind verstarb im Alter von 33 Monaten.

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Säuglingen und häufigste Ursache des chronischen subduralen Hämatoms beziehungsweise Hygroms in dieser Altersgruppe, fehlgedeutet werden.

Uns sind drei Patienten mit GA I be- kannt, bei denen primär ein Schüttel- trauma angenommen und fälschlicher- weise als Ursache für das schwere neu- rologische Krankheitsbild angesehen wurde. In beiden Fällen wurden ent- sprechende psychosoziale Maßnah- men eingeleitet, bis Jahre später die ursächliche Erkrankung der GA I dia- gnostiziert wurde.

Die meisten Patienten mit GA I erleiden in ihrem Leben eine einzige enzephalopathische Krise. In wenigen Minuten werden dabei selektiv die Neurone in den Nuclei caudati sowie den Globi pallidi zerstört (1, 2, 3, 5, 6, 8, 9). So verursacht diese Krise eine äußerst schwere dyston/dyskinetische Bewegungsstörung. Die Intelligenz der Kinder dagegen ist weitgehend unbeeinträchtigt. Bleibt die Erkran- kung undiagnostiziert und unbehan- delt, entwickelt sich in späteren Le- bensjahren oft zusätzlich eine genera- lisierte Hirnatrophie, eine Spastik mit Pyramidenbahnzeichen und eine gei- stige Retardierung. Ungefähr 25 Pro- zent der Patienten erleiden keine en- zephalopathischen Krisen, sondern entwickeln schleichend eine dyston/

dyskinetische Bewegungsstörung un- terschiedlichen Ausmaßes. Neurora- diologisch läßt sich auch bei diesen Patienten die spezifische Schädigung

der Nuclei caudati sowie der Globi pallidi nachweisen.

Die Prognose nach Eintreten der neurologischen Symptomatik ist

ernst. Trotz Diagnosestellung und Therapieeinleitung bessert sich die schwere neurologische Symptomatik nicht oder nur wenig, so daß etwa 20 Prozent der Patienten aufgrund krisenhafter neurologischer Ver-

schlechterungen, unbeeinflußbarer Hyperthermien oder interkurrenter Erkrankungen sterben (Tabelle).

Inzwischen konnten wir bei 21 Patienten eine GA I frühzeitig, das

heißt vor Ausbruch der neurologi- schen Erkrankung, diagnostizieren und behandeln (6). Die Therapie be- steht aus einer Carnitinsubstitution

mit 50 bis 100 mg/kg Körpergewicht und Tag sowie einem speziellen Not- fallregime bei interkurrenten Infek- ten. In Analogie zu anderen Amino- säureabbaustörungen, wie der Phe- nylketonurie, erhalten die frühent- deckten Patienten in den ersten Le- bensjahren eine lysinarme und trypto- phanreduzierte Diät (GA I und GA II). Zusätzlich empfehlen wir die Aus- händigung eines Notfallausweises be- ziehungsweise eines Notfallmedail- lons mit den wichtigsten Erstinforma- tionen und Telefonnummern. Unter dieser Behandlung entwickelte bis heute keines der früh diagnostizierten Kinder die neurologische Erkran- kung (mittleres Alter 6,5 Jahre und damit älter, als jemals in der Literatur eine schwere Verschlechterung be- schrieben wurde).

Die nach Ausbruch der GA I schwere, irreversible neurologische Schädigung der betroffenen Kinder muß Anlaß für vermehrte Anstren- gungen einer Diagnosestellung bei möglichst vielen Patienten vor Ent- stehen der neurologischen Erkran- kung sein. Besonders tragisch ist die mögliche Fehldiagnose der Kindes- mißhandlung. Leider handelt es sich bislang bei den meisten von uns früh diagnostizierten und behandelten Pa- tienten um jüngere Geschwister in Fa- milien mit mehreren betroffenen Kin- dern, die im Rahmen von Familienun- tersuchungen schwer erkrankter älte- rer Geschwister diagnostiziert wur- den. Bis die GA I flächendeckend in das Neugeborenenscreening einbezo- gen ist, erscheint eine Urinanalytik der organischen Säuren im Rahmen der differentialdiagnostischen Ab- klärung einer Makrozephalie oder ei- nes vermuteten frühkindlichen Schüt- teltraumas als erfolgversprechender Ansatz zur Frühdiagnose der betrof- fenen Kinder.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-981–986 [Heft 15]

Literatur

1. Amir N, Elpeleg ON, Shalev RS, Chri- stensen E: Glutaric aciduria type I: Enzy- matic and neuroradiologic investigations of two kindreds. J Pediatr 1989; 114:

983–989.

2. Goodman SI, Frerman FE: Organic aci- demias due to defects in lysine oxida- ion: 2-ketoadipic acidemia and glutaric

A-984

M E D I Z I N

(44) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 15, 11. April 1997 AKTUELL

Klinische und

neuroradiologische Befunde von 36 Patienten mit GA I

Symptomfreies Intervall:

12 Monate (2 bis 37 Monate)

– Makrozephalie bei Geburt 43%

– Makrozephalie im

Säuglingsalter 67%

– Dystonie, Dyskinesien 100%

– Rumpfhypotonie 61%

– Tetraplegie 39%

– Appetitlosigkeit, Schlafstörungen,

vermehrtes Schwitzen 50%

– Hyperpyrexie 28%

– Zerebrale Anfälle 20%

– Frontotemporale Atrophie 86%

– Basalganglienveränderungen 63%

Tabelle

Krankheitsverlauf und -prognose von Patienten mit GA I*1

Krankheitsverläufe Ausmaß der neurologischen Behinderung Tod

Anzahl Keine Mäßig*2 Schwer*3

Schleichender Beginn 15 – 9 6 –

Enzephalopathische Krise 63 1 4 58 16

Gesamt 78 (100%) 5 (1,3%) 13 (17%) 64 (82%) 16 (21%)

*1 Zusammenstellung aus fünf Publikationen (1, 3, 5, 8, 9) sowie 36 eigenen Beobachtungen.

*2 Mäßiggradige neurologische Behinderung. Die Patienten können sprechen und ohne Hilfestellung gehen.

*3 Die Patienten sind auf den Rollstuhl angewiesen. Kein Sprachvermögen. Eßstörungen.

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A-986

M E D I Z I N

(46) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 15, 11. April 1997 acidemial. In: Scriver CR, Beaudet AL,

Sly WS (eds.): The Metabolic and Mole- cular Bases of Inherited Disease, Vol. I, 7th Ed. New York, McGraw-Hill, 1995;

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4. Hoffmann G, Böhles HJ, Frosch M et al.:

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7. Kyllerman M, Steen G: Glutaric aciduria.

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Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med.

Georg F. Hoffmann

Universitäts-Kinderklinik Marburg Abteilung für Neuropädiatrie und Stoffwechselerkrankungen Deutschhausstr. 12

35037 Marburg AKTUELL/FÜR SIE REFERIERT

Die Zahl von HIV-Infizierten, die sich durch heterosexuellen Kon- takt anstecken, steigt in Entwick- lungsländern kontinuierlich an. So er- höhte sich der Anteil von nachgewie- senen HIV-Infektionen bei südafrika- nischen Frauen, die eine Geburtskli- nik aufsuchten, von 1,35 Prozent im Jahr 1991 auf 7,57 Prozent 1994.

Die hohe Prävalenz von HIV und die befriedigend organisierte medizi- nische Grundversorgung in Südafrika sind gute Voraussetzungen, um Studi- en mit neuen Anti-HIV-Medikamen- ten durchzuführen. Diese Möglichkeit wird von multinationalen Pharmaun- ternehmen auch genutzt. Hierbei er- gibt sich ein Interessenkonflikt zwi- schen den beteiligten Pharmafirmen einerseits und den Ethik-Kommissio- nen sowie den Betroffenen anderer- seits. Diese Problematik wurde von Vertretern verschiedener Interessen- gruppen diskutiert und im folgenden zusammengefaßt.

Das Hauptproblem der HIV-Stu- dien ist, wie Peter Cleaton-Jones von der University of the Witwatersrand ausführt, der Geldmangel im öffentli- chen Gesundheitswesen. So kann ein neues Medikament, das sich in einer Studie als erfolgreich herausgestellt hat, nach dessen Abschluß nicht vom Gesundheitssystem finanziert wer- den. Um den Patienten nicht ein si- cheres Todesurteil durch den Entzug des möglicherweise lebensrettenden oder zumindest lebensverlängernden Medikaments auszustellen, verlangen einige Ethik-Kommissionen von den Pharmaunternehmen, die Therapie

der Patienten nach dem Ende der Stu- die fortzusetzen oder sie an einer neu- en Untersuchung zu beteiligen. Die Pharmafirmen hingegen argumentie- ren, daß die Patienten bereits vor Stu- dienbeginn über die Befristung unter- richtet wurden und ihr zustimmten.

Einige Patientengruppen und Ethik- Kommissionen akzeptieren die Positi- on der Pharmaindustrie, da die Mög- lichkeit besteht, daß in der durch die Behandlung gewonnenen Zeit ein Medikament verfügbar sein könnte, welches wirksam und erschwinglich ist.

Aus der Sicht der HIV-Infizierten bekommen die Studien eher den Stel- lenwert einer Behandlung als den ei- nes Versuchs, wie Peter Busse von ei- ner südafrikanischen Selbsthilfeorga- nisation ausführt. Von dieser Gruppe wird gefordert, daß die Ärzte und Pharmaunternehmen keine Informa- tionen zurückhalten. Ferner fordern die Patientengruppen,daß auch Studi- en durchgeführt werden sollten, die von den Ethikkommissionen abge- lehnt wurden.

David Cooper von der University of New South Wales, Sydney, verweist in seinen Ausführungen auf die Hel- sinkideklaration, nach der jeder Pati- ent, sei er in der Kontrollgruppe oder in der Versuchsgruppe, eine bestmög- liche Diagnostik und Behandlung er- halten sollte. Hierzu gehört nach An- sicht des Autors, daß die effektivste antivirale Kombinationstherapie in Verbindung mit aktuellen diagnosti- schen Methoden, wie beispielsweise PCR, angewendet werden sollte. So

soll die Therapie dem Standard der Industrieländer entsprechen, und die zusätzliche ökonomische Belastung sei von den Pharmafirmen zu tragen.

Die Pharmafirmen gehen kein großes ökonomisches Risiko ein, lautet das Fazit von R. McLean, Uni- versity of the Witwatersrand. Nach seiner Auffassung investieren die Firmen nur unmittelbar in die Stu- die. Für den Fall, daß die Studie ein Mißerfolg ist, wird sie eingestellt, und es entstehen keine großen Fol- gekosten; wenn die Studie erfolg- reich ist, wird sie danach so viel Pro- fit abwerfen, daß die an der Studie Beteiligten weiter versorgt werden könnten.

Zuletzt kam ein Vertreter der Pharmaindustrie zu Wort. Peter King von Roche Products betonte, daß sei- ner Meinung nach Pharmafirmen un- ter bestimmten Umständen verpflich- tet sind, die Behandlung fortzusetzen, wobei er dies nicht näher definierte.

Allerdings gab er zu bedenken, daß einige Studien wohl nicht unternom- men werden würden, wenn die Ko- sten, die durch die Behandlung der Patienten entstehen würden, zu hoch wären. Ferner betont King, daß Stu- dien nur in Zusammenarbeit mit den Betroffenen und Ärzten durchge- führt werden können. me Cleaton-Johns PE, Busse P, Emery S, Cooper DA, McLean RG, King P: Ava- ilability of antiretroviral therapy after cli- nical trials with HIV infected patients are ended. Br Med J 1997; 314: 887-891.

Peter E Cleaton-Jones, University of the Witwatersrand, Johannesburg, Südafrika.

Dilemma bei HIV–Studien in Entwicklungsländern

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