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Wenn ohne Tablette nichts mehr geht

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116 DIE PTA IN DER APOTHEKE | Mai 2014 | www.pta-aktuell.de

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as Bundesgesundheits- ministerium spricht in seinem Drogen- und Suchtbericht 2013 von 1,4 bis 1,9 Millionen Medikamenten- süchtigen. Andere Studien kommen zu einem noch höheren Ergebnis.

So setzt das Institut für Therapiefor- schung in München zum Beispiel die Zahl der Tablettenabhängigen mit 2,3 Millionen an. Über eine Dun- kelziffer lässt sich nur spekulieren, denn nicht jeder, der süchtig nach Medikamenten ist, wird dadurch zwangsläufig auffällig. Gerade bei Senioren, die altersbedingte Wesens- änderungen zeigen, wird eine Arz- neimittelabhängigkeit womöglich nie bemerkt.

Hauptsächlich Schlaf- und Be- ruhigungsmittel Die Mehrzahl der Medikamentensüchtigen ist abhän- gig von Schlaf- und Beruhigungs- mitteln (Benzodiazepine) sowie von Schmerzmitteln wie opioidhaltigen

Analgetika oder solchen mit Koffein- zusatz. Zunächst werden sie in einer akuten Phase genommen, um die Beschwerden zu lindern. Doch der Körper gewöhnt sich sehr schnell an diese Wirkstoffe. Er benötigt daher immer höhere Dosen, um den glei-

chen Effekt zu erzielen, was bereits nach wenigen Wochen körperlich ab- hängig machen kann. Vor allen Din- gen das in vielen Hustenblocker ent- haltene Opiat Codein ist deshalb als Schmerzmittel riskant, aber auch her- kömmliche Schmerzwirkstoffe wie etwa Paracetamol bergen bei länger- fristiger Einnahme Risiken. So kann es zum Beispiel zu einem medikamen- teninduzierten Kopfschmerz kommen, gegen den dann wiederum Schmerz- mittel eingenommen werden.

Der leichte Weg ist nicht immer der beste Auf dem Gebiet der Medikamentensucht spielt neben der körperlichen auch die psychi- sche Abhängigkeit eine große Rolle.

Wer unter ständigem Schlafman- gel, Unruhezuständen oder starken Schmerzen leidet, kann den Alltag meist nicht mehr problemlos meis- tern. Schlaf- und Beruhigungsmit- tel und Analgetika sind dann die schnelle und vermeintlich einfache

Hilfe. So ist die Gefahr groß, auf die kleinen Helfer nicht mehr ver- zichten zu wollen – ein Grundprob- lem bei Medikamenten, die normale, wichtige Körperfunktionen wieder ins Lot bringen sollen. Aus demsel- ben Grund sind viele Menschen auch

süchtig nach Nasensprays. Wenn das Durchatmen nur noch mithilfe eines Spray möglich ist, mag man darauf nicht verzichten – auch, wenn man damit bereits nach einer Woche einen Teufelskreis auslöst. Denn die abschwellenden Wirkstoffe wie etwa Xylometazolin verursachen anschließend eine noch stärkere Durchblutung des Gewebes und damit eine immer verstopftere Nase.

Solche Medikamente sollte man tatsächlich nur in einer Akutphase anwenden, jedoch möglichst nicht länger als ein paar Tage.

Abhängigkeit durch sozialen Druck Ein relativ neuer Trend beim Medikamentenmissbrauch, der flie- ßend in eine Sucht übergehen kann, ist das Gehirn-Doping. Schüler und Studenten sprechen von einem im- mensen Leistungsdruck, dem viele nicht mehr gewachsen sind. Sie stei- gern daher ihre geistige Leistung immer häufiger mit Medikamen-

ten. So kommt Ritalin zum Einsatz, damit man sich länger konzentrieren kann, oder ein Betablocker gegen die Prüfungsangst. Aufputschmittel wie Ephedrin oder Amphetamine sollen ebenfalls helfen, mehr leis- ten zu können. Diese Substanzen

In Deutschland gibt es Millionen von Menschen, die medikamentenabhängig sind.

Besonders besorgniserregend ist hierbei die stetig zunehmende Zahl arzneimittel- süchtiger Senioren. Welche Hilfe können Sie als PTA hier geben?

Wenn ohne Tabletten nichts mehr geht

PRAXIS MEDIKAMENTENSUCHT

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DIE PTA IN DER APOTHEKE | Mai 2014 | www.pta-aktuell.de

© Alex Gulevich / 123rf.com

führen schnell in die Abhängigkeit.

Die Dosis muss ständig erhöht wer- den – bis die Wirkung ins Gegen- teil umschlägt und die Aufputsch- mittel Anspannung und Gereiztheit auslösen.

Im Alter süchtig Einen beson- deren Stellenwert hat die Medika- mentensucht im Alter. Während bis zum 50. Lebensjahr etwa gleich viele Frauen und Männer betroffen sind, steigt besonders die Zahl der abhängigen Frauen mit steigendem Alter signifikant an. So nehmen 11,5 Prozent der Frauen zwischen 70 und 79 Jahren regelmäßig Schlaf- oder Beruhigungsmittel, während es bei den Männern nur fünf Prozent sind.

Ältere Menschen leiden häufiger darunter, dass sie weniger oder un- ruhiger schlafen. Sie versuchen, ihren gewohnten Rhythmus mit Schlaftabletten wieder herzustellen.

Gegen Einsamkeit oder Depressi- onen verschreiben manche Ärzte zudem Psychopharmaka, die von den Patienten möglicherweise kri- tiklos eingenommen werden. Da Ältere häufig auch noch verschie- dene weitere Medikamente nehmen müssen, besteht ein hohes Risiko für Arzneimittelinteraktionen, wodurch einzelne suchtgefährliche Substan-

zen wesentlich stärker wirken kön- nen als beabsichtigt. Wenn nicht alle Informationen zur Medikation beim Hausarzt zusammenlaufen, können so abhängig machende Cocktails entstehen.

Apotheken in der Pflicht Etwa die Hälfte aller Medikamente, die in Apotheken verkauft werden, sind rezeptpflichtig. Weitere knapp 40 Prozent werden ohne ärztliche Ver- schreibung im Rahmen der Selbst- medikation abgegeben. Dadurch

kommt Ihnen als Berater eine wich- tige Rolle in der Suchtprävention zu. Missbrauch wird definiert als Einnahme ohne medizinische Indi- kation oder übermäßige Einnahme, die körperliche beziehungsweise psychische Schäden mit sich bringt.

Sie als PTA sind also angehalten, ge- rade bei der Abgabe von Substanzen mit großem Suchtpotenzial auszu- loten, ob Ihr Kunde suchtgefährdet ist. Besonders aufmerksam sollten Sie werden, wenn ein Kunde … , sehr häufig dasselbe Medikament

nachfragt

, vorgibt, ein Rezept verloren zu haben

, für ein und dasselbe Medi- kament Rezepte von mehreren Ärzten vorlegt

, es Hinweise gibt, dass er sich ein Medikament in kurzem Zeitraum in verschiedenen Apotheken beschafft hat.

Sie sollten dann einfühlsam hin- terfragen, wie lange und in welche Dosierung das Medikament bereits eingenommen wird und ob der Kunde sich über das Suchtpotenzial der Substanz im Klaren ist. ■

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist EMOTIONALE

VERFLACHUNG

Eine bestimmte Folge der Medikamentensucht ist gerade für ältere Menschen gefährlich:

Bei längerer Abhängigkeit kann es zu einem generellen Ab- flachen aller Gefühle kommen, Emotionen werden nur noch gedämpft wahrgenommen. Das Gefühl, nicht nur psychisch, sondern auch physisch wie in Watte gepackt zu sein, kann zum einen leicht mit den ersten Anzeichen einer Demenz ver- wechselt werden, zum anderen ist die Sturzgefahr dadurch drastisch erhöht.

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