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Anwendungen der Differentialrechnung
5.5 Kurvenuntersuchungen
Querkraft- und Biegemomentenverlauf
Um die inneren Kräfte und Momente in einem Träger zu berechnen, wird dieser an einer beliebigen Stelle durchgeschnitten gedacht. Anschließend werden die Schnittgrößen mithilfe der Gleichgewichtsbedingungen berechnet. Im Zusatzheft zu Band 2 wurden verschiedene Querkraft- und Biegemomentenverläufe angegeben. Nun wollen wir den Zusammenhang zwischen Belastung, Querkraft und Biegemoment genauer untersuchen.
Bemerkungen:
•
Für die Querkraft wird statt FQ (vgl. Band 2) nun V (früher auch Q) als Bezeichnung verwendet.•
Für die Ansätze der Schnittgrößen gilt im Folgenden immer:Für einen Träger auf zwei Stützen mit einer Gleichlast gilt:
Belastung: q(x) = q ... konstant Querkraft: V(x) = q__ 2 – q · x
Biegemoment: M(x) = q · x · (________ 2 – x) = q__ 2 · x – q_ 2 · x2
An den Funktionsgleichungen und den Graphen erkennt man, dass die Ableitung des Biegemoments die Querkraft und die Ableitung der Querkraft die negative Belastung ist.
Um diesen Zusammenhang für beliebige (stetige) Belastungen q(x) zu zeigen, betrachtet man einen kleinen Ausschnitt der Breite
x eines Trägers an der Stelle x. Mithilfe der Gleichgewichtsbedingung in vertikaler Richtung erhält man:
V = 0: V(x) – q(x) ∙ x – V(x + x) = 0 Umformen und Dividieren durch x ergibt:V(x + x) – V(x)
__________ x = –q(x)
Nach Bildung des Grenzwerts x → 0 erhält man:
limx → 0 V(x + __________ x) – V(x)x = dV__ dx = –q(x) Für das Moment geht man analog vor:
M = 0: M(x) – q(x) ∙ x · __ 2x + V(x) ∙ x – M(x + x) = 0 M(x + x) – M(x) = V(x) ∙ x – q(x) · (x)____ 2 2
M(x + x) – M(x)
___________ x = V(x) ⇒ lim
x → 0 M___ x = dM___ dx = V(x)
Die erste Ableitung der Querkraft ist die negative Last. dV__ dx = –q(x) Die erste Ableitung des Biegemoments ist die Querkraft. dM___ dx = V(x)
Damit kann auch eine schon bekannte Tatsache begründet werden: Das Biegemoment hat dort eine Extremstelle, wo die Querkraft null ist (bzw. ihr Vorzeichen ändert).
FA
FB V
x
+
-
M x
+ Mmax
A
q
B ℓ
x
M(x)
M (x + x) q(x) . x
V(x) x x
q(x)
A B
V (x + x)
•
q(x) · (____ 2x)2 ist vernachlässigbar, da (x)2 „sehr klein“ ist.V M
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Anwendungen der Differentialrechnung
Z5.16 Die Gleichung der Biegemomentenlinie lautet:
M(x) = q · ___ 6 · x – ___ 6 · q · x3
1) Gib die Funktionsgleichung der Querkraft und der Belastung an.
2) Gib die Stelle und die Größe des maximalen Biegemoments an.
3) Stelle den belasteten Träger, den Querkraft- und den Biegemomentenverlauf für q = 4 kN__ m und = 4 m grafisch dar. Um welche Belastung handelt es sich und wie groß ist das maximale Biegemoment?
Lösung:
1) V(x) = dM___ dx
V(x) = q · ___ 6 – ___ 2 · q · x2 ... Parabel q(x) = – dV__ dx
q(x) = q_ · x ... Gerade mit Steigung q_ 2) V(x) = 0
q · ___ 6 – ___ 2 · q · x2 = 0 ⇒ x = ± ___
3 Mmax liegt bei x0 = ___
3
Mmax = M
(
___ 3)
= q · ___ 6 · ___ 3 – ___ 6 · q ·(
___ 3)
3 = ____ 9 · q · 3 2 3) q(x) = ____ 4 kN 4 m___ m · x = 1 kN__m2 · x
Die Belastung ist eine Dreieckslast.
Querkraftverlauf:
V(x) = 4 kN
___ m · 4 m
_______ 6 – 4 kN
___ m
_____ 2 · 4 m · x2 = 8_ 3 kN – 1_ 2 kN__
m2 · x2 V(0 m) = q · ___ 6 2,67 kN, V(4 m) = – q · ___ 3 –5,33 kN Der Scheitel der Parabel befindet sich an jener Stelle,
an der die Ableitung, also die Belastung, null ist.
Momentenverlauf:
M(x) = _______ 4 kN ___ m · 4 m6 · x – _____ 6 · 4 m4 kN ___ m · x3 = 8_ 3 kN · x – 1_ 6 kN__
m2 · x3 Nullstelle: x0 = 4 m___
3 2,31 m Mmax 4,11 kNm
•
Ableiten des Biegemoments•
Differenzieren der Querkraft•
Nullsetzen der Querkraft•
– ___ 3 ist keine Lösung.•
Einsetzen der Nullstelle•
Da M(0) = M() = 0, handelt es sich um einen Träger auf zwei Stützen.M
0 x
ℓ
x0
-6
2 4 0 3
1 2 3
-3
4
0 1 2 3 4
mx V
kN
M kN
mx 4
4
q
mx kNm2
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Bemerkungen:
•
Die in machen Fällen verwendete Vereinfachung, zB bei Kragträgern, die positive x-Richtung vom Kragende aus nach links zu wählen, führt bei Berechnung der Querkraft aus dem Biegemoment durch Differenzieren auf falsche Vorzeichen. Daher muss die positive x-Richtung immer nach rechts zeigen.ZB: Hier ist die Querkraft V(x) = +F,
aber das Moment M(x) = –F ∙ x.
Die Ableitung ergibt:
V(x) = dM___ dx = –F, also das falsche Vorzeichen
Ändert man die Richtung der x-Achse, so erhält man für das Moment:
M(x) = MA + FA ∙ x, mit MA = –F ∙ und FA = F
M(x) = –F ∙ + F ∙ x
Dies ergibt sich auch durch die Transformation x → – x:
M(x) = –F ∙ x → M(x) = –F ∙ ( – x) = –F ∙ + F ∙ x
Für die Querkraft folgt nun:
V(x) = dM___ dx = +F
•
Wird ein Träger durch Einzellasten belastet, so setzt sich das Moment aus stückweise linearen Funktionen zusammen. Die Querkraft besteht daher aus stückweise konstanten Funktionen.Z5.17 Die Funktionsgleichung M(x) der Biegemomentenlinie ist gegeben.
1) Gib die Funktionsgleichung für die Querkraft an.
2) Gib die Funktionsgleichung für die Belastung an.
3) Stelle den belasteten Träger, die Querkraft- und die Biegemomentenlinie für q und dar. Um welche Art Last und Träger handelt es sich?
a) M(x) = – q_ 2 · ( – x)2, q = 2 kN__ m , = 5 m b) M(x) = – __ 6q · ( – x)3, q = 0,8 kN__ m , = 6 m
Z5.18 Die Funktionsgleichung M(x) der Biegemomentenlinie lautet:
M(x) =
q · ___ 4 · x – ___ 3 · q · x3 für 0 x _ 2q · ___ 4 · ( – x) – ___ 3 · q · ( – x)3 für _ 2 x
1) Zeige, dass die Funktion an der Stelle x = _ 2 stetig fortgesetzt wurde.
2) Gib die Funktionsgleichungen für die Querkraft und die Belastung an.
3) Gib die Stelle und die Größe des maximalen Biegemoments an.
4) Stelle den belasteten Träger, den Querkraft- und den Biegemomentenverlauf für q = 0,4 kN__ m und = 3 m grafisch dar. Um welche Art Last handelt es sich? Wie groß ist das maximale Biegemoment?
V
M -F .
x F
x ℓ
MA A
F x
ℓ A
F x ℓ
V M
F x
MA FA
M
V:
M:
F
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Aufgaben Z5.19 – Z5.21: Ordne dem gegebenen Querkraftverlauf den Träger mit der passenden Belastung zu. Begründe, warum es die anderen Träger nicht sein können.
Z5.19
1) 3)
2) 4)
Lösung:
Träger 3 ergibt den gegebenen Querkraftverlauf.
Träger 1 scheidet aus, da das parabelförmige Teilstück von V(x) seinen Scheitel in jenem Punkt haben müsste, in dem die Dreieckslast null ist.
Träger 2 kommt nicht in Frage, da dann V(x) aufgrund der konstanten Streckenlast im Bereich von x1 bis x2 eine lineare Funktion enthalten müsste.
Träger 4 passt nicht. Da der Querkraftverlauf am Ende konstant ist, kann der Träger nicht durch eine konstante Streckenlast belastet werden.
Z5.20
1) 3)
2) 4)
Z5.21
1) 3)
2) 4)
V:
x1
x2 x3
x
V:
x1 x2
x
V:
x1 x2 x3 x
x1 x2 x3 x
x1 x2 x
x1 x2 x3 x
x1 x2 x3 x
x1 x2 x
x1 x2 x3 x
x1 x2 x3 x
x1 x2 x
x1 x2 x3 x
x1 x2 x3 x
x1 x2 x
x1 x2 x3 x
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