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Bildung in der Heimerziehung

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Academic year: 2021

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Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

Studiengang Soziale Arbeit

Bildung in der Heimerziehung

Bachelorarbeit

vorgelegt von:

Marian Norbert Stefan Ritter

URN:

urn:nbn:de:gbv:519-thesis2018-0383-6

Betreuer:

Prof. Dr. Vera Sparschuh

Prof. Dr. Werner Freigang

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung... 3

1 Bildung... 5

1.1 Entwicklung des Bildungsbegriffs in Deutschland...5

1.2 Zum Verhältnis von Bildung und Erziehung...9

1.3 Formale Bildung...12

1.4 Non-formale Bildung...13

1.5 Informelle Bildung...14

1.6 Kulturelle und ästhetische Bildung...15

1.7 Sozialer Wandel, Bildung und die Rolle der Sozialen Arbeit...16

2 Heimerziehung...21

2.1 Heimerziehung in der Vergangenheit...21

2.2 Prinzipien der heutigen Heimerziehung – Was ist Heimerziehung heute?...26

3 Bildung in der Heimerziehung...31

3.1 Bildung als Aufgabe der Heimerziehung...31

3.2 Wie können Bildungsprozesse in der Heimerziehung ermöglicht und gestaltet werden?...33

3.3 Beziehungsarbeit als Grundlage für Bildungsprozesse...35

3.4 Heimerziehung als therapeutischer Ort...37

3.5 Partizipation in der Heimerziehung ...38

3.6 Biographische Bildungsprozesse fördern...41

4 Zusammenfassung...43

Literaturverzeichnis ...45

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Einleitung

Bildung ist Gegenstand vieler politischer und gesellschaftlicher Diskussionen. Diese Diskussion wurde Insbesondere nach Veröffentlichung der ersten PISA Studie aus dem Jahr 2000 intensiviert. Es wurde festgestellt, dass das deutsche Bildungssystem im internationalen Vergleich mit anderen OECD-Staaten bei weitem nicht an der Weltspitze positioniert ist. Besonders auffällig ist, dass die sozio-ökonomische Herkunft der Kinder in Deutschland im Vergleich zu anderen Industriestaaten überdurchschnittlich relevant für die Bildungschancen und den Schulerfolg ist und eine Chancengleichheit somit nicht gegeben ist.

Die vorliegende Arbeit widmet sich dem Thema „Bildung in der Heimerziehung“ und nimmt eine spezielle Gruppe von jungen Menschen in den Fokus, die bedingt durch ihre problematischen Lebensverhältnisse der besonderen Gefahr ausgesetzt sind zu sogenannten „Bildungsverlierern“ zu werden. Die Rede ist von jungen Menschen, die kurzfristig oder längerfristig im stationären Setting der Kinder- und Jugendhilfe aufwachsen. Heimerziehung wird meist mit „schwierigen“ Kindern, prekären Lebensverhältnissen, Armut und Kriminalität assoziiert. Es erscheint naheliegend, dass die meist mehrfach belasteten jungen Menschen, die fremd untergebracht werden müssen, meist aus sozial oder ökonomisch schwachen Verhältnissen kommen. Ziel eines Sozialstaates muss es sein soziale Gerechtigkeit herzustellen und auch für sogenannte „Heimkinder“ Bildungsbenachteiligung zu verringern und auf Chancengleichheit hinzuwirken. Dies ist bisher nur selten zum Thema gesellschaft-licher oder politischer Bildungsdebatten geworden.

Auch heute ist man vielerorts froh, wenn die „Heimkinder“ überhaupt einmal einen Schulabschluss in der Tasche haben. Geht es doch vorrangig darum die Unterbringung überhaupt zu bewerkstelligen und die Probleme, die zur Heimunterbringung geführt haben, zu lösen. Womöglich geht man gar nicht erst davon aus, dass junge Menschen mit schwieriger Vergangenheit einen höheren Bildungsabschluss erwerben werden. Potenziale werden dementsprechend nicht erkannt, nicht gefördert und ein mittlerer Bildungsabschluss kann bereits als höchstes Ziel gelten.

„Vom Waisenhaus ins Zuchthaus“ ist das 1969 erschienene autobiografische Buch von Wolfgang Werner, das in diesem Kontext quasi ein Horrorszenario beschreibt: Ein Aufwachsen geprägt von Armut, Gewalt, „Verlegen und Abschieben“1, Kriminalität und

Perspektivlosigkeit. Ein Szenario, das es durch professionelle Hilfe, durch Sozialpädagogik, zu vermeiden gilt.

Gegenstand dieser Arbeit soll es sein Bildung im Kontext der Heimerziehung zu diskutieren. Inwiefern können die Institutionen der stationären Kinder- und Jugendhilfe als Orte der

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Bildung angesehen und wie können Bildungsprozesse in der Heimerziehung gefördert und gestaltet werden?

Um eine Basis zu schaffen und um die Begrifflichkeiten zu definieren, wendet sich das erste Kapitel allgemein dem Bildungsbegriff zu. Weiterhin wird das Verhältnis von Bildung und Erziehung diskutiert, sowie die Kategorisierung in formale, non-formale, informelle sowie kulturelle und ästhetische Bildung aufgegriffen. Abschließend für das erste Kapitel wird Bildung im Kontext des Sozialen Wandels betrachtet und die Rolle der Sozialen Arbeit für die Bildung geklärt. Das zweite Kapitel beschäftigt sich allgemein mit der Heimerziehung. Nach einem historischen Überblick wird die heutige Situation der stationären Kinder- und Jugendhilfe dargestellt. Das dritte Kapitel widmet sich dem Kernthema „Bildung in der Heimerziehung“. Hierbei wird auf die in den Kapiteln Bildung und Heimerziehung erarbeiteten Erkenntnisse aufgebaut. Es wird herausgearbeitet und begründet, warum die stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe als Orte der Bildung anzusehen sind. Auf dieser Grundlage werden Überlegungen angestellt, wie Bildungsprozesse in diesem Setting ermöglicht und gestaltet werden können. Mit der Bindungstheorie, dem „therapeutischen Milieu“, der Partizipation und der Biografiearbeit werden vier wissenschaftlich fundierte methodische Ansätze unter dem Horizont des Bildungsbegriffs beschrieben.

Zur Verwendung der Begrifflichkeiten sei vorab gesagt, dass ich die Soziale Arbeit als ein übergeordnetes Feld betrachte, das immer auch die Sozialpädagogik, deren Wurzeln speziell in der Hilfe von Kindern und Jugendlichen liegen, beinhaltet. Meist werde ich aufgrund des Themas Heimerziehung und deren Ausrichtung auf Kinder und Jugendliche den Begriff Sozialpädagogik verwenden. Die weiter gefassten Begriffe Sozialarbeit und Soziale Arbeit werden dann verwendet, wenn die verwendete Literaturquelle diese vorzieht.

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1 Bildung

Über den im allgemeinen Sprachgebrauch verwendeten Begriff „Bildung“ lässt sich trefflich streiten. Im Hinblick auf die Fragestellung, ob die stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe als Orte der Bildung anzusehen sind, ist es essenziell diese grundlegende Begrifflichkeit zu diskutieren und für diese Arbeit eindeutig zu bestimmen. Der Bildungsbegriff ist abhängig vom gesellschaftlichen und historischen Kontext, und je nach Perspektive und Interesse unterschiedlich zu erklären. So wird sich eine streng gläubige Person erst nach der intensiven Auseinandersetzung mit der Religion als gebildet fühlen, während für den anderen das Erreichen eines Doktorgrades oder ein ausgeprägtes Allgemeinwissen als entscheidend gilt. Einen Soziologen kann die Funktion von Bildung in Hinblick auf Chancengleichheit interessieren, während ein Politiker eher daran interessiert ist, das Bildungssystem so auszu-richten, dass es dem deutschen Gesellschaftssystem zuträglich ist.

Das Recht auf Bildung findet seine Grundlage in Artikel 26 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ von 1948. In der gebotenen Kürze enthält er die wesentlichen Ziele der Bildung und von Maßnahmen zu deren Umsetzung:

• Unentgeltlichkeit zumindest der grundlegenden obligatorischen Bildung, Zugang zu weiterführenden Bildungsangeboten entsprechend der Fähigkeiten,

• Ausrichtung von Bildung auf die „volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit“ und Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten,

• Bestimmungsrecht der Eltern zur Wahl der Art der Bildung

Auch wenn die Einhaltung der Menschenrechte nicht einklagbar ist, darf erwartet werden, dass die zivilisierten Gesellschaften ihre Bildungsarbeit an diesen Grundsätzen ausrichten, sie differenziert umsetzen oder zumindest nicht dagegen arbeiten. In Deutschland wird dieses Recht auf Bildung durch die Verfassungen der Bundesländer umgesetzt (z.B. §20 Verfassung von Berlin). Gibt der Artikel 26 zunächst eine hinreichende Definition, ist es für die Umsetzung von Bildung erforderlich im folgenden, eine differenziertere Betrachtung zu führen.

1.1 Entwicklung des Bildungsbegriffs in Deutschland

Seit Beginn der Menschheit haben Eltern ihren Kindern etwas beigebracht, sie quasi ausgebildet, um damit das Überleben ihrer Spezies zu sichern. Grundlegende Fertigkeiten, wie das Jagen von Tieren und Feuer entfachen, die in unserer Gesellschaft wohl heute kaum noch ein Mensch ohne moderne Hilfsmittel beherrscht, mussten schließlich auch erst erlernt

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werden. Erfahrungen, Sitten und Gebräuche wurden an nächste Generationen weitergegeben. Inhalt und Form dieser Weitergabe wurden jedoch nicht tiefer hinterfragt, sondern geschahen instinktiv, dem natürlichen Trieb folgend. Spätestens mit den Demokratieformen des antiken Griechenlands wurde Bildung zum Teil der menschlichen Kultur. Es wurde erstmals reflektiert, welches Wissen und welche Tugenden der Mensch benötigt, um die Gesellschaft mitzugestalten.2 Die Epoche der Antike gilt deswegen auch als

die „Geburtststunde der Pädagogik“3. Philosophen wie Sokrates und sein Schüler Platon,

machten es sich zur Aufgabe die Menschen zu bilden. Damit war gemeint, den Menschen dabei zu helfen die Wahrheit zu erkennen. In Platons Höhlengleichnis wurde dieser philosophische Bildungsweg in Form eines Befreiungsprozesses veranschaulicht: Platon verglich die ungebildeten Menschen mit Höhlenbewohnern, die ihr ganzes bisheriges Leben gefesselt in einer Höhle verbringen und sich durch das Beobachten von sich bewegenden Schatten ihre eigene Wirklichkeit konstruieren. Das Bewusstsein der unwissenden Menschen sollte dahingehend erweitert werden, dass sie zwischen Sein und Schein zu unterscheiden wissen und sie fort von ihren individuell konstruierten Wahrheiten hin zu für das Gemeinwesen dienlichen Bürgern werden. Diese philosophische Form der Bildung mit dem Ziel der Erkenntnis war jedoch zu dieser Zeit nur männlichen, wohlhabenden Menschen vorbehalten.4

In den finsteren Wirren des Mittelalters waren die antiken Ideale der Demokratisierung überdeckt und die Vermittlung von Bildung vornehmliche Aufgabe der Kirchen.5 Auch das

Wort Bildung selbst hat ursprünglich einen theologischen Hintergrund und war als Auftrag an den Menschen zu sehen, den Weg zu Gott, also „sein Bild“ zu finden.6 So waren es religiöse

Motive, die es im Rahmen der Reformation im deutschsprachigen Raum zu ersten Schulpflichten kommen ließen. Damit konnte sich der gemeine Bürger selbst durch das Lesen der nunmehr ins Deutsche übersetzten Bibel bilden. Die erste Schulpflicht führte die Freie Reichsstadt Strassburg im Jahr 1598 ein. Die verschiedenen deutschsprachigen Territorien verfolgten jeweils unterschiedliche Formen der Bildungspolitik; so gab es zwar vielerorts eine Unterrichts- jedoch keine Schulpflicht, wodurch der Bildungsauftrag an den Hausherren abgegeben wurde.7 Professionelle Bildung war lange Zeit wohlhabenden Menschen

vor-behalten, die einen Hauslehrer bestellten, der die Kinder zu Hause unterrichtete. Mit der zunehmenden Verstädterung wurden nach und nach in immer mehr europäischen Staaten ein Bildungssystem und die allgemeine Schulpflicht eingeführt.8 In Preußen wurde die allgemeine

2 vgl. Kuhlmann 2013, S. 13 3 Kuhlmann 2013, S. 13 4 vgl. Kuhlmann 2013, S. 14ff. 5 vgl. Spiewak 2008, S. 45 6 vgl. Schaub/Zenke 2007, S. 100f. 7 vgl. Tenorth 2014 (Internetquelle) 8 Giddens/Fleck/Egger de Campo 2009, S. 381f.

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Schulpflicht im Jahr 1717 unter Friedrich Wilhelm I. eingeführt. Er erhoffte sich dadurch gehorsame, christlichen Werten folgende Untertanen, mit denen Preußen zu einem modernen, führenden Staat werden könne. Bildung wurde dadurch als Instrument inter-nationalen Wettbewerbs etabliert. Die Schulpflicht erwies sich jedoch in der Praxis, insbe-sondere in ländlichen Gebieten, als schwer durchsetzbar, da Kinder in den landwirt-schaftlichen Betrieben als Arbeitskräfte benötigt wurden, während in den Städten die Nachfrage nach Arbeitskräften für die industrielle Produktion stieg. Auch gab es zu dieser Zeit noch keine speziell ausgebildeten Lehrer. Lehrtätigkeiten wurden von Menschen aus verschiedenen Kreisen durchgeführt.9

Die von Emanzipation, rationalem Denken und Säkularisierung geprägte Epoche der Aufklärung brachte ab Mitte des 18. Jh. ein grundlegend neues Bildungsideal und es manifestierte sich die eigenständige Wissenschaft der Pädagogik. "Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“10, fasste Immanuel Kant prägnant zusammen,

worum es in der Aufklärung ging. Hinter diesem Ansatz steckt auch die Hoffnung auf diplomatische Lösungsfindungen in politischen Belangen, um den Frieden im Land zu sichern. „Gegensätze sollten sich artikulieren dürfen, Fremdes vertraut werden, Bestehendes kritisiert und verbessert werden“11. Ernüchternd musste festgestellt werden, dass Gewalt,

Machtmissbrauch und Ungleichheit durch ein aufgeklärtes, vernunftbegründetes Bildungsideal kurzfristig nicht verhindert werden konnte.12 Jedoch entwickelte sich ein erweitertes

Bildungsverständnis, das bis heute aktuell ist. Die Vernunft und das sinnvolle Handeln des Menschen sowie die Bildung des Subjekts standen nun im Vordergrund.13 Bildung bedeutete

demnach sich selbst, seine „Subjektivität als Gestaltungsaufgabe“14 zu begreifen und seine

Individualität frei entfalten zu können. Der Mensch galt nun weniger als ein von Gott bestimmtes Wesen und mehr als freies und mündiges Individuum. Bildung wird als Auseinandersetzung des Menschen mit der Welt verstanden.15

Infolge der Stein-Hardenbergschen Reformen des frühen 19. Jahrhunderts blieb es dem Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt vorbehalten, dieses neue Bildungsideal in Preußen umzusetzen, das prägend für die Reformprozesse im deutschsprachigen Raum wurde. Preußen sollte damit zu einem modernen Staat, mit aufgeklärten Menschen umgebaut werden, um im Wettbewerb mit anderen europäischen Staaten mithalten zu können. Es richtete sich gegen die starren Verhältnisse einer feudalistischen Ordnung, in dem jeder Mensch von Geburt an einer bestimmten sozialen Klasse angehört, der er lebenslang

9 vgl. Westhoff 2017 (Internetquelle) 10 Kant 1784, S. 481 11 Treptow 2012, S. 25 12 vgl. Treptow 2012, S. 24 13 vgl. Schaub/Zenke 2007, S. 100f. 14 Treptow 2012, S. 24 15 vgl. Schaub/Zenke 2007, S. 100f.

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angehört und propagierte eine grundlegende Allgemeinbildung für jeden Bürger. Humboldts Intention war es somit Chancengleichheit und Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse zu ermöglichen. Erst durch eine allgemeine Bildung und der damit einhergehenden Aus-einandersetzung mit der Welt, würde sich der Mensch frei entfalten können und eine selbst bestimmte Persönlichkeit werden.16 „Der gemeinste Tagelöhner, und der am feinsten

Ausgebildete muss in seinem Gemüth ursprünglich gleich gestimmt werden.“17 Erst nach

dieser allgemeinen Bildung kann eine Spezialbildung für die Ausübung eines Berufs angestrebt werden.18 Zum Erreichen dieses Bildungsideals wurde das mehrgliedrige

Schul-system eingeführt, mit der Intention jeden nach seinen Fähigkeiten zu fördern und für jeden einen passenden Beruf zu finden. Bildung war nun zunehmend Aufgabe des Staates. Auch das Verständnis der modernen Universität als Stätte der Forschung, und nicht nur als Stätte der Lehre, ist auf Humboldt zurückzuführen.19 Das Bildungsverständnis nach Humboldt wurde

folgendermaßen zusammengefasst und soll im folgenden für diese Arbeit gültig sein:

„Bildung sei die Anregung aller Kräfte eines Menschen, damit diese sich über die Aneignung der Welt in wechselseitiger Ver- und Beschränkung harmonisch proportionierlich entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität oder

Persönlichkeit führen, die in ihrer Idealität und Einzigartigkeit die Menschheit bereichere.“20

Freilich wurde das hehre Ziel der Chancengleichheit nicht erreicht. Mitte des 19. Jahrhunderts sehen wir die Schicht des Bildungsbürgertums, aus der der Staat seine Beamten rekrutierte. Immerhin konnte dieser neue Stand stolz darauf sein, seine gesellschaftliche Stellung durch gute Bildung erarbeitet und nicht durch adlige Geburt erlangt zu haben. Für zu viel Entfaltung von Selbstverständnis und Demokratie war die Zeit hingegen noch nicht reif, wie es die Niederschlagung der Märzrevolution von 1848 zeigen sollte. Das Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts legte durch seine privilegierte Stellung und die zur Schau gestellte elitäre Arroganz vielleicht auch den Grundstein dafür, dass „hohe Bildung“ von der sich im Rahmen der Industrialisierung entstandenen Arbeiterklasse argwöhnisch betrachtet wurde und diese elitäre Schicht zu bekämpfen wäre. Das Gleichsetzen von Bildung mit einer gebildeten und elitären Schicht und damit einer Grenze zwischen oben und unten wirkt bis in unsere Tage hinein.21 Allerdings meint dieser missverstandene Bildungsbegriff nur jene Bildung, die den

Wettbewerb um beste Stellungen und möglichst hohes Einkommen bestimmt. Einige

16 Sünker 2001, S. 163f. 17 Humboldt 1960, S. 188 18 Sünker 2001 S. 163f. 19 vgl. Spiewak 2008, S. 46 20 Hentig 1996, S. 40 21 vgl. Thiersch 2009, S. 36

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Bevölkerungsgruppen fühlen sich von den gebildeten Eliten diffus bedroht, abgehängt und gesellschaftlich exkludiert. Auch in sozialpädagogischen Kreisen wird der Gehalt des Bildungsbegriffs misstrauisch und argwöhnisch betrachtet. Anstatt von unten für bessere Bildung zu arbeiten, möchte man gern gegen die „gebildete Elite“ aufbegehren. Diese bis heute anhaltende Diskrepanz der Sozialpädagogik zur Bildung ist begründet im historischen elitären Bildungsbegriff.22 Zielführend für die Lebensgestaltung des Einzelnen und für die

verschiedenen Bildungsinstitutionen ist eine Besinnung auf den eigentlichen Kern des Bildungsgehalts, getreu den Idealen von Humboldt oder auch Pestalozzi, der mit seinem ganzheitlichem Bildungsverständnis die Entwicklung der Sozialpädagogik entscheidend geprägt hat.23

1.2 Zum Verhältnis von Bildung und Erziehung

Im Hinblick auf die Thematik „Bildung in der Heimerziehung“ stellt sich die Frage wie die beiden Begrifflichkeiten Bildung und Erziehung zu differenzieren sind. Allein die Existenz des Bildungsbegriffs ist ein spezifisches deutsches Phänomen. In vielen anderen Sprachen werden die Begrifflichkeiten Bildung und Erziehung nicht weiter differenziert sondern beispielsweise im Englischen und Französischen mit den Begriffen „education“ bzw. „éducation“ zusammengefasst. Man könnte nun daraus schließen, die Diskussion über die Gegensätze der beiden Begriffe wäre obsolet, da andere Kulturen durch einen einheitlichen Begriff zeigen, dass es im Prinzip um das selbe geht. Nun gilt es jedoch zu beachten, dass wir in Deutschland eine lange Tradition pflegen, in Erziehung und Bildung zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist gesellschaftlich gewachsen und prägend für die heutige Erziehungs-bzw. Bildungslandschaft Deutschlands, sodass sie auch in dieser Hausarbeit Diskussionsgegenstand sein muss.24

Im allgemeinen bürgerlichen Verständnis zielt Erziehung eher auf die Einhaltung von Regeln und Normen, sowie auf eine gesellschaftlich angepasste Lebensbewältigung ab. Erziehung hat seine Position demnach eher in alltäglichen Angelegenheiten. Bildung nimmt in der deutschen Umgangssprache eher eine herausgehobene Stellung ein. Sie findet weniger im Alltag, sondern mehr zu speziell inszenierten Gelegenheiten, wie zum Beispiel im Unterricht, statt. Soll weder von Bildung noch von Erziehung die Rede sein, wählt man gerne die eher übergeordnete Begrifflichkeit der Sozialisation eines Menschen, die die Entwicklung des Menschen in der Interaktion mit seiner Umwelt in seiner Gesamtheit darstellt und somit geplante (pädagogisch inszenierte) als auch ungeplante Wirkungen umfasst.25

22 vgl. Treptow 2012, S. 27 23 vgl. Klus/Schilling 2015, S. 96 24 vgl. Klus/Schilling 2015, S. 87 25 vgl. Freigang 2009, S. 120

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In der Fachwelt wurde der Erziehungsbegriff je nach Kontext und Zeit kontrovers diskutiert. Ich möchte mich für diese Hausarbeit der Definition von Werner Wiater anschließen und diese im folgenden vorstellen: Für Wiater ist Erziehung die „notwendige und absichtsvolle Hilfe der Erwachsenengeneration bei der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu mündigen Persönlichkeiten“, die in „Form einer sozialen Interaktion zwischen Subjekten“26 stattfindet.

Erziehung ist also ein zwischenmenschlicher Handlungsprozess, ausgeführt von Erwachsenen, abzielend auf Kinder und Jugendliche. Durch Erziehung sollen die Potenziale der Kinder und Jugendlichen entfaltet und deren Selbstständigkeit, Selbstverantwortung und Selbstreflektion gefördert werden. Sie ist somit als Hilfe zur Selbsthilfe zu sehen und darauf ausgerichtet überflüssig zu werden, denn mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter soll der Erziehungsprozess im Idealfall mit der Mündigkeit und Emanzipation des ehemaligen Zöglings abgeschlossen sein.27

Als normatives Prinzip wird in unserer Gesellschaft ein demokratisches Grundverständnis propagiert, „(...)das Individualität in den Grenzen der Sozialität sichert sowie die Persönlichkeitswürde jedes Einzelnen und die Menschenrechte unterschiedslos für alle zur Grundlage hat.“28 Erziehung muss also auf die Einhaltung gesellschaftlicher Grundwerte

abzielen und darf bei Verstößen seitens der zu Erziehenden auch methodische Handlungsformen wie Verbote, Lenkungen, Lernen aus Konsequenzen sowie Wiedergutmachung enthalten.29

Zum Verhältnis von Erziehung und Bildung sei eine prägnante Definition zum Bildungsbegriff von Theodor Adorno zitiert: „Bildung ist nichts anderes als Kultur nach der Seite ihrer subjektiven Zueignung“30. Während Erziehung also offensichtlich ein interpersoneller Prozess

ist, bei dem eine Fremdeinwirkung auf eine Person stattfindet, handelt es sich bei Bildung um die Auseinandersetzung des Individuums mit der gegebenen Umwelt. Schon das reflexive Verb „sich bilden“ suggeriert eine Tätigkeit, die sich auf das Subjekt selbst bezieht. Bildung entsteht also im Akteur selbst, während der reflektierten Auseinandersetzung mit der Welt und Kultur. Bei der Erziehung („ich erziehe jemanden“) liegt ein klares Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt vor.31 Erziehung ist normalerweise mit dem Eintritt des Menschen ins

Erwachsenenalter abgeschlossen, während Bildung ein lebenslanger Prozess ist. Erziehung kann immer nur einen Versuch darstellen den zu Erziehenden auf eine bestimmte Ausrichtung hin zu lenken;32 Bildung ist das, was das Individuum aus seiner Selbst heraus hervorbringt.

Ein Mensch kann demnach nicht durch Fremdeinwirkung gebildet werden, wohl aber können

26 Wiater 2013, S. 23 27 vgl. Wiater 2013, S. 23f. 28 Wiater 2013, S. 24 29 Wiater 2013, S. 24

30 Adorno nach Hörner 2010, S. 10 31 vgl. Hörner 2010, S. 10

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Bildungsprozesse durch didaktische und pädagogische Einflussnahme von außen begünstigt werden. Jedoch gilt zu beachten, dass Erziehung und Bildung nicht strikt nacheinander stattfinden sollen. Eine curriculare Strukturierung nach dem Motto: „Erst muss das Kind richtig erzogen werden, bis es sich dann als Erwachsener schließlich bilden kann“, wird als kontraproduktiv betrachtet und behindert mögliche Bildungsprozesse in der Kindheit. Erziehung und Bildung sind eng miteinander verbunden, verfolgen das gemeinsame Ziel der Mündigkeit und stehen in ständiger Wechselwirkung. Beide Prozesse sollen eingelagert in der alltäglichen Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen stattfinden. Erziehung, mit dem Ziel der Mündigkeit des Zöglings33, kann somit als eine Unterstützung von der älteren Generation

für Kinder und Jugendliche und als Grundlage von Bildung34 bezeichnet werden. Eine

zeitgemäße, moderne Erziehung zielt darauf ab Bildungsprozesse der Kinder und Jugendlichen anzustoßen und zu fördern.35

Für die praktische Arbeit sind die Aufgaben der Erziehung eindeutig rechtlich geregelt. Nach Art 6 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das „natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“. Indirekt wird über Art 7 GG die allgemeine Schulpflicht bestimmt, die dann in den Verfassungen der einzelnen Bundesländer und deren Schulgesetzen näher geregelt wird. Hieraus leitet sich ein staatlicher Erziehungsauftrag für die schulische Bildung ab, der dem elterlichen Erziehungsauftrag gleichrangig ist. So formuliert das Schulgesetz für das Land Berlin in §2 das „Recht auf Erziehung und Bildung“ und in §3 die „Bildungs- und Erziehungsziele“. Es dürfte nicht verwundern, dass die in dieser Arbeit diskutierten Bildungs- und Erziehungsideale Eingang in die Gesetzgebung gefunden haben. Auch im rechtlichen Kontext lässt sich Erziehung als Instrument zum Erlangen von Bildung verstehen, das gleichberechtigt durch den Erziehungsauftrag der Eltern und die staatlich veranlasste schulische Erziehung wirkt. Die elterliche Erziehungspflicht endet formal mit Vollendung des 18. Lebensjahres.36

„Bildung steht deshalb auch nicht im Gegensatz zu Erziehung, wie Kritiker sagen, sondern ist eingelagert in den alltäglichen Prozess des Aufwachsens, weil sie sonst gar keinen Ort hat, an dem beides gelernt wird: die notwendige Anpassung an die Gesellschaft und die Verselbständigung des Einzelnen gegenüber Außenerwartungen.“37

33 vgl. Wiater 2013, S. 23 34 vgl. Winkler 2001, S. 169 35 vgl. Tenorth 2013 (Internetquelle) 36 vgl. §2 BGB

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1.3 Formale Bildung

Formale Bildung bezieht sich auf das institutionelle Bildungssystem der Schulen, Hochschulen und Ausbildungseinrichtungen. Hier werden Kompetenzen und Wissen nach bildungspolitischen Vorgaben vermittelt. Formale Bildung führt bei erfolgreicher Teilnahme zu anerkannten Abschlüssen, Zeugnissen und Qualifikationen.38 1919 wurde mit der Weimarer

Verfassung in Deutschland eine einheitliche Schulpflicht eingeführt, die je nach Bundesland zwischen 9 und 12 Schuljahre beträgt. Die Teilnahme am formalen Bildungsprogramm ist daher Pflicht für jeden Minderjährigen und basiert nicht auf Freiwilligkeit.39 Diese Form der

Bildung ist curricular strukturiert, findet also im Laufe des Lebens einen Abschluss und ist pädagogisch und didaktisch inszeniert.40

Der Bildung des Menschen im formalen Setting liegen grundlegende gesamtgesellschaftliche Funktionen zu Grunde. Das Bildungssystem in industrialisierten Staaten wirkt entscheidend in andere Teilsysteme der Gesellschaft hinein. Zunächst geht es in der Schule darum, nachfolgenden Generationen kulturelle Traditionen und Fertigkeiten wie Schrift und Sprache zu vermitteln und sie somit zu einem Teil der vorherrschenden Kultur werden zu lassen.41

Gemäß dem humboldtschen Bildungsideal sollen in den primären Schulformen Grundkompetenzen aus den wichtigsten Disziplinen erlernt werden. Später geht es um die Vermittlung von spezifischen Kenntnissen, damit der Mensch einen speziellen Beruf ausüben kann.42 Gesellschaftliche Werte und Normen sollen verinnerlicht werden, auch darauf

hinwirkend, dass die Schülerinnen und Schüler den Prinzipien der Leistungsgesellschaft folgen und den Bildungsprozess als identitätsstiftend wahrnehmen. Durch die Bewertung der schulischen Leistungen erfolgt eine Selektion der Schüler, die wegweisend für den zukünftigen gesellschaftlichen Status und die berufliche Position ist. Entsprechend ihrer Fähigkeiten und Leistungen haben alle Schüler formal die gleichen Chancen auf schulischen Bildungserfolg. Wie es schon Humboldts Intention gewesen ist, bietet die formale Bildung für das Individuum die grundsätzliche Möglichkeit, sich aus seinen biografisch gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen zu lösen und durch den Erwerb von Schulabschlüssen in der sozialen Hierarchie aufzusteigen. Studien zeigen jedoch, dass gerade in Deutschland soziale und nationale Herkunft der Schülerinnen und Schüler entscheidend für die Bildungschancen sind. Kinder aus höheren sozialen Schichten und Kinder ohne Migrationshintergrund erzielen im Durchschnitt bessere schulische Leistungen.43 Es lässt sich somit feststellen, dass soziale

Ungleichheit durch das Bildungssystem nicht aufgehoben, sondern lediglich legitimiert und

38 vgl. Meis/Mies 2012, S. 53 39 vgl. Tenorth 2014 (Internetquelle) 40 vgl. Thiersch 2009, S. 36 41 vgl. Keller 2014, S. 41f. 42 Giddens/Fleck/Egger de Campo 2009, S. 380 43 Vgl. Keller 2014, S. 30

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reproduziert wird.44 Formale Bildung kann als erfolgreich abgeschlossen bezeichnet werden,

wenn der Schüler das Bildungssystem mit einem Abschluss verlässt und mit der Aufnahme eines Berufs zu einem Akteur des Wirtschaftssystems und somit zu einem „nützlichen Glied der Gesellschaft“ wird.45

Es wird deutlich, dass Bildungspolitik, und somit die Gestaltung formaler Bildung, als Querschnittsaufgabe zu bezeichnen ist: Sie wirkt insbesondere in Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-und Sozialpolitik hinein Arbeitsmarkt-und ist folglich ein gesamtgesellschaftlich relevanter politischer Gestaltungsbereich.46

1.4 Non-formale Bildung

Non-formale Bildung bezieht sich auf außerhalb des formalen Lehrprogramms geplante Bildungsprozesse, die auch pädagogisch und methodisch inszeniert sind und in speziell eingerichteten Institutionen stattfinden. Diese auch als außerschulische Bildung bezeichnete Form basiert jedoch auf Freiwilligkeit, offenen Arrangements und Angeboten und zielt auf individuelle Gestaltungsmöglichkeiten ab.47 Sie hat im Gegensatz zur formalen Bildung nicht

die direkte Funktion, die Akteure durch ein meritokratisches Leistungsprinzip zu selektieren.48

Non-formale Bildung unterliegt keiner spezifischen Bewertung, soll für jeden zugänglich sein und hat meist nicht das Ziel allgemein anerkannte Qualifikationen und Abschlüsse zu verleihen.49 Sie ist also zwischen formaler und informeller Bildung (siehe Kapitel 1.5)

anzuordnen.

Exemplarisch zu nennen sind hier die Volkshochschulen, Musikschulen, Museen und Bibliotheken. Auch die Leistungen der Sozialpädagogik können als non-formale Bildungsangebote verstanden werden.50 So ist Bildung auch ein rechtlich geregelter

Schwerpunkt der Jugendarbeit. Hier sollen laut Gesetztestext Möglichkeiten der allgemeinen, politischen, sozialen, gesundheitlichen, kulturellen, naturkundlichen und technischen Bildung angeboten werden.51 Jugendarbeit bietet die Möglichkeit Orte der Begegnung, des Austauschs

und der Orientierung zu schaffen, in denen die Jugendlichen auf Gleichaltrige sowie auf pädagogisches Fachpersonal treffen können, und schafft damit auch ein Setting das fruchtbar für informelle Bildungsprozesse ist. Spezielle Projekte, Kurse und Aktionen als offene

44 Giddens/Fleck/Egger de Campo 2009, S. 401 45 vgl. Keller 2014, S. 41f. 46 Allmendinger 2013 (Internetquelle) 47 vgl. Mack, 2007, S. 11 48 vgl. Keller 2014, S. 32 49 vgl. Meis/Mies 2012, S. 53 50 vgl. Mack 2010, S. 15 51 vgl. SGB VII §11 Abs. (3)

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Arrangements der Jugendbildungsarbeit sind Teil non-formaler Bildung. Auch die Jugendsozialarbeit, wie zum Beispiel die Schulsozialarbeit oder die Jugendberufshilfe, kann durch ihre offene Gestaltung als non-formale Bildung bezeichnet werden.52 Sie wirkt jedoch

offensichtlich auch in den Bereich der formalen Bildung hinein, da sie den Auftrag hat eine erfolgreiche Teilhabe der Jugendlichen im formalen Bildungssystem zu begünstigen.53

1.5 Informelle Bildung

Mit informeller Bildung wird die Form der Bildung bezeichnet, die im alltäglichen Leben, also außerhalb von formalisierten Bildungsinstitutionen und Lehrveranstaltungen stattfindet.54

Informelle Bildungsprozesse finden meist ungeplant und beiläufig in der alltäglichen sozialen Lebenswelt der Akteure statt.55 Die Familie als basale Lernwelt und als primäre

Sozialisationsinstanz gilt in der Kindheit als wichtiger Bildungsort für informelles Lernen. In der Familie entwickeln Kinder grundlegende Fähigkeiten, die sie befähigen sich nach und nach eigenständig in der Welt zu bewegen.56 Die informelle Bildung in der Familie ist als Basis zu

betrachten und entscheidet über die Lebensbewältigung der Kinder und Jugendlichen in späteren Lebenszusammenhängen wie Kindergarten, Schule, Freundschaften und Vereinen. Informelle Bildung ereignet sich im familialen Alltag, in der Kommunikation mit Eltern, Geschwistern, Verwandten, Freunden und Nachbarn. Informelle Bildung in der Familie stellt die Weichen, wie Kinder in ihrer Zukunft mit anderen Sozialisationsinstanzen zurechtkommen.57 Im Laufe der Adoleszenz stellen die Kontakte in den „Peer Groups“ bzw. zu

Gleichaltrigen ein wichtiges informelles Lern- und Erfahrungsfeld dar. Die Heranwachsenden bauen zunehmend ein eigenes soziales Netzwerk auf, das den Erwerb neuer Kompetenzen sowie Differenzerfahrungen und Reflexion möglich macht.58 Besonders unter der Annahme,

dass Bildung ein lebenslanger Prozess ist („Lebenslanges Lernen“), wird deutlich, dass informelle Bildung, also das Lernen in der sozialen Lebenswelt und in alltäglichen Zusammenhängen, bis ins hohe Lebensalter, bis zum Lebensende, stattfinden kann.59

Weiterhin sind Medien wie Zeitungen, Fernsehen, soziale Netzwerke, Internetforen und die Arbeitsstelle als Orteinformeller Bildung zu betrachten.60

Da formale und non-formale Bildungsinstitutionen immer auch in die sozialen Lebenswelten

52 vgl. Mack 2010, S. 15 53 vgl. SGB VII § 13 Abs. (1) 54 vgl. Thiersch 2009, S. 36 55 vgl. Mack 2010, S. 10 56 vgl. Klus/Schilling 2015, S. 81 57 vgl. Mack 2010, S. 13 58 vgl. Mack 2010, S. 14 59 vgl. Meis/Mies 2012, S. 52f. 60 vgl. Mack 2010, S. 10

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der Akteure eingebettet sind, findet auch in den Schulen und Hochschulen, sowie in non-formalen Bildungsangeboten informelle Bildung statt. Sie folgt in diesem Kontext jedoch weniger einem festen Lehrplan, sondern findet nebenbei, im Rahmen alltäglicher Interaktion, zum Beispiel im Gespräch mit Mitschülern, Lehrern, Sozialarbeitern oder Eltern statt.61

1.6 Kulturelle und ästhetische Bildung

Eine weitere Form der Bildung, die spätestens seit der ersten PISA Studie ausführlich diskutiert wird, ist der Begriff der kulturellen bzw. ästhetischen Bildung. Es geht hierbei um den aktiven Umgang mit künstlerischen und ästhetischen Ausdrucksformen, die kreative Entwicklungsprozesse ermöglichen sollen.62 Diese Form der Bildung hat einen

kultur-philosophischen Hintergrund. Schiller schrieb 1793 darüber: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“63 Die

spielerische Auseinandersetzung mit der Welt, wird hier als elementare Form der Sinnfindung und Selbstwerdung betrachtet. Auch das anthropologische Menschenbild des „Homo Ludens“ (der spielende Mensch) geht davon aus, dass der Mensch seine individuellen Fähigkeiten durch spielerische, offene Prozesse entdeckt und trainiert und damit seine Persönlichkeit entwickelt bzw. diese erst durch das Spiel frei entfalten kann.64

Die kulturelle und ästhetische Bildung verfolgt die Grundintention, den Akteur zu einem kreativen Schaffensprozess aus seiner Selbst heraus zu ermutigen. Es geht darum selbst zu gestalten und „das eigne Ding“65 zu machen. Durch das Sammeln von neuen Erfahrung und

durch den so entstehenden ästhetischen Prozess können Kompetenzen erlernt und Ressourcen entdeckt bzw. wieder entdeckt werden. Diese Bildungsform ist im Idealfall prozessorientiert und offen und nicht, wie es bei formeller Bildung der Fall ist, zielorientiert und bewertet66. Diese Form der Bildung ist als Gegenpol zu fachspezifischer, standardisierter

Wissensvermittlung einer bestimmten Disziplin zu betrachten, wie sie besonders in den formalen Bildungsinstitutionen dominiert.

Als Ziel kultureller und ästhetischer Bildung kann zunächst die „ästhetische Alphabetisierung“ und anschließend die kulturelle Teilhabe des Menschen gesehen werden.67

Ein wichtiger Schritt im Bereich der kulturellen und ästhetischen Bildung im frühkindlichen Alter war die Gründung des ersten Kindergartens im Jahre 1840 durch Friedrich Fröbel. Mit ihm entstanden erstmals pädagogische Institutionen für Kleinkinder, die gleichermaßen Orte

61 vgl. Mack 2010, S. 10 62 vgl. Reinwand-Weiss 2018 (Internetquelle) 63 Schiller 2009, S. 64 64 vgl. Warwitz/Rudolf 2013, S. 36 65 vgl. Hanke/Krokowski 2006, S. 22 66 vgl. Hanke/Krokowski 2006, S. 23 ff. 67 vgl. Reinwand-Weiss 2018 (Internetquelle)

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der Bildung, Erziehung und Betreuung sein sollten und nicht nur dem Zweck der Verwahrung dienten. Die schöpferische Kraft des Kindes sollte durch Spielen entwickelt werden.68

Besonders der Bereich der Sozialpädagogik bietet sich für die Durchführung kultureller bzw. ästhetischer Bildungsprojekte an: In der offenen Jugendarbeit können z.B. Theater- oder Musikworkshops angeboten werden. Digitale Medien können zur Verfügung stehen, damit die Kinder und Jugendlichen unter pädagogischer Leitung deren reflektierte Nutzung erlernen. Klassische Orte kultureller und ästhetischer Bildung im formalen Bereich können bei entsprechender methodischer Umsetzung der Musik- und Kunstunterricht sein.69 Auch in der

alltäglichen Lebenswelt, im Rahmen informeller Bildungsprozesse, ist eine Hinführung der Adressaten für Kultur und Ästhetik anzustreben. Besonders in der primären Sozialisation gilt es „die aktive Begegnung des Kindes mit seiner Umwelt und die selbsttätige, eigensinnige Umgestaltung dieser“70 zu fördern.

1.7 Sozialer Wandel, Bildung und die Rolle der Sozialen Arbeit

Die letzten beiden Jahrhunderte, das sogenannten Zeitalter der Moderne, ist geprägt von einem rasanten sozialen Wandel. Kulturelle Einflüsse, wie die Etablierung der Wissenschaften und die Säkularisierung führten zu einem rationaleren Umgang der Menschen mit der Welt und einem gleichzeitigen Verfall von traditionellen Strukturen, hinzielend auf eine beständige Verbesserung und Modernisierung der Lebensverhältnisse. Mit dem industriellen Kapitalismus wurde eine stetige Produktion angetrieben, die eine permanente Ausweitung der wissenschaftlichen Forschung und neuer Technologien erforderte.71 Die komplexe

Begrifflichkeit des sozialen Wandels betrifft einerseits die politischen Subsysteme (Wirtschaftssystem, Sozialsystem, Bildungssystem) sowie den Mikrokosmos, die Lebenswelt des Individuums. Wissen, im Sinne von formalen, fachlichen Qualifikationen, nimmt an Bedeutung zu und wird mehr und mehr als Schlüssel für gesellschaftlichen Fortschritt verstanden, sodass sich mittlerweile der Begriff der Wissensgesellschaft herausgebildet hat.72

Diese kann als Nachfolgerin der Industriegesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts verstanden werden.73 Die Arbeitsplätze im tertiären Sektor (Dienstleistungssektor) nehmen zu,

während Arbeitsplätze im primären und sekundären Sektor (Urproduktion und Industrie) abnehmen, da letztere mittlerweile weitestgehend hoch modern und automatisiert ablaufen.74

Die beruflichen Aufgaben bestehen immer weniger aus dem bloßen Ausführen von

68 vgl. Trapper 1996, S. 144 69 vgl. Meis/Mies 2012, S. 81ff. 70 Faas 2014, S. 133 71 vgl. Giddens/Fleck/Egger de Campo 2008, S. 73 72 vgl. Faas/Zipperle 2014, S. 1 73 vgl. Poltermann 2013 (Internetquelle) 74 vgl. Faas/Zipperle 2014, S. 1

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standardisierten Arbeitsabläufen. Es werden zunehmend hoch qualifizierte Arbeitskräfte benötigt, die in den spezifischen Disziplinen mit der rasanten Entwicklung mithalten können. Weiterhin sind soziale Fähigkeiten, die sogenannten Soft-Skills entscheidend. Gemeint sind damit Eigenschaften wie Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, interkulturelle Kompetenzen oder eine ausgeprägte Ambiguitätstoleranz. Innovatives Denken ist entscheidend. Von den Arbeitnehmern wird Mobilität und Flexibilität gefordert. Gefragt sind fachlich kompetente Arbeitskräfte für den Dienstleistungssektor, sowie für verantwortungsvolle Positionen in der Produktion.75 „Bildung gilt daher als eine entscheidende Voraussetzung

modernen Wirtschaftens“76. Das Konzept der Wissensgesellschaft ist auch im Rahmen

weltweiter Entwicklung zu betrachten. Die einzelnen Nationen stehen unter dem Druck in der modernen Welt Wege zu finden sich im globalen Wettbewerb zu behaupten und ihre Bildungspolitik dementsprechend auszurichten.77 Für das Individuum ist die Aneignung von

fachlichem Wissen bzw. das Erlangen formaler Abschlüsse sowie die Aneignung persönlicher Kompetenzen als wichtige zentrale Ressource zu sehen, um einen gut bezahlten Job zu bekommen, sozial aufzusteigen beziehungsweise wie es im Volksmunde heißt: „Etwas aus seinem Leben zu machen“.

In der heutigen Zeit der Individualisierung und der Pluralisierung von Lebensformen strebt der Einzelne zunehmend nach Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Jedem steht es grundsätzlich frei über seine Arbeit, seinen Wohnort und sein Liebesleben selbst zu bestimmen. Klassische geradlinige Lebensläufe bestehend aus Schule, Ausbildung, Beruf und Rente weichen zunehmend weit heterogeneren Biografiemustern mit längeren Bildungswegen, Auslandsaufenthalten und Neuorientierungen. Das Leben wird mehr und mehr als eine Art Projekt der individuellen Gestaltung verstanden, bei der es darauf ankommt persönliche Entscheidungen zu treffen.78 Laut Schimank leben wir in der westlichen Welt in

einer „Entscheidungsgesellschaft“.„Der Mensch wird (…) zur Wahl seiner Möglichkeiten, zum homo optionis. Leben, Tod, Geschlecht, Körperlichkeit, Identität, Religion, Ehe, Elternschaft, soziale Bindungen – alles wird sozusagen bis ins Kleingedruckte hinein entscheidbar, muss, einmal zu Optionen zerschellt, entschieden werden.“79 Anknüpfend daran ist die Rede davon,

dass diese Individualität zwar einerseits eine gewisse Freiheit für das Individuum bedeutet, andererseits könne es schnell zum Zustand der Überforderung kommen. Unsere moderne Gesellschaft habe ein nie dagewesenes Ausmaß an Komplexität erreicht, bei der es schwierig sei die Orientierung zu behalten. Stets strebend nach Perfektion werden Entscheidungen in

75 vgl. Poltermann 2013 (Internetquelle) 76 Poltermann 2013 (Internetquelle) 77 vgl. Poltermann, 2013 (Internetquelle) 78 vgl. Ewinger u.a. 2016, S. 5

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Frage gestellt und angezweifelt, sodass die Weichen hin zu einer „Überforderungsgesellschaft“ bereits gestellt sind und das Individuum Gefahr läuft an seiner vermeintlichen Individualität zu zerbrechen.80 In dieser heutigen Gesellschaft, die dem

einzelnen wenig Struktur und Orientierung gibt, muss das Individuum selbst die Kraft aufbringen sein Leben zu gestalten.81 Somit muss auch das Bildungswesen unserer Zeit im

Kern an diese Erkenntnis anknüpfen und darauf hinwirken, diese Kraft des Individuums zu stärken. Bildung zu vermitteln muss in Zeiten des sozialen Wandels vornehmlich die Intention haben Lebenskompetenz zu vermitteln, und darf nicht auf den Erwerb von fachlichem Wissen reduziert werden. Kognitive Schulbildung alleine macht, wie bereits ausgeführt, den Menschen für eine gelungene Lebensführung nicht ausreichend kompetent.82 In der von Hans

Thiersch so betitelten „Bildung als Projekt der 2. Moderne“ ist eine ganzheitliche Bildung mit Kopf, Herz und Hand, wie sie Pestalozzi schon Ende des 17. Jahrhunderts propagierte, gefragt.83

An der Verwirklichung dieses Bildungsideals muss aufgrund der unübersichtlicher gewordenen Rahmenbedingungen (oder diffusen Lebenszusammenhängen) auch die Soziale Arbeit ansetzen. Die Sozialarbeit war ursprünglich aus der Armenfürsorge entstanden und zielte vorwiegend auf die Linderung von materieller Not ab. Die moderne Sozialpädagogik, entstanden aus der Kinder- und Jugendfürsorge, mit ihrer in erster Linie erzieherischen Funktion84, ist heute als primär präventive, sowie intervenierende Form der Hilfe anzusehen,

die darauf hinwirkt, dass der Mensch sein Leben selbstbestimmt, nach eigenen Wünschen und Möglichkeiten zu meistern weiß. Somit sollen die Risiken, die das Leben der neuzeitlichen Gesellschaft mit sich bringen aufgefangen, bzw. abgemildert werden.85 In der

neueren, spätestens seit der ersten PISA Studie auch im internationalen Diskurs geführten86,

Bildungsdebatte bemüht sich die Soziale Arbeit zunehmend über den Bildungsgehalt ihrer Profession Stellung zu beziehen.87 Der Ansatz von Gertrud Bäumer, Sozialpädagogik sei

„alles was Erziehung, aber nicht Schule und nicht Familie ist“88, wurde mittlerweile folgerichtig

um den Bildungsbegriff erweitert. Die Sozialpädagogik ist demnach eine eigenständige dritte Institution der Bildung und Erziehung.89 Während sich die Familie vorwiegend auf informelle

Bildung konzentriert und die Schule als Ort der formalen Bildung gesehen wird, können sozialpädagogische Einrichtungen als Orte non-formaler Bildung bezeichnet werden (siehe

80 vgl. Schimank 2005, S. 117f. 81 vgl. Thiersch 2009, S. 36 82 vgl. Treptow 2012, S. 27f. 83 vgl. Thiersch 2009, S. 34 84 vgl. Klus/Schilling 2015, S. 94 85 vgl. Klus/Schilling 2015, S. 88 86 vgl. Treptow 2012, S. 23 87 vgl. Treptow 2012, S. 23

88 Bäumer nach Klus/Schilling 2015, S. 136 89 vgl. Klus/Schilling 2015, S. 137

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auch Kapitel 1.4).90 Diese drei Institutionen der Bildung und Erziehung müssen jedoch in

Kooperation und Austausch zueinander stehen. Sie funktionieren nur miteinander und nicht gegeneinander. „Es braucht die Institutionalisierung der Dauerkommunikation für die Planung und Gestaltung des Zusammenspiels in der gemeinsamen Bildungsaufgabe.“91 Idealerweise

sollen die verschiedenen Institutionen mit ihren spezifischen Schwerpunkten und Funktionen ihren eigenen Beitrag für das gemeinsame Ziel der Persönlichkeitsentfaltung des Individuums leisten.92 Für die moderne Soziale Arbeit ist der Grundsatz der Lebensweltorientierung nach

Hans Thiersch prägend. Die Betroffenen sollen mit ihren individuellen sozialen Problemen in den Blick genommen und in ihrer alltäglichen Lebensführung unterstützt werden. Als Non-formale Bildungsinstitution bemüht sich die Soziale Arbeit somit Bildung im informellen Bereich anzuregen, wirkt aber auch kooperativ und vermittelnd in formale Bildungsangelegenheiten hinein. Mit ihrem lebensweltorientierten, interdisziplinären und offenen Charakter hat sie in der Landschaft der Bildungsinstitutionen eine einmalige Funktion inne.93

Beim Blick auf die Ziele der Sozialen Arbeit fallen die Parallelen zum Humboldtschen Bildungsideal auf. Beide setzen sich die Entwicklung von Menschen zu mündigen, selbstbestimmten und individuellen Persönlichkeiten zum Ziel. So ist es eine Aufgabe der Sozialen Arbeit auf mikrokosmischer Ebene Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.94 Der Mensch

könne sich insbesondere durch Bildung von Not, Machtmissbrauch und Unrecht befreien. Für die Verwirklichung dieser Ziele ist er jedoch auf entsprechende gesellschaftliche und politische Verhältnisse angewiesen.95

Die Soziale Arbeit hat einerseits die Funktion die Bedingungen der Lebenswelt zu verbessern, soll aber auch durch die Arbeit mit dem Einzelnen auf Chancengleichheit hinwirken.96 Die

beiden klassischen Methoden der Sozialen Arbeit, Gemeinwesenarbeit und Einzelfallhilfe aus den 1950er Jahren, sind zwar heute um eine Vielzahl von methodischen Ansätzen und Arbeitsformen erweitert worden, verdeutlichen jedoch die beiden Dimensionen, die es zu beachten gilt, um die Bildung des Individuums nach dem Humboldtschen Sinne im Kontext Sozialer Arbeit möglich zu machen. Dem Menschen soll einerseits durch die Veränderung der Sozialräume, bzw. der gesellschaftlichen Verhältnisse (Gemeinwesenarbeit), andererseits durch den direkten Kontakt mit dem einzelnen Individuum (Einzelfallhilfe) geholfen werden ein mündiger und selbstbestimmter Bürger zu werden.97

Damit die Institutionen Sozialer Arbeit auch Orte der Bildung sein können, erachtet Treptow

90 vgl. Klus/Schilling 2015, S. 79 91 Thiersch 2009, S. 45 92 vgl. Thiersch 2009, S. 44 93 vgl. Thiersch 2009, S. 48f. 94 vgl. Klus/Schilling 2015, S. 175 95 vgl. Allmendinger 2013 (Internetquelle) 96 vgl. Klus/Schilling 2015, S. 173 97 vgl. Klus/Schilling 2015, S. 176ff.

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die Bildung der pädagogischen Fachkräfte selbst als Voraussetzung. Um den Bildungsanspruch der Sozialen Arbeit zu bewahren und zu festigen, sei eine professionelle Ausbildung und der Erwerb interdisziplinärer Kenntnisse nötig. Nur wenn der Pädagoge selbst eine gebildete, also mündige und selbstbestimmte Persönlichkeit ist und das nötige Fachwissen besitzt, könne er die komplexen pädagogischen Aufgaben seines Berufs im Verhältnis zwischen Verwaltungshandeln, psychosozialen Hilfe und sozialpolitischen Vorgaben bewältigen.98

Die Soziale Arbeit darf jedoch nicht ausschließlich auf die Bildungsdimension reduziert werden. Sie erfordert in erster Linie diverse Handlungen, deren Funktionen in der konkreten Praxis zunächst anders definiert werden müssen. Es handelt sich dabei in erster Linie auch um existenzsichernde Maßnahmen und Handlungsformen wie Hilfe, Beratung und Betreuung, die als Voraussetzung dafür gesehen werden können, dass der Mensch die Möglichkeit hat sich zu bilden.99

98 vgl. Treptow 2012, S. 38 99 vgl. Treptow 2012, S. 32

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2 Heimerziehung

2.1 Heimerziehung in der Vergangenheit

Die Heimerziehung blickt auf eine lange und wechselvolle Vergangenheit zurück, immer geprägt von den gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnissen der jeweiligen Zeit. Die Geschichte der Heimerziehung soll in der gegebenen Kürze ohne den Anspruch auf Vollständigkeit skizziert werden. Besonders liegt der Fokus auf dem Aspekt der im Rahmen der Heimerziehung vermittelten Bildung. Die Heimerziehung der Vergangenheit wird insbesondere mit der Intention durchleuchtet, herauszufinden, was in der jeweiligen Zeit für die Bildung, Ausbildung bzw. die Berufsfindung der „Heiminsassen“ getan wurde. Dadurch sollen Rückschlüsse für die heutige Zeit gezogen werden.

Das Leben in der Antike war ausgerichtet auf die wirtschaftliche Absicherung der Sippe, bei der die Zeugung von Kindern als Ressource gesehen wurde.100 Die Zukunft der Sippe sollte

damit gesichert werden. Das Leben von ungewollten oder schwachen Kindern hingegen war nicht viel wert. Ein gesellschaftliches und staatliches Interesse an ihnen schien nicht vorhanden, sodass zu berichten ist, dass diese Kinder ausgesetzt oder geopfert wurden.101

Mit der Verbreitung des christlichen Glaubens wurde die Betreuung von Waisenkinder als Akt der Nächstenliebe gesehen. Bischöfe und Priester vermittelten Waisenkinder an Witwen und in christliche Familien. Ferner wurden sie auch in allgemeinen Spitälern untergebracht. In diesen Einrichtungen fand keine gezielte Erziehung oder Ausbildung statt. Die Kinder wurden zum Betteln angehalten mit dem Ziel, dadurch schnellstmöglich ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Als Mittel zur Disziplinierung war die körperliche Züchtigung an der Tagesordnung.102 Einzelne Persönlichkeiten wie der Bischof Anselm von Canterbury

kritisierten die vorherrschenden repressiven Erziehungsmethoden. Er propagierte eine Erziehung in Liebe und Güte mit dem Ziel der Freiheit des Kindes, was er in dieser Zeit jedoch nicht umzusetzen vermochte.103 Mit der zunehmenden Verstädterung und bedingt

durch die wachsende Armut im Mittelalter entwickelten die Städte erste Ansätze eines Fürsorgesystems, das auch die Gründung von ersten speziellen Anstalten für Waisen- und Findelkinder mit sich brachte. Von den Nürnberger Findelhäusern wird zum Beispiel aus dem Jahr 1531 berichtet, dass die Heiminsassen im Lesen und Schreiben gelehrt wurden. Eine

100 vgl. Ritter 2016, S. 6 101 vgl. Trapper 1996, S. 15 102 vgl. Post 1997, S. 11 103 vgl. Trapper 1996, S. 20

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Stiftung erlaubte es, dass vier besonders begabte Jungen ein Studium aufnehmen konnten.104

Mit der Reformation wurden Waisenhäuser eröffnet, mit der Zielstellung den religiösen Glauben zu festigen und eine Erziehung hin zur Arbeit zu verwirklichen. Jungen sollte eine Berufsausbildung ermöglicht werden, Mädchen wurden auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereitet.105 Dabei stand das individuelle Wohl des Kindes zu dieser Zeit eher nicht im

Vordergrund. Zunehmend wurde das wirtschaftliche Potenzial der Kinder erkannt. Viele Anstalten wurden zu Arbeits- und Zuchthäusern, in denen unter dem Deckmantel der Religion strenge Disziplin mit Gewalt durchgesetzt wurde. Auf diese Weise sollten die Kinder zu guten und gehorsamen Christen erzogen werden, denen eine harte Zukunft und ein Broterwerb mit niedrigen Tätigkeiten bevorstand. Insbesondere fürstliche Waisenhäuser wurden mit Hilfe von Zwangsarbeit durch Kinder und Jugendlichen zu Stätten der Wirtschaft und Produktion. Wirtschaftliche und religiöse Interessen ergänzten sich mit den religiösen Grundsätzen des Pietismus.106 „(…) hier wurde durch Ausbeutung erzielte wirtschaftliche Rentabilität religiös

legitimiert.“107 Einzelne Stimmen kritisierten zu dieser Zeit bereits die mangelhafte Vermittlung

von praktischen Kenntnissen für das zukünftige Leben der Heiminsassen.108

Mit den philanthropischen Vordenkern der Aufklärung wurde die theoretische Grundlage für eine humanistische, auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes abzielende Erziehung gesetzt.109 Johann Heinrich Pestalozzi propagierte eine Erziehung mit Liebe und Würde, denn

nur so könne sich die Persönlichkeit des Kindes bilden. Das Kind soll sich ganzheitlich mit „Kopf, Herz und Hand“ bilden können, was bedeutet, dass kognitive, emotionale und praktische Tätigkeiten gefördert werden sollten. Eine humane, auf das individuelle Wohl des Kindes ausgerichtete Erziehung wurde zwar Gegenstand öffentlichen Interesses, die praktische Umsetzung erfolgte hingegen langsam. Zu festgefahren und etabliert waren die traditionellen repressiven Erziehungsmethoden.110 Hinter der Rettungshausbewegung des 19.

Jahrhunderts stand die Intention sich um Kinder zu kümmern, denen „sittliche Verwahrlosung“ drohte. Das Rauhe Haus in Hamburg, unter der Leitung von Johann Hinrich Wichern, nahm Kinder aus ihrem Elternhaus, um sie vor deren unguten Einflüssen zu schützen und sie zu christlichen, gehorsamen Menschen zu erziehen. Erstmals wurde hier Personal eingestellt, das persönliche und fachliche Qualitäten mitbringen sollte. Strafen und Disziplin waren zwar weiterhin an der Tagesordnung, jedoch wurden daneben jetzt pädagogische Überlegungen, wie Belohnung und Spiel, sowie das Feiern von Festen in die Tat umgesetzt. Auch lebten die Kinder in familienähnlichen kleineren Gruppen von 12 Personen und eine Rückführung der

104 vgl. Trapper 1996, S. 24 105 vgl. Trapper 1996, S. 42 106 vgl. Post 1997, S. 12f. 107 Trapper 1996, S. 69 108 vgl. Post 1997, S. 13 109 vgl. Trapper 1996, S. 95 110 vgl. Trapper 1996, S. 95

(23)

Kinder ins Elternhaus wurde angestrebt. Die Erziehung ging nicht darüber hinaus, die Kinder frühzeitig an Arbeit zu gewöhnen und für ihre Zukunft in relativer Armut vorzubereiten, sich also mit ihrem Stand zu arrangieren.111 Besonders in den Rettungshäusern der katholischen

Kirche ist die Rede von einer „Erziehung der Strenge und Härte“112 und einem Menschenbild,

das die Kinder grundsätzlich als verdorben betrachtet. Eine elementare Bildung bestehend aus Lesen, Schreiben und Rechnen wäre für die Heimkinder ausreichend. Weitere schulische Bildung sei für die Kinder und deren Zukunft nicht förderlich.113

Mit der Gründung des Deutschen Reichs 1871 wurden einheitliche Gesetze geschaffen, die nach einer gerichtlichen Entscheidung eine Zwangserziehung für Kinder vorsahen, deren „sittliches Wohl“ als gefährdet angesehen wurde.114 Einerseits war es Ziel gefährdete Kinder

und Jugendliche durch die Zwangsmaßnahmen zu schützen, andererseits hatte der Staat das Interesse die Ordnung und Sicherheit im Lande zu wahren. Im Heim sollte die berufliche Zukunft der Heiminsassen geplant werden, um eines Tages ein eigenverantwortliches, der Gesellschaft angepasstes Leben aufbauen zu können. Üblich war es, dass Jungen für eine Tätigkeit in der Landwirtschaft oder in der Stadt für industrielle Hilfsarbeit einsatzfähig gemacht wurden. Mädchen wurden auf einen eigenen Haushalt oder für die Ausübung eines der Frauenrolle entsprechenden Berufs, wie zum Beispiel Wäscherin, vorbereitet. Auch stand zur Debatte, ob die elementare Schulbildung für Heimkinder in einer internen Schule, oder extern mit den Kindern aus der „Normalbevölkerung“ stattfinden sollte.115 Anfang des 20.

Jahrhunderts wurden unter dem Risiko der sittlichen Verwahrlosung auch Kinder aus schwierigen Familien- und Wohnverhältnissen oder sogenannte schwer erziehbare Kinder unter Zwang in die Erziehungsanstalten gebracht, wodurch die Anzahl der Heiminsassen stieg.116 Heimerziehung in dieser Zeit wird zum „Werkzeug gesellschaftlicher

Selektionsprozesse“117. Die Erziehungsanstalten waren darauf ausgerichtet, dass die

vermeintlich falsch gelaufene Sozialisation der Kinder und Jugendlichen durch Disziplin, Isolation und Hinführung zur Arbeit korrigiert werden sollte. Mit der Intention „Erziehung statt Strafe“ sollte delinquentes Verhalten durch die Anstaltserziehung verhindert werde.118

Im Rahmen des Nationalsozialismus wurde die Bevölkerung unter „rassenbiologischem“ und eugenischem Vorwand selektiert, was zu Verwahrung und Zwangsarbeit in den speziell eingerichteten „Jugendschutz- und Jugendarbeitslagern“, ohne jeglichen pädagogischen Anspruch, und zur Ermordung, der als minderwertig, „nicht-erziehbar“ etikettierten Kinder und

111 vgl. Post 1997, S. 15 112 Trapper 1996, S. 143 113 vgl. Post 1997, S. 16 114 vgl. Post 1997, S. 19 115 vgl. Trapper 1996, S. 159f. 116 vgl. Trapper 1996, S. 181 117 Trapper 1996, S. 183 118 vgl. Trapper 1996, S. 182f.

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Jugendlichen, führte. Die Heimerziehung für die als wertvoll angesehenen, „arischen“ Kinder und Jugendlichen zielte darauf ab, sie zu regimetreuen, dem nationalsozialistischen Weltbild entsprechenden Bürgern zu formen.119

Interessante pädagogische Ansätze dieser Zeit lieferte Janusz Korczak, der die offensichtliche Missachtung der Erwachsenen gegenüber dem Kind kritisierte und Partizipation und demokratische Prinzipien im Heim als Grundstein für Bildungsprozesse begriff (siehe auch Kapitel 3.5). Er forderte Grundrechte für Kinder, die auf ein freies, selbstbestimmtes Leben und einen respektvollen Umgang abzielen. Exemplarisch sei hier das „Recht des Kindes auf den heutigen Tag“ genannt. Das Kind selbst müsse in der Gegenwart lehrreiche Erfahrungen machen können, um in der Zukunft selbstbestimmt leben zu können. Korczak entwickelte für seine Einrichtungen demokratische Strukturen, an denen die Kinder selbst teilhaben sollten, wie das „Kinderparlament“ und das „Kameradschaftsgericht“, auf Basis eines Waisenhaus-Gesetzbuches, abzielend auf ein partizipatives Gemeinschaftsleben, für die Rechte des Einzelnen. 1942 wurde Janus Korczak mit etwa 200 Kindern aus seiner Einrichtung im Vernichtungslager Treblinka ermordet.120

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der Bundesrepublik zunächst an die traditionelle Form der Anstaltserziehung, wie sie vor der Zeit des Nationalsozialismus praktiziert wurde, angeknüpft. Andreas Mehringer beschrieb 1949 die Heimerziehung dieser Zeit als die „rückständigste aller pädagogischen Formen“121. Der Blick in die DDR zeigt die Besonderheit,

dass junge Menschen, die sich den Normen der sozialistischen Regierung nicht fügen wollten, zur „Umerziehung“ in ein Kinder- oder Jugendheim eingewiesen wurden. Als letzte Instanz war die Einweisung in den geschlossenen Jugendwerkhof Torgau vorgesehen, in dem die Jugendlichen unter Anwendung von Zwang, Disziplinierung und Gewalt zu einem dem sozialistischen Ideal entsprechenden Bürger erzogen werden sollten. Kennzeichnend für die pädagogische Praxis in der DDR war die Kollektiverziehung, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden soll.122

Mit den sogenannten „Heimkampagnen“ im Rahmen der 68er Studentenbewegungen wurde ein grundlegender Reformprozess ausgelöst. Im Kern können wir festhalten, dass die Heimerziehung, zunächst in der Bundesrepublik und danach im vereinten Deutschland, einem Wandel unterlag, der sich mit den Schlagwörtern der Dezentralisierung, der Entinstitutionalisierung, der Entspezialisierung, der Regionalisierung, der Professionalisierung und der Individualisierung beschreiben lässt. Mit den Neuregelungen des Kinder- und Jugendhilfsgesetzes im Jahr 1990 wurde dieser Wandel in geltendes Recht umgesetzt. Die

119 vgl. Trapper 1996, S. 224f. 120 vgl. Trapper 1996, S. 220ff. 121 vgl. Post 1997, S. 22

(25)

Maßnahmen der stationären Unterbringung werden nun als „Hilfe zur Erziehung“ betitelt und wechselte ihren Charakter, weg vom staatlichen Eingriff, hin zu einer pädagogischen, unterstützenden und sozialen Dienstleistung.123

Es lässt sich resümieren, dass die Heimerziehung der Vergangenheit in erster Linie eine ordnungspolitische Funktion hatte. Die Kinder und Jugendlichen sollten sich in die Gesellschaft einfügen, delinquentes Verhalten sollte verhindert werden. Das machte in den Anstalten die Hinführung zur Arbeit bzw. das Erlernen eines Berufs nötig. Anstaltserziehung war also in erster Linie auch als Erziehung zur Arbeit, als Eingliederung für Arme und als Vorbereitung für ein Leben in einer unteren sozialen Schicht zu sehen. Bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts fand Heimerziehung vielfach an Orten statt, die in Anlehnung an Goffman dem Wesen der „totalen Institutionen“ nahe standen124 und ähnlich wie Gefängnisse

und Psychiatrien organisiert waren.125 In diesen oftmals geschlossenen, von der Gesellschaft

abgesonderten Einrichtungen werden sämtliche Angelegenheiten des Lebens formal abgehandelt und reglementiert126, sodass es den Insassen kaum möglich war, sich zu

selbstbestimmten Individuen zu entwickeln.127 Eine positive Gestaltung der Gegenwart, die in

Anlehnung an Humboldts Bildungsideal zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen soll, sowie Chancengleichheit und das Wohl der Kinder im Blick hat,

fehlte in der Praxis weitgehend. Auf Platon bezogen war das Kinderheim mit der „Höhle der Unwissenden“ zu vergleichen. Es war abgeschottet von der Gesellschaft, ohne die Perspektive auf sozialen Aufstieg und Veränderungen der Lebensverhältnisse und ohne die Kompetenzen der Insassen gezielt zu fördern. Daraus lässt sich schließen, dass viele Erziehungsanstalten der Vergangenheit nicht als Orte der Bildung angesehen werden können. Formale Bildung wurde weitestgehend auf das nötigste beschränkt. Der soziale Aufstieg, die Auseinandersetzung mit der Welt und die individuelle Entwicklung der Heiminsassen war meist nicht vorgesehen. Die Geschichte der Heimerziehung ist geprägt von Gewalt, Machtmissbrauch und Zwang, was ihr bis heute ein ausgeprägtes Negativimage eingebracht hat, muss aber immer im gesellschaftlichen Kontext und dem Habitus der Zeit enstprechend betrachtet werden. Einzelne Theoretiker und Praktiker, wie Pestalozzi, Wichern oder Korczak bilden hier mit ihren innovativen pädagogischen Ansätzen und Konzepten die Ausnahme und können uns bis heute interessante Inspirationen für die Praxis geben.

123 vgl. Galuske/Struck/Thole 2003, S. 12 124 vgl. Goffman 1961, S. 11

125 vgl. Trede 2006, S. 28 126 vgl. Goffman 1961, S. 11 127 vgl. Goffman 1961, S. 49f.

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2.2 Prinzipien der heutigen Heimerziehung – Was ist Heimerziehung

heute?

Die Legitimation der Heimerziehung findet ihre Grundlage im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Grundsätzlich sind die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern, aber auch ihre Pflicht. Über die Erfüllung dieser Pflicht wacht jedoch die staatliche Gemeinschaft.128 In Artikel 6 Abs. 3 wird bestimmt, dass Kinder unter

bestimmten Umständen gegen den Willen der Erziehungsberechtigten von der Familie getrennt werden dürfen, wenn „die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen“129. Praktisch kann diese Intervention im

Rahmen einer „Inobhutnahme des Kindes“ vom Jugendamt durchgeführt werden130.

Spezielle Regelungen zur Heimerziehung sind in den Gesetzestexten der Kinder- und Jugendhilfe, dem SGB VIII, zu finden. Bei der Heimerziehung handelt es sich um eine Form der „Hilfe zur Erziehung“ nach §27 SGB VIII. Explizit ist die Heimerziehung im §34 SGB VIII geregelt. Demnach handelt es sich bei der Heimerziehung um eine stationäre Form der Hilfe, bei dem die Klienten über Tag und Nacht in einer Einrichtung leben. Hierbei sollen die Kinder oder Jugendlichen durch eine „Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten in ihrer Entwicklung“131 gefördert werden. Der Gesetzestext nennt

explizit die drei Ziele dieser Maßnahme. Primäres Ziel ist eine Rückführung in die ursprüngliche Familie. Sollte dies nicht möglich sein, soll eine Erziehung in einer anderen Familie angestrebt werden. Nur wenn die ersten beiden Ziele aus individuellen Gründen nicht erreicht werden können, soll die Heimerziehung eine langfristig angelegte Lebensform darstellen und auf ein selbständiges Leben vorbereiten.132

Heimerziehung bietet heute vielfältige Formen und Konzepte und wird als Versuch bezeichnet einen „anderen Ort“ zu schaffen, der „das Zusammenleben von Kindern aus belasteten Lebens- und Familienverhältnissen sowie die pädagogische Einwirkung auf die dort lebenden Kinder und deren Entwicklung organisieren hilft.“133 Heute herrscht

weitestgehend Konsens darüber, dass die Fremdunterbringung, besonders bei auf längere Zeit angelegten Hilfsmaßnahmen, eine Lebenswelt bieten soll, in der die Familie so gut es geht ersetzt wird. Das „Heim“ muss ein Ort der primären Sozialisation sein, in dem die Kinder und Jugendlichen in einem stabilen und überschaubaren Rahmen lebenswichtige Erfahrungen machen können.134 §34 SGB VIII lässt hierfür Gestaltungsspielraum für die

128 vgl. Art. 6 Abs. (2) GG 129 Art. 6 Abs. (3) GG 130 §42 SGB VIII 131 §34 SGB VIII 132 vgl. §34 SGB VIII 133 Hamberger 2014, S. 232 134 vgl. Freigang 2006, S. 88

Referenzen

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