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Partizipation in der Heimerziehung

Im Dokument Bildung in der Heimerziehung (Seite 38-41)

Partizipation wird als eine Voraussetzung für die Entstehung von Bildungsprozessen für den Einzelnen gesehen.191 Der Begriff Partizipation bedeutet Teilnahme oder Teilhabe und ist grundlegendes Element demokratischer Gesellschafts- bzw. Staatsformen. Allen Bürgerinnen und Bürgern soll die Möglichkeit offen stehen, sich an gesellschaftlichen Beratungs- und Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Partizipation soll in demokratischen Staaten nicht nur im politischen System, sondern auch in anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen wie Wirtschaft, Bildung, Verwaltung und Sozialwesen verwirklicht werden.192 Einer grundlegenden Definition zu Folge ist Partizipation „die verantwortliche Beteiligung der Betroffenen an der Verfügungsgewalt über ihre Gegenwart und Zukunft“193. Dieses Verständnis macht besonders den Subjektbezug deutlich. Das Individuum als selbstbestimmter und mündiger Bürger soll demnach über die Belange seines Lebens möglichst selbst entscheiden können.

Besonders in den Hilfen zur Erziehung, speziell im Bereich der Heimerziehung, ist der Gedanke der Partizipation entscheidend. Die Fremdunterbringung, und die damit verbundene Trennung von der Herkunftsfamilie, birgt für die Kinder und Jugendlichen das Risiko, dass sie sich fremdbestimmt und der Hilfsmaßnahme machtlos ausgeliefert fühlen. Janusz Korczak gilt in diesem Bereich als prägender Pädagoge der gelebten Partizipation. Nach ihm ist es „das erste und unbestreitbare Recht des Kindes seine Gedanken auszusprechen und aktiven Anteil an unseren Überlegungen und Urteilen über seine Person zu nehmen“194.

190 vgl. Danner 2002, S. 75 ff.

191 vgl. Bohn/Kriener 2009, S. 108 192 vgl. Schnurr 2001, S. 1330 193 Stange/Tiemann 1999, S. 215 194 Korczak 1967, S. 40

Im Kontext eines erweiterten Bildungsbegriffs im humboldtschen Sinne sollen Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten geboten werden, sich aktiv mit ihrer Umgebung, ihrem Alltag und ihren Lebensbedingungen auseinanderzusetzen.195 Nur so kann sich der Einzelne als eine eigenständige Persönlichkeit, als selbstbestimmtes und wirksames Subjekt erleben.

Für die Kinder- und Jugendhilfe ist der Gedanke der Partizipation seit dem Paradigmenwechsel, der Verabschiedung des SGB VIII im Jahr 1990, fest verankert. §1 SGB VIII legt das Recht des jungen Menschen auf Förderung und auf eine Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit fest.196 Die Beteiligung, und somit die Partizipation der Kinder und Jugendlichen, findet sich in §8 SGB VIII: „Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen.“197 Die Kinder und Jugendlichen sind über die Inanspruchnahme einer Hilfe zur Erziehung zu beraten198, sowie in die Ausgestaltung des Hilfeplans mit einzubeziehen.199

Der Gedanke der Bildung und der Gedanke der Partizipation von Kindern und Jugendlichen sind eng verknüpft. Nur wenn die Heimerziehung einen Ort darstellt, der von demokratischen Prinzipien bestimmt ist und wenn Formen der Entscheidungsbeteiligung im Verwaltungshandeln und in Alltagssituationen möglich sind, kann ein eigenverantwortlicher und gemeinschaftsfähiger Umgang erlernt werden. Partizipation ist also als eine Voraussetzung dafür zu sehen, dass fremd untergebrachte Kinder und Jugendlich sich zu selbstbestimmten und mündigen Personen entwickeln können.200

Obwohl Partizipation in der Kinder- und Jugendhilfe gesetzlich festgeschrieben ist und die Relevanz der Thematik in der Fachwelt bereits zum Gegenstand ausführlicher Diskussionen geworden ist, wird eine unzureichende Umsetzung von partizipativen Bildungsansätzen in der Praxis bemängelt.201 Gelebte Partizipation passiert nicht nebenbei, sondern erfordert Engagement und methodische Kenntnisse der Fachkräfte. Gemäß Jahnke sei die Umsetzung in erster Linie von der individuellen Haltung der pädagogischen Fachkräfte, insbesondere von der Heimleitung, abhängig.202

Ziel muss es sein Partizipation stark und nachhaltig in die Lebenswelt der Heimerziehung zu integrieren. Voraussetzung hierfür sind zunächst pädagogische Fachkräfte, die hinter dem Gedanken der Partizipation stehen und die Bewohner als gleichwertige und kompetente

195 vgl. Bohn/Kriener 2009, S.110f.

196 §1 Abs. (1) SGB VIII 197 §8 SGB VIII

198 vgl. §36 Abs. (1) SGB VIII 199 vgl. §36 Abs. (2) SGB VIII 200 vgl. Jahnke 2015, S. 5

201 vgl. Bohn/Kriener 2009, S. 108 202 vgl. Jahnke 2015, S. 35

Personen akzeptieren.203 „Nur PädagogInnen, die sich ihrer Werte bewusst sind, diese authentisch vertreten und engagiert kommunizieren, können ebendiese Bildungserfahrungen für Kinder und Jugendliche anbieten.“204 Besonders in der Heimerziehung, in der die Kinder und Jugendlichen aufgrund problematischer Vorerfahrungen oft wenig Initiative für Mitgestaltung zeigen, müssen die Pädagogen kontinuierliche Möglichkeiten der Teilhabe anbieten und motivieren können. Für Kinder aus problematischen Verhältnissen mit traumatischen Erfahrungen bietet Partizipation die Möglichkeit dadurch „Erfahrungen von Ohnmacht zu korrigieren“205 und Selbstwirksamkeit kennenzulernen.206

In der stationären Einrichtung muss Einigkeit im Team darüber herrschen in welche Entscheidungen die Kinder und Jugendlichen eingebunden werden können. Hier ist darauf zu achten, dass den jungen Menschen in bestimmten Bereichen eine tatsächliche Entscheidungskraft zugesprochen wird. Die Teilhabe darf nicht auf eine reine Meinungsbefragung reduziert werden, bei der letztendlich eh die Erwachsenen das letzte Wort haben. Beispielsweise kann die Entscheidung über die Anschaffung von neuen Spielgeräten oder der Ort der nächsten Ferienfreizeit unter vorgegebenen Rahmenbedingungen und unter Bekanntmachung der finanziell zur Verfügung stehenden Mittel von den Bewohnern selbst entschieden werden. In einer Diskussion, mit dem Ziel einer demokratischen Entscheidung, werden Kompetenzen gefördert, die für ein solidarisches Zusammenleben essenziell sind.207 Auch können Rechte und Regeln, die das Zusammenleben in der Wohngruppe betreffen, gemeinsam definiert werden und transparent und altersgerecht gestaltet bzw. zugänglich sein.208 Auch in formalen Angelegenheiten über die Ausgestaltung und Durchführung der Hilfsmaßnahme müssen die Kinder und Jugendlichen einbezogen werden.209 Es ist darauf zu achten, dass dieses Recht, je nach dem Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen, auch in der Praxis Anwendung findet, beispielsweise durch die Teilnahme der jungen Menschen an den Konferenzen zur Hilfeplanung.210

Auch wenn die Diskussion um Partizipation in der Kinder- und Jugendhilfe nicht neu und rechtlich geregelt ist, muss die professionelle Heimerziehung darum bemüht sein dessen Umsetzung in der Praxis verstärkt zu fördern, „damit Selbstwirksamkeit erlebbar und Bildungsprozesse angestoßen werden“211.

203 vgl. Bohn/Kriener 2009, S. 114 204 Bohn/Kriener 2009, S. 114 205 Bohn/Kriener 2009, S. 115 206 vgl. Bohn/Kriener 2009, S. 115 207 vgl. Bohn/Kriener 2009, S. 116 208 vgl. Bohn/Kriener 2009, S. 118 209 vgl. §8 Abs. (1) SGB VIII 210 vgl. Bohn/Kriener 2009, S. 114 211 Bohn/Kriener 2009, S. 118

Im Dokument Bildung in der Heimerziehung (Seite 38-41)