DIE FRÜHISLAMISCHEN, SELDSCHUKISCHEN UND
OSMANISCHEN LEPROSORIEN
von Arslan Terzioglu, München
Für die Isolierung der Leprakranken wurde schon in dem im Jahre 707 n.Chr. in
Damaskus gegründeten islamischen Krankenhaus eine Abteilung zur Verfügung ge¬
stellt (1) (7) (11) (12). In Kairowan gab es im 9. Jahrhundert auch eine Leprasta¬
tion in der Nähe des al-Dimnah Krankenhauses (5). In Fez, Marrakesch und Cordo¬
ba waren die Leprakranken außerhalb der Städte an bestimmten Orten unterge¬
bracht (2) (3). Zur Zeit der seldschukisehen Türken existierten in Sivas, Kayseri und Tokat Leprosorien, bevor die osmanisehen Türken in Edirne, Istanbul und anderen Städten Leprosorien erriehtet hatten (12) (13) (17) (18) (19).
Naeh Feridun Nafiz Uzluk gab es in Konya ein seldschukisches „Siracalilar Tek¬
kesi" genanntes Leprosorium, welches noch im 17. Jahrhundert existierte. Als
Quelle gibt er die „Konya §eriyye Sieilleri" genannten alten Gerichtsakten an. Nach
einer dieser Aufzeichnungen wurden die Kranken zuerst von den zwei Ärzten des
Sultan Alä ed-Din-Krankenhauses in Konya untersucht, bevor sie in diesem Lepro¬
sorium untergebracht wurden. Daraus ist ersichtlich, daß die Leprakranken hn isla¬
mischen Kulturbereich ärztUch überwacht wurden (17).
Im Osmanischen Reich gab es im 17. Jahrhundert außerhalb aller größeren
Städte Leprosorien, wo die Leprakranken nach der Untersuchung durch die Spital¬
ärzte isoliert wurden. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts wurde eine im Qalaun-
Krankenhaus in Kairo hergestellte Arznei zur Behandlung der Leprakranken nach
Indien und auch nach Europa exportiert. Im Osmanisehen Reich wurden außer
Arzneien, die HeUquellen in Bursa, in Yalova, in Hasankaie und in Serez gegen
Lepra angewendet (4) (12) (16).
Die Lepra wurde von den islamischen Ärzten nicht als Fluch oder als eine Gnade des Himmels angesehen, sondern als eine ansteckende Krankheit erkannt. Yuhanna bin Masawäih hatte schon Anfang des 9. Jahrhunderts ein umfassendes Krankheits-
bUd der Lepra dargestellt. Der berühmte islamische Arzt aus Kaiman al-Gäzzär
sehrieb über die Ursachen und über die HeUung der Lepra. Qutb ad-Din Mahmud
ibn Masüd al-Siräzi (gest. 1311) hatte die Abhandlung Risale fil-Baras über den
Aussatz verfaßt (15).
Die osmanisehen Ärzte Ahmedi (1334-1413), Seref ed-Din Sabuncuoglu (1385
bis 1469), Ak-Sems ed-Din (1390-1459), Nidai(16. Jh.), Emh felebi (gest. 1639),
Salih b. Nasmllah b. Sellum (gest. 1669) haben in ihren Werken über die Behand¬
lung der Lepra ausführlich berichtet (17). Es ist besonders erwähnenswert, daß der
türkische Arzt Seref ed-Din Sabuncuoglu (1385-1469), der im 15. Jahrhundert an
dem Amasya Krankenhaus 14 Jahre lang als Arzt tätig war, in seiner chirurgischen
Abhandlung Kitäb-i Gerrähiye-i Häniye die Behandlung der Leprakranken durch
Kauterisation mit Abbildungen beschrieben hat (10).
xx. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen
404 Arslan Terzioglu
Obwohl bis heute kein islamisches Leprosorium in seiner ursprünglichen Form
erhalten ist, kann man nach älteren Beschreibungen vermuten, daß diese Anstalten
eine ähnliche Bauform wie das Tekke genannte islamische Kloster gehabt hatten.
Die bis heute erhaltenen türkischen Tekke-Anstalten aus der seldschukisehen und
osmanischen Zeit haben eine um einen quadratischen Innenhof hemm gmppierte
Zellenanlage. Die Grundrißzeichnung des bis vor kurzem existierenden Yavuz-Sul-
tan-Selim Leprosoriums (6) (9), welches zwischen den Jahren 1512 und 1520 in
Istanbul gegründet wurde, bestätigt diese Vermutung (siehe Abb. 1).
Eine andere Bauform hatten die Wohnquartiere für Leprakranke in Bursa und
Bagdad. Diese Lepraquartiere bestanden aus einzelnen einfachen Gebäuden wie die
Augenzeugen C. Niebuhr und Evliya ^elebi berichteten (8) (4).
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Abb.l: Grundriß des Yavuz-Sultan-Selim-Leprosoriums in Üsküdar (Istanbul). Im Jahre 1936 existierten noch einige Mauerreste dieses Leprosoriums, welches aus 16 Krankenzellen, einem Bad, einer Moschee und zwei weiteren Räumen für die islamischen Geistlichen (Imam) bestand. Dieses Leprosorium war etwa 40 x 30 m groß.
LITERATUR
(1) Ahmed Issa Bey: Histoire des Bimaristan (Höpitaux) ä I'epoque islamique. Kairo 1928, S. 105-209.
(2) Colin, Gabriel: Bimaristan. In: The Encyclopaedia of Islam. Bd. 1, 1960, S. 1225.
(3) Dunlop, Douglas Morton: Bimaristan. In: The Encyclopaedia of Islam. Bd. 1, 1960, S.
1223.
(4) EvUya f elebi: Seyähatnäme. Hrsg. Z. Dani^pian, Bd. 3, Istanbul (1969), S. 14,174, und Bd. 7, Istanbul (1970), S. 235.
(5) Hamameh, Sami: Development of Hospitals in Islam. J. Hist. Med. 17 (1962) S. 375.
(6) Konyali, Ibrahim Hakki: Abideleri ve Kitabeleri ile Üsküdar Tarihi. Bd. 1, Istanbul (1976), S. 235-237.
Die friihislamisclien, seldschukisehen und osmanischen Leprosorien 405
(7) Muhammed ibn JarTr at-Tabari: Tarikh al-Umam wa al-Muluk, Bd. 8, Kairo, o.J. S. 97.
(8) Niebuhr, Carsten: Reisebeschreibung nach Arabien und den umliegenden Ländem. Bd. 2, Kopenhagen 1778, S. 307.
(9) Stern, Bernhard: Medizin, Aberglauben und Geschlechtsleben in der Türkei. Bd. 1, Ber¬
lin 1903, S. 111-112.
(10) Seref ed-Din Sabuncuoglu: Kitab ül-Cerrahiye-i Häniye. Handschriftenexemplar in der Bibliotheque Nationale Paris, Ms. Supp. turc 693, fol. 46 V.
(11) TaqT al-DTn Ahmad al-Maqrizi: Kitäb al-Khität. Bd. 2, Kairo 1853, S. 405.
(12) Terzioglu, Arslan: Mittelalterliche islamische Krankenhäuser unter Berücksichtigung der Frage nach den ältesten psychiatrischen Anstalten. Diss. TU Berlin, 1968, S. 35 112.
(13) Derselbe: Gründungsurkunden der seldschukisehen und osmanischen Krankenhäuser.
Kunst des Orients, Bd. X 1/2 (1976) S. 147.
(14) Thevenot, Jean de: Reisen des Herrn v. Thevenot's in Europa, Asia und Afrika. Buch 2, Frankfurt 1683, S. 26.
(15) Ullmann, Manfred: Die Medizin im Islam. Leiden/Köln 1970, S. 147, 178.
(16) Uzman, Mazhar Osman: Tabäbeti Ruh|ye. Istanbul 1941, S. 235.
(17) Ünver, Süheyl und Bedi N. §ehsuvaroglu. Türkiyede Cüzam tarihi hakkinda ara^tirmalar.
Istanbul 1961.
(18) Ünver, Süheyl: Türkiyede cüzam tarihi hakkinda. Poliklinik Bd. 1, 7 (1934), S. 28.
(19) Derselbe: Cüzam hastali|ina daü- ar^iv kayitlari ve Kayseri Leproserisi. Dirim, Bd. 11, 3 (1936), S. 77-79.
SEKTION X: SINOLOGIE UND JAPANOLOGIE
SEKTIONSLEITER: H. STEININGER
DIE BEDEUTUNG DES KEMMU-NENJÜGYÖJI FÜR DIE
ZEREMONIALTRADITION
von Maria-Verena Blümmel, Freiburg
Das Kemmu-nenjügyöji (KNg) ist ein Werk der Zeremonialliteratur; es bietet eine
Gesamtdarstellung der für einen bestimmten Termin eines ganzen Jahres verbind¬
lichen höfischen Zeremonien offiziellen Charakters und ist von Kaiser Go-Daigo
(1288-1339; reg. 1318-36 bzw. 39) verfaßt worden. Die Bedeutung des Textes
liegt darin, daß er die erste Gesamtdarstellung höfischer Zeremonien nach einer
nahezu zweihundertjährigen Pause gibt und deshalb einen Einblick in Bestand und
eventuell stattgehabte Entwicklungen in diesem Bereich bieten kann, sofern er ein
authentisches Bild seiner Zeit, d.h. einen datierbaren Zustand der Zeremonien ver¬
mittelt. Diese Auffassung ist zu verteidigen gegenüber insbesondere den japanischen
und westhchen Historikern, die, gestützt auf eine bestimmte Tradition und die Un¬
tersuchungen Wada Hidematsus, den Text dem Restaurationsprogramm Go-Daigos
zuordnen und deshalb die geschilderten Zeremonien als Wiederanpassungen an
einen vergangenen Zustand werten.
Es kann jedoch gezeigt werden, daß diese Ansicht nicht die ursprüngliche, son¬
dern das Ergebnis eines längeren Rezeptionsprozesses ist.
Der Verfasser selbst schreibt in seiner Einleitung, daß er jetzt die Dinge, die er
während seiner zwanzig Jahre im Palast habe beobachten können, aufschreiben
wolle ,,als Quelle für Berichte, wie es zu jener Zeit war" - sein Ziel ist die Doku¬
mentation. Der Text wird bereits nach kurzer Zeit hochgeschätzt, sowohl von den
Gelehrten jener Zeit wie. auch den Zeremonialpraktikern. Diese Wertschätzung führt
dazu, daß gerade nach den Onin-Wirren dieses Werk herangezogen wurde, wenn sich
bei der Wiederaufnahme einer ausgesetzten Zeremonie Unklarheiten ergeben hatten.
Das KNg ist somit als Sammlung von Präzedenzfällen anerkannt ; nirgendwo wird es
jedoch als Vorlage für eine an der Vergangenheit orientierten Umgestaltung der
Zeremonien betrachtet.
Eine Neueinschätzung erfolgt zu Beginn des 18. Jh. Offenbar wird diese durch
die plötzliche und einheitliche Verwendung eines neuen Titels: Kemmu-nenjügyöji,
nachdem der Text bislang unter ständig wechselnden Namen geführt worden war.
Damit war die noch offene Frage der genauen Datiemng entschieden und der Text
der Phase der kaiserlichen Kemmu-Restauration zugeordnet worden. Diese Zuord¬
nung, vermutlich auf den Quellenstudien der Mito-Schule fußend, geht einzig von
einer vagen Zeitangabe im Text selbst aus.
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen