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nsere Nachfolger werden sich wun- dern, worüber wir heute noch dis- kutiert haben.“ Diese deutbare Feststellung von Prof. Dr. med. Jörg-Diet- rich Hoppe, dem Präsidenten der Bundes- ärztekammer, stand am Ende einer län- geren Diskussion über den Wandel des ärztlichen Berufs. Sie bezog sich vorder- gründig auf die neuen Formen ärztlicher Zusammenarbeit, die auf der 51. Konsul- tativtagung deutschsprachiger Ärzteor- ganisationen Anfang Juli in St. Gallen ein Schwerpunktthema bildeten. Dabei wurden von den Teilnehmern unter- schiedliche Akzente gesetzt. „Die Zeit der Einzelkämpfer ist vorbei“, verkün- dete Dr. med. Olivier Kappeler, Mitglied des Zentralvorstands der gastgebenden Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH). „Medizinische Ver- sorgung wird ein Mannschaftssport.“Dabei habe die Ärzteschaft die Chance, eigene Vorstellungen zu verwirklichen.
Konnte Kappeler bis hierhin noch mit breiter Zustimmung rech-
nen, sah mancher Zuhörer in dem Folgenden „den di- rekten Weg in ein kollekti- ves System“ beschrieben.
Kappeler schilderte das Managed-Care-Modell,wie es im Schweizer Kanton Thurgau, für 60 000 Pati- enten, ein Viertel der Be- völkerung, verwirklicht ist, als ein Instrument zur Verbesserung der Versor- gungsqualität und der Ko- stensenkung. Im Kanton Thurgau haben sich vier Netzwerke mit Ärzten aller Versorgungsstufen in einer Betriebsgesellschaft
zusammengeschlossen und mit mehreren Versiche- rern Verträge abgeschlos- sen. Die Patienten, denen eine zehn- bis fünfzehn- prozentige Beitragssen- kung winkt, schreiben sich bei ihrem Hausarzt ein und binden sich an ihn. Sie willigen in ein Fallmanage- ment und die Anwendung von Medikamentenlisten ein. Die teilnehmenden Ärzte übernehmen eine Budgetmitverantwortung.
Von der Abweichung zwi- schen geschätzter und tat- sächlicher Kostenentwick- lung hängt es ab, ob der
Arzt einen vertraglich festgelegten Bo- nus oder Malus erhält.
Wichtige Elemente sieht Kappeler in den Qualitätszirkeln und den besonde- re Auswertungen, die jeder Arzt erhält, beispielsweise zum Über- weisungsverhalten und zu den Behandlungskosten.
Wichtig sei, dass zwischen Ärzten und Versicherern
„Datenparität“ herrsche, hob Kappeler hervor. Un- ter dem Strich seien keine Kosten gesenkt worden,
„die Ausgaben sind lang- samer gestiegen“. Die große Akzeptanz des Mo- dells bei Versicherten, Ärzten und Politik sei auf die überschaubaren Ver- hältnisse im Kanton Thur- gau und die nicht zu große Ärztedichte zurück- zuführen, hieß es am Ran-
de der Tagung. Den Einwand, dass in einem Dreiecks-Vertragsverhältnis von Ärzten, Patienten und Versicherern Letztere immer am längsten Hebel säßen, ließ Kappeler nicht gelten. So- bald ein Ärztenetzwerk Patienten den Wechsel zu einer anderen Versicherung empfehle, werde das betroffene Unter- nehmen sehr nervös. Zudem dürfe das Ärztenetzwerk nur Verträge abschließen, die von der Standesorganisation gebil- ligt worden seien. Als „Allheilmittel“
für alle Probleme mochte Kappeler das Modell nicht empfehlen, sein Vorstands- kollege Dr. med. Max Gi- ger sprach sogar von ei- ner „Spielwiese“.
Die österreichische Ärzteschaft verfolge eher einen individualisierten Ansatz unter Wahrung der freien Arztwahl: „Ich hoffe, noch für längere Zeit“, sagte Dr. med. Ar- tur Wechselberger, Präsi- diumsmitglied der Öster- reichischen Ärztekam- mer. Mehr als 90 Prozent der Niedergelassenen ar- beiten in Einzelpraxen.
Die Gruppenpraxis in der Rechtsform einer offenen Erwerbsgesellschaft mit unbeschränkter Haftung jedes Partners ist zwar zulässig, aber noch die Ausnahme. So gibt es in Wien nur sieben Gruppenpraxen, drei sind in Gründung. Die Anstellung von Ärzten scheiterte bisher an den Verträgen mit den Krankenkassen, die die persönliche Leistungserbringung durch den Praxis- inhaber verlangen. Ärzte, die zusam- menarbeiten wollen, mussten bisher den Umweg über die Gründung einer
„ambulanten Krankenanstalt“ gehen.
Aber auch die österreichischen Ärzte wünschen sich neue Formen der Zusam- menarbeit von Freiberuflern. Wechsel- berger: „Die Belastung in Einzelpraxen wird unzumutbar groß, viele Kleinpra- xen sind unrentabel. “
Im Entwurf eines neuen Ärztegeset- zes, das noch 2005 verabschiedet werden soll, sind wesentliche Forderungen der österreichischen Ärzte berücksichtigt:
Niedergelassene Ärzte sollen eine Kapi- talgesellschaft, eine GmbH, gründen kön- nen, weniger aus steuerlichen Gründen, P O L I T I K
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A2210 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 33⏐⏐19. August 2005
Die Praxis der Zukunft
Vom Einzelkämpfer zum Mannschaftsspieler
Der gesellschaftliche Wandel erfordert neue Formen ärztlichen Handelns. Über das richtige Zukunftsmodell gehen die
Meinungen in den deutschsprachigen Ländern auseinander.
Nichtärzte als Gesellschafter müssen ausge- schlossen bleiben.
Dr. med. Reiner Brettenthaler
Foto:Bernhard Noll
Die medizinische Versorgung
wird zum Mannschaftssport.
Dr. med. Olivier Kappeler
Foto:FMH
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s gebe bei Google erheblich mehr Einträge zum Thema Sterbehilfe als zur Palliativmedizin, sagte Dr. med.Maximilian Zollner, der Bundesvorsit- zende des NAV-Virchow-Bundes, Ende Juli auf einer Bodenseefahrt. Seine Fol- gerung daraus: „Wir müssen mehr für die Palliativmedizin werben.“ Dafür plädierte auch der Präsident der Bun- desärztekammer (BÄK), Prof. Dr. med.
Jörg-Dietrich Hoppe. Aktive Eutha- nasie lehnte er dagegen ab. Und das sei
auch der Tenor der Grundsätze der BÄK zur ärztlichen Sterbebegleitung aus dem Jahr 2004.
Danach kann bei Patienten, die sich noch nicht im Sterben befinden, aber nach ärztlicher Erkenntnis aller Vor- aussicht nach in absehbarer Zeit ster- ben werden, weil die Krankheit weit fortgeschritten ist, eine Änderung des Therapieziels indiziert sein, wenn le- benserhaltende Maßnahmen Leiden nur verlängern würden und die Ände- P O L I T I K
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A2212 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 33⏐⏐19. August 2005
Rechtslage zur Sterbehilfe in Europa
Land Aktive Sterbehilfe Indirekte Sterbehilfe Passive Sterbehilfe Belgien Gesetz zur Legalisierung ist keine näheren Angaben keine näheren Angaben
im Mai 2002 von der Kammer verabschiedet worden
Deutschland strafbar straffrei, das heißt erlaubt, straffrei, das heißt erlaubt, wenn eine aktuelle Willens- wenn eine aktuelle Willens- äußerung oder eine valide äußerung oder eine valide Patientenverfügung vorliegt Patientenverfügung vorliegt
Frankreich strafbar, wird angewandt; wird angewandt;
mit Mord gleichgesetzt rechtlich unklar rechtlich unklar Griechenland strafbar, straffrei, das heißt erlaubt, keine näheren Angaben
mit Mord gleichgesetzt wenn eine aktuelle Willens- äußerung oder eine valide Patientenverfügung vorliegt
Großbritannien strafbar wird angewandt; keine näheren Angaben
rechtlich unklar
Italien strafbar wird angewandt; keine näheren Angaben
rechtlich unklar
Niederlande Gesetz zur Legalisierung ist gilt als natürlicher Tod gilt als natürlicher Tod im April 2002 von der Kammer
verabschiedet worden
Norwegen strafbar Zulassung wird geprüft wird angewandt;
rechtlich unklar
Österreich strafbar straffrei straffrei, das heißt erlaubt,
wenn eine aktuelle Willens- äußerung oder eine valide Patientenverfügung vorliegt
Schweden strafbar wird angewandt; erlaubt, wird als ethisch
rechtlich unklar gerechtfertigt angesehen Schweiz strafbar erlaubt, nicht ausdrücklich erlaubt, nicht ausdrücklich
geregelt, in Ausnahmefällen geregelt, wird praktiziert praktiziert
Spanien strafbar straffrei, falls medizinisch wird angewandt;
korrekt durchgeführt rechtlich unklar
Stand: April 2003; Quelle: Deutsche Hospiz-Stiftung
Euthanasie
Töten ist keine ärztliche Aufgabe
Über Sterbehilfe und Sterbebegleitung diskutierten Mediziner, Juristen und Theologen. Sie sprachen sich für eine Förderung der Palliativmedizin aus.
sondern um Ärzte anstellen zu können.
Je Gesellschafter soll ein Angestellter ge- stattet sein. In der Ärzteschaft sei dies nicht mehr umstritten, sagte Dr. med.
Reiner Brettenthaler, der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, dem Deutschen Ärzteblatt. Nichtärzte als Ge- sellschafter müssten aber ausgeschlossen bleiben.
Das ist in Deutschland, wo spätestens mit der vom 107. Deutschen Ärztetag beschlossenen Novelle der (Muster-)Be- rufsordnung das Leitbild des in Einzel- praxis tätigen Arztes aufgegeben wurde, die Zulassung juristischer Personen zur Ausübung der Heilkunde von Land zu Land, Kammer zu Kammer aber unter- schiedlich geregelt ist, nicht der Fall. In einer „Ärztegesellschaft“, beispielsweise in der Rechtsform einer GmbH, muss laut Berufsordnung die Mehrheit der Gesellschafter und der Geschäftsführer Ärzte sein. Für die Heilkunde-GmbH ist das nicht vorgeschrieben.
„Die Einzelpraxis ist sicher nicht das Modell für die Zukunft“, sagte Sanitäts- rat Dr. med. Franz Gadomski, Präsident der Ärztekammer des Saarlandes, und Vorsitzender des Ausschusses „Am- bulante Versorgung“ der Bundesärzte- kammer. Gemeinschaftspraxen würden künftig die Regel sein, zumal junge Kol- leginnen und Kollegen mehr Wert auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf legten. Dass der gesellschaftliche Wan- del und die wachsende Zahl von Ärztin- nen andere Formen der Berufsaus- übung erfordern, darüber waren sich die Repräsentanten der Ärzte aus sechs Ländern (neben Deutschland, der Schweiz und Österreich noch Luxem- burg, Italien/Südtirol und Liechtenstein) einig. Die deutschen Ärzte informierten auf der Konsultativtagung beispielswei- se über die Gründung von Medizini- schen Versorgungszentren (MVZ) durch Niedergelassene und Krankenhäuser.
Der Grundgedanke von MVZ und Integrierter Versorgung sei nicht schlecht, sagte Hoppe. Für höchst pro- blematisch hält er aber, wenn sich sol- che Elemente zusätzlich zur „Ange- botsverknappung durch Privatisierung“
und den Missbrauch von Leitlinien in ein Konzept der „gesteuerten Medizin“
einpassten, das nur einem Ziel diene:
„Die Behandlung darf nicht mehr ko- sten, als finanzierbar ist.“ Heinz Stüwe