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Archiv "Möglichkeiten der Diätbehandlung bei Diabetes mellitus" (11.06.1982)

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DIABETES-SERIE:

Möglichkeiten

der Diätbehandlung bei Diabetes mellitus

Herbert Drost und Karl Jahnke

Aus der Medizinischen Klinik

(Direktor: Professor Dr. med. Karl Jahnke)

des Ferdinand-Sauerbruch-Klinikums Wuppertal-Elberfeld

Trotz Insulin und oraler Anti- diabetika stellt die Diät auch heute noch die Basis der Dia- betestherapie dar. Das diäteti- sche Therapiekonzept des Diabetes ist typenabhängig.

Während beim meist norm- gewichtigen Typ-l-Diabetiker (insulinabhängiger Diabetes, Diabetes vom juvenilen Typ) der Stoffwechsel-stabilisie- rende Effekt von wesentlicher Bedeutung ist, steht bei den in über 80 Prozent übergewichti- gen Typ-Il-Diabetikern (insu- linunabhängiger Diabetes, Diabetes vom Erwachsenen- typ) eine energetisch ange- paßte Diät (Reduktionsdiät) im Vordergrund.

1. Einführung

Die Diät ist die Basis aller therapeuti- schen Bemühungen bei Diabetes mellitus. Ihre Aufgabe besteht darin, eine optimale Einstellung und dau- erhafte Stabilisierung des Stoff- wechsels zu erreichen, chronischen Spätschäden des Diabetes mellitus vorzubeugen und Leistungsfähig- keit sowie Wohlbefinden des Diabe- tikers zu erhalten.

In der Vorinsulinära war die Diabe- tesdiät das therapeutische Mittel der Wahl als kalorienarme, kohlenhy- dratarme-fettreiche oder als koh- lenhydratreiche-fettarme Kostform.

Von diesen teilweise widersprüchli- chen Diätregimen ist die Einsicht ge- blieben, daß streng kohlenhydratar- me Kostformen nicht erforderlich und relativ kohlenhydratreiche Kost- formen gut toleriert werden.

Die Hoffnungen, nach Einführung des Insulins 1921 und der oralen An- tidiabetika 1953 auf eine Diät ganz oder teilweise verzichten zu können, haben sich nicht erfüllt. Die von Stolte, Lichtenstein und Tolstoi empfohlene sogenannte „freie Diät"

wird heute von praktisch allen nam- haften Diabetologen abgelehnt (11, 18, 19)*).

Da die Zuckerkrankheit ein chroni- sches Leiden darstellt, muß die Dia- betesdiät eine kontrollierte Dauer- diät sein. Sie soll einmal den ernäh- rungsphysiologischen und patho- physiologischen Bedingungen des diabetischen Stoffwechsels ange- paßt, zum anderen aber auch den individuellen Bedürfnissen des Ru- he- und Arbeitsstoffwechsels ge- recht werden. Um effektiv zu sein, muß die Diabetesdiät praktikabel sein und die aktive Mitarbeit des Pa- tienten ermöglichen. Dies setzt vor- aus, daß der Diabetiker ausreichend diätetisch aufgeklärt und geschult ist.

2. Grundsätzliche

Prinzipien der Diabetes-Diät und Energiebedarf

Die Diabetesdiät muß sich an den gegebenen Voraussetzungen der Diabetestypen orientieren. Beim Typ-l-Diabetes (insulinabhängiger Diabetes, Diabetes vom juvenilen Typ, Insulinmangel-Diabetes, Diabe-

tes mit absolutem Insulinmangel) fehlt die endogene Insulinproduk- tion, abgesehen von einer geringen Restsekretion zu Beginn der Erkran- kung. Durch exogene Insulingabe wird versucht, den Insulinmangel zu kompensieren. Dies geschieht kon- ventionell in der Regel durch täglich ein- bis zweimalige Insulininjektio- nen. Die post injektionem einsetzen- de Insulinämie ist nicht nahrungsge- steuert, sondern verläuft starr nach einer den jeweiligen Insulinarten entsprechenden Freisetzungskine- tik. Da dieser Freisetzungsmodus prinzipiell unphysiologisch ist, wird durch eine exogene Insulinzufuhr immer die Gefahr einer relativen Über- oder Unterinsulinierung mit konsekutiver Hypo- oder Hyperglyk- ämie bestehen.

Die Diättherapie beim Typ-I-Diabetes soll durch eine der Insulinfreiset- zung adäquate Verteilung der koh- len hyd rathaltigen Nahrungsmittel dazu beitragen, starke Blutzucker- schwankungen zu kompensieren.

Dies geschieht insbesondere durch Verzicht auf Mono- und Disacchari-

") Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis der Sonderdrucke

Ausgabe A/B DEUTSCHES ARZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 23 vom 11. Juni 1982 39

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Diätbehandlung bei Diabetes mellitus

de sowie durch Verteilung der tägli- chen Kohlenhydratmenge auf meh- rere Haupt- und Zwischenmahl- zeiten.

Beim Typ-11-Diabetes (insulinu nab- hängiger Diabetes, Diabetes vom Er- wachsenentyp) besteht ein relativer Insulinmangel mit verringerter oder verzögerter Insulinfreisetzung in den Beta-Zellen des Pankreas. Der Insulinmangel kann häufig durch orale Antidiabetika kompensiert werden.

Außer einem relativen Insulinmangel besteht jedoch bei diesem Diabetes- typ durch eine Abnahme der Insulin- Rezeptorenbindung eine reduzierte Insulinempfindlichkeit, ein Phäno- men, das besonders bei Adipositas, aber auch unter anderen Bedingun- gen, zu beobachten ist (4). Die Insu- linempfindlichkeit und damit der In- sulineffekt können durch eine ver- besserte Insulinbindung am Rezep- tor gesteigert werden, was durch ei- ne Gewichtsreduktion zu erreichen ist. Da bei über 80 Prozent aller Typ-Il-Diabetiker ein Übergewicht vorliegt, kommt der Gewichtsreduk- tion bei diesem Diabetestyp eine be- sondere Bedeutung zu. Die Prinzi- pien sowie allgemeine Regeln der Diabetes-Diät sind in Tabelle 1 dar- gestellt.

2.1 Energiebedarf:

Der Energiebedarf der Diättherapie muß sich am Gewichtsverhalten des Diabetikers orientieren. Liegt Norm- gewicht (in der Regel beim Typ-1- Diabetes) vor, muß der Energiebe- darf gewichtserhaltend (Erhaltungs- diät) sein.

Liegt dagegen Übergewicht (in der Regel beim Typ-Il-Diabetes) oder vielleicht auch Untergewicht vor, soll die Diättherapie zum Normge- wicht führen (Reduktionsdiät bezie- hungsweise Aufbaudiät).

Für die praktische Tätigkeit am Krankenbett oder in der Sprechstun- de empfiehlt es sich, den individuel- len Kalorienbedarf (Soll-Kalorienzu- fuhr) abzuschätzen.

2.1.1 Bestimmung des Sollgewichts und Soll-Grundumsatzes

Hierfür kann am einfachsten die For- mel nach Broca angewandt werden:

Sollgewicht (Kilogramm) gleich Kör- pergröße (Zentimeter) minus 100 (bei Frauen minus 10 Prozent).

Diese Formel ist zwar nicht sehr ge- nau, aber für praktische Zwecke ausreichend. Aus dem Sollgewicht wird der tägliche Soll-Grundumsatz geschätzt: Soll-Grundumsatz (Kilo- Kalorien [Kcal] ) gleich Sollgewicht (Kilogramm) mal 24.

2.1.2 Bestimmung des Arbeitsumsatzes

Der energetische Umsatz setzt sich im wesentlichen aus Grundumsatz- und Arbeitsumsatz-Kalorien zusam- men. Letztere sind nur schwer abzu- schätzen, da die Schwankungen der Muskelarbeit von Tag zu Tag so- wie der Trainingszustand individuell kaum zu übersehen sind.

Dennoch hat es sich bewährt, gewis- se Richtwerte einzuführen: Für bett- lägerige Patienten werden etwa ein Fünftel Grundumsatz-Kalorien, für leichte Arbeit ein Drittel, für mittel- schwere Arbeit zwei Drittel und für schwere Arbeit drei Drittel Grund- umsatz-Kalorien in Ansatz gebracht (5). Der geschätzte Kalorienbedarf errechnet sich aus der Summe von Grundumsatz-Kalorien plus Arbeits- umsatz. Es muß jedoch betont wer- den, daß diese sowie auch andere Berechnungsarten grob sind und häufig zur Korrektur der Kalorienzu- fuhr regelmäßige Gewichtskontrol-

len erforderlich machen.

Seit 1978 wird an Stelle der Ener- gieeinheit Kcal. die Einheit Joule im

„Amtlichen Verkehr" vorgeschrie- ben. Eine Kcal. entspricht 4,184 Joule.

2.1.3 Kohlenhydratzufuhr

Die Kohlenhydratzufuhr muß nach quantitativen, qualitativen und zeitli- chen Aspekten behandelt werden.

Unter qualitativen Gesichtspunkten werden leichtlösliche Kohlenhydrate (zum Beispiel Glukose, Saccharose, Malzzucker sowie Nahrungsmittel, die diese enthalten) wegen ihrer schnellen Digestion und Absorption und dadurch hyperglykämisieren- den Wirkung gemieden. Dagegen werden langsam resorbierbare Koh- lenhydrate (zum Beispiel Stärke und stärkehaltige Nahrungsmittel) be- vorzugt.

Für eine verzögerte Magen-Darm- Passage, langsamere Kohlenhydrat- resorption sowie die verlangsamte Mund-Zökum-Passage sind in letzter Zeit besonders faserstoffreiche (schlackenstoffreiche) Kostformen propagiert worden (15, 16). Außer günstigen Effekten auf den Blutzuk- ker senken faserreiche Kostformen den Insulinbedarf, die Serumlipide, Triglyzeride und Cholesterin (16).

Bezüglich des qualitativen Anteils der Kohlenhydrate in der Diabetes- diät bestehen seit vielen Jahrzehn- ten kontroverse Auffassungen (8).

Aus energetischen Gründen verhal- ten sich Kohlenhydratanteil sowie Fettanteil komplementär. So wird ei- nerseits eine kohlenhydratarme-fett- reiche Diät, andererseits eine gerade in den letzten Jahren propagier- te kohlenhydratreiche-fettarme Diät diskutiert.

Offenbar üben Kohlenhydrate unter bestimmten Bedingungen, die hier nicht näher erläutert werden, meß- bare Wirkungen auf den diabeti- schen Stoffwechsel aus.

Die eigentliche Problematik betrifft jedoch die Frage, inwieweit die er- zielten Wirkungen eine diätthera- peutische Relevanz haben. Zudem ist es notwendig, daß der Diabetiker die diätetische Verordnung und die darin enthaltenen Kohlenhydrat- mengen akzeptiert.

Die Entwicklung des quantitativen Nährstoffproblems macht klar, daß extreme Kohlenhydratmengen nicht praktikabel sind und deshalb nicht lange Bestand haben. Aus diesen Gründen wird heute ein mittlerer Kohlenhydratanteil in der Diabetes- 40 Heft 23 vom 11. Juni 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe AlB

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Typ-l-Diabetes (in der Regel normgewichtig)

Typ-Il-Diabetes (in der Regel übergewichtig) Verteilung der Kohlenhydrate auf

möglichst viele Mahlzeiten

++ (+)

Kalorienrestriktion ++

konstante Essenszeiten Modifikation der Fettzufuhr zusätzliche Kohlenhydrat-

zufuhr bei Muskelarbeit

++ (+)

— unbedeutend, + geringe Bedeutung, + + große Bedeutung

+

+

O Die Diät ist die therapeutische Basis, die Kriterien einer guten Stoffwechseleinstellung zu erfüllen durch

a) kein exzessives Kohlenhydratangebot

b) keine schnell resorbierbaren oder konzentrierten Zucker c) Verteilung der Kohlenhydrate auf täglich 5 bis 6 Mahlzeiten.

fp

Durch eine energiegerechte Kost wird versucht, Normgewicht zu erreichen oder zu erhalten.

• Die Nährstoffrelationen zwischen Kohlenhydrate zu Fett zu Eiweiß verhalten sich wie 40 Prozent :40 Prozent:20 Prozent.

O Keine „freie Kost", sondern eine kontrollierte Dauerdiät.

O Der Diabetiker sowie seine Angehörigen sollen diätetisch aufge- klärt, genügend geschult sowie in der Lage sein, theoretisches Wissen in die küchentechnische Praxis umsetzen zu können.

Tabelle 1: Prinzipien und allgemeine Regeln der Diabetesdiät

Tabelle 2: Bewertung der Diätregeln bei Diabetes mellitus in Abhängigkeit von den Diabetestypen (nach 15)

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Diätbehandlung bei Diabetes mellitus

Diät von etwa 40 bis 50 Prozent der Gesamtkalorien empfohlen, was auch nach dem Ernährungsbericht 1980 der Deutschen Gesellschaft für Ernährung den allgemeinen Ernäh- rungsgewohnheiten entspricht (22).

2.1.4 Fettzufuhr

Eine Fettrestriktion ist vor allem aus energetischen Gründen beim über- gewichtigen Diabetiker mit dem Ziel der Gewichtsnormalisierung zu for- dern.

Von besonderer Bedeutung ist die Verwendung von polyensäurerei- chen Fetten sowie eine Restriktion der Cholesterinzufuhr bei gleichzei- tigem Vorliegen von Fettstoffwech- selstörungen (3, 16, 17). Der durch- schnittliche Fettanteil an den tägli- chen Gesamtkalorien wird auf etwa 40 Prozent geschätzt.

2.1.5 Eiweißzufuhr

Der Eiweißbedarf ist bei Diabeti- kern außer während des Wachs- tums, in der Schwangerschaft sowie Rekonvaleszenz nicht erhöht. Eine tägliche Eiweißzufuhr von 1,0 bis 1,5 Gramm pro Kilogramm Sollgewicht reicht zur Deckung des Eiweißbe- darfs aus.

Diese Eiweißmenge entspricht ei- nem Anteil von etwa 15 bis 20 Pro- zent der täglichen Gesamtkalorien.

Aus energetischen Gründen sollte der oft hohe Fettanteil eiweißhalti- ger Nahrungsmittel besondere Be- achtung finden.

2.1.6 Alkoholzufuhr

Beim Konsum alkoholischer Geträn- ke müssen außer den bekannten to- xischen Effekten insbesondere bei Diabetikern folgende mögliche Wir- kungen berücksichtigt werden:

O der relativ hohe Energiegehalt (1 Gramm Alkohol gleich 7,1 Kcal),

(i)

der häufig relativ hohe Kohlenhy- dratanteil in Alkoholika und

die Hemmung der hepatischen Glukoneogenese durch Alkohol mit der Gefahr möglicher Hypoglyk- ämien.

3. Energetisch angepaßte Diät bei Typ-Il-Diabetes

Durch die engen ätiologischen Be- ziehungen zwischen Überernäh-

rung, Adipositas und Typ-Il-Diabetes wird deutlich, daß hier die Gewichts- reduktion im Vordergrund aller diät- therapeutischen Maßnahmen stehen muß.

Ziel der Kalorienrestriktion und Nor- matisierung des Körpergewichts" ist die Steigerung der Insulinempfind- lichkeit durch eine Zunahme der Re- zeptorenbindung, um so den beste- Ausgabe NB DEUTSCHES ARZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 23 vom 11. Juni 1982 41

(4)

12°° 14°°

1700

800 1000

Glisoxepid/Gliquidone 42,0 ± 6,0 g Kh 18,0 ± 6,0 g Kh

42,0 ± 6,0 g Kh 42,0 ± 6,0 g Kh 19,2 ± 6,0 g Kh

43,2 ± 6,0 g Kh

27,6 ± 8,4 g Kh 27,6 ± 8,4 g Kh 200-

150-

100- 140- 120- 100- 80- 60- 40- 20- Blu tg lu kose mg /d 1 Se ru m insu lin ( IRI) µ E/m 1

Darstellung 1: Einfluß unterschiedlicher Kohlenhydratmengen zum 1. und 2. Früh- stück auf das Verhalten von Blutglukose und Seruminsulin im Tagesprofil bei 6 Typ-II- Diabetikern (nach 6)

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Diätbehandlung bei Diabetes mellitus

henden relativen Insulinmangel aus- zugleichen. Die klinische Erfahrung hat gezeigt, daß die alleinige medi- kamentöse Therapie nicht in der La- ge ist, den relativen Insulinmangel zu kompensieren und eine gute Stoffwechseleinstellung dauerhaft zu erzielen (6).

Auch zwischen Typ-Il-Diabetes und Hyperlipoproteinämien, besonders Hypertriglyzeridämien bestehen en-

ge Beziehungen (3, 20). Eigene Un- tersuchungen ergaben, daß bei Sen- kung der Triglyzeride gleichzeitig die Insulinsekretion gesenkt und die Glukosetoleranz gebessert wird (1).

Durch eine konsequente Gewichts- reduktion werden Hypertriglyzerid- ämien günstig beeinflußt (2, 10). Hy- percholesterinämien spielen jedoch bei der Manifestation eines Typ-II- Diabetes keine Rolle.

3.1 Durchführung der Diät bei Typ-Il-Diabetes

3.1.1 Reduktionsdiät für adipöse Diabetiker

Der Erfolg einer Reduktionsdiät hängt im wesentlichen von der Dau- er und dem Ausmaß der Kalorienre- striktion ab. Je niedriger die tägliche Kalorienzufuhr ist, das heißt, je mehr sich die tägliche Kalorienzufuhr vom sogenannten Istumsatz entfernt, de- sto schneller wird die Gewichtsab- nahme sein.

Mit einer Nulldiät wird also die schnellste Gewichtsabnahme zu er- zielen sein. Unter ambulanten Be- dingungen haben sich jedoch weni- ger strenge Fasten-Diäten bewährt, etwa die tägliche Zufuhr von 800 bis 1500 Kalorien.

Am zweckmäßigsten wird die Re- duktionsdiät sein, die hinsichtlich ihrer geschmacklichen Zusammen- setzung und der Einfachheit und Zu- verlässigkeit ihrer Zubereitung eine genügend lange Therapiedauer möglich macht.

Die diättherapeutische Erfahrung hat gezeigt, daß schematische, ein- seitige Kostverordnungen, die den individuellen Verhältnissen nicht an- gepaßt sind, immer nur zeitlich be- grenzt eingesetzt werden und für ei- ne lange Behandlung wenig geeig- net sind.

Alle übrigen in Tabelle 2 zusammen- gestellten Diätregeln sind beim übergewichtigen Typ-Il-Diabetiker von untergeordneter Bedeutung, ab- gesehen von einer notwendigen Fettmodifikation bei gleichzeitig be- stehender Hyperlipoproteinämie.

3.1.2 Erhaltungsdiät für

normgewichtige Typ-Il-Diabetiker Liegt Normgewicht vor, so hat sich zur Erhaltung des Ernährungszu- standes die Kalorienzufuhr an den Erhaltungskalorien (Istkalorien plus Arbeitsumsatz) zu orientieren, um eine Gewichtsänderung zu verhin- dern. Die täglichen Gesamtkalorien 42 Heft 23 vom 11. Juni 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES A.RZTEBLATT Ausgabe A/B

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e

.4. 4.

4 4. -

Ar

Beob.-Tage 1 8 16 24 32 40 48 56 72 88 106 122 138 154 170 186 202 wer -1000

-2000 -3000 -300 14

0

0 _ 700 -200

:\

45 -en -100

800r

E -0

KH

F E

• —stationär ambulant--'

-0 Aceton -82 im Harn -.5 -76 TG(mmo1/1) 79

e - 73 Chol (mg/100 ml) 016 79 HS (mg/100 ml) 0

1,22 1,7 73 200 131 131 145

3,93 8,26 6.71 3,27

A.Z. d 35 Jahre Diab.-Dauer: 3 Wo Bauarbeiter: 174 cm ldeal-Gew.: 70 kg Soll.Kal.: 3100/24h

0,82

24 E. Depot Insulin s. c.

1. Tag 54 42 I 36 36 48

2. Tag 96 I 72 t 72

Darstellung 2: Diättherapie eines fettleibigen Patienten mit dekompensiertem Diabetes. TG = Trigylceride im Serum, Chol = Cholesterin im Serum, HS = Harnsäure im Serum

Darstellung 3: Blutglukose-stabilisierender Effekt durch Verteilung der täglichen Kohlenhydratmenge auf 6 im Vergleich zu 3 Mahlzeiten bei einem Typ-I-Diabetiker

Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 23 vom 11. Juni 1982 43

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Diätbehandlung bei Diabetes mellitus

werden auf die Nährstoffe Kohlenhy- drate, Fette und Eiweiß im Verhältnis 40 Prozent:40 Prozent:20 Prozent verteilt.

Von allen Blutzuckerwerten im Ta- gesprofil liegt in der Regel der 10- Uhr-Wert ein bis zwei Stunden nach dem ersten Frühstück am höchsten.

Durch Umstellung der Kohlenhy- dratmengen beim ersten und zwei- ten Frühstück gelingt es häufig, die Blutzuckerspitze um 10 Uhr auszu- gleichen (Darstellung 1).

Tabelle 3: Möglichkeiten der Diätberatung

3.1.3 Effekte der Diättherapie

Trotz Einsicht in die Notwendigkeit kalorienrestriktiver Maßnahmen und Beweis der blutzuckersenkenden Ef- fizienz von Reduktionsdiäten sind die diättherapeutischen Langzeiter- gebnisse bei adipösen Typ-Il-Diabe- tikern unbefriedigend.

Dies führt häufig beim Patienten, aber auch beim behandelnden Arzt zu diättherapeutischer Resignation.

Dennoch sollen im folgenden einige Effekte aufgezählt werden:

3.1.3.1 Remissionen

Als Beispiel wird die klinisch häufig zu beobachtende Remission bei ei- nem 35jährigen Diabetiker mit Erst- manifestation angeführt (Darstel- lung 2). Bei Aufnahme in die Klinik war der neuentdeckte Diabetes mel- litus ketotisch entgleist. Die Blutglu-

kose lag im Tagesprofil über 300 mg/

dl, die Glukosurie betrug etwa 100 g/

die, und es bestand eine Acetonurie.

Wegen des Übergewichts von 13,8 Kilogramm wurde Gewichtsnormali- sierung mit zunächst einer 1000- Kalorien-Reduktions-Diät und an- schließender Null-Diät erreicht.

Hierunter normalisierte sich der ent- gleiste Stoffwechsel, gefolgt von ei- ner anhaltenden und eindrucksvol- len Remission des klinischen Diabe- tes bei Übergang auf eine Kalorien- bilanzierte Diät.

3.1.3.2 Sulfonylharnstoff/Insulin- Spareffekt

Auf den Insulin- beziehungsweise Sulfonylharnstoff-sparenden Effekt haben Kunkel und Mitarbeiter (9) eindrucksvoll hingewiesen. Ähnli- che Beobachtungen haben eigene Untersuchungen bei Typ-Il-Diabeti- kern ergeben, bei denen durch eine Gewichtsreduktion von durch- schnittlich 6,7 Kilogramm (gleich 8,1 Prozent des Ausgangsgewichtes) in 7/12 Fällen eine partielle oder voll- ständige Regeneration der Beta- Zellfunktion beobachtet wurde (7).

3.1.3.3 Einwirkungen auf Fettstoffwechsel

Neben den Effekten auf den Koh- lenhydratstoffwechsel hat die Ge- wichtsreduktion auch einen günsti- gen Einfluß auf den Fettstoffwechsel (2, 10, 12). Kalorienrestriktion führt

zu einer Senkung der Hypertrigly- zeridämien. Hypercholesterinämien lassen sich diätetisch durch Reduk- tion gesättigter und Bevorzugung ungesättigter Nahrungsfette sowie der Einschränkung des Nahrungs- cholesterins beeinflussen (17).

4. Stoffwechsel-stabilisierende Diät bei Typ-I-Diabetes

Steht bei der Diättherapie des Typ-II- Diabetes der Kalorien-bilanzierende Aspekt im Vordergrund, so spielt beim fast immer normgewichtigen Typ-I-Diabetes der stabilisierende Effekt der Diät die entscheidende Rolle.

Die Stoffwechsel-stabilisierende Wirkung wird durch eine zeitliche Abstimmung zwischen Insulin- injektion und Kohlenhydratzufuhr einerseits und durch eine Verteilung der Kohlenhydrate nach Art und Menge andererseits versucht.

Unregelmäßige Essenszeiten, unter- schiedlich große Einzelmahlzeiten, falsche Abstimmung mit muskulärer Arbeitsleistung sind bei diesem Dia- betestyp eine wesentliche Ursache für labile Blutzuckerschwankungen.

Besonders vorteilhaft hat sich zur Stabilisierung des Blutzuckerverhal- tens die Verteilung der Kohlenhy- dratmenge auf viele kleine Einzel- mahlzeiten erwiesen (Darstellung 3).

Insbesondere bei abendlicher Insu- lininjektion ist eine Spätmahlzeit vor dem Schlafengehen erforderlich, um nächtlichen Hypoglykämien vor- zubeugen. Die unterschiedliche Be- wertung von Regeln bei der Diätthe- rapie zwischen Typ-1- und Typ-Il-Dia- betes sind in der Tabelle 3 darge- stellt.

4.1 Durchführung

Zunächst wird der Energiebedarf aus der Summe von Grundumsatz- kalorien plus Arbeitsumsatz be- stimmt. Anschließend werden die Gesamtkalorien auf die drei Haupt- nährstoffe Kohlenhydrate, Fett und o Das ärztliche Gespräch am Anfang jeder Diätberatung

Die technische Individualberatung durch die Diätassistentin/Ernäh- rungsberaterin

Der Gruppenunterricht für eine zeitsparende Unterweisung in den theoretischen Grundlagen der Diät

Die Gruppenübung mit praktisch diätetischen Übungen

O Die Schulungsveranstaltung, zum Beispiel durch den Deutschen Diabetiker-Bund in Verbindung mit erfahrenen Diabetologen/Ernäh- rungsberaterinnen

44 Heft 23 vom 11. Juni 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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Eiweiß im Verhältnis 40 Prozent :40 Prozent :20 Prozent verteilt. Diese Nährstoffrelation wird trotz neuerli- cher Diskussion über höhere Koh- lenhydratanteile gegenwertig noch von fast allen deutschen Diabetes- Zentren vertreten. In der Praxis müs- sen die Nährstoffrelationen häufig adaptiert werden. So wird eine kalo- rienreiche Kost relativ fettreich und eiweißarm, eine Reduktionsdiät fett- arm, jedoch relativ eiweißreich sein.

4.2 Probleme und Effekte

Trotz ärztlicherseits befriedigender Berücksichtigung aller Diätregeln gelingt es nicht immer, eine Stabili- sierung des Stoffwechsels zu errei- chen. Die Ursachen eines labilen Diabetes sind multifaktoriell und können in diesem Zusammenhang nicht behandelt werden. Nicht auf- geklärte Diätfehler gehören jedoch an die Spitze aller Möglichkeiten, zum Beispiel durch ungenügende Diätkenntnisse und Schulung des Patienten, durch eine ungenügende diätetische Einstellung, unzurei- chende Kontrolle, zeitlich und quan- titativ unregelmäßige Nahrungsauf- nahme, zu wenige oder zu große Mahlzeiten mit starken Schwankun- gen des Kohlenhydratangebots.

Häufig besteht eine ungenügende Abstimmung zwischen Insulinmen- ge, Kohlenhydratangebot und mus- kulärer Arbeitsleistung sowie starke Schwankungen der muskulären Ar- beitsleistung von Tag zu Tag, zum Beispiel an Werk- und Feiertagen.

In Fällen mit labilem Diabetes muß durch gezielte Ernährungsanamne- sen, eventuell durch Ernährungs- protokolle, nach möglichen diäteti- schen Ursachen gefahndet werden, eine ärztliche Aufgabe, die häufig zwar erkannt, leider allzuoft durch diättherapeutische Resignation er- setzt wird.

Diätplan

Jeder Diabetiker erhält einen schrift- lichen, individuellen Diätplan, in dem Angaben über Energiebedarf

und Nährstoffverteilung aufgestellt sind. Der individuelle Charakter des Diätplanes muß sich an den Erfor- dernissen des Diabetikers im Alltag orientieren.

Er stellt die theoretische Grundlage dar, die der Diabetiker in die kü- chentechnische Praxis umwandeln soll. Hierzu gehören insbesondere die Verteilung der Kohlenhydrat- mengen auf die einzelnen Mahlzei- ten in Form von Broteinheiten (BE) und die Möglichkeit, die kohlenhy- drathaltigen Nahrungsmittel gegen- einander auszutauschen. Eine Brot- einheit (BE) entspricht der Menge eines 12-Gramm-Kohlenhydrate-ent- haltenden Nahrungsmittels, zum Beispiel 25 Gramm Brot, 65 Gramm Kartoffeln oder 100 Gramm Äpfel.

Der Kohlenhydrataustausch erfolgt anhand einer Kohlenhydrataus- tauschtabelle (21) in Gruppen mit vergleichbarer Wirkung auf die Blut- glukosekonzentration.

Die BE stellt eine historische Hilfsre- chengröße dar, die sich in der Ver- gangenheit praktisch bewährt hat, dennoch immer wieder zu Diskus- sionen geführt hat (13). Der Vorteil der . BE gegenüber der prinzipiell möglichen, aber umständlichen Be- rechnung jeweiliger Grammgehalte an Kohlenhydraten ist ihre Praktika- bilität und allgemeine Verbreitung zumindest in der Bundesrepublik Deutschland. Die Verteilung von Fett und Eiweiß auf die einzelnen Mahl- zeiten im Diätplan tritt gegenüber den Kohlenhydraten an Bedeutung zurück. Fett und Eiweiß erhalten je- doch im Zusammenhang mit der Be- einflussung der Kohlenhydratver- dauung (Verpackung der Kohlenhy- drate) sowie im Hinblick auf eine Energierestriktion eine wichtige Be- deutung.

5. Motivation und Ernährungsberatung

Die Effektivität der Diättherapie hängt im besonderen von der Klar- heit der Diätverordnung, von der Einsicht in die Notwendigkeit der Diättherapie sowie von den Diät- kenntnissen des Patienten ab, insbe-

sondere von der Fähigkeit, theoreti- sche Information des Diätplans in den küchentechnischen Alltag um- zusetzen.

Eine effiziente Diätberatung erfor- dert jedoch zeitliche und personelle Voraussetzungen, die häufig in der Praxis des niedergelassenen Arztes nicht realisiert werden können. Das Frankfurter Modell, Diätassistentin- nen in der ärztlichen Praxis zu be- schäftigen, hat sich nicht allgemein durchgesetzt (14).

Vom Ernährungsberater werden ne- ben Sachkompetenz und Engage- ment vor allem Einfühlungsvermö- gen in das individuelle soziale Um- feld des Diabetikers sowie auch Rücksichtnahme auf die finanziellen und organisatorischen Möglichkei- ten gefordert. In der Regel wird der Diabetiker zu Beginn seiner Krank- heit neben der Erweiterung theoreti- schen Wissens vor allem Hilfe und Führung bei der meistens notwen- dig werdenden Änderung der Ernäh- rungsgewohnheiten erwarten. Lei- der ist häufig nur die Klinik zeitlich und personell in der Lage, ausführli- che Ernährungsberatungen in ver- schiedenen Formen (Tabelle 3) an- zubieten.

Die Erfahrung zeigt, daß die Diätbe- handlung einen größeren Aufwand als die medikamentöse Diättherapie benötigt. Dieser Aufwand erscheint jedoch gerechtfertigt und notwen- dig, denn nur durch die Realisierung einer effektiven Diättherapie und ei- nem partnerschaftlichen Verhältnis- ses zwischen behandelndem Arzt, Diätassistentin und einem geschul- ten und motivierten Patienten wird eine dauerhafte Einstellung des Dia- betes mellitus möglich sein.

Literatur beim Sonderdruck

Anschrift für die Verfasser:

Privatdozent Dr. med. Herbert Drost Medizinische Klinik

Städtisches

Ferdinand-Sauerbruch-Klinikum Arrenberger Straße 20-56 5600 Wuppertal 1

Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 23 vom 11. Juni 1982 47

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