• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Häusliche Gewalt erkennen und verhindern: „Pflege heißt Krise“" (23.01.2009)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Häusliche Gewalt erkennen und verhindern: „Pflege heißt Krise“" (23.01.2009)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A118 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 4⏐⏐23. Januar 2009

G

ewalt ist noch zu oft ein Tabu- thema“, erklärte die parlamen- tarische Staatssekretärin im Bundes- ministerium für Gesundheit (BMG), Marion Caspers-Merk, kürzlich beim internationalen Symposium „Gewalt macht krank – Herausforderungen an das europäische Gesundheits- system“ (DÄ, Heft 48/2008). Auf Einladung der Weltgesundheitsorga- nisation, der Bundesärztekammer und des BMG erörterten Expertin- nen und Experten verschiedener eu- ropäischer Nationen Strategien, um dem Gesundheitsrisiko Gewalt mit neuen Lösungsansätzen begegnen zu können. Sie waren sich einig dar- über, dass eine Qualifizierung aller Gesundheitsberufe sowie eine inter- disziplinäre Zusammenarbeit nötig sind, damit Gewalt als Ursache von Gesundheitsproblemen wahrgenom- men und dagegen vorgegangen wird.

Um auf das Thema „Gewalt ge- gen alte, pflegebedürftige Menschen“

aufmerksam zu machen, veranstal- teten vor Kurzem der Menschen- rechtsausschuss der Ärztekammer

Berlin und der Berliner Arbeitskreis Pflege eine Fortbildung für Ärzte, pflegende Angehörige und Pflege- kräfte. Zwei Drittel aller pflegebe- dürftigen Menschen werden nach Angaben von „Pflege in Not“, der Berliner Beratungs- und Beschwerde- stelle des Diakonischen Werks bei

Konflikt und Gewalt in der Pflege, zu Hause versorgt, meist von nahen Angehörigen. Ohne darauf vorbe- reitet oder dafür ausgebildet zu sein, übernehmen vor allem Ehefrauen, Töchter und Schwiegertöchter die Pflege der Betroffenen, zunehmend aber auch Ehemänner und Söhne.

HÄUSLICHE GEWALT ERKENNEN UND VERHINDERN

„Pflege heißt Krise“

Angehörige zu Hause zu pflegen, ist anstrengend und kann zu Übergriffen führen.

Hilfe bieten Dienste wie die Berliner Beratungs- und Beschwerdestelle „Pflege in Not“.

RAT VOR ORT

Im Internet findet man eine Vielzahl von Hinweisen auf örtliche Beratungs-, Be- schwerde- und Schlichtungsstellen zum Thema Pflege. Was sie genau anbieten, muss man vor Ort klären. Hier drei Links als Beispiele:

cDas Berliner Projekt „Pflege in Not“ steht allen offen: ob Gepflegten, pflegenden Angehörigen, Ärzten oder Nachbarn. Angeboten werden telefonische Beratun- gen, persönliche Gesprächstermine, Mediation und Vermittlungsgespräche in Einrichtungen, Fortbildung und Supervision für in der Pflege Tätige. Weitere Infos: www.pflege-in-not.de.

cEinige Beschwerde- und Schlichtungsstellen Pflege, wie die beim Seniorenamt Nürnberg, stellen Tätigkeitsberichte ins Netz. „Ein zentrales Problem ist nach wie vor die mangelnde Kommunikation der Beteiligten“, heißt es im jüngsten Bericht. Weitere Infos: www.senioren.nuernberg.de/beratung/beschwerde.

cIm Juni hat sich der Verein „Wir pflegen – Interessenvertretung begleitender Angehöriger und Freunde in Deutschland“ gegründet. Weitere Infos: www.

wir-pflegen.net.

P O L I T I K

Foto:Photothek

Geduld, Zeit, Freude aneinander – schön wäre es.

Frauen und Männer, die dauerhaft Angehörige pflegen, sind stattdessen oft überfordert. Ärzte sollten deshalb darauf achten, was mit ihren pflegebe- dürftigen Patienten geschieht.

(2)

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 4⏐⏐23. Januar 2009 A119

P O L I T I K

Für wie lange, ist meist nicht ab- sehbar. Durchschnittlich beträgt die Zeitspanne etwa zehn Jahre.

Die große körperliche und seeli- sche Nähe zwischen Pflegenden und Gepflegten kann zu Aggressio- nen führen, weil nicht verarbeitete Beziehungskonflikte aufbrechen und Angehörige durch die Pflege über- fordert werden. Sie fühlen sich häu- fig alleingelassen damit, den Spagat zwischen den Bedürfnissen der ei- genen Familie und den Anforderun- gen der Pflege zu meistern.

In der Folge könne Gewalt ent- stehen, erklärte die Projektkoordi- natorin von „Pflege in Not“, Gabrie- le Tammen-Parr, während der Fort- bildung. Die Sozialpädagogin und Mediatorin berichtete aus ihrer langjährigen Beratungspraxis, etwa von jener Frau, die sagte: „Manch- mal kann ich meinen Mann einfach nicht mehr sehen, dann muss ich raus aus der Wohnung, und er bleibt lange allein.“ Oder vom Anruf der Mitarbeiterin einer Sozialstation, die um Unterstützung bat: „Frau Müller, die ich betreue, hat einige kahle Stellen am Kopf. Die alte Frau gibt an, dass die Schwiegertochter sie an den Haaren reiße, wenn ihr Sohn nicht zu Hause sei.“

Konflikte, Druck? Schnell den Pflegedienst gewechselt

Aktuelle Daten zu Ausmaß, Ursa- chen und Ausprägung von Gewalt gegen pflegebedürftige Familien- angehörige in Deutschland lägen nicht vor, so Tammen-Parr. Doch Experten zufolge gehören neben direkter körperlicher Gewalterfah- rung Vernachlässigung beziehungs- weise ein missbräuchlicher Einsatz von Medikamenten, zum Beispiel um zu Pflegende ruhigzustellen, zu den häufigsten Formen, die die Opfer erleben.

So schilderte Dr. med. Martin Warnach, Ärztlicher Leiter des Ber- liner Wichernkrankenhaus – Evan- gelisches Johannesstift, dass in ei- nem Fall der Sohn und gesetzliche Betreuer seiner pflegebedürftigen, von einem Schlaganfall schwer be- troffenen Mutter vorsätzlich das verordnete Antiepileptikum nicht gab – warum, blieb unklar. Mitar- beiter der mit der Pflege beauftrag-

ten Sozialstation fanden sie mehr- mals im postiktalen Status vor. Als sie nicht mehr weiterwussten, infor- mierten sie das Vormundschaftsge- richt. Am Ende wechselte der Sohn den Pflegedienst. „Das geschieht in solchen Situationen häufig“, weiß Warnach. So lassen sich Konflikte besser verschleiern.

Nach Warnachs Kenntnis wen- den sich Misshandelte auch nur sel- ten an Außenstehende. Denn sie könnten manchmal nur noch schwer sprechen und seien häufig sozial isoliert. Ein weiterer Grund sei die Angst, dass ihre Angehörigen dann den Kontakt und damit die häusli- che Pflege beenden könnten. Des- halb sei es für Außenstehende schwierig, zutreffende Auskünfte über Vernachlässigung und Miss- handlung zu erhalten.

Tammen-Parr verwies auf einen weiteren Aspekt der nicht vernach- lässigt werden dürfe: dass pflege- bedürftige Menschen Machtmittel

einsetzen wie mangelnde Wert- schätzung, Essensverweigerung oder gezieltes Einkoten. Damit wollen sie pflegende Angehörige verletzen beziehungsweise bestrafen. Des- halb plädierte Tammen-Parr dafür, besser keine Opfer-Täter-Begriffe zu verwenden. In der Pflegesitua- tion könnten diese Rollen stündlich wechseln.

Ärzte sollten das Pflegeklima aufmerksam beobachten

„Pflege heißt Krise“, betonte die Expertin. Stets müsse man sich von Lebensentwürfen und Träumen ver- abschieden, wenn etwa der Partner nach einem Schlaganfall pflegebe- dürftig sei und der Alltag nur noch von seinen Bedürfnissen bestimmt werde. Oder wenn der Bruder die pflegebedürftige Mutter nicht ein- mal dann betreue, wenn die pflegen- de Schwester erkrankt sei. Ge- spräche könnten helfen, mit Hoff- nungen und Wünschen abzuschließen oder Konflikte aufzuarbeiten.

Wie aber können Ärzte erkennen, dass sich Konflikte zwischen Pfle- genden und Gepflegten entwickeln und Vernachlässigung beziehungs- weise Gewalt stattfindet? Die Teil- nehmer der Fortbildung verständig- ten sich darauf, dass vor allem Hausärzte, professionelles Pflege- personal und Fachkräfte im ambu- lanten Bereich aufmerksam das Pflegeklima beobachten sollten. Of- fensichtlich überforderte Pflegende solle man ansprechen und mit dem Hinweis auf Hilfs- und Beratungs- möglichkeiten, wie zum Beispiel in Berlin „Pflege in Not“, informieren.

Ärzte könnten als Vertrauens- und Autoritätspersonen signalisieren, dass sie um die Problematik häusli- cher Gewalt in der Pflege wissen. In der Praxis ausgelegtes Informati- onsmaterial weise darauf hin, dass das Thema dort nicht tabu sei.

Als vorteilhaft gelten zudem gute Kontakte zwischen Ärzten und An- bietern wie beispielsweise ambu- lanten Pflegediensten. Gelegentlich böten sich zur Vermittlung und zum Schutz der Betroffenen institutions- übergreifende Einzelfallbesprechun- gen an, betonten die Fortbildungs-

teilnehmer. n

Ulrike Hempel

LITERATURTIPPS

c„Gesundheit im Alter“ – Texte und Materialien der Bundesärztekam- mer zur Fort- und Weiterbildung (1998). Im Kapitel „Misshandlung und Gewalt gegen alte Men- schen“ wird ausführlich geschil- dert, warum es für Ärzte oft schwierig ist, das Problemfeld richtig abzuschätzen.

c„Gesundheitliche Folgen von Ge- walt unter besonderer Berück- sichtigung von häuslicher Gewalt gegen Frauen“, Robert-Koch-Insti- tut, Berlin, 2008, Heft 42. Enthält Ergebnisse nationaler und inter- nationaler Forschung zum Thema sowie Beispiele zum erfolgreichen Umgang mit Gewaltbetroffenen.

c„Gewalt in der Pflege“, Diakoni- sches Werk Berlin-Brandenburg- schlesische Oberlausitz, 2008.

Bezugsstelle: Diakonisches Werk, Telefon: 0 30/82 09 72 03, Schutzgebühr: 3,50 Euro. Der Ratgeber enthält unter anderem einen Fragebogen für Menschen, die entscheiden müssen, ob sie einen Angehörigen pflegen wollen oder nicht.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Wichtig ist es, ohne Vorurteile auf den Menschen mit Demenz zuzugehen, seine Handlungen haben nichts mit der Person gegenüber zu tun.. Maßnahmen und Methoden zur Unterstützung

Georgen im Ferienland Schwarzwald hat eine neue Wohnanlage fertiggestellt und damit ihr Angebot „Urlaub für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige“ gezielt erweitert. Auf

Was sicherlich im Vordergrund steht, ist, dass man den Willen des zu pflegenden, alten Menschen respektieren soll und das heißt ja nicht immer nur das Altersheim, sondern wenn

Spritzwasserschutz nach IPX4, hochwertiges Spiralkabel mit Zugentlastung und Knickschutz sowie SMPS Steckertrafo mit Schutzkleinspannung.. domiflex 2

Wir von LEBEN - PFLEGE - DIGITAL, dem Kompetenzzentrum Pflege 4.0, zeigen auf, welche Chancen und Herausforderungen Ihnen digitale Technik bietet?. Ebenso informieren wir Sie

Für diese Verarbeitung sowie zur Offenlegung personenbezogener Daten von Teilnehmern zwischen dem Bildungshaus und entsendender Einrichtung sowie an Dritte

Es wurde erkannt, dass neben der positiven Wirkung einer Auszeit von der Pflege, auch Information, sowie psychische und soziale Unterstützung für pflegende Angehörige

Die Referen- tin stellte hierbei auch die Studiener- gebnisse des Modellprojektes zur Sensibilisierung und Qualifizierung von Fachkräften im Gesundheitswe- sen für das Thema