Mein klinischer Lehrer, PhD. Dr.
med. W. Caspar, entwickelte 1979, basierend auf den Vorarbeiten von Smith und Robinson, Bailey und Bad- gley und Orozco aus den 50er Jahren, die nach ihm benannte Operations- technik der internen Stabilisierung ventraler autologer Knochenspanfu- sionen an der Halswirbelsäule mittels ventraler Trapezplattenosteosynthese und ebenfalls das dazu erforderliche Instrumentarium. Ferner erarbeitete er die Indikationen für diese Technik, die von Traumen über degenerative Er- krankungen, Tumoren, Revisionsein- griffe, entzündliche Prozesse bis hin zur Korrektur von Anomalien reichen und die heute als allgemein gültig und ver- bindlich angesehen werden.
Das Verfahren hat sich rasch in der Halswirbelsäulenchirurgie sowohl von orthopädischer als auch von neurochir- urgischer Seite etabliert, wozu eine ho- he Fusionsrate sowie eine Herabset- zung fusionsbedingter und auch Op- technischer neurologischer Komplika- tionsraten auf ein bis dato nicht er- reichbares Minimum beitrugen. Be- sonders bei Instabilitäten nach Korpo- rektomien ist es ein sicheres und wenig belastendes Verfahren, das eine hohe Initialstabilität (biomechanisch nach- gewiesen) und in der Regel eine orthe- senfreie Nachbehandlung ermöglicht.
Gerade deshalb empfiehlt es sich für Patienten mit tumorösen Destruktio- nen der Halbwirbelsäule, die ja meist vom Halswirbelkörper ausgehen. Die Fallzahl von 19 Patienten (inzwischen über 30) erklärt sich durch eine strenge Indikationsstellung, die die Lokalisati- on des Krankheitsprozesses und insbe- sondere das Op-Verfahren berücksich- tigt: Bei einem Dorsalbefall der knöchernen Strukturen ist ein dorsales Vorgehen (Laminektomie und gegebe- nenfalls dorsale, zuggurtende Stabili- sierung, gegebenfalls ein ventro-dorsa- ler Eingriff) indiziert. Diese Fälle wur- den aber in der vorliegenden Arbeit bewußt ausgespart, da wir die Technik, Ergebnisse und Komplikationen des ausschließlich ventralen Zuganges mit Korporektomie, Wirbelkörperplastik und Trapezplattenosteosynthese für dieses spezielle Patientenkollektiv in einer Studie erarbeiten wollten.
Den Angaben des Kollegen Dr.
Bode möchten wir unsererseits etwas Entscheidendes hinzufügen: Wir kön- nen keineswegs zustimmen, daß
„Operationen bei Patienten mit kom- pletter motorischer Querschnittläh- mung sinnlos sind“ und daß man in Fällen „besonders rasch progredien- ter und disseminierter Malignome nicht mehr operieren sollte“. Dagegen spricht, daß nicht wenige eben dieser Patienten bei Destruktionen der Hals- wirbelsäule unter heftigsten, ganz im Vordergrund stehenden Lokalsyndro- men leiden, die in der Regel konserva- tiv nicht oder nur unzureichend thera- pierbar sind. Gerade solche Patienten profitieren von einer solchen Operati- on, auch wenn hiermit keine signifi- kante Lebensverlängerung, geschwei- ge denn eine Heilung, allenfalls ein kurzzeitiger Aufschub möglich, dafür jedoch eine deutliche Verbesserung der „Lebensqualität“ erzielbar ist.
Das zeigt sich in der erstaunlichen Tat- sache, daß keiner unserer Patienten postoperativ Opiate mehr benötigte!
Die nicht operative Alternative be- stünde bei solchen instabilen Destruk- tionen zusätzlich zur Schmerztherapie in einer permanent externen Immobi- lisation, entweder durch Schädellang- zeittraktion oder eine Halo-Weste, was zu einer weiteren drastischen Ein- schränkung der Lebensqualität im letzten Lebensabschnitt und zu einer Verschlechterung der Möglichkeiten stationärer und/oder ambulanter Pfle- ge (Lagerung) führt. Abgesehen da- von sollte es das Ziel sein, die Patien- ten zu einem möglichst frühen Zeit- punkt zu diagnostizieren und zu be- handeln, bevor eine komplette Quer- schnittlähmung eingetreten ist. Das erfordert eine erhebliche Aufklä- rungsarbeit hinsichtlich Frühdiagno- stik, die sich jedoch lohnt: In den letz- ten drei Jahren ist bei uns kein Patient mehr mit einer kompletten Quer- schnittlähmung zur Operation vorge- stellt worden.
Vor Publikation dieser Arbeit ha- ben wir selbstverständlich eine aus- führliche Medline-Research durchge- führt (Schlüsselworte: spinal neo- plasms, cervical vertebrae adult), und zwar mit folgendem Ergebnis: Ins- gesamt gibt es sehr wenige Arbei- ten einschließlich der – nicht geliste- ten – Doktorarbeit des Kollegen Bo-
de (die wir gerne zitiert hätten, wenn sie denn einen wissenschaftlichen Im- pakt über den Augsburger Raum hin- aus gehabt hätte) die über Patienten- kollektive von über 20 Fällen mit die- ser Erkrankung berichten können.
Unsere Arbeit hebt sich von anderen Publikationen durch ein sehr langes Follow-up (bis zu 12 Jahren) und die Tatsache ab, daß über den gesamten Zeitraum von 1980 bis 1996 die glei- che Operationsmethode, die gleichen Implantate und die gleichen Prinzipi- en zur Nachbehandlung zur Anwen- dung kamen und somit sowohl ein ho- mogenes Patientenkollektiv als auch eine identische operative Behand- lungsmethode angewandt wurden.
Dadurch ist die Zielsetzung unserer Arbeit, nämlich die Dokumentation des Nutzens der ventralen Korporek- tomie, Knochenspan- oder PMMA- Plastik plus interner Trapezplatten- stabilisierung darzulegen, voll er- reicht worden. Neu – und damit der bisherigen allgemeinen Ansicht und der Literatur widersprechend – ist der erbrachte Beweis in unserer Arbeit, daß für den Ersatz eines tumorös be- fallenen Wirbels kein autologer oder homologer Knochen verwendet wer- den dürfe, da dieser, bedingt durch die anschließende Strahlenbehandlung, nicht knöchern integriert würde. Das Gegenteil ist der Fall: Wir hatten so- gar den Eindruck, daß unter der Strahlenbehandlung eine besonders rasche und knöchern stabile Einhei- lung des Implantats erfolgt. Diese es- sentiellen, von den meisten bisheri- gen Arbeiten abweichenden Ge- sichtspunkte scheinen dem Studienei- fer des Kollegen Bode entgangen zu sein.
Letztlich wäre noch anzumerken, daß eine aktualisierte Version dieser Arbeit mit 30 Patienten in Zusam- menarbeit mit einer US-amerikani- schen Klinik von einem renommier- ten amerikanischen wissenschaftli- chen Journal zur Veröffentlichung an- genommen wurde.
Literatur bei den Verfassern Dr. med. Tobias Pitzen
PhD. Dr. med. Wolfhard Caspar Neurochirurgische Klinik der Universitätskliniken des Saarlandes 66421 Homburg/Saar
A-423
M E D I Z I N DISKUSSION
Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 8, 20. Februar 1998 (51)