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Archiv "Erstaunliche Fortschritte durch Frühförderung" (07.11.1991)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

KONGRESSBERICHTE

Erstaunliche Fortschritte durch Frühförderung

Down-Syndrom-Symposium in Berlin, Januar 1991,

zu Diagnostik

und therapeutischen Hilfen

M

an möge sich doch endlich und endgültig auf die Bezeichnung

„Down-Syndrom" oder „Trisomie 21" im medizinischen Alltag und in der Fachliteratur einigen. Vereinzelt in Fachbüchern immer noch ge- bräuchliche Definitionen wie „mon- goloide Idiotie" oder „Mongolismus"

seien irreführend und stellten für die Betroffenen und deren Eltern, An- gehörige und andere eine unerträgli- che psychologische Bürde und Stig- matisierung dar.

Diese allseits akklamierte Fest- stellung wurde auf einem Exper- tentreffen zum Down-Syndrom an der Universitätsfrauenklinik, Berlin- Charlottenburg, des FU-Klinikums Rudolf Virchow getroffen. Veran- stalter war die Stiftung für das behin- derte Kind zur Förderung, Vorsorge und Früherkennung (Frankfurt am Main). Die Leitung der Tagung, die der komplexen medizinischen und sozialpädagogischen Gesamtproble- matik des Down-Syndroms breiten Raum widmete, lag bei Prof. Dr. Joa- chim Wolfram Dudenhausen (Abt.

Geburtsmedizin, FU-Klinikum Ru- dolf Virchow/Charlottenburg). Er

wies darauf hin, daß gerade die For- schung der letzten Jahre erstaunli- che Erkenntnisse zur Entstehung und Therapie des Down-Syndroms, aber auch zur pädagogischen Früh- förderung des Down-Kindes er- bracht habe. Die bloße Diagnose

„Down-Syndrom" sage noch nichts über die Überlebenschance und das Ausmaß der Erkrankung und geisti- gen Retardierung aus.

Derzeit kommt es unter 750 Le- bendgeburten auf einen Fall von Down-Syndrom. Die Letalitätsrate bei Down-Kindern liegt bis zum 5.

Lebensjahr bei etwa 50 Prozent. Nur knapp acht Prozent werden älter als 40 Jahre.

Während man ursprünglich — so auch der große Pathologe Rudolf Virchow — an eine vererbbare Krank- heit glaubte, wird man durch die Ge- netik und ihr Wissen zur Trisomie 21 eines anderen belehrt. Autosomale Aberrationen treten in 90 Prozent der Fälle in Form einer spontanen Non-disjunction in der ersten oder zweiten Meiose-Phase auf und ha- ben kein erhöhtes Wiederholungsri- siko. Dies berichtete Prof. Dr. Eber- hard Schwinger (Institut für Human- genetik, Universität Lübeck). Anders ist dies bei der Translokationstriso- mie 14-21, bei der eines der drei Chromosomen 21 mit einem Chro- mosom 14 verschmilzt. Hier besteht ein relativ hohes Wiederholungsrisi- ko von etwa 13 Prozent. Dieses Wie- derholungsrisiko ist bei der Translo- kationstrisomie 21-21 nicht gegeben, da sie fast immer spontan auftritt.

In drei Prozent aller Down-Fälle liegt eine Mosaiktrisomie vor, das heißt, im Down-Kind können sowohl Zellen mit normalem als auch mit fehlerhaftem Chromosomensatz

festgestellt werden. Je höher der An- teil normaler Zellen, desto besser ist die Entwicklungsprognose einzu- schätzen. Prof. Schwinger forderte nachdrücklich, beim Down-Kind eine sorgfältige und umfassende Diagno- stik durchzuführen. Es genüge nicht, nur einzelne Zellen auf überzählige Chromosomen 21 zu untersuchen, sondern es müsse eine intensive Dia- gnostik an vielen Zellen betrieben werden, um eindeutig eine Mosaiktri- somie aufzuspüren und ihren Umfang darzulegen. Ihr Vorliegen ist für die Prognose von entscheidender Bedeu- tung und erlaubt von Anfang an, dem Kind die individuell auf seinen Fall zu- geschnittene optimale medizinische und pädagogische Hilfe zukommen zu lassen.

Hoch ist die Zahl chromosomal verursachter Fehlgeburten. Sie liegt bei annäherend 50 Prozent. Diese Ra- te gibt jedoch keinen Hinweis für den Einfluß auf spätere Geburten und da- bei eventuell neuerlich auftretende chromosomale oder sonstige Fehlbil- dungen.

Lange Zeit war man der Auffas- sung, das Risiko des Down-Syndroms steige mit höherem Alter sowohl der Mutter (über 35 Jahre) als auch des Vaters (über 50 Jahre). Forschungen der American Society of Human Ge- netics wiesen jedoch eindeutig nach, daß in 95 Prozent der Fälle das über- zählige Chromosom 21 von der Mut- ter und nur in fünf Prozent vom Vater stamme.

Die Ursachenforschung beim Down-Syndrom steckt derzeit inter- national noch immer in den Kinder- schuhen. Weltweit rund 150 sehr wi- dersprüchliche, untereinander kaum vergleichbare Studien mit unter ande- rem eigenwilligen Ergebnissen (zum Beispiel Väter mit dem Berufsbild Hausmeister, Mechaniker oder Bauer zeigen ein erhöhtes Down-Risiko) be- weisen, daß derzeit nur der Risikofak- tor „Alter der Mutter" wirklich gesi- chert ist.

Prof. Dr. hum. biol. Konrad Hans Selbmann (Universität Tübingen) er- A-3848 (66) Dt. Ärztebl. 88, Heft 45, 7. November 1991

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läuterte, bei Müttern über 45 Jahren bestehe ein rund 20fach höheres Down-Risiko als bei Müttern im Alter zwischen 30 und 34 Jahren. Ist die Mutter zwischen 20 und 25 Jahre alt, so ist mit einem Down-Kind auf 1500 Geburten zu rechnen. Bei einem müt- terlichen Alter von 35 bis 40 Jahren entfällt ein Down-Kind auf etwa 280 Geburten; über 45 Jahre ein Down- Kind auf 20 bis 60 Geburten. In den al- ten Bundesländern hat sich zwischen 1978 und 1988 die Geburtenrate ins- gesamt um 17 Prozent erhöht. Dabei zeigt sich die Verschiebung zu einem

Vorgeburts-Diagnostik

Daß die antenatale Diagnostik im Einzelfall zwar sehr aussagefähig sein könne, letztlich aber doch nur ein Hin- weisfaktor für die eigentliche Fähr- tensuche sei, wurde von den Referen- ten mehrfach betont. So lassen sich über pränatale sonographische Un- tersuchungen in 75 Prozent der Down-Fälle eine bis vier Auffälligkei- ten wie starkes Nackenpolster, verän- dertes Gesichtsprofil, Herzfehler und Nierenmißbildungen gut erkennen, dennoch bleibt es für hochgefährdete Frauen bei der Unabdingbarkeit inva- siverer Diagnostik wie Amniozentese und Chorionzottenbiopsie.

Die Alphafetoprotein-Diagnose aus dem Serum der Mutter vermag als nicht-invasive Methode etwa ein Vier- tel bis ein Drittel aller Down-Fälle aufzudecken. Gleichzeitig wird man.

die Konzentration der Schwanger- schaftshormone (HCG und El) be- stimmen. Ist AFP erniedrigt und die Konzentration der Schwanger- schaftshormone verändert, so ver- dichtet sich der Verdacht eines Down- Syndroms. Die AFP-Bestimmung in ein generelles Screening-Programm aufzunehmen, wäre nach Auffassung von Prof. Dr. Hans Weitzel (FU-Frau- enklinik Berlin-Steglitz) wegen der relativ guten Aussagefähigkeit und Einfachheit der Methode als durch- aus sinnvoll anzusehen. Derzeit willi- gen etwa 40 Prozent der schwangeren Frauen über 35 Jahre in die Durchfüh- rung einer invasiveren pränatalen Diagnostik ein. Als wünschenswert

höheren mütterlichen Alter bis 39 Jahre. Dagegen nahmen Geburten durch Mütter über 40 Jahre um 16 Prozent ab. In praxi allerdings werden mehr als zwei Drittel aller Down-Kin- der von Müttern unter 35 Jahren ge- boren, da Frauen dieser Altersstufe generell die meisten Kinder erwarten.

Trotz dieser Tatsache sei es jedoch be- sonders wichtig, gerade Frauen der höchsten Risikogruppe über 35 Jahre nachdrücklich zu einer umfassenden pränatalen Diagnostik zuzuraten, oh- ne aber unschlüssige Frauen zu derar- tigen Maßnahmen zu überreden.

wurde in diesem Zusammenhang an- gesehen, die Amniozentese nicht erst durchschnittlich in der 14. bis 16. SSW vorzunehmen, sondern wesentlich früher; denn im Hinblick auf einen möglichen Schwangerschaftsabbruch sei das Risiko eines mittels Prosta- glandingabe vorgenommenen Ab- bruchs in der 20. SSW um 19mal höher als mittels Saugkürettage in der 8.

SSW. Die bundesweite Schwanger- schaftsabbruchstatistik zeigt, daß 1977 in vier Prozent der Fälle wegen kindlicher Anomalien (eugenische Indikation) ein Abbruch durchge- führt wurde, 1988 nur noch in 1,2 Pro- zent. Im Hinblick auf das Down-Syn- drom erscheint diese Tendenz durch- aus logisch, da den Betroffenen heute eine Vielzahl medizinischer, insbe- sondere auch operativer, ferner päd- agogischer und sozialer Hilfsangebo- te zur Verfügung stehen.

Neue Förderungschancen

Das Symposium zum Down-Syn- drom gab neben medizinischen Ex- perten auch Sozialpädagogen und Psychologen umfassende Zeit, über ihre Erfahrungen zur Förderung von Down-Kindern in Familie, Kinder- garten, Schule und Beruf zu sprechen.

Eine 1987 aufgenommene Studie von Frau Prof. Dr. Hellgard Rauh (In- stitut für Entwicklungspsychologie, FU Berlin) ergab bislang, daß beim Down-Kind die physische und psychi- sche Entwicklung um etwa 50 Prozent langsamer voranschreitet als beim ge-

sunden Kind gleicher Altersstufe.

Dieser Reifungsprozeß in langsamen Schritten endet dafür wesentlich spä- ter oder stagniert — entsprechende Förderung vorausgesetzt — gar nicht.

Die Entwicklungsunterschiede zei- gen dabei eine gegenüber gesunden Kindern ungleich weitere Streubreite zwischen gravierender geistiger Re- tardierung sowie lebenslangen Defizi- ten und fast normalem Entwicklungs- zustand.

Sozialpädagogen des Kinderzen- trums München berichteten über er- staunliche Erfolge bei sorgfältiger Anwendung der nach dem Leitsatz

„Hilf mir, es selbst zu tun" aufgebau- ten Montessori-Pädagogik. Die frühe, schon in den ersten Lebensjahren ein- setzende umfassende geistige und körperliche Förderung ohne Uberfor- derung führt bei Kindern mit weniger schwer ausgeprägter Symptomatik dazu, daß sie kleine Aufgaben im Fa- milienalltag selbständig ausführen, geordnetes Sprechen, Lesen, Schrei- ben und Rechnen erlernen, in beson- ders günstigen Fällen, sofern behörd- lich genehmigt, sogar Regelschulen besuchen können und vereinzelt sogar eine zweisprachige Erziehung erfolg- reich abschließen.

Insgesamt wurde die Erziehung von Down-Kindern als relativ einfach geschildert, da sie als besonders freundlich, verschmust, liebevoll und arglos gelten. Lediglich während der Pubertät kann es im Falle eines inte- grativen Unterrichts vereinzelt zu se- xuellem Fehlverhalten gegenüber dem anderen Geschlecht kommen, zu dem sie geradezu aufdringlich und sehr arglos Kontakt suchen.

Als Erwachsene können Men- schen mit Down-Syndrom vielfach in geschützten Wohngemeinschaften, geschützten Werkstätten oder in ein- fachen Berufstätigkeiten ein annä- hernd normales und selbständiges Le- ben führen.

Dr. Barbara Nickolaus Garystraße 63

W-1000 Berlin 33 Dt. Ärztebl. 88, Heft 45, 7. November 1991 (69) A-3849

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