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Archiv "Transition: Fort von Cinderella und Pinocchio" (22.04.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 16

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22. April 2011 A 891

T H E M E N D E R Z E I T

TRANSITION

Fort von Cinderella und Pinocchio

L

aura ist 20 Jahre alt, wünscht sich ein Baby und möchte zu Schwangerschaft und Geburt bera- ten werden. So lapidar wie ihr An- liegen scheint, ist es jedoch nicht.

Denn Laura leidet an zystischer Fi- brose (CF), einer autosomal rezes- siv vererbten Erkrankung, aufgrund derer früher nur sehr wenige Patien- ten das junge Erwachsenenalter er- reichten. Doch wer soll sie beraten und therapeutisch begleiten? Soll sie weiterhin im Wartezimmer ihres Pädiaters mit den Cinderella- und Pinocchio-Bildern an den Wänden Platz nehmen? Oder einen Internis- ten aufsuchen? Vielleicht auch nur einen Gynäkologen?

Laura ist kein Einzelfall: Mittler- weile haben sich die Lebenserwar- tung und der Gesundheitszustand von vielen CF-Patienten erheblich verbessert. Während 1980 nur knapp zwei Prozent 18 Jahre oder älter wurden, erreichten dem Deut- schen CF-Register zufolge im Jahr 2007 49 Prozent das 18. Lebens- jahr. Neugeborenen CF-Kindern wird eine Lebenserwartung von 50 Jahren prognostiziert. Verbesser- te Therapien gibt es auch in der pädiatrischen Endokrinologie und Kinderkardiologie. 85 Prozent der jungen Patienten mit rheumatoider Arthritis, kongenitalen Vitien, Stoff - wechselerkrankungen oder Immun-

defekten erreichen heute das Er - wach senenalter. „Der rasante medi- zinische Fortschritt führt gerade in der Kinder- und Jugendmedizin zu eindrucksvollen Therapieerfolgen.

Viele Kinder mit komplexen, meist chronischen Gesundheitsproblemen können heute das Erwachsenenal - ter erreichen“, bestätigte Prof. Dr.

med. Fred Zepp, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugend medizin.

Defizite im internationalen Vergleich sichtbar

Dem Thema „Transition – Spezielle Versorgungsanforderungen an die medizinische Betreuung im Über- gang vom Kindes- und Jugendalter zum Erwachsenenalter“ widmete sich deshalb ein Symposium der Bundesärztekammer Ende März in Berlin, das im Rahmen der Förder- initiative der Bundesärztekammer zur Versorgungsforschung veran- staltet wurde.

Doch wie können die jungen Pa- tientinnen und Patienten der päd - iatrischen Subdisziplinen optimal in die Erwachsenenmedizin integriert werden? Momentan gilt noch: Je komplexer die pädiatrischen Krank- heitsbilder sind, desto eingeschränk- ter sind die Überleitungsmöglich- keiten. Die Experten beim BÄK- Symposium waren sich einig: Die

Transition, also der geplante Über- gang von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen mit chronischen Er- krankungen von einer kindzentrierten zu einer erwachsenenzentrierten Ge- sundheitsversorgung, steckt hierzu- lande noch in den Kinderschuhen.

Dabei ist das Problem nicht un- wesentlich: „Betroffen sind jähr- lich 800 000 Kinder und Jugendli- che, davon etwa 120 000 Patienten mit chronischen Erkrankungen, de- nen ein Verlust an Betreuung und eine Verschlechterung ihres Gesund- heitszustands droht“, betonte Prof.

Dr. med. Martin Reincke, Direk- tor der Klinik für Innere Medizin der Ludwig-Maximilians-Universi- tät München. „Wir sind nicht auf Transition vorbereitet. Es ist an der Zeit, dass sich Fachgesellschaften und Berufsverbände intensiv mit dieser Problematik beschäftigen.“

Schwierigkeiten bei der Überlei- tung von der Kinder- zur Erwachse- nenmedizin bestehen zum einen auf der Patientenebene. Problematisch ist für viele Jugendliche der Wech- sel vom vertrauten Kinderarzt und von seinem Behandlungsteam zum unbekannten Internisten, der sich anderer Behandlungs- und Betreu- ungskonzepte bedient und oftmals auch eine „andere Sprache“ spricht.

Hinzu kommen altersspezifische Probleme der jungen Erwachsenen:

Kinder und Jugend - liche mit schweren chronischen Erkran- kungen erreichen immer häufiger das Erwachsenenalter.

Ihr Wechsel von der Pädiatrie ins „Erwachsenen- Gesundheitssystem“

ist jedoch für alle Beteiligten mit Problemen behaftet.

Foto: Superbild

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22. April 2011 Sie befinden sich in der „Abnabe-

lungsphase“ und orientieren sich beruflich und privat im Leben neu.

Deutlich wird dies gerade am Beispiel zystische Fibrose. „Der le- gitime Wunsch des Heranwachsen- den nach Autonomie steht häufig im Konflikt mit den Anforderungen der zeitaufwendigen Therapie“, be- richtete Prof. Dr. med. Burkhard Tümmler, Pädiater an der Medizi - nischen Hochschule Hannover. So nähmen die Compliance und die Lungenfunktion der CF-Kinder beim Übergang in die Adoleszenz deutlich ab. Erst ab dem 25. Le- bensjahr erreichten sie wieder Wer- te wie vor der Pubertät. „Die Über- gabe der Betreuung an den Erwach- senenarzt sollte dieser Tatsache Rechnung tragen, um zu verhüten, dass die volljährig gewordenen Pa- tienten jahrelang keine CF-Ambu- lanz aufsuchen“, betonte Tümmler.

Auch völlig neue Fragestellun- gen müssen beachtet und zur Er- krankung in Beziehung gesetzt wer- den. So sind Partnerschaft, Familie und Kinder mittlerweile für CF- Patienten genauso wichtige The- men wie für andere junge Erwach- sene. In der Tat können abhängig vom individuellen Gesundheitszu- stand CF-Patientinnen wie Laura Kinder bekommen, ohne dass grundsätzlich mit einer Verschlech- terung der Lungenfunktion zu rech- nen ist. Allerdings sind Entschei- dungen in diesem Bereich durch die chronische Erkrankung erschwert.

Für Laura stehen auf der einen Seite das Bedürfnis nach Normali- tät, nach Anerkennung als vollwer- tige Frau und das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung durch ein Kind. Auf der anderen Seite gibt es für die junge Frau aber auch viele Gründe, die gegen eine Schwanger- schaft sprechen, wie die einge- schränkte Belastbarkeit und die ver- kürzte Lebenserwartung.

Gute Transitionsmodelle sind bislang Einzelfälle

Um Antworten auf Fragen, wie Laura sie stellt, zu finden und sie optimal medizinisch zu betreuen, wäre eine interdisziplinäre Versor- gung in einer Spezialambulanz am geeignetsten, meinte Tümmler. Dort könnten die krankheitsspezifische Kompetenz gebündelt und eine al- tersgerechte Versorgung angeboten werden. Doch solche Zentren gibt es nur an wenigen Standorten in Deutschland. Weil Anschlussstruk- turen fehlen, werden viele Patienten bis ins höhere Erwachsenenalter in den pädiatrischen Strukturen wei- terversorgt – auch wenn die Finan- zierung unsicher ist.

Andererseits können aber auch die behandelnden Ärzte und Ärz - tinnen selbst den Transitionspro- zess behindern. „Erwachsenenme- dizinern“ mangelt es zum Teil an Erfahrung mit früher rein pädiatri- schen Krankheitsbildern und auch an Erfahrung im Umgang mit den Jugendlichen und jungen Erwach-

senen. Gleichzeitig ist ihr Aus- tausch mit den pädiatrischen Kol - legen zu gering. Hinzu kommen strukturelle und finanzielle Proble- me, wie wechselnde Ambulanzärzte in der Erwachsenenmedizin und zu hohe Personal- und Sachkosten für Überleitungssprechstunden.

Zwar gibt es eine Reihe von Ini- tiativen und Projekten in diesem Bereich, doch Transition ist in Deutschland noch längst nicht flä- chendeckend etabliert. Bestehende Transitionsmodelle seien bislang vielmehr in der Mehrzahl auf das individuelle Engagement einzelner Ärztinnen und Ärzte in Zusammen- arbeit mit Patienteninitiativen zu- rückzuführen und häufig nur unzu- reichend koordiniert und vernetzt, sagte Prof. Dr. med. Peter Scriba, Vorsitzender des Wissenschaftli- chen Beirats der Bundesärztekam- mer. Zudem seien die Effekte der Konzepte nicht ausreichend evalu- iert. „Wir müssen nicht nur wissen, ob ein vorgeschlagener Ansatz ei- nen Zusatznutzen bringt, sondern auch, ob und wie eine angemessene Verbreitung der entsprechenden Ansätze erreicht werden kann“, er- klärte der Vorsitzende der Ständi- gen Koordinationsgruppe Versor- gungsforschung. Dieses Symposi- um und ein demnächst folgender Band in der Reihe zur Versorgungs- forschung zum Thema Transition sollen der Beginn einer innerärzt - liche Diskussion sein. ■ Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

Die speziellen Probleme der Versorgung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit malignen Erkrankungen standen auch bei der diesjäh- rigen Frühjahrstagung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) in Berlin im Mittelpunkt. „Internationale Studien hat- ten gezeigt, dass die Überlebensraten von 16- bis 21-Jährigen höher sind, wenn diese Patienten im pädiatrischen Bereich behandelt werden“, berichtete Prof. Dr. med. Gerhard Ehninger. „Doch dieses Phänomen konnte in Deutschland nicht bestätigt werden. Im Gegenteil, die Versor- gung von Jugendlichen innerhalb der Erwachsenenonkologie ist hierzu- lande sehr gut“, betonte der Vorsitzende der DGHO gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Der Grund für andere Ergebnisse im Ausland sei- en Versicherungsprobleme, die auftreten, wenn sich nicht ausreichend versicherte Jugendliche an Internisten wenden.

Optimal ist die Versorgung junger Krebspatienten in Deutschland dennoch auch noch nicht. „Wir haben nur sehr wenige Informationen

über den Einfluss der hormonellen Umstellung in der Pubertät auf die Krebserkrankung sowie auf die Therapie“, erklärte Prof. Dr. med. Mathi- as Freund, Sekretär der DGHO. Zudem bereite die in vielen Fällen gerin- ge Compliance der Patienten in dieser Lebensphase Probleme, da die Therapie mit der persönlichen Neuorientierung der Jugendlichen und der Ablösung vom Elternhaus kollidiere. Dringend notwendig seien des- halb mehr Angebote der psychosozialen Betreuung für diese jungen Menschen, deren Lebensentwürfe durch die maligne Erkrankung zu- nächst einmal zerstört worden seien. „Die krebskranken Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind nur eine kleine Gruppe, aber sehr be- deutsam, da viele von ihnen kurativ zu behandeln sind“, sagte Freund.

„Wir brauchen eine intelligente Zusammenführung der Daten, mög - licherweise ein Register“, erklärte Ehninger. Doch noch befinde sich die DGHO im Stadium der Bestandsaufnahme und Ideenfindung, ein Netz- werk „liege allerdings in der Luft“.

JUNGE KREBSPATIENTEN IM FOKUS

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