Prävention des Alkoholmissbrauchs bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen
(Systematisches Review)
Autoren: Korczak, Dieter.
Publikationsjahr: 2018
Institution
GP Forschungsgruppe, Berlin.
Schlagworte
Alkoholabhängigkeit, Alkoholkonsum, Alkoholmissbrauch, Jugendliche, Junge Erwachsene, Kinder, Trinkverhalten
Reviewsprache
Deutsch
Studiensprachen
Deutsch, Englisch
Lebenswelten
Hochschule, Kommune, Schule, Weitere Lebenswelten
Weitere Lebenswelten
Familie, Militär
Zielgruppen
Erwachsene, Jugendliche, Kinder
Themen
Alkoholabhängigkeit, Alkoholmissbrauch, Gesundheitskompetenz, Rauschtrinken/Binge Drinking
Geschlechter
Ohne Differenzierung
Altersgruppen
Kinder (9-12 Jahre), Jugendliche (13-17 Jahre), Junge Erwachsene (18-25 Jahre)
Interventionsstrategie
Aufbau gesundheitsfördernder Strukturen, Beratung, Empowerment, Gesetze und Verordnungen, Incentives, Mehrkomponentenintervention, Motivation, Stärkung persönlicher Kompetenzen, Stärkung sozialer Unterstützung, Training, Vernetzung, Wissensvermittlung
Reichweite
Lokal, Regional, National
Zusammenfassung (Abstract)
Einleitung: Alkoholmissbrauch durch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ist sowohl aus klinisch-medizinischer als auch sozialmedizinischer und
gesundheitspolitischer Sicht problematisch. Dabei kann sich Alkoholmissbrauch nicht nur in riskantem Trinkverhalten, sondern auch in Alkoholabhängigkeit zeigen. Die Übersichtsarbeit ermittelt und bewertet wirksame Interventionen zur Prävention von (riskantem) Alkoholkonsum bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Methode: In 15 Datenbanken wurde nach relevanten deutsch- und
englischsprachigen Studien im Publikationszeitraum von 2010 bis 2016 recherchiert.
Untersuchte Zielgruppen der Studien waren Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Es wurden verschiedene Studientypen berücksichtigt. Untersucht wurden Interventionen in Schulen (Highschools), Universitäten und Kommunen.
Ergebnisse: Als Ergebnis der Recherche wurden 71 Publikationen zu Interventionen der universellen, selektiven oder indizierten Prävention von (riskantem)
Alkoholkonsum für die Altersgruppe von zehn bis 25 Jahren eingeschlossen.
Hauptziel der Interventionen war die Reduktion des Alkoholkonsums und des
Rauschtrinkens. Über alle Studien hinweg zeigte sich eine sehr geringe Wirksamkeit der Interventionen. Nur vereinzelte Interventionen, vor allem in Bildungseinrichtungen, erwiesen sich als wirksam.
Diskussion und Fazit: Verhältnisändernde Interventionen haben stärkere Effekte als solche zur Primärprävention bzw. zur Verhaltensänderung, die nur geringe bzw.
uneinheitliche Effekte zeigen. Eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf deutsche Verhältnisse ist, insbesondere bei angloamerikanischen Studien, zu diskutieren.
Handlungsempfehlungen: Auch, wenn die Ergebnisse der betrachteten Studien uneinheitlich sind, können motivierende Kurzinformationen, personalisierte
Interventionen, computer- bzw. webgestützte Programme, familienbezogene und aus
mehreren Komponenten bestehende Programme wirksam sein. Es bedarf verstärkt Studien zur Primärprävention des Alkoholmissbrauchs in Deutschland.
Forschungsfragen
Was sind wirksame Interventionen zur Prävention von (riskantem) Alkoholkonsum bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen?
Methode
In 15 Datenbanken (Medline, BIOSIS Preview, Database of Abstracts of Reviews of Effects, Cochrane Database of systematic reviews, Cochrane Central Register of Controlled Trials, DAHTA, EMBASE, ETHMED, Global Health, German Medical Science Journal, NHS Economic Evaluation Database, PsycINFO, PSYNDEX, SciSearch, ISTB und ISTP/ISSHP) wurde nach relevanten deutsch- und
englischsprachigen Studien im Publikationszeitraum von 2010 bis 2016 recherchiert.
Zusätzlich wurde eine Handsuche nach grauer Literatur durchgeführt. Untersuchte Zielgruppen der Studien waren Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene (10 bis 25 Jahre). Eingeschlossene Studientypen waren HTA-Berichte (Health Technology
Assessment - Prozess der systematischen Bewertung medizinischer Verfahren und Technologien mit Bezug zur gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung),
systematische Übersichtsarbeiten, Metaanalysen (statistische Zusammenfassung der Ergebnisse mehrerer Studien), randomisierte kontrollierte Studien (RCT, Studien mit einer zufallsgesteuerten Zuteilung zur Interventions- bzw. Kontrollgruppe),
Outcome-Forschung (Forschung, die sich auf die Effektivität von Interventionen bezieht), Fall-Kontroll-Studien (rückblickender Vergleich von Personen mit einem (Krankheits)Merkmal mit einer geeigneten Kontrollgruppe) sowie Kohorten-Studien (Beobachtung einer großen Gruppe von Personen über eine festgelegte Zeit, die in unterschiedlicher Weise bestimmten Einflüssen ausgesetzt und nicht erkrankt sind).
Untersucht wurden Interventionen in Schulen (Highschools), Universitäten und Kommunen. In die Recherche eingeschlossene Studien mussten präventive Interventionen der universellen, selektiven oder indizierten Prävention enthalten.
Berücksichtigt wurden zudem unterschiedliche Verhaltens-, Psycho- und
Sozialtherapien. Ausgeschlossen wurden Studien mit kleinen Stichproben (n<60) sowie mit ausschließlich medikamentöser Intervention. Die Studien wurden anhand ihres Evidenzgrades (Güte der wissenschaftlichen Methodik) bewertet.
Zielgrößen
Alkoholkonsum (Menge) Trinkmuster bzw. Rauschtrinken Folgen von riskantem oder exzessivem Alkoholkonsum:
Geschwindigkeit des Alkoholkonsums, Rauschhäufigkeit, Anzahl der Trinktage,
Höchsttrinkmengen, Trinkmotive, Trunkenheitsfahrten, Unfälle durch Trunkenheit am
Steuer, Häufigkeit bei alkoholisiertem Fahrer mitzufahren, alkoholbedingte
Verletzungen, Abusus oder Abhängigkeitsdiagnose, Symptome problematischen Trinkens, Einstellungsänderungen gegenüber Rauschtrinken, alkoholbezogene Probleme, Stärke der Alkoholepisoden, Blutalkoholkonzentration, Anwendung von Alkoholvermeidungsstrategien, Bereitschaft und Absicht mit dem Alkoholkonsum aufzuhören, Einstiegsalter des Alkoholkonsums, elterliche Einstellungen zu Alkohol, Gesundheitskosten, intersektorale Kosten und Nutzen, wahrgenommene
Verfügbarkeit und Bezugsquellen von Alkohol, Selbstwertgefühl, familiäre Konflikte, alkoholbezogene Kriminalität, Notfallaufnahmen.
Ergebnisse
Bei der Recherche wurden 617 Publikationen ermittelt, von denen 71 in die
Auswertung eingeschlossen wurden. 42 Studien untersuchen universelle, 16 selektive und 18 indizierte Interventionen zur Prävention des Alkoholkonsums für die
Altersgruppe von zehn bis 25 Jahren. Die Studien wurden in unterschiedlichen Lebenswelten durchgeführt:
Schulische Interventionen (13 Studien) Interventionen an Hochschulen (29 Studien) Familienbasierte Interventionen (7 Studien) Studien mit aus mehreren
Komponenten bestehenden Interventionen in Schule sowie Familie (8 Studien) Kurzinterventionen auf Notfallstationen in Krankenhäusern (10 Studien)
Gemeindenahe Interventionen (4 Studien) Kurzinterventionen beim Militär (Schweizer Rekruten, 3 Studien).
Über alle Lebenswelten hinweg zeigten sich nur geringfügige bis keine Effekte der Interventionen. Die Interventionen „Lieber schlau, als blau“, „Unplugged“ und „Saluda“
in Schulen konnten positive Effekte auf das Problem- bzw. Rauschtrinken
nachweisen. In den Lebenswelten College und Universitäten führten persönliche Kontakte langfristig zu signifikant geringerem und seltenerem Alkoholkonsum bei Erstsemestern als computergestützte Interventionen. Bei den familienbasierten
Interventionen war lediglich das „Strengthening Families Program“ zur Reduktion des Rauschtrinkens bei alkoholbezogenen Problemen in ärmeren ländlichen
Bevölkerungsgruppen wirksam. Einige wenige aus mehreren Komponenten
bestehende Interventionen konnten als wirksam ermittelt werden, u. a. die „Resilient Families Intervention“ zur Reduktion des Alkoholkonsums und des Rauschtrinkens.
Interventionen mit motivierenden Kurzinterventionen in Notaufnahmen von Krankenhäusern bzw. bei schweizerischen Rekruten zeigten keine signifikanten Effekte. Auch die untersuchten gemeindebasierten Interventionen blieben
wirkungslos.
Limitationen
Die Mehrzahl der eingeschlossenen Studien stammt aus dem angloamerikanischen
Raum. Dies lässt die Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse aufgrund der
Unterschiede im College- und Universitätssystem sowie bei gesetzlichen Regelungen problematisch erscheinen.
Diskussion und Fazit
Interventionen zur Primärprävention und zu Verhaltensänderung haben zumeist geringe bzw. uneinheitliche Effekte. Eine Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse ist problematisch. Daher müssen verstärkt deutsche Alkoholprogramme bzw.
Interventionen evaluiert werden. Angesichts der nur in wenigen Studien gefundenen, zumeist geringen und/oder kurzfristigen Effekte stellt sich die Frage, ob die mit
Präventionsprogrammen oft verbundenen erheblichen Aufwendungen
gesundheitspolitisch vertretbar sind. Mehrheitlich positive Wirkungen zeigen
Multikomponenteninterventionen, gekoppelt aus schulischen und familienbasierten Interventionen, sowie familienbasierte Interventionen allein. Zwar sind die
Effektstärken gering, doch kann die Schulung von Eltern zu einem späteren Einstiegalter in den Alkoholkonsum und zu einer Reduzierung von
Rauscherfahrungen führen.
Handlungsempfehlungen
Verhältnissteuernde Maßnahmen, z. B. Steuer- und Preiserhöhungen,
Verkehrskontrollen und Kontrollen des Verkaufspersonals, Einschränkung der Verfügbarkeit und der Werbemöglichkeiten für alkoholische Getränke sollten eine hohe Effektivität aufweisen. Motivierende Kurzinformationen, personalisierte
Interventionen, computer- bzw. webgestützte Programme, familienbezogene und aus mehreren Komponenten bestehende Programme können wirksam sein. Studien zur Primärprävention sowie Alkoholprogramme bzw. -interventionen sollten in
Deutschland verstärkt evaluiert werden.