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ie Kassenärztliche Bundes- vereinigung hat die Forde- rung des Bundesministers fürArbeit und Sozialordnung und der
„Sozialpartner" nach
zusätz- lichen kostendämpfenden Maß- nahmen zu Lasten der geltenden Honorarverträge zurückgewiesen.Bundesarbeitsminister Dr. Nor- bert Blüm hatte sich Anfang Sep- tember mit Vertretern des Deut- schen Gewerkschaftsbundes, der Deutschen Angestellten-Gewerk- schaft und der Bundesvereini- gung der Deutschen Arbeitgeber- verbände zu einer Aussprache ge- troffen, die unter anderem in der Forderung nach weiterer Kosten- dämpfung im ambulanten Bereich der sozialen Krankenversiche- rung gipfelte. Wenige Tage zuvor, am 30. August, hatte der Bundes- arbeitsminister die Spitzenver- bände der Krankenkassen, die Kassenärztliche Bundesvereini- gung sowie die Kassenzahnärzt- liche Bundesvereinigung zu einer Aussprache „über die besorgnis- erregende Ausgabenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversi- cherung" eingeladen. Schon bei dieser Gelegenheit hatte die Kas- senärztliche Bundesvereinigung etwaige Eingriffe in geltende Ver- träge strikt abgelehnt.
Nach jüngsten vom Bundesar- beitsminister vorgelegten Berech- nungen haben sich die Ausgaben- zuwächse in allen Leistungsberei- chen der gesetzlichen Kranken- versicherung (GKV) dramatisch erhöht: für ärztliche und zahnärzt- liche Behandlung je + 7,3 v. H., Arzneien aus Apotheken + 6,3 v. H., stationäre Behandlung + 7,1 v. H., Zahnersatz + 11,8 v. H., Heil- und Hilfsmittel + 14,3 v. H. Die Summe aller Ausgaben liegt im ersten Halbjahr 1984 um 8,1 v. H.
je Mitglied höher als im Vorjahres- zeitraum. Gleichzeitig hat sich der Grundlohnzuwachs abge- schwächt (+ 3 v. H.); die Einnah- men sind lediglich um 0,6 v. H. ge- stiegen. Letzteres ist durch die zum 1. Januar 1984 erfolgten Bei- tragssenkungen vieler Kranken- kassen zu erklären.
Kann der derzeitige hohe Ausga- benüberhang in der gesetzlichen Krankenversicheung nicht kurzfri-
stig abgebaut werden, sind Bei- tragserhöhungen für das Jahr 1985 unvermeidlich. Genau dieses darf aber nach Auffassung des Bundesarbeitsministers nicht ge- schehen, zumal Beitragssatzan- hebungen in der Rentenversiche- rung wohl unausweichlich er- scheinen.
Von daher müßten — so der Parla- mentarische Staatssekretär im BMAuS, Stefan Höpfinger — alle erdenklichen Gegenmaßnahmen ergriffen werden, um eine nach- haltige Kostendämpfung in der gesetzlichen Krankenversiche- rung zu erreichen. Unter Hinweis auf die Empfehlung der Konzer- tierten Aktion im Gesundheitswe- sen vom März 1984 forderte Mini- sterialdirektor Jung die Kranken-
Im Visier:
Die veranlaßten Leistungen
kassen auf, wegen unvertretbarer Mengenentwicklung unverzüglich in Verhandlungen mit den Körper- schaften der Ärzte und Zahnärzte zwecks Revision der laufenden Verträge einzutreten. Ohne Revi- sion keine Beitragssatzstabilität, lautete seine Devise.
Die Vertreter der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung in der Gesprächsrunde lehnten Revi- sionsverhandlungen entschieden ab. Zum einen, weil die Zahlensi- tuation für den ambulanten kas- senärztlichen Sektor noch unsi- cher ist; bislang liegen für das zweite Quartal lediglich Trend- meldungen vor, und die vertrag- liche Fallwertbegrenzung wird sich erst nach Jahresablauf aus- wirken. Zum anderen kämpft der ambulante Sektor seit Jahren mit einer zunehmenden Zahl an Kas- senärzten und den daraus resul- tierenden Schwierigkeiten, ohne bisher entscheidende Hilfe sei- tens der Politik erhalten zu haben.
Allein im ersten Halbjahr 1984 ha- ben sich nahezu 2000 Kassenärz- te neu niedergelassen!
Im übrigen darf die Diskussion um die Ausgabenzuwächse nicht nur unter ökonomischen, sondern muß in erster Linie unter medizini- schen Gesichtspunkten geführt werden. Will man die niedergelas- senen Kassenärzte weiterhin zur aktiven Mitwirkung in der Kosten- dämpfungspolitik gewinnen, muß ihnen ein „Hoffnungsschimmer"
aufgezeigt werden: Niemand läßt sich tatenlos durch eine Berufsan- fängerlawine wirtschaftlich über- rollen.
Mit dieser Argumentation fand die KBV nicht nur Unterstützung auf Kassenseite, sondern auch Ver- ständnis beim Bundesarbeitsmini- sterium. Es wurde zugesichert, das Thema Arztzahl in all seinen Facetten ausgiebig diskutieren zu wollen, ja es wurde die Meinung des Ministeriums dahingehend formuliert, daß kurzfristig etwas geschehen müsse, um den Zu- strom an Ärzten in die kassenärzt- liche Versorgung zu drosseln. Im Zusammenhang mit den anste- henden Beratungen zur Änderung der kassenärztlichen Bedarfspla- nung eine wichtige Aussage!
Im kassenärztlichen Bereich geht es — auch nach Auffassung der Krankenkassen — in erster Linie um die Beeinflussung der veran- laßten Leistungen. Die Aufwen- dungen für Heil- und Hilfsmittel sind im ersten Halbjahr 1984 um sage und schreibe + 14,3 v. H. je Mitglied emporgeschnellt. Trotz Nachholbedarf ist dies eine kaum zu erklärende Zuwachsrate, die — so wird argumentiert — „den Ver- dacht einer unwirtschaftlichen Versorgung in sich berge."
Tatsächlich ist letztere Entwick- lung besorgniserregend. Und mehr Sparsamkeit bei der Verord- nung von Leistungen scheint drin- gend angebracht. Ein entspre- chender Hinweis an die Kassen- ärzte geschieht schließlich zu de- ren Schutze. Entweder verschär- fen die Kassen die Gangart bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung — wozu sie in der Diskussion aufgefordert wurden — oder sie üben entspre- chenden Druck bei den in Kürze anstehenden Honorarverhandlun- gen auf die ärztlichen Verhand- lungsführer aus. EF/EB Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 38 vom 19. September 1984 (21) 2687