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EINLEITUNG. Südindische Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts rietberg.ch. Eine Kulturinstitution der Stadt Zürich

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EINLEITUNG

rietberg.ch Eine Kulturinstitution der Stadt Zürich

E D K K N A

1 7 . 0 3 . 2 0 2 1 – 1 5 . 0 8 . 2 0 2 1

Südindische Malerei des 17. und

18. Jahr hunderts

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EINLEITUNG

DEKKAN

Südindische Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts

Der Dekkan zählt neben dem Mogulreich und Rajasthan zu den grossen eigenständigen Kunstgebieten Indiens. Berühmt ist vor allem seine Malerei – seien es Buchillustrationen, Einzelblätter oder Ragamala-Serien.

Bis zur vollständigen Unterwerfung Südindiens durch den Mogulkaiser Aurangzeb Ende des 17. Jahrhunderts bestimm- ten fünf Dynastien – u.a. jene von Bijapur und Golkonda – die Geschicke des dekkanischen Hochplateaus. Sie waren die direk- ten Erben des Bahmani-Sultanats (14.–16. Jahrhundert). Nach ihrem Sieg über das benachbarte Königreich von Vijayanagara in der Schlacht von Talikota 1565 entwickelte sich ein «Goldenes Zeitalter», das rund 120 Jahre währte. Die Integration des Dekkan ins Mogulreich von 1687 bis 1724 bildete nur eine kurze Phase, in der die Malerei weiterhin blühte. 1724 spaltete sich die Ver- waltungsprovinz Dekkan vom Mogulreich ab und ging im Fürsten- tum Hyderabad auf, das bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts bestehen bleiben sollte.

Über Jahrhunderte stand der Dekkan – oder grosse Teile davon – unter der Herrschaft muslimischer Fürsten. Muslimisch geprägt war auch die städtische Kultur, während die Landbevölke- rung überwiegend hinduistisch war. Dennoch herrschte kein religiöser Separatismus – ganz im Gegenteil. Auch die Bevölkerung selbst war stark gemischt. Ein reges Hin und Her war die Regel – mit Zuwanderern aus anderen Regionen Indiens, dem Mittleren Osten und Ostafrika. Der Dekkan war, wenn man so will, bereits

«global», als es diesen Begriff noch gar nicht gab.

Diese Vielfalt findet ihren Widerhall auch in der Malerei.

Das Resultat ist eine so faszinierende wie stilistisch uneinheitliche Kunst, die es der Forschung nicht immer einfach macht.

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EINLEITUNG Die Sammlung des Museums Rietberg umfasst rund 60 Werke, von denen hier ein grosser Teil zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert wird. Die Ausstellung zeichnet die dekkanische Malerei- geschichte von 1600 bis 1800 in drei Kapiteln bzw. Räumen nach:

Raum 1 ist dem 17. Jahrhundert gewidmet mit den Zentren Bijapur, Golkonda und Norddekkan sowie der mogulischen Übergangszeit.

Raum 2 behandelt das 18. Jahrhundert mit der Malerei aus Aurangabad und Umgebung sowie dem Fürstentum Hyderabad und seiner Hauptstadt, danach folgt ein Ausblick auf die Malerei im Süddekkan (Wanaparthy und Mysore).

Raum 3 steht ganz im Zeichen dekkanischer Ragamala-Serien.

Die konzentrierte Analyse zweier Ragamala-Szenen beschliesst die Ausstellung.

Caroline Widmer (Indische Malerei) und Axel Langer (Mittlerer und Naher Osten)

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Ausstellungsräume Indische Malerei Park-Villa Raum 1

20 2

21

12 13

14 11 15 10

18 4

19 3

17 5

16 6

1

9 8 7

Raum

Ausstellungsräume Indische Malerei Park-Villa Raum 1

1

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1 Dekkanische Malerei im 17 . Jahrhundert

Die höfisch-dekkanische Malerei zeichnet sich durch eine grosse Offenheit für fremde Motive und Techniken der persischen und mogul- indischen Malerei aus. Vermittelt wurden die Kenntnisse einerseits durch reisende Künstler wie Farrukh Beg, einem persischstämmigen Maler, der um 1600 am Mogulhof tätig war, bevor er für die Fürsten von Bijapur arbeitete oder Muhammad ‘ Ali, der ihm vorausgegangen war. Später gelang- ten verstärkt Werke aus dem safavidischen Iran und aus Nordin- dien in den Süden.

Doch die dekkanischen Künstler waren nicht nur empfänglich für fremde Ideen. Ihre Werke prägten ihrerseits die Kunst ihrer Nachbarn – oder die Maler wurden direkt für diese tätig. Zu nennen ist hier bspw. Muhammad Khan, der für Sultan Muhammad ‘ Adil Shah (reg. 1627–1656) in Bijapur tätig war und später am Hof des persischen Schah ‘ Abbas II. (reg. 1644–1666) nachweisbar ist. Bekannter noch ist Rahim Dakkani, der sehr wahrscheinlich in den späten 1680er-Jahren in Isfahan arbeitete.

Dekkanische Züge und Motive finden sich aber auch in der Mogul- malerei des 17. und verstärkt des 18. Jahrhunderts. Selbst die frühe Pahari-Malerei in den Punjab-Hügeln am Fuss des Himalaya nahm zu Beginn des 18. Jahrhunderts dekkanische Motive auf.

Von der Forschung schon immer stark beachtet ist die Malerei in Bijapur: Die fast 50-jährige Herrschaft von Sultan Ibrahim ‘ Adil Shah II. (reg. 1580–1627) gilt bis heute als «Goldenes Zeitalter». Ibrahim ‘ Adil Shah selbst trat als Musiker und Dichter in Erscheinung, verband in seinen Werken die islamische und die hinduistische Gedankenwelt und versuchte, die besten Künstler an seinen Hof zu ziehen. Die Malerei seiner Zeit zeichnet sich durch einen grossen Lyrismus aus. Dies wird offensichtlich im Vergleich zu dem oft beschworenen «Realismus» der Mogulmalerei.

RAUM 1

Mogulreich

Ahmadnagar

Bijapur

Golkonda Norddekkan

Aurangabad

Bijapur Goa

Bidar Golkonda Hyderabad

(6)

RAUM 1

Persischer und mogulischer Kunst noch stärker zugetan waren die Fürsten von Golkonda. Ihre Maler standen von Beginn an in einem regen und konstanten Austausch mit dem Iran: Einerseits nahmen die Golkondaer Künstler persische Modelle auf, andererseits inspirierten ihre Arbeiten Maler in Isfahan. Ab 1640 jedoch began- nen sie sich zunehmend mit Themen, Stilen und Techniken der Mogulmalerei auseinanderzusetzen. Dazu zählen u.a. die Porträt- malerei und eine Neigung zu leicht getönte Pinselzeichnungen.

Der Golkondaer Stil ist im Vergleich zu Bijapur «robuster», gelegen- tlich mit einer Prise Ironie und Exzentrik.

Die «fürstlichen Malereischulen» enden mit der voll- ständigen Unterwerfung Bijapurs 1686 und Golkondas 1687 durch Aurangzeb. Es folgt eine Zeit des Übergangs unter mogulischer Vorherrschaft, in der sich eine Art freier Kunstmarkt entwickelt mit ehemaligen und neuen Akteuren. Diese Transition endet 1724 mit der Gründung des neuen, vom Mogulreich unabhängigen, Fürsten- tums von Hyderabad.

3 Ein Shāhnāma für den Fürsten von Bijapur

Sultan Ibrahim ‘ Adil Shah II. (reg. 1580–1627) ein grosser Bücher- freund und bessass eine Bibliothek mit mehreren Tausend Werken.

Darunter befanden sich auch illustrierte Manuskripte aus dem Iran, wie ein Sha¯hna¯ma aus dem letzten Drittel des 17. Jahrhun- derts, an dem sich die Bijapurer Maler dieses Blattes (Nr. 2) orien- tiert haben könnten. Im Grossen und Ganzen folgten die Maler des Bijapurer Buch der Könige der klassischen persischen Ikonografie.

Das heisst, die Komposition der Szenen mit den wichtigsten Per- sonen und ihren Taten beruhte auf etablierten Sha¯hna¯ma- Modellen. Stilistisch gingen die Bijapurer Maler jedoch eigene Wege. Dies wird im Vergleich mit dem Schiraser Blatt rechts von ca. 1570/80 aus unserer Sammlung (Nr. 4) deutlich:

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RAUM 1 Die Übereinstimmungen beschränken sich auf die Körperhaltung und Gestik der Figuren sowie Art und Farbgebung ihrer Kleidung.

Die Menschen sind immer gleich gross dargestellt, egal ob sie sich vorne oder hinten befinden. Ähnlich ist der Hintergrund; üblicher- weise eine felsige, karge Landschaft mit einem hohen, goldenen Horizont. Dass die Textzeilen der illustrierten Seiten von goldenen

«Wolken» eingefasst sind, geht ebenfalls auf eine Schiraser Konvention zurück. Dies gilt auch für die Vorliebe für gedämpfte Rosa- und Violetttöne. In Bijapur werden sie allerdings häufig mit satten Grün- und Orangetönen in Kontrast gesetzt.

Ganz anders ist die Auffassung der Körper: Die süd-in- dischen Maler modellieren die Gesichter mittels Schatten, ihre Felsbrocken wirken schwer und solide. Auch die Bäume sind plastischer geformt und scheinen einem natürlichen Wuchs zu folgen. Besonders typisch für Bijapur sind die feinen, häufig roten Pinseltupfen. Mit ihnen verleihen die Maler dem dunklen Laub- kleid eine haptische Qualität.

Unser Blatt zeigt eine selten illustrierte Episode:

Rechts im Bild ist Farud zu erkennen, der Bruder des iranischen Königs Kay Khusrau. Farud war mit Kay Khusraus General Tus in Streit geraten, nachdem dieser in sein Herrschaftsgebiet einge- drungen war. Im Verlauf der Auseinandersetzung sandte Tus zuerst seinen Schwiegersohn und danach seinen Sohn gegen Farud in den Kampf. Beide Male tötete Farud die jungen Männer und deren Pferde, wie hier im Bild dargestellt. Später wurde Farud von einem iranischen Soldaten in einer Schlacht erschlagen.

2 Farud tötet das Pferd eines Iraners Folio aus einem verstreuten Sha¯hna¯ma Indien, Bijapur, 1600–1610

Geschenk Eberhard und Barbara Fischer Museum Rietberg Zürich | 2016.210

(8)

RAUM 1

4 Shirin trifft Farhad im Gebirge

Aus einem Khamsa «Fünferbuch» von Nizami Iran, Schiras, um 1575

Geschenk Hans Vontobel

Museum Rietberg Zürich | RVA1015

5 Ein eigentümliches Reiterporträt

Obwohl aus ganz Indien nur gerade eine Handvoll von Sha¯hna¯ma- Handschriften oder -Fragmenten bekannt sind, war sein grösster Held, Rustam, eine wohlbekannte Figur. Das gilt auch für seine typische Erscheinung, wie sie aus zahlreichen bebilderten persi- schen Handschriften überliefert ist: Er trägt ein Wams aus Tigerfell.

Seine Lieblingswaffe ist eine Keule in Gestalt eines Tierkopfes.

Besonders auffallend ist sein Helm, der aus dem Schädel eines Leoparden angefertigt ist.

Ähnlich bekleidet präsentiert sich auch der Reiter in dem Bild rechts (Nr. 6). Da zudem vier Dämonen zu erkennen sind, glaubte man lange, das Blatt stelle den siegreichen Rustam nach dem Kampf mit dem Weissen Div dar. Der teuflische Widersacher liegt mit abgetrenntem Kopf zu Rustams Füssen, seinen Schädel trägt der kühne Held als Helmschmuck.

Allerdings wirft das Blatt einige Fragen auf, weil die Szene von den üblichen Darstellungen abweicht: In seinem Kampf gegen den Dämonenfürsten wird Rustam nie als Reiter dargestellt.

Zudem ist sein Lieblingshengst Rakhsh kein Schimmel. Schliess- lich erinnert die ganze Aufmachung an Porträts indischer Fürsten, die sich gerne hoch zu Ross malen liessen.

Dass sich ein indischer Fürst in der Gestalt eines legendä- ren Helden darstellt, ist an sich keine Seltenheit. Schwieriger ist es jedoch, den Dargestellten zu identifizieren. Einige Gründe spre- chen dafür, dass es sich um Abu’l Hasan Qutb Shah handelt, den letzten Fürsten von Golkonda, der von 1672 bis 1687 regierte.

(9)

RAUM 1 Dass sich Abu’l Hasan als «zweiten Rustam» darstellen liess,

erklärt sich vor dem historischen Hintergrund: Ähnlich wie der persische Held sah er sich von einem im Norden gelegenen

«Dämonenstaat» – in seinem Fall dem Mogulreich – bedrängt.

1687 setzte er sich gegen Aurangzeb heldenhaft zur Wehr, verlor aber am Ende seinen Kampf, sein Land und seinen Besitz. Er starb 1699 nach zwölfjähriger Gefangenschaft.

6 Reiterporträt von Abu’l Hasan Qutb Shah (?) in Gestalt von Rustam

Indien, wahrscheinlich Golkonda, 1675–1690 Legat Alice Boner

Museum Rietberg Zürich | RVI 1035

8 Ein nicht ungewöhnliches Missgeschick

Elefanten spielten – und spielen teilweise noch immer – eine wichtige Rolle in Indien. Von jeher wurden sie als Arbeits-, Parade- und Kampftiere eingesetzt. Obwohl im Grunde gutmütig, kann die peri- odisch auftretende Unberechenbarkeit von Elefantenbullen während der Musth gefährlich werden. Bei Dickhäutern in Gefangenschaft richtet sich diese jährlich auftretende Aggressivität während der Fortpflanzungsphase gelegentlich auch gegen Menschen.

Eine solch dramatische Szene schildert die Federzeich- nung links (Nr. 9) – allerdings nicht ohne Schadenfreude. Aus Angst vor dem toll gewordenen Elefanten ist der einfach gekleidete Tier- wärter in die Äste eines Baums geflüchtet. In seiner Not hat sich sein Turban aufgelöst. Der auffallend elegante Mahut versucht den wütenden Bullen zurückzuhalten, indem er ihm den Haken seines Elefantenstabs in den Schädel bohrt.

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RAUM 1

Die Darstellung eines Mahuts auf seinem rennenden Elefanten ist ein verbreitetes Thema der dekkanischen Malerei. Dies zeigt das Blatt rechts (Nr. 7), das in vielen Einzelheiten grosse Ähnlichkeiten aufweist. Der Vergleich macht auch deutlich, wie geschickt und erfindungsreich der Künstler diese Standardfigur handhabte und in einen neuen Zusammenhang stellte.

Die Elefantenattacke ist noch aus zwei anderen Gründen aufschlussreich. Es handelt sich um eine Pinselzeichnung, die durch wenige Farben – Ocker, Braun und Rot – akzentuiert ist. Diese Technik wird in Indien als nı ¯m qalam oder «Halb-Feder» bezeichnet.

Ihr Ursprung reicht in die persische Kunst zurück, wo sie gegen Ende des 16. Jahrhunderts eine Blütezeit erlebte. Über iranische Künstler, die an den Mogulhof emigrierten, gelangte die Technik nach Nordindien. Zur selben Zeit, kurz vor 1600, tauchte sie auch in Ahmadnagar im Dekkan auf, verschwand dann aber für eine Weile. Ab der Jahrhundertmitte erfreute sich die Nı ¯m-qalam- Technik in Golkonda besonderer Beliebtheit.

Ein weiteres Merkmal ist die kaum noch sichtbare Auf- schrift in Takri-Zeichen am oberen Rand. Die Takri-Schrift wurde damals nur in Nordindien, u.a. in der Pahari-Region, gebraucht.

Deshalb ist anzunehmen, dass diese Federzeichnung von Südindien in den äussersten Norden gelangt war. Neuere Studien

unter-mauern zudem eine ältere These, dass einige südindische Maler nach der Unterwerfung durch Aurangzeb in den späten 1680er-Jahren bis ins Gebiet am Fuss des Himalaya-Gebirges gezo- gen waren. Deshalb finden sich in der Pahari-Malerei auch dekka- nische Motive.

7 Elefant mit Treiber

Indien, Dekkan, 17. Jahrhundert Legat Alice Boner

Museum Rietberg Zürich | RVI1063

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RAUM 1 9 Angriff eines Elefanten

Indien, Golkonda, 1650–1700 Legat Alice Boner

Museum Rietberg Zürich | RVI1064

10 Dekkanische Malerei als Modell für Persien

Dekkanische Einflüsse lassen sich nicht nur im Norden Indiens nachweisen, sondern auch in der persischen Malerei zur Zeit von Schah ‘ Abbas II. (reg. 1644–1666). Dekkanische Künstler nahmen also nicht nur persische Stiltendenzen auf, sondern ihre Kunst wurde auch für persische Künstler zum Modell.

Exemplarisch offenbart sich dies in den Werken von Muhammad Shaykh ‘ Abbasi, der zwischen 1647 und 1683 in Isfa- han tätig war. Indien spielte in seinem Œuvre eine wichtige Rolle.

Allerdings war es nicht Shaykh ‘ Abbasi, der diese neue, dekka- nisch inspirierte Richtung in Persien lancierte. Eine zentrale Rolle kam seinem Lehrer Bahram Sofrakish zu. Soweit wir wissen, begann dieser seine Karriere im Dekkan und war gegen 1640 in Isfahan tätig. Shaykh ‘ Abbasi führte dessen Stil nicht nur weiter:

Rund die Hälfte seiner Blätter stellen Inderinnen und Inder dar oder stehen sonst in einem Bezug zur indischen Kultur. Mindes- tens in einem Fall lässt sich zudem nachweisen, dass er eine ältere Komposition aus Ahmadnagar kopierte. Schliesslich adop- tierte er die indische Manier, Perlen mit dickem Farbauftrag zu malen, wie dies am Schmuck des indischen Gesandten rechts im Bild zu erkennen ist (Nr. 11).

Bezeichnend ist die Art, wie er die Augen malte. Hierzu bediente er sich der dekkanischen Formel, das sichelförmige Augenlid weiss zu belassen. Deutlich wird dies im Vergleich mit dem Auge das Mahut in der Elefantenattacke (Nr. 9). Auch seine

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RAUM 1

Vorliebe für leicht getönte Pinselzeichnungen (nı ¯m qalam) mag mit Arbeiten aus dem Dekkan zusammenhängen. In anderen Werken Shaykh ‘ Abbasi finden sich zudem Bäume, die an den Bijapurer Stil erinnern.

Das kleine Blatt thematisiert das Zusammentreffen von Schah ‘ Abbas I. (reg. 1588–1629) mit dem von Kaiser Jahangir (reg. 1605–1627) gesandten Botschafter Khan ‘ Alam in Isfahan im Jahr 1618/19. Shaykh ‘ Abbasis Komposition beruht auf einer Darstellung des indischen Hofmalers Bishandas, der Kahn ‘ Alam auf seiner Mission begleitet hatte. Das indische Werk wurde um die Mitte des 17. Jahrhunderts mehrmals von persischen Künstlern aufgegriffen. Die Version von Shaykh ‘ Abbasi stellt jedoch eine Besonderheit dar: Es handelt sich um die Nachschöpfung eines Moguloriginals im dekkanischen Stil durch einen persischen Künstler.

11 Schah ‘ Abbas I. empfängt einen indischen Gesandten Shaykh ‘ Abbasi, wohl Isfahan, datiert 1065 H. (1654/55) Geschenk Dr. Carlo Fleischmann-Stiftung

Museum Rietberg Zürich | RVA1039

13 Die Malerei im Norddekkan

Eine der Grundaufgaben der Kunstgeschichte besteht darin, be-stimmtes Material in einen zeitlichen Rahmen zu bringen und einem spezifischen Ort zuzuweisen. Dabei bedient sie sich datierter und signierter Werke. Diese bilden zusammen eine Gruppe mit bestimmten Merkmalen: Dazu zählt ein einheitlicher Stil, bevor- zugte Themen und Motive sowie die verwendeten Techniken. Die- ses Gerüst erlaubt es dann, undatierte und unsignierte Werke zuzuordnen – oder auszuschliessen. Aufschriften und Widmungen einerseits und von den Werken unabhängige Dokumente anderer-

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RAUM 1 seits helfen zusätzlich, das entstehende Gesamtbild zu verdichten.

Für die Mogulmalerei, die an einen Hof gebunden war, wo viele signierte und datierte Werke und Schriftstücke überlebt haben, ist es verhältnismässig einfach, eine schlüssige Geschichte der Kunst zu schreiben. Schwieriger ist dies für Provinz-Fürstentümer wie jene des Dekkan, weil weniger Material vorhanden ist. Aber auch hier hat die Forschung in den letzten 100 Jahren ein tragfähiges Gerüst herausgearbeitet.

Schliesslich gibt es aber auch Werke, die sich keiner der bekannten fürstlichen Malereischulen im Dekkan zuordnen lassen. Für diese kleine Gruppe an erhaltenen Blättern, die alle aus Ragamala-Serien stammen, wurde vor rund 40 Jahren die

Benennung «Norddekkan» geprägt.

Das Blatt Bangala Raga aus einer Ragamala-Serie (Nr. 12) ist ein exemplarischer Vertreter. (Für eine ausführliche Würdigung siehe auch Nrn. 43–50 in Raum 3.) Charakteristisch ist einerseits die starkfarbene Palette sowie flach wirkende Figuren. Typisch indisch ist auch das Motiv des Asketen, der auf einem (Antilopen-) Fell sitzt und das Buch (pothi), das er in Händen hält. Ande- rer-seits fällt auf, dass sich auch Motive finden, die aus der höfisch-dekkanischen Malerei übernommen und stilistisch ange- passt wurden. Im vorliegenden Beispiel sind dies die zwei Vögel mit ihren langen Schwänzen, die an den persischen Simurgh erin- nern. In den restlichen Blättern sind dies die Ausschmückung mit (islamischen) Arabesken, die Springbrunnen oder die Reihe von Blumen oder Sträuchern am unteren Bildrand und die belebten Wolkenbänder. Die zwei letzten Motive sprechen auch für eine zeit- liche Einordnung in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts.

12 Bangala Raga

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Aurangabad, um 1675 Geschenk Emmi Maier-Meierhofer Museum Rietberg Zürich | RVI1680

(14)

RAUM 1

15 Eine Periode des Übergangs

Mit der vollständigen Unterwerfung des Dekkans 1686/87 durch Aurangzeb verschwanden nicht nur die Fürstenhäuser und ihre Werkstätten, sondern auch die entscheidenden Bezugspunkte, die für eine kunsthistorische Einordnung unabdingbar sind.

Deshalb wird die dekkanische Malerei zur Zeit der Mogulherrschaft – bis 1724 – in den meisten Fällen «Aurangabad»

zugeordnet. 1653 hatte Prinz Aurangzeb die Stadt Fatehnagar im Norden des Dekkan, die unter Mogulverwaltung stand, zu seinem Hauptsitz gemacht und in Aurangabad umbenannt. Von hier aus leitete er seine Eroberungszüge gegen Südindien. Ab 1682 diente die Stadt als Regierungssitz seines Reichs, das nun fast ganz Indien umfasste. Von 1724 bis 1763 war sie schliesslich die Haupt- stadt des unabhängigen Fürstentums Hyderabad.

In Aurangabad waren viele hochrangige Offiziere und vermögende Beamte stationiert und die Stadt zog viele Künstler aus den benachbarten Gebieten oder aus den früheren fürstlichen Werkstätten an. Es entwickelte sich eine Art «freier Kunstmarkt», auf dem viele Stile und unterschiedliche Talente zusammenkamen.

Ein gutes Beispiel für den «Aurangabader» Stil liefert das Ragamala-Blatt Nr. 14. Dekkanisch sind Details wie die üppig belaubten Bäume mit ihren erkennbaren Ästen, die malvenfarbenen Felsen, der hohe Himmelshorizont und die verschiedenen Mass- stäbe (siehe die übergrossen Seerosen). Hinzu kommt die satte Farbgebung.

Das Bild unterscheidet sich im Stil deutlich von dem norddekkani- schen Ragamala (Nr. 12). Da der Künstler mit mogulischer Kunst vertraut war (siehe den Wolkenhimmel), handelt es sich vielleicht um einen ehemaligen dekkanischen Hofmaler, der dieses – und weitere Blätter dieser unbekannten Ragamala-Serie für einen der in Aurangabad ansässigen Beamten malte.

Komplizierter liegt der Fall bei der Seite aus einem Gulsha¯n-i ‘ ishq (Garten der Liebe) (Nr. 16). Die vorliegende Illustra-

(15)

RAUM 1 tion (eine von bislang 14 bekannten Blättern) weist Stilmerkmale

aus Golkonda auf (die Gesichter, siehe auch Nr. 17) sowie Bijapur (die Bäume). Die einfache Anordnung von Vorder-, Mittel- und Hintergrund als Zickzackbewegung und die reduzierte Palette verweisen auf eine Herstellung zwischen ca. 1700 und 1725. Bislang herrscht jedoch Uneinigkeit über die geografische Zuord- nung, Hier sind weitere Informationen nötig, um das Rätsel vielleicht eines Tages lösen zu können.

14 Gambhira Ragaputra von Shri Raga Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Aurangabad, um 1670 (?) Geschenk Horst Metzger

Museum Rietberg Zürich | RVI2065

16 Manhar rettet Champavati vor dem Dämon Aus einem zerstreuten Gulsha¯n-i ‘ ishq von Nusrati Indien, Golkonda, Bidar oder Hyderabad, 1700–1725 Ankauf mit Mitteln der Stadt Zürich

Museum Rietberg Zürich | RVI857 17 Sufi-Shaykh auf einer Terrasse

Indien, Dekkan, frühes 18. Jahrhundert Ankauf mit Mitteln der Stadt Zürich Museum Rietberg Zürich | RVI1669

(16)

RAUM 1

18 Repräsentative Porträts von hohen Beamten

Bei aller kunsthistorischer Unsicherheit: Was sich über die Malerei der Übergangszeit unter Aurangzebs Herrschaft mit Sicherheit sagen lässt, ist, dass sich die Porträtmalerei bei den hohen Mogul- beamten grosser Beliebtheit erfreute. Sie liebten es, sich in «fürst- licher» Pose malen zu lassen.

Eines dieser Porträts zeigt den turkmenischstämmigen Beamten Qadir Dad Khan Lati auf der Dachterrasse eines Hauses beim Hören von Musik (Nr. 21, an der Wand). In seiner Hand hält er eine Blume – eine Geste, die im 17. Jahrhundert für Porträts von Mitgliedern der Herrscherfamilie üblich war. Damit – und mit der Musik– verweist er auf seine kulturell-geistigen Interessen.

Die Terrasse als Kulisse für ein Porträt hat ihre Vorbilder in der Mogulmalerei. Die frühesten Beispiele des «Terrassenbild- nisses» entstanden gegen 1605. Bereits um 1630 taucht es in Golkonda auf. Hier entwickelte es sich nach und nach zum Standard- typus des repräsentativen Fürstenporträts. Die Kombination mit einer darunterliegenden Veranda wie hier im Bild ist ungewöhnlich.

Das Reiterbildnis (Nr. 19) zeigt ‘ Ali Asghar Khan Bahadur hoch zu Ross. Der Adelige iranischer Herkunft diente Abu’l Hasan Qutb Shah von Golkonda. Aurangzeb ernannte ihn später zum leitenden Verwalter des Bezirks Karnatik im Südosten des Dekkan.

In diesem Reiterbildnis ist ‘ Ali Asghar bei der Falkenjagd zu sehen. Die in Tressen gelegte Mähne des Pferdes verrät moguli- schen Einfluss. Das trifft auch auf die Haltung des Pferdes zu:

Es präsentiert sich in der Levade. Die Levade ist eine «Figur» der europäischen Barockreiterei. Sie wurde durch Porträts von Velázquez und Rubens populär und gelangte über Stiche oder Ölgemälde nach Indien. In den 1660er-Jahren liess sich Aurangzeb ein erstes Mal in dieser Manier porträtieren. Etwa zeitgleich entstand im Dekkan ein ähnliches Reiterporträt, das in eine Jagdszene integriert war.

(17)

RAUM 1 Im Dekkan entwickelte sich daraus in der Folge ein eigenständi-

ger, mehrfiguriger Porträttypus wie dieses von ‘ Ali Asghar. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wirkte das dekkanische «Jagdreiter- porträt» auf die Mogulmalerei zurück, wurde aber auch in Rajasthan populär. Einen frühen Beweis liefert das Porträt von Maharana Amar Singh II. von Mewar (Nr. 20). Das kleine Heiligtum rechts hinter dem Hügel sowie die an die Nı ¯m-qalam-Technik erin- nernde Malweise bestätigen, dass sich der Maler an dekkanischen Vorbildern orientiert hat.

19 ‘ Ali Asghar Khan Bahadur zu Pferd Indien, Norddekkan, um 1700

Ankauf mit Mitteln der Stadt Zürich Museum Rietberg Zürich | RVI828

20 Maharana Amar Singh II. von Mewar reitet zum Tempel seiner Familiengottheit

Dem «Stipple Master» zugeschrieben Indien, Rajasthan, Mewar, um 1710 Legat Alice Boner

Museum Rietberg Zürich | RVI1067 21 Bildnis des Qadir Dad Khan Lati

Indien, Norddekkan, um 1700

Ankauf mit Mitteln der Stadt Zürich Museum Rietberg Zürich | RVI837

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Ausstellungsräume Indische Malerei Park-Villa Raum 2

41 33 22

23 34

35 24 36 25

39 28 40 32 38 27

37 26 30

29

31

Raum

Ausstellungsräume Indische Malerei Park-Villa Raum 2

2

(19)

RAUM 2

22 Dekkanische Malerei im 18 . Jahrhundert

Nach dem Fall von Bijapur 1686 und Golkonda 1687 wurde der Dekkan innerhalb des Mogul- reiches zu einer eigenen Verwaltungseinheit.

Aurangzeb verlegte auch die Hauptstadt des Mogulreiches in den Dekkan nach Aurangabad.

1713 ernannte Kaiser Farrukh Siyar

(reg. 1713–1719) Asaf Jah I. (1671–1748), der als Gouverneur verschiedenen Mogulherrschern gedient hatte, zum Nizam al-Mulk, «Administrator des Reiches», und damit zum Ver- walter der sechs Provinzen des Dekkan. Im Jahr 1724 begründete er die Asafjahi-Dynastie und damit das unabhängige Fürstentum Hyderabad, das bis 1948 bestand. Sein vierter Sohn Asaf Jah II. (reg. 1762–1803) verlegte den Regierungssitz um 1763 von Auran- gabad nach Hyderabad. Damit entwickelte sich die Stadt zu einem bedeutenden kulturellen Zentrum.

Mit dem Verlust der Unabhängigkeit brach für die Dekkan- Künstler das zentralistisch organisierte Mäzenatentum zusam- men. Mit der Erstarkung der regionalen Regierung unter Asaf Jah I. und seinen Nachfolgern erfuhr die Malerei jedoch wieder verstärkt höfische Förderung. Diese Situation und die Tatsache, dass

die Maler für ein breites, auch nicht-fürstliches Publikum arbeiteten, führten zu einer künstlerischen und stilistischen Vielfalt innerhalb der dekkanischen Malerei, die kunstgeschichtlich so spannend wie kompliziert ist. Geografische Zuordnungen können für diese Periode nur unter Vorbehalt vorgenommen werden.

So lassen sich, wie wir bereits gesehen haben, unter der Kategorie «Aurangabad» ganz allgemein Werke einordnen, die im Norden des Dekkan zwischen ca. 1670 und 1724 entstanden sind.

Gleichzeitig ordnen einige Experten Werke aus der Zeit nach 1700 generell «Hyderabad» zu. Allerdings wissen wir, dass z.B. in Golkonda, das nur wenige Kilometer von Hyderabad entfernt liegt, weiterhin

Mysore

Fürstentum des Nizam von Hyderabad

Mysore GolkondaHyderabad

Wanaparthy

(20)

RAUM 2

gemalt wurde. Mit Hyderabad ist häufig eben nicht nur die Stadt selbst gemeint, sondern auch das gesamte, gleichnamige Gebiet des Fürstentums. Dieses umfasste jedoch sowohl Zentral- als auch Ost-Dekkan und reichte zeitweise bis zur Südspitze des Subkontinents. Ähnlich wie Aurangabad wird Hyderabad also nicht selten als Sammelbegriff für Werke der dekkanischen Malerei von ca. 1710/20 bis ins frühe 19. Jahrhundert verwendet.

Die tiefgreifenden politischen Veränderungen gingen mit grösseren Migrationsbewegungen einher. Schon während der mogulischen Übergangszeit (siehe auch Raum 1) ist die Anwesen- heit von Adligen aus Regionen nördlich des Dekkans belegt – eine Tatsache, auf die viele Forscher auch entsprechende Einflüsse in der Malerei zurückführen. Gleichzeitig emigrierten Menschen – darunter auch Künstler – aus dem Dekkan Richtung Norden. Dies wiederum erklärt dekkanische Elemente in Bildern von Bikaner (Rajasthan) bis Lahore (Punjab).

Schliesslich kommen auch noch die Europäer hinzu (vor allem Briten und Franzosen), die ebenfalls Anteil an der Malerei nahmen – sei es als Kunden oder auch, indem sie europäische Kunst mitbrachten und damit die lokalen Traditionen inspirierten.

Historische Sammlungen in Städten Europas wie Amsterdam, Berlin, Dresden, London und Paris belegen ihrerseits, dass dekkanische Malerei bereits seit dem ersten Viertel des 18. Jahr- hunderts ihren Weg in den Westen fand.

23 Hyderabad als Kunstzentrum

Ab dem zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts konzentrierte sich ein grosser Teil der Kunstproduktion auf das Fürstentum Hyderabad und seine gleichnamige Hauptstadt.

Charakteristisch ist eine stilistische Vielfalt, in der sich Einflüsse aus anderen indischen Regionen und wandernder

(21)

RAUM 2 Künstler widerspiegeln. Dennoch lassen sich gewisse Merkmale

und Eigenheiten herausarbeiten.

Viele Bilder folgen einer strengen Symmetrie und Ordnung, die sich sogar in textilen Mustern und vor allem in geometrisch angelegten Blumenbeeten bemerkbar machen. Selbst die Blätter der Bäume sind perfekt gleichmässig angeordnet. Des Weiteren finden sich starke Kontraste zwischen makellos weissen Wänden und hochgradig verzierten Einlegearbeiten, Stuckaturen und Stof- fen. Diese Ästhetik verweist auf die Kunst am Mogulhof unter Muhammad Shah (reg. 1720–1748), wo Bilder mit ähnlichen Merk- malen entstanden sind.

Grundsätzlich spielt Architektur eine grosse Rolle. Dies wird auf Blatt Nr. 33 mit seiner Dreiviertelkuppel deutlich. Solche Kuppeln sind für islamische Moscheebauten im Dekkan charakte- ristisch, hier übernahm der Maler das Motiv jedoch für die Dar- stellung eines hinduistischen Tempels. Viele Bilder zeigen zudem Terrassen, die nur über mehrere Stufen zu betreten sind und von den Malern perspektivisch geschickt in Szene gesetzt werden, um eine räumliche Tiefenwirkung zu suggerieren. Besonders auffällig sind schliesslich die zweifarbigen Himmel, deren Farbverläufe durch horizontale Streifen gestaltet werden.

Die Malereien aus oder um Hyderabad zeichnen sich nicht nur durch eine stilistische und motivische Vielfalt aus, sondern auch hinsichtlich der Qualität. Die feine Ausführung einiger Bilder (Nrn. 31 und 32) deutet eindeutig darauf hin, dass Werkstätten im näheren Umfeld des Nizams und in engem Kontakt zum Hof arbei- teten. Daneben muss es aber vor allem einen gewissermassen freien Markt gegeben haben, der für ein Publikum aus dem grös- seren städtischen Umfeld produzierte. Bestimmte Motive wurden hier in grosser Anzahl und in weniger ausgefeilter Manier hergestellt.

24 Bilaval (Vilavali) Ragini

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Hyderabad, 1720–1740 Geschenk Horst Metzger

Museum Rietberg Zürich | RVI2067

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RAUM 2

25 Desavairati Ragini

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Hyderabad, um 1750 Geschenk Horst Metzger

Museum Rietberg Zürich | RVI2071 26 Madhumadhavi Ragini

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Hyderabad, um 1750

Ankauf mit den Mitteln der Stadt Zürich Museum Rietberg Zürich | RVI862 27 Prinz und Damen besuchen Asketen Werkstattzeichnung

Indien, Hyderabad, um 1750 Geschenk Horst Metzger

Museum Rietberg Zürich | RVI2060 28 Traurige Geliebte mit Dienerinnen

Folio aus einer Rasikapriya-Serie Indien, Hyderabad, 1775–80 Geschenk Horst Metzger

Museum Rietberg Zürich | RVI2073

29 Europäische Alben mit indischer Malerei

Nach der Zeit seiner grössten Ausdehnung und dem Tod von Aurangzeb 1707 zerfiel das Mogulreich nach und nach. Innere Machtkämpfe unterhöhlten die Verwaltung, lokale indische wie auch afghanische Stämme schwächten die Stabilität zusätzlich Das Herrschaftsgebiet des Nizam von Hyderabad wie auch Bengalen

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RAUM 2 und Awadh machten sich unabhängig. Die Eroberung Delhis 1739

durch Nadir Shah von Persien versetzten dem Reich einen zu - sätzlichen Schlag. Schliesslich mischten sich die englische und französische Ostindiengesellschaft ein.

In den Diensten der beiden europäischen Handelsgesell- schaften standen auch Leute, die sich sehr für die indische Kultur interessierten. Einige liessen sich Alben mit Miniaturmalerei zusam- menstellen, die sie später nach Europa brachten. Die wichtigsten Sammlungen sind jene von Jean-Baptiste Gentil, Robert Clive, Richard Johnson und dem Schweizer Antoine-Louis Henri Polier (1758–1788 in Indien).

Polier war ein kenntnisreicher Sammler mit einem Auge für Qualität, der über gute Kontakte zu den Herrschern in Awadh und Lucknow verfügten. Da er vor allem zeitgenössische Malerei erwarb, das heisst solche aus dem 18. Jahrhundert, besitzen wir glücklicherweise verlässliche Anhaltspunkte zur Datierung der Werke, die sich in der Rietberg-Sammlung befinden (Nrn. 31 und 32).

Mit Ausnahme der Information, dass Venkatchellam ab den 1790er Jahren für Asaf Jah II., den Nizam von Hyderabad (1762–1803), tätig war, wissen wir so gut wie nichts über eine fürst- liche Werkstatt in dieser Zeit. Ein Einfluss der zeitgenössischen Mogulmalerei zeigt sich unter anderem an dem zentralperspekti- visch wiedergegebenen Schrein (Nr. 32), der stark an eine Tempel- szene des Mogulkünstlers Faqirullah erinnert. Interessanterweise gab der ungefähr im selben Zeitraum in Hyderabad wirkende Maler Kishan in seiner Version der Bhairavi Ragini (Nr. 33) den Shi-

va-Schrein ebenfalls zentralperspektivisch wieder. Auch das zweite Polier-Blatt aus Hyderabad (Nr. 31) weist mogulische Züge auf.

Am anderen Ende der Qualitätsskala steht das Porträt von Mir Muhammad Amin Khan (Nr. 30), das zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstanden sein muss. Es gehörte ursprünglich wohl zu einer Bildnis-Serie von Würdenträgern aus der Zeit Aurangzebs. Solche Serien – von denen es mehrere gibt – ent- standen nicht nur für lokale Kunden, sondern wurden auch von Europäern erworben.

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RAUM 2

30 Porträt von Mir Muhammad Amin Khan Indien, Golkonda, um 1700–1710

Anonymes Geschenk

Museum Rietberg Zürich |RVI867b 31 Kanada Ragini

Folio aus einer Ragamala-Serie Ehemals Teil des Polier-Albums Indien, Hyderabad, 1770–1775 Geschenk Hans Peter Weber Museum Rietberg Zürich | RVI1820 32 Bhairavi Ragini

Folio aus einer Ragamala-Serie Ehemals Teil des Polier-Albums Indien, Hyderabad, 1770–1780 Legat Jürg Stockar

Museum Rietberg Zürich | RVI879 33 Bhairavi Ragini

Folio aus einer Ragamala-Serie Kishan, Sohn des Muttam musavvir Indien, Hyderabad, 1770–1775 Legat Alice Boner

Museum Rietberg Zürich | RVI1058

34 Südlicher Dekkan

Besonders farbenfrohe Malereien entstanden in Wanaparthy, ungefähr 150 Kilometer südlich von Hyderabad gelegen. Der kleine, aber doch einflussreiche Vasallenstaat des Nizam von

(25)

RAUM 2 Golkonda, gelangte nach dessen Fall im Jahr 1687 unter Mogul-

herrschaft, kollaborierte ab 1724 jedoch mit Asaf Jah I. (reg. 1724 bis 1748) in Hyderabad.

Was auf den drei Malereien (Nrn. 35–37) tatsächlich zu erkennen ist, bleibt umstritten: Während sie bisher meist als Blätter eines Ragamala identifiziert wurden, ordnen sie neuere Forschun- gen einer anderen Serie zu. Die Aufschriften in Telugu sind in Sanskrit gehaltene Verse zur Anrufung hinduistischer Gottheiten.

Sie entsprechen nicht den klassischen Ragamala-Versen, enthal- ten aber durchaus Anspielungen darauf. Deshalb ist unklar, ob sie auf noch unindentifizierte Textquellen zur ragamala zurückgehen oder eine eigene Tradition darstellen. Ikonografisch stehen die Blätter jedoch den klassischen ragas bzw. raginis sehr nahe (siehe Nrn. 38 und 39), auch wenn sie über einige Eigenheiten verfügen.

Auch die Datierung ist umstritten und schwankt zwi- schen 1750 und 1775. Diese kurze Zeitspanne umfasst eine ganze Generation von Malern und Auftraggebern. Würde die Datierung etwas später ausfallen, wäre es sogar wahrscheinlich, dass hier eine der wenigen weiblichen Mäzeninnen, nämlich Rani Janamma, den Auftrag für die Bilder erteilt hat.

Künstlerisch weisen die Blätter einen volkstümlicheren Stil auf und weichen eindeutig vom Erscheinungsbild der Malerei aus dem Norddekkan und Hyderabad ab. Neben den expressiven und stark kontrastierenden Farben ist das Setting sehr abstrakt.

Typisch sind die weissen Punkte, mit denen beispielsweise Felsen eingerahmt werden oder Musterungen des Hintergrundes, die mehr an textile Vorlagen erinnern als an Motive aus der Natur.

35 Bhairava Raga (?)

Folio aus einer Ragamala-Serie (?) Indien, Wanaparthy, um 1750 Geschenk Horst Metzger

Museum Rietberg Zürich | RVI2063

(26)

RAUM 2

36 Nilambari Ragini (?)

Folio aus einer Ragamala-Serie (?) Indien, Wanaparthy, um 1750 Geschenk Horst Metzger

Museum Rietberg Zürich | RVI2064 37 Nat Ragini (?)

Folio aus einer Ragamala-Serie (?) Indien, Wanaparthy, um 1750 Geschenk Horst Metzger

Museum Rietberg Zürich | RVI2062 38 Nat Ragini

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Rajasthan, Bikaner, um 1720 Geschenk Horst Metzger

Museum Rietberg Zürich | RVI2164 39 Nat Ragini

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Rajasthan, Mewar, um 1640 Geschenk Horst Metzger

Museum Rietberg Zürich | RVI1971

(27)

RAUM 2

40 Weiter in den Süden

Südlich von Bijapur und Golkonda spielte die Miniaturmalerei lange Zeit kaum oder keine Rolle. Während der Blütezeit des Vijayanagar-Reiches (1336/46–1565) fanden wichtige künstleri- sche Errungenschaften vor allem im Bereich der Tempelarchitek- tur statt. Erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Mysore (Karnataka) zu einem Zentrum der Malerei und Buch- kunst. Diese Verdienste werden Raja Krishnaraja Wodeyar III.

(1799–1868) als grossem Kunstförderer zugeschrieben.

Unter seiner Herrschaft entstand wohl auch die vorlie- gende Illustration aus einem Devimahatmya-Manuskript, dem grossen hinduistischen Lobpreis der Göttin Devi (Nr. 41). Neben diesem Werk sind noch weitere illustrierte Handschriften in der regionale Sprache Kannada bekannt, die alle demselben Künstler zugeschrieben werden. Sein Name ist nicht überliefert, doch dürfte er zwischen 1820 und 1830 am Hof von Mysore tätig gewe- sen sein. Seine künstlerische Hinterlassenschaft ist von ausser- ordentlicher Qualität, Präzision und Eigenständigkeit.

Für die Forschung ist es noch immer ein grosses Rätsel, wie ein Maler ein qualitativ so eindrucksvolles und eigenständi- ges, und damit im ursprünglichen Wortsinn «originelles» Werk schaffen konnte. Immerhin griff er, soweit wir heute wissen, auf keine bereits existierende Tradition zurück. Selbst von der geo- grafisch am nächsten gelegenen Kunstregion Dekkan finden sich kaum Spuren im Stil des Mysore-Meisters wieder. Der aktuelle Stand der Forschung lässt die Frage offen, wo dieser Künstler sein Können im Umgang in Komposition, Pinsel und den kostbaren Pigmenten erlernt hat.

41 Durga Mahishasuramardini Folio aus einem Devimahatmya Indien, Karnataka, Mysore, 1820–25 Ankauf mit den Mitteln der Stadt Zürich Museum Rietberg Zürich | RVI914

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Ausstellungsräume Indische Malerei Park-Villa Raum 3

51 50 52

53

64 63 62

54

43 61

60 44 59 45

56 48 55 49 57 47 58 46

42

Raum

Ausstellungsräume Indische Malerei Park-Villa Raum 3

3

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RAUM 3

42 Ragamalas

Bildserien, die als Ragamala bezeichnet werden, sind in der indi- schen Malerei auffällig oft anzutreffen. Gleichzeitig gibt es aus- serhalb Indiens keine Entsprechung des Themas. Deshalb ist es schwierig, ihr Wesen, das Malerei, Poesie und Musik umfasst, zu «übersetzen».

Der Begriff Ragamala setzt sich aus den Worten raga und mala zusammen. Mala lässt sich vergleichsweise einfach als

«Girlande» oder «Kette» übertragen; im Zusammenhang mit einer Abfolge von Bildern auch als «Serie». Mit der Übersetzung von raga als «Färbung» hingegen fällt der Bezug zur Musik aus west- licher Perspektive schwerer. Raga stammt aus der indischen Musiktheorie und bezeichnet eine Abfolge von meist fünf bis sieben Tönen. Für jeden raga folgen diese nun bestimmten auf- oder absteigenden Reihen und rufen beim Publikum eine bestimmte Stimmung (rasa – eigentlich «Geschmack») hervor – oder besser gesagt: sie «färben» einen bestimmten Gemütszustand «ein».

Jeder raga setzt sich darüber hinaus aus verschiedenen Grund- stimmungen zusammen (Erotik, Heldentum, Mitleid, Zorn, Komik, Furcht, Entsetzen, Erstaunen), wobei eine davon stets überwiegt.

Die Ragamala-Bilder sind jedoch nicht eine visuelle Übertragung dieser Stimmungen, sondern nehmen ikonografisch Bezug auf literarische Quellen, in denen die visuelle Vorstellung der ragas in kontemplativen Versen beschrieben wird. Am bekann- testen und in der Malerei wohl am häufigsten rezipiert ist das Werk von Kshemakarna, einem Priester aus Rewa (Zentralindien, im heutigen Bundesstaat Madhya Pradesh, nördlich an den Dek- kan angrenzend). Sein Ragamala entstand wohl um 1570 und basiert auf älteren Vorlagen. Kshemakarna beschreibt ein System von sechs ragas, denen fünf raginis zugeordnet sind, wobei der raga als Familienoberhaupt verstanden wird und die ragini als Ehefrau, das Ensemble wird mit «Kindern» zu einer «Gross- familie» erweitert, die aus 86 ragas besteht.

(30)

RAUM 3

Auch im Dekkan gibt es eine Vielzahl an Bildern aus Ragamalas.

Doch entsprechend der stilistischen Vielfalt, finden auch bezüglich der Ragamalas verschiedene Traditionen zusammen.

Eine mögliche Erklärung für diese verwirrende Vielfalt glaubt die Forschung in dem Umstand zu erkennen, dass sich die Malerei nach Hyderabad verlagerte. Die dort ansässigen Maler sahen sich mit dem neuen, ihnen bislang unbekannten System der Kshemakarna-Ragamala konfrontiert. Da es weitaus mehr ragas enthält als andere, ihnen geläufige Versionen, mussten sie die Lücken mit bruchstückhaften Informationen füllen und kamen so zu ganz neuen Bildfindungen.

45 Eine «florale» Ragamala aus der Region Aurangabad

Eine grosse Gruppe von zusammenhängenden Blättern einer dekkanischen Ragamala-Serie in der Sammlung des Museums Rietberg stammt aus der Region Aurangabad (Nrn. 43–50, siehe auch Nr. 12, Raum 1). Anhand der 15 Werke (nicht alle sind in der Ausstellung zu sehen) lässt sich annäherungsweise nachvollzie- hen, wie eine vollständige 86-teilige Ragamala-Serie auf die Betrachtenden gewirkt haben mag und wie die Arbeit der Künstler ausgesehen haben könnte. Eine zweite Serie aus demselben Zeit- raum – von der wir allerdings nur zwei Bätter besitzen – mutet auf den ersten Blick zum Verwechseln ähnliche an. Sie unterscheidet sich jedoch unter anderem durch ein beschriftetes Textfeld und eine aus mehreren Linien bestehende Umrandung (Nr. 44).

Die Bilder beider Serien verfügen über einen einprägsa- men, expressiven Stil, besonders kennzeichnend ist ihre Fülle sowohl in Bezug auf die Farben als auch die Muster und einzelne Bildelemente. Der Ausdruck «horror vacui», also die Angst vor der Leere, ist deutlich erkennbar: Jede noch so kleine Fläche ist mit

(31)

RAUM 3 Blumen, Tieren, Figuren oder Arabesken ausgefüllt. Geometrie und Symmetrie spielen auch in diesen Bildern eine grosse Rolle. Die Farbpalette wird vollständig ausgeschöpft, wobei neben starken Farb(kontrast)en auch die im Dekkan beliebten Pastelltöne in teilweise aussergewöhnlichen Kombinationen zu finden sind.

Auch wenn diese Serie von Fachleuten gerne als «typisch», oder gar «rein dekkanisch» bezeichnet wird, lassen sich einige Elemente auf Rajasthan oder Zentralindien zurückführen. Dazu gehört die rasterhafte Kompositionen, die stilisierten Bäume oder bestimmte Felsformationen. Doch ist es nicht gerade die Kombi- nation fremder und eigener Motive, die die Malerei im Dekkan ausmacht?

Die vorliegenden Blätter weisen auf einen regen Aus- tausch zwischen Amber (Rajasthan) und dem Dekkan hin, in dem auch mogulische Bilder rezipiert wurden. Später tauchen verblüf- fende Parallelen in Amber, aber auch im ebenfalls rajasthanischen Bundelkhand auf. Zur Lokalisierung dieser Serie bietet sich das Umfeld Aurangabad im Norden des Dekkan an, da die Provinz- hauptstadt des Mogul-reiches einen durchaus kosmopolitischen Charakter trug und später gar Regierungssitz von Aurangzeb wurde. Die zweisprachige Aufschrift in Sanskrit und Persisch auf der Rückseite der Blätter unterstreicht diese kulturelle Vielfalt.

43 Hindola Raga

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Aurangabad, um 1675

Ankauf mit den Mitteln der Stadt Zürich Museum Rietberg Zürich | RVI1683 44 Hindola Raga

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Aurangabad, um 1670 Geschenk Horst Metzger

Museum Rietberg Zürich | RVI1954

(32)

RAUM 3

46 Rama Raga

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Aurangabad, um 1675

Ankauf mit den Mitteln der Stadt Zürich Museum Rietberg Zürich | RVI1688 47 Champaka Raga

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Aurangabad, um 1675

Ankauf mit den Mitteln der Stadt Zürich Museum Rietberg Zürich | RVI1689 48 Mangala Raga

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Aurangabad, um 1675

Ankauf mit den Mitteln der Stadt Zürich Museum Rietberg Zürich | RVI 1685 49 Sorathi Ragini

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Aurangabad, um 1675

Geschenk Barbara und Eberhard Fischer Museum Rietberg Zürich | RVI1692 50 Gonda Raga

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Aurangabad, um 1675

Geschenk Barbara und Eberhard Fischer Museum Rietberg Zürich | RVI1693

(33)

RAUM 3

51 Eine «architektonische»

Ragamala-Serie aus Hyderabad

Neben den Blättern einer Ragamala-Serie aus Aurangabad aus dem späten 17. Jahrhundert (Nrn. 43–50 und Nr. 12 in Raum 1) besitzt das Museum Rietberg auch ein dreiteiliges (nur zwei aus- gestellt: Nrn. 60 und62) und ein zweites, fünfteiliges Fragment einer Ragamala-Folge aus der Zeit um 1770 (nur vier ausgestellt:

Nrn. 52–54 und Nr. 33 in Raum 2). Die fünf Blätter der letztge- nannten Gruppe zeichnen sich durch eine schmale, rotgrundige Borte mit dichtem floralem Rankenwerk in Gold aus.

Ein Merkmal dieser fünf Blätter, das sofort ins Auge springt, ist die prominente Rolle, die der Architektur zukommt. Im Zusammenhang mit Nr. 33 war bereits die Rede von dem zentral- perspektivischen Tempel. Dieser bildet jedoch eine Ausnahme. Auf den vier anderen Blättern belässt es der (oder die) Künstler bei einer traditionellen, im Vergleich zu zeitgenössischen Arbeiten sogar altmodischen Auffassung. Sie setzen mehr auf die Flächen- als auf eine partiell-räumliche Wirkung (vergleiche Nrn. 24–26 und 28 in Raum 2). Allerdings harmoniert diese gut mit den klar hervortre- tenden und bewusst eingesetzten Farbfeldern (weiss, erbsengrün, ziegelrot, silbergrau und Mennige [Bleioxidrot]).

Betrachtet man den architektonischen Rahmen genauer, so fällt auf, dass sich die fünf Szenen im abgesteckten Raum von Palästen und Gartenanlagen zutragen. Die Blätter wir- ken weniger wie eine direkte Illustration des Ragamala sondern wie Bilder ihrer Inszenierung. Es ist, als spielten die Palastbewoh- ner das Ragamala nach.

Ein Blick auf die ältere Ragamala-Serie des 17. Jahrhun- derts (Nrn. 43–50 und Nr. 12 in Raum 1) belehrt uns allerdings, dass bereits hier der Palastarchitektur eine wichtige Rolle zufällt.

Dank neuester Forschung lässt sich das Ragama- la-Fragment dem Maler Kishan zuschreiben. Er war der Sohn und Nachfolger von Mattam musavvir (pers. für «Maler»), der ab Mitte

(34)

RAUM 3

der 1730er-Jahre für Asaf Jah I., den ersten Nizam von Hyderabad (reg. 1724–1748) und seine Nachfolger arbeitete. Sein Sohn Kishan war zwischen 1750 und 1775/80 tätig. Er arbeitete nicht nur als eigenständiger Künstler, sondern führte auch das Atelier seines Vaters weiter. Dieser Umstand erklärt auch die stilistischen Unter- schiede in den vorliegenden Blättern. Sie wurden von mehreren Malern angefertigt. Entsprechend dürfte die vorliegende Serie für einen vermögenden Auftraggeber der städtischen Oberschicht angefertigt worden sein.

52 Malagaudi Ragini

Kishan, Sohn des Muttam musavvir, oder Werkstatt Indien, Hyderabad, 1770–1775

Legat Alice Boner

Museum Rietberg Zürich | RVI1061

53 Vilavali Ragini (oder Shyama Kalyana Ragini) Kishan, Sohn des Muttam musavvir, oder Werkstatt Indien, Hyderabad, 1770–1775

Legat Alice Boner

Museum Rietberg Zürich | RVI1062 54 Patamanjari Ragini

Kishan, Sohn des Muttam musavvir, oder Werkstatt Indien, Hyderabad, 1770–1775

Legat Alice Boner

Museum Rietberg Zürich | RVI1060

(35)

RAUM 3

58 Todi Ragini:

überregionale «Moden»

Zum Abschluss offeriert die Ausstellung einen vergleichenden Blick auf zwei Ragamala-Szenen oder ragas. Dabei handelt es sich um Todi (Nrn. 55–60) und ihren Gefährten Hindola (Nrn. 62–64). Todi wie Hindola stehen in der Ragamala-Tradition für frühlingshafte Stimmungen.

Die Szene, die als «Todi Ragini» bezeichnet wird, gehört zu den am einfachsten zu identifizierenden Bildern. Im Ragamala wird sie als eine Frau mit scharfem Blick und zartem Körper beschrieben. Von ihrem Liebsten getrennt, lebt die unglücklich Liebende zurückgezogen in einem Hain, wo sie das Wild bezaubert.

Die fünf Todi-Ragini-Szenen zeigen deutlich, dass die Ikonografie, also die Elemente, anhand deren eine dargestellte Szene entschlüsselt werden kann, klar definiert ist. Die zentralen Elemente – eine einsame Frau mit einer Vina (einem indischen Saiteninstrument) und Gazellen – sind in allen Beispielen erkennbar.

Es fallen aber noch weitere Gemeinsamkeiten – und Unterschiede auf: Bei Nr. 57 handelt es sich um eine Todi Ragini aus Bikaner (Rajasthan). Die Bikaner Künstler orientierten sich traditionell stark an der Mogulmalerei. Dies gilt auch für Ragama- la-Serien im Allgemeinen und diese Todi Ragini im Besonderen.

«Modern» ist im Vergleich jedoch der Seerosenteich, der das Bild gegen vorne abschliesst.

Weitet man den Blick auf die vier dekkanischen Todi Raginis aus, so entdeckt man auch hier den Seerosenteich (der im Ragamala nicht erwähnt wird). Er gehört im 18. Jahrhundert offen- sichtlich zu den unverzichtbaren Elementen der Todi-Ragi-

ni-Szene. Beim Seerosenteich handelt es sich allerdings nicht um eine südindische Erfindung. Ein sehr frühes Beispiel findet sich bereits in einer kaschmirischen Handschrift aus der Zeit um 1650. Von dort scheint sich das malerische Motiv schnell ausgebreitet zu haben. Um 1680 ist es bereits in Kishangarh (Rajasthan) – und im Dekkan nachweisbar (siehe «Raga Gonda», Nr. 50).

(36)

RAUM 3

Eine weitere Übereinstimmung betrifft das Gewand der Heldin:

Auf drei der vier Blätter trägt sie jeweils einen Wickelrock aus goldgrundigem Brokat mit Streublumen und einer orangefarbenen (bzw. weissen), plissierten Front. (In einem Fall ist die Farbstellung umgedreht.) Auch hier handelt es sich um eine überregionale

«Mode»: Die frühesten Beispiele finden sich einem Ragamala- Blatt aus Murshidabad, der Hauptstadt der Nawabs von Bengalen (1704–1757) und wenig später im Dekkan (Nr. 59).

Bei aller Individualität der einzelnen Künstler: An diesen wenigen Beispielen kann man bereits erkennen, wie verflochten die indische Malerei im 18. Jahrhundert war und wie mobil wohl auch die Künstler.

55 Todi Ragini

Folio aus einer Ragamala-Serie

Kishan, Sohn des Muttam musavvir, oder Werkstatt Indien, Hyderabad, 1770–1775

Legat Alice Boners

Museum Rietberg Zürich | RVI 1059 56 Todi Ragini

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Dekkan oder Punjab, um 1810 Geschenk Horst Metzger

Museum Rietberg Zürich | RVI 2157 57 Todi Ragini

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Rajasthan, Bikaner, um 1800 Geschenk Horst Metzger

Museum Rietberg Zürich | RVI 2159

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RAUM 3 59 Todi Ragini

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Dekkan, um 1760

Ankauf mit Mitteln der Stadt Zürich Museum Rietberg Zürich | RVI 821 60 Todi Ragini

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Dekkan, um 1770

Geschenk Horst Metzger

Museum Rietberg Zürich | RVI 2069

61 Hindola Raga:

Wann erscheint das zentrale Erkennungsmerkmal?

Hindola Raga ist nach Kshemakarnas Klassifikation der dritte Hauptraga. Wie bereits Todi Ragini ist er ein Frühlingsraga und wird entsprechend mit dem Erblühen von Leidenschaft und junger Liebe in Verbindung gebracht. Im Zusammenhang mit der devotio- nalen Bhakti-Bewegung wird er aus diesem Grund in bestimmten Gegenden Indiens später häufig mit dem hinduistischen Gott Krishna in Verbindung gebracht.

Bei Kshemakarna wird Hindola Raga als königlicher Herr beschrieben, der dem Nabel des Schöpfers entsprungen ist (wohl eine Anspielung auf Vishnu). Er verfügt über eine helle Haut, seine «Blütenpfeile» werden von Bienen oder Hummeln umschwirrt, er trägt eine funkelnde Krone und beschert guten Menschen Glück. All diese Merkmale kennzeichnen auch die Ikonografie des Hindola: von der prachtvoll geschmückten Aufmachung über den kostbaren Kopfschmuck bis hin zu den summenden Insekten.

(38)

RAUM 3

In unserer Reihe (Nrn. 43–44, 62–64) stammt das wahrscheinlich früheste Blatt aus der bereits erwähnten beschrifteten Aurangabader Ragamala-Serie (Nr. 43). An diesem Werk fallen ikonografisch zwei Dinge besonders auf: Zum einen wird der Aspekt von Hindolas königlicher Erscheinung durch die Darstellung mehrerer Diener stark hervorgehoben. Andererseits fehlt die sonst übliche Schaukel:

Der Sanskritbegriff hindola bezeichnet nämlich eine «Schaukel»

und ist das ikonografisch wichtigste Element, anhand dessen der Hindola Raga erkannt wird.

Die älteste bekannte Illustration der Ragamala-Verse von Kshemakarna, die um 1610/1620 datiert wird und im populä- ren Mogulstil gemalt ist, weist dieselben Merkmale auf: Auch hier fehlt die Schaukel und die Hauptfigur wird von einem Diener begleitet.

Es scheint, als habe sich die Ikonografie kurz nach Fer- tig-stellung des Aurangabader Blattes ohne Aufschrift verändert.

Doch bereits in der unbeschrifteten, wenig später entstandenen Serie (Nr. 44) ist die neue Variante sichtbar, die zum ikonografi- schen Standard werden sollte: Der König sitzt auf seiner Schaukel und wird von weiblichen Schönheiten umschwärmt.

Wie Hindola-Raga-Darstellungen aus Orchha in Nord- indien nahelegen, vollzog sich die ikonografische Veränderung hin zur zentralen Schaukel wahrscheinlich schon früher. Offenbar orientierten sich die Maler im Dekkan länger an der älteren Ikono- grafie von Kshemakarnas Version und griffen die neue Variante mit Schaukel erst im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts auf. In der Folge verschob sich der Akzent auch weg von der Inszenierung des Königtums hin zum Gefühl der frühlingshaften, frisch aufkom- menden Liebe. Statt junger Männer umschwärmen Hindola Raga nun weibliche Schönheiten. Von da aus war es nur noch ein kleiner Schritt, die weibliche Zuneigung zu Hindola mit der hingebungs- vollen Liebe zu Krishna zu verknüpfen, wie sie für die mystische Bhakti-Frömmigkeit zentral ist.

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RAUM 3 62 Hindola Raga

Folio aus einer Ragamala-Serie Indien, Dekkan, um 1770

Geschenk Horst Metzger

Museum Rietberg Zürich | RVI2070 63 Hindola Raga

Folio aus einer Ragamala-Serie

Indien, Rajasthan, Bundi oder Uniara, um 1770 Geschenk Horst Metzger

Museum Rietberg Zürich | RVI2013 64 Hindola Raga

Folio aus einer Ragamala-Serie

Indien, Rajasthan, Bikaner (?), 1650–1675 Legat Alice Boner

Museum Rietberg Zürich | RVI1056

Verwendete Literatur

Joachim Bautze, Lotosmond und Löwenritt: Indische Miniatur-Malerei, Stuttgart, 1991

Peter Blohm, «Led up the Garden Path: The Rose Garden Hidden by History», in: Perspectives, März 2011, S. 4557

Munis D. Faruqui, «At Empire’s End: The Nizam, Hyderabad and Eight- eenth-Century India», in: Modern Asian Studies, Bd. 43, Nr. 1, Jan. 2009, S.

543

Catherine Glynn, Robert Skelton und Anna L. Dallapiccola, Ragamala Paintings from India: From the Claudio Moscatelli Collection, London, 2011, Ludwig Habighorst, Moghul Ragamala: Gemalte indische Tonfolgen und Dichtung des Kshemakarna, Koblenz, 2006

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LITERATUR

Navina Najat Haidar und Marika Sardar (Hrsg.), Sultans of the South:

Arts of India’s Deccan Courts, 13231687, New York, 2011

Keelan Overton, «Book Culture, Royal Libraries, and Persianate Painting in Bijapur, circa 15801630», in: Muqarnas, Bd. 33, 2016, S. 91154

Preeti Bahadur Ramaswami (Hrsg.), Nauras: The many Arts of the Deccan, Delhi, 2015

John Seyller mit Konrad Seitz, Mughal and Deccani paintings: Eva and Konrad Seitz Collection of Indian Miniatures, Zürich, 2010

John Seyller und Jagdish Mittal, Deccani Paintings, Drawings and Manuscripts in the Jagdish and Kamla Mittal Museum of Indian Art, Hyderabad, 2018

Sanjay Subrahmanyam, «The Career of Colonel Polier and Late Eight- eenth-Century Orientalism», in: Journal of the Royal Asiatic Society, 3. Serie, Bd. 10, Nr. 1, April 2000, S. 4360

Laura Weinstein, «Illustration as Localiszation: A Dispersed Bijapuri Manuscript of the Shahnama», in: Gabrielle van den Berg und Charles Melville (Hrsg.), Shahnama Studies III: The Reception of the Shahnama, S. 347372

Mark Zebrowski, Deccani Painting, London, 1983

Impressum

Texte: Caroline Widmer und Axel Langer Lektorat: Mark Welzel

Gestaltung und Satz: Myrtha Keller und Simon Hofmann

© Museum Rietberg, 2021

Referenzen

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