Über ben Zusammenhang zwischen Chorliebern unb Hanblung in ben
erhaltenen Dramen bes Sophoi^les (unb Euripibes).
Inaugural-Dissertation
zur
Erlangung ber Doktorwürde
der
hohen
philosophischen Fakultät derFriebrich-fllexanöer-Uniuersität Erlangen vorgelegt
vou
August Rahm
aus Egenhauseii.
Tag bet münblichen Prüfung: 19. Juli 1906,
Sonbershausen 1907, Hofbuchdruekerei von Fr. Aug. Eupel.
Chorliebern unb Hanblung in ben
erhaltenen Dramen bes Sophol^les (unb Euripibes),
Inaugural-Disserlalion
zur
Erlangung ber Doktorwürbe
der
hohen
philosophischen Fakultätder
Friebrich-fllexanber-Uniuersität Erlangen vorgelegt
von
August Rahm
aus Egenhausen.
Tag ber münblichen Prüfung: 19, Juli 1906.
Sonbershausen 1907, Hofbuchdruckerei von Fr. Aug. Eupel.
gewibmet.
in
2010 with funding from University of Toronto
http://www.archive.org/details/berdenzusammenOOkahm
hangs
zwischen Chorliedernund Handlung
in den Sopho- kleischenDramen
wird von folgender literargeschichtlichbedeutsamen und darum
auch viel zitierten Aristoteles- stelle auszugehen haben:/.al Tov xoQOv de eva del vrtoXaßelv tüjv vTtoxoiTwv xal [uoQiov sivai rov o/.ov '/.al Gvvayioviteod^at /.n] cootcsq EvQiTtidrj aAA'
üoneq
^o(fo/.hü. Tolg öi XoinoXg ra ^(Jo- ixeva <C Oidiv>
fiälXov toi f^iv-d^ov r^ aXXr^g Tqctyojdiag sOTiv • öio ef-ißolifxa ädovoiv inqüxov aQ^avrog ^ydd-iovog rov roiovTOv. ymItol tI diacpigei r iiAß6h(.ia (^deiv r^ et, QTjOiv i^ aXXov elg aXXo aQfiözxoi r^ STteiaoÖLOv oXov;^)Textkritisch bietet die Stelle keine besonderen Schwie- rigkeiten; setzen wir Zeile 29 das von
Vahlen sinngemäß
ergänzte ovöev ein, so ergibt sich folgende Übersetzung:„Und auch
denChor muß man
betrachten als einen der Schauspielerund
ermuß
integrierender Bestandteil desGanzen
seinund beim
Spiele sich beteiligen, nicht wie bei Euripides, sondern wie bei Sophokles. Bei ihren Nachfolgern aber stehen die Gesangpartien zudem Gang
der
Handlung
des Stückes nicht in näherer Beziehung als zu einer beliebigen andern Tragödie;man
läßtdeswegen
auch Einlagen singen,nachdem Agathon
der erste war, der dies Verfahren einführte.Aber was macht
esdenn
für einen Unterschied, ob
man
Einlagen singen läßt oder1) Aristot. Poet. 1456a 26—32.
eine ganze
Rede
oder gar einen ganzenAkt
auseinem Drama
in ein andres übertragen wollte ?" i)Von einem
Doppelten ist hier offenbar die Rede: zu- nächstvon
der Gestaltung des tragischen Choresim
allge- meinen,im
Dialogund
den Gesangspartien,und
zwar bei Sophoklesund
Euripides, weiterhin aber ausschließlich von den ^dofxeva bei den Nachfolgern der großen Tragiker.Die Forderung, die Aristoteles
im
ersten Teil aufGrund
der dramaturgischen Technik des Sophokles
und
mit aus- gesprochenerVerwerfung
der EuripideischenManier
erhebt, soll uns hier nicht weiter beschäftigen; wirbegnügen
uns, einer nichtim
Sinne des Aristoteles gelegenen Auffassung des avvayiovitead^aialseinesumgestaltenden
Eingreifens in dieHandlung
vonseiten des Chores durch den Hinweis auf Problem.VI
19 (922—
923) zu begegnen,wo
derselbe Aristotelesdem Chor
eineim
wesentlichenpassive
Stel- lung zuweist^).Wollen
wir also verstehen, inwelchem
Sinne hier Aristotelesvom Chor
wie von„einem
der Schau- spieler" alleinreden kann, somüssen
wir die beschränkende Erklärung ausdem
unmittelbardaneben
gesetzten yuxi (j.oqLOv sivai rot oXov zu finden suchen. Diese jedenfalls ganz unzweideutigeForderung
aber führt uns unmittelbar auf einen der wichtigstenPunkte
der AristotelischenLehrevom Drama
überhaupt: auf den Fundamentalsatz, die Tragödiemüsse
wie jedesKunstwerk
ein sv -/.al olov, ein in sich geschlossenesGanze
sein, ausdem
kein einziger seiner Teile—
hier derChor
in seiner Stellung zurHand-
lung—
herausfallen dürfe.*) Die falsche Auffassung der Stelle bei Härtung, Euripides restitutus II, p. 369f. zurückgewiesen vonR. Amoldt, diechorische Technik des Euripides p.
47—49
(Halle 1878).^) e'azi yolQ 6 yoQos y.rjSevzriS aTt^axros ' svvoiav ya^ fxovov Tia^exerai, oh nä^sartv.
—
Hinweis auf diese Stelle bei Friede- richs, Chorus Euripideus comparatus ciun Sophocleo p. 33 (Er- langen 1853).—
Vgl. Bemhardy, Grundriß der griechischen Lite- raturgeschichte II, p. 324 und 333.Diese Forderung gilt natürlich auch für die ^do^eva, die rein lyrischen Chorpartien, für sie sogarin
besonderem Maße,
obwohl Aristoteles hier nicht ausschließlich an sie denkt. Anders in seinen weiteren Ausführungen, indenen
er lediglich von den
Chorliedern
handelt.Was
er dort von ihrer durchAgathen angebahnten
Weiterentwicklung berichtet, das zu kontrollieren fehlen uns alle Anhalts- punkte: von den ifxßöhfxakennen
wir nichts als den bloßenNamen und
diesen nur aus der vorliegendenAristo- telesstelle. DieVermutungen,
dieman
über jene auf- stellenmag, werden darum immer
nurim
bestenFall denAnspruch
auf Wahrscheinlichkeit, nicht auf bindende Gültigkeit erheben können^). Sicheren historischenBoden
dagegenhaben
wir unter den Füßen, soweit es sichum
die beiden großen Tragiker handelt, die Aristoteles zu- nächst einander gegenüberstellt,
um
Sophoklesund
Euri- pides. Nichtnur
daß ihreWerke zum
Teil wenigstens uns erhalten sind, es stehen uns auch aus den verschie- densten Zeiten des Altertums eine Reihe literargeschicht- licher Urteile zu Gebote, die eine auffallende Übereinstim-mung
mitdem
des Aristoteles zeigen. Ist diese teilweise auf einemehr
oderminder
enge Abhängigkeit vondem Gründer
der peripate tischen Schule zurückzuführen, sohaben
wir andem
großen zeitgenössischenGegner
des Euripides,dem Komiker
Aristophanes, gewiß einen selb- ständigenund darum
für unsreZwecke umso
wertvollerenZeugen
:Wenn
erAcharn.440
ff.dem
Dikaiopolis,während
er sich von Euripides mit den
Lumpen
von dessen Tele- phos ausstatten läßt, unteranderm
dieWorte
inden Mund
legt:deX yccQ fie do^ai titcoxov elvai ttJ/xeqov
*) J. Burckhardt nennt sie „Griechische Kulturgeschichte" 3', p.226 „lyrisch-musikalischeZwischenspiele ohne Bezug ztunGegen- stand des Dramas".
rovg
(Tav xoQevvag
rjXid-iovgTtageOTCcraL,
07t
wg
av avTOvg Qrj^azi'oig amfuaXiooj,so legt schon der ganze
Zusammenhang
dieVermutung
nahe, daß der Dichter hier wie anderwärts gegen Euripides polemisiert. Gestützt wird diese
Vermutung
durch das überaus wertvolle Scholion zu dieser Stelle, auf das neuer- dings Prof.Römer
mitbesonderem Nachdruck
hingewiesenhat: ^) '/.al öia
toizwv
xov EvQiTTidrjV diaaiQei, olrog yägeioayec tovc xoQOvg ovre
ta
d'KoXov&a (pd^eyyoiAevovg Tfj VTtod-aasi^ dXX iazogiag xivag ciTtayyeXkovtag^ (jjg ev zaig (Doiviooaig ovze Sf.i7rad-ü)g dvTiXa/iißavouivovg zaiv ddr/.r^&ivzwv,dlld
ueza^v dvziniuzovzag.Der
letzte Teil dieserAusführungen
(ovze iix7rad^ajg xrA,), der sich vermutlich auf dieZwischenbemerkungen
des KOQvtpdiog innerhalb der Epeisodien bezieht,kommt
für unsreZwecke
nicht in Betracht,umsomehr
der erste Teil, insofern inihm
die allgemein gehaltenen Ausstellungen des Aristo-phanes
näher ausgeführtund
durch ein bestimmtes Bei- spiel belegt werden. DieErage, wieweit der Scholiastdem
Euripides gerecht wird,kann
erstnach Untersuchung
desganzen
uns vorliegenden Materials beantwortet werden;hier sei
nur
festgestellt, daß sein Urteil durchaus in derAnschauung
des Aristoteles wurzelt. Dies gilt von der alexandrinischen Philologie überhaupt: ein wiewachsames Auge
diese bei derExegese
für dieForderung
hatte,daß
die Chorlieder
— um einen von ihr geprägten und
in den
Scholien vielfach wiederkehrenden Terminus
zu gebrauchen
—
dxolovd-a zfj vTtod-iasL seien, das zeigen uns die auf unsgekommenen
Überreste ihrer Arbeit, eben die Scholien, die wir geradedeswegen
für unsreZwecke
vielfachwerden
heranziehen können.Noch
einZeuge
für die bis in das*) Abhandlimgen der K. Bayer. Akademie der Wiss. I. Kl.,
XXII.
Bd., III. Abt., p. 606.—
9—
spätere Altertum sich hineinerstreckende
Nachwirkung
der AristotelischenAnschauung
sei genannt: Horaz^).Unter
den dramaturgischenAnweisungen,
die er in seiner ars poetica gibt, findet sich folgende für uns wichtige Stelleactoris partes chorus officiumque virile defendat, neuquid medios intercinat actus,
quod non
proposito conducat et haereat apte^).Auch
hier durchaus Aristotelischer Geist!Was,
wie wir sahen,im
Altertum sich traditionell fort- pflanzte^), das istwiederum
in diemoderne
Betrachtung des antiken Chores übergegangen. Hinweise auf die von uns zitierten Stellen oder in ihrem Sinne gehaltene, d. h.für Sophokles günstig, für Euripides ungünstig lautende Urteile wird
man
in jüngeren wie in älterenWerken
über griechische Literaturkaum
je vergeblich suchen. Einegründhche Prüfung und
Kontrollierung dieser ganzenAn-
schauungsweise an derHand
desgesamten
vorliegenden Materials ist allerdings, wie auch aufmanchem
verwandten Gebiete, nochimmer
nicht erfolgt. Ein Versuch, derLösung
dieserAufgabe näher
zukommen,
soll die vorliegende Arbeit sein^). Dabei wird es sich vor allemdarum
han- deln, den Tatbestand rein sachhch festzustellenund
zu gruppieren, irreguläre Erscheinungen von den regulären zu sondernund
eine innere Erklärung derAbweichungen
^) Seine Abhängigkeit von
dem Peripatetiker
Xeoptolemos bezeugt durch Porphyrio p. 344: inquem
librum congessit prae- cepta Xeoptolemi tov üaQiavov de arte poetica . . .^1 deart.poet. 193
—
195; vgl. auch die folgendenVersebis201.^j Vgl. Th. ßergk. Griechische Literaturgeschichte III, p. 139.
Zu dem
von ihm konstatierten Widerspruch zwischen Theorie und Praxis vgl. die allgemeine Bemerkung RömersPhüol.LXV,
1 p.65.*) Ursprünglich auf Sophokles
und Euripides
angelegt, mußtedieselbe bei der großen Anhäufung des Stoffes vorläufig auf
So-
phokles
beschränkt werden.Was
Euripides betrifft, so werden die fürum
besonders charakteristischen Erscheinimgen einstweilen nur anmerkimgsweise in ganz groben Umrissen skizziert werden die Ausführtmg im einzelnen ist für später vorgesehen.wenigstens zu versuchen.
Wenn
damit,was
nicht ganz vermiedenwerden
kann, daund
dort zugleich eine ästhe- tischeBewertung verbunden
wird, so wird dies stets mit der Vorsicht geschehen, wie sie durch unsremangel-
hafteKenntnis
der für den antiken Theaterbesucher gelten- den Voraussetzungen geboten erscheint. Die letzte Frage, die wir zu entscheiden haben, wird die sein, inwieweit dasvon den modernen
Gelehrtenim
ganzen akzeptierte Urteil der Alten mitHilfe des uns zu Gebote stehenden Materials sich als historisch berechtigt erweisen läßt.Kapitel
1.Bestimmimg des Anknüpfungspunktes
inder Handlung.
Gehen
wir bei unsrerUntersuchung
vondem
Begrifi"der dxolovd^la aus, so ergibt sich zunächst folgende Haupt- frage:
Welches
istder Punkt im Drama, an den die Chorlieder anzuknüpfen haben?
Eine Frage, die bis jetzt noch nicht in voller Schärfe gestellt zu sein scheint.§ 1.
Allgemeine Untersuchung.
Eine einfache
Überlegung
ergibt, daß die landläufigenAusdrücke: „Beziehung zum Drama", „Zusammenhang mit
derHandlung"
zu allgemeinund unbestimmt
sind.Es
genügt jedenfalls nicht, daß ein Chorlied nur diedem gesamten Drama zugrunde
liegendeallgemeine
Situa- tion zur Voraussetzung hat; an Chorliedern dieser Art fehlt es allerdings bei den drei Tragikern durchaus nicht^),^) Für Äschylus z. B. vergl. die Klagelieder der Okeaniden Prometh. 397 ff., 526ff; für Sophokles und Euripides vergl. die später anzuführenden Beispiele.
aber das sind
Ausnahmeerscheinungen
, die später nochim
einzelnen behandelt werden müssen. Die Regel ist jedenfalls, daß, wie schon dasWort
ay.olovd-la sagt, die Chorliederdem Gange
derHandlung folgen;
nur der Teil desDramas kommt
in Betracht, derdem
betreffenden Chorliedunmittelbar
vorausliegt.Man
könnte hier andas ganze vorhergehende Ineioödiov denken; indes, ein solches bildet keineswegs eine letzte innere Einheit, eben- sowenig wie der
Akt
desmodernen Dramas
: wie dieser zerfällt es in eine größere oder geringere Anzahl vonSzenen
1); diese aber inihren Einzelheiten widerzuspiegeln, istnach
derAnschauung
der alten Erklärernicht Aufgabe
des Chorliedes.Auch
hierauf weist uns ihre Terminologie hin:wenn
sie ein Chorlied daraufhin prüfen, ob es d'Kolovd'Ov rfj v^rod^toei ist oder nicht, sodenken
sie bei vTtod-eoLg
bekanntermaßen
nicht an dieEinzel- heiten,
sondern vielmehr an diewesentlichen Grund-
züge der Fabel eines Stückes-). Diese allein sind es, die für uns in Betrachtkommen. Wir
definieren also:der Punkt der Anknüpfung an das Drama
ist normalerWeise innerhalb der letzten allgemeinen Entwick- lungsstufe gelegen, welche
dieHandlung un- mittelbar vor dem betreffenden Chorlied erreicht hat;
eineBestimmung,
die für die übergroßeMehrzahl
der zu behandelnden Chorlieder zutreffen wird3).Nun
gilt es,diesen Anknüpfungspunkt
selbstnoch näher zu umschreiben. Wir
stehen dabei vor der wichtigen Frage: ist erzugleich auch der eigent- liche objektive Kernpunkt der vorausgehenden
^) Vgl. AiTioldt a. a. O. p. 35ff.
*) Vgl. die Definition von ardaifiov Schol. zu Eur. Phon. 202 als usÄos TiQos Trji' v7iöS"ea IV afrjy.ov.
3) Ausnahmen, die auch hier nicht fehlen, werden besondere besprochen werden.
—
Mit iinsrer Definition übereinstimm
end J. Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte 111=*, p. 219 oben.Entwicklung?
oder:haben
die Chorlieder den Zweck, das,was
sich eben vor denAugen
der Zuschauer abge-spielt, in sich zusammenzufassen, etwa den inneren Sinn des
Geschehenen
in die reinsteForm
zu bringen? DieseAnschauung war
einstund
istauch
wohl heute noch weit verbreitet. So schreibt,um
einen der hervorragendsten Vertreter derselben zu nennen, K. 0. Müller in seiner be-rühmten
„Geschichte der griechischen Literatur" ^): ,, • . .insbesondere dienen die Stasima dazu, mitten
im Drange und
derUnruhe
derHandlung
dieSammlung
des Geistes, diedem
Griechen für denGenuß
einesKunstwerks
not-wendig
erschien, zu erhaltenund von der Handlung gleichsam das Zufällige, Persönliche abzustreifen und
dieinnere Bedeutung derselben,
dendarin liegendenGedanken umso klarer herauszustellen."
Sein Urteil beruht auf der von
ihm
a. a. 0. vorausge- schicktenGrundanschauung, daß
.,derChor im
ganzennach einem
treffendenAusdruck den idealischen Zu- schauer
darstellt, dessen Betrachtungsweise derDinge
die Auffassung der
versammelten
Zuschauer lenkenund
beherrschen soll."Nun
hat aber diemoderne exakte
Forschung
gerade das Unzutreffende jenes bekanntlich von A.W.
Schlegel ausgegebenen Schlagwortesvom
„ideali- schen Zuschauer"mehr und mehr
aufgedeckt^).Beim Wegräumen
der letzten Stützen dieser romantischenKon-
struktion in bescheidenerWeise
mitzuarbeiten, soll nicht der letzteZweck
der vorliegendenUntersuchung
sein.Daß
derChor
des Sophokles durchaus nicht jenesMaß
von Objektivität der
Handlung
gegenüber besitzt, dasihm
als
dem
idealenZuschauer zukommen müßte
,mögen
gleich einige Beispiele zeigen, mit denen wir zugleich
*) II, p. 63; vgl. auch das überemstimmende Urteil von A.
Boeckh,
Antigone giiechisch und deutsch 1884, p. 134.''l Vgl. die zutreffende Bemerkung J. Burckhardts a. a. O.
p. 224.
—
unsre Hauptaufgabe, die Durchforschung
und
Feststellung desTatbestandes, im
einzelnen in Angriffnehmen.
Oed.
tyr.1086
ff.Schon
ist dieHandlung
soweit gediehen, daß der Zuschauer ebenso deutlich wie Jokaste, die eben schaudererfüllt hinweggeeilt ist, die baldige Ent- hüllung der gräßlichenWahrheit
voraussieht.Der Chor
aber zeigt dieselbe geradezu wahnwitzigeVerblendung
wie Oedipus: von der zukunftsfreudigenStimmung
desHelden
(vgl. V.
1080—83)
geradezu mitfortgerissen feiert er,„ohne den
Widerspruch
seines Glaubens mitdem
unheil-vollen Orakel zu empfinden'"'), die geheimnisvoll über- natürliche Geburt seines
Herrn
in rauschenden Tönen, dieim
grellsten Gegensatz zur Wirklichkeit stehen.Antig. 1115
ff.Kreon
hat, durch die furchtbareDrohung
des Teiresias erschreckt (V. 1095), auf denRat
des Chores (1100 f.) die Bestattung des Polyneikes ange- ordnetund
ist eben selbst weggeeilt,um
sein an Antigene begangenesUnrecht
durch persönliches Eingreifen wieder gut zumachen. Während nun
der Zuschauer sich der düsterenAhnung,
daß die reuigeUmkehr
Kreons zu spätkomme
(vgl die bestimmteWeissagung
1066ff.,1078
f.),nicht erwehren kann, erweckt diese
Umstimmung
indem Chor
die freudigste Hoffnung auf einen glücklichen Aus- gang: ^) indem
Augenblick,wo
dasUnglück
über dasKönigshaus
bereits hereingebrochen ist, ruft ernoch
in völliger Ahnungslosigkeit den göttlichen Schutzherrn The- bens an, ermöge
in seiner Herrlichkeit erscheinenund
die Stadt von Schuld
und Not
erlösen.1) Schneidewin-Nauck,
Sophokles
'Anmerkung
zu derStelle (nach, dieser Ausgabe ist zitiert).*) Völlig ausgeschlossen wäre die Möglichkeit einer
Wendung
zum
Guten ja an sich noch nicht (vgl.V
1024ff.); darin liegt ein gewisser Unterschied zwischendem
vorliegenden und den beiden andern herangezogenen Hyporchemen (Oed. tyr. 1('86ff. und Aias 6;i3 ff.).—
14—
Aias 693
ff. Hier erscheint dieVerkennung
deswahren
Sachverhalts vonseiten des Choresnoch
auffallender als in den beideneben
besprochenen Stellen.Denn wäh-
rend dort dieim
Augenblickam
meisten hervortretenden Personen des Stückes den Irrtum des Chores nicht nurteilen, sondern
ihm
indemselben
geradezu vorangehen, hat hier derHeld
in zwar dunklen, aber für den tiefer Blickenden hinlänglich deutlichenWorten
(646ff.) auf den vonihm
geplanten Selbstmord angespielt.Kaum
ist er abgetreten, seinen unseligen Entschluß auszuführen, sostimmt
der Chor, der, seinenHerrn
gründlich mißver- stehend, an eine tatsächliche Sinnesänderung desselben glaubt (vgl. V. 706 u. 716), ein fröhliches Tanzlied an(vgl.V. 702
und
das Scholion z. d. St.: OQxr]GLv TtoiovvTai)auch
hier derselbe Kontrast zwischen der Wirklichkeitund dem Wahne
deskurzsichtigen,
inder Handlung
be-fangenen Chores.
Daß
der Dichter derartige Gestaltungen nichtohne bestimmte
künstlerische Absicht geschaffenhaben
kann, lehrt schon die auffallendeWiederkehr
solcher vnoqxi^- fiara unmittelbar vor der Katastrophe in drei der er- haltenen SophokleischenDramen. Daß
auch die Alten ihrAugenmerk
schon auf diesenPunkt
richteten, zeigt das Scholion zu Aias 693: evETtKpoQog Se 6 Ttoirjrr^g TtQOQ Toiairag f^eXoTtouag oJare ivtid^evain
-/.al zov tj-ÖEog^). Erschöpfend ist allerdings diese Erklärung nicht;
darauf hat
Römer
an der p. 8 angeführten Stelle, an der er die ganze uns beschäftigende Frage kurzberührt, nach- drücklich hingewiesen: „der letzte (d. h. der vondem
Scholion angeführte)
Grund
istnicht oder doch nicht allein fürden
Dichtermaßgebend
gewesen, sondern ein viel*) Derantike Mensch hat hier offenbar anders empfunden als wir: unserm modernen Gefühl widerstrebt dieses künstliche Hin- ausschieben der Katastrophe; vgl. A. Wilbrandt. „Sophokles' aus- gewählteTragödien" p. 17.
—
wichtigerer
und
höherer: dasHinausheben
derZu- schauer über den
inIllusion befangenen Chor und
über die Personen desDramas". Wir können
diesen überaus fruchtbaren Gesichtspunkt nicht weiter verfolgen;wir
begnügen
uns, die für unsereZwecke bedeutsame Frage
hier anzuknüpfen: wiekann
ein Chor, den der Dichterum
bestimmter künstlerischerWirkungen
willen sogarmehr
als die Zuschauer in Illusion befangen seinläßt, dazu
bestimmt gewesen
sein, durch seine „Betrach- tungsweise derDinge
die Auffassung desversammelten
Volkes zu lenkenund
zu beherrschen?" ^)Es war
so wenig seine Aufgabe, ,,den geistigen Gehalt derHandlung
auszusprechen",2).daß er selbst da,wo
er die dramatische Situation klar durchschaut,keineswegs immer den
für dieEntwicklung der Handlung objektiv be- deutsamsten Punkt hervorhebt,
auf den es doch injenem
Fall wesentlichankommen
müßte.Folgende Beispiele
mögen
das zeigen:Oed.
tyr.863
ff.Der Angelpunkt
der vorausgehen- den dramatischen Entwickelung ist die Fragenach dem Mörder
des Laius, diewiederum
ein kleines Stück ihrerLösung
entgegengeführt wurde. Indem
folgenden Chor- lied findet sich nurbeiläufig
eine ganz allgemein ge- haltene Anspielung auf die Erforschung des Mörders (V.879—81);
der eigentliche Gegenstand, mitdem
sich derChor
hier— und
zwar sehr ernsthaft—
auseinander- setzt, ist die blasphemische Herabsetzung der Seherkunst durch gewisseÄußerungen
der Jokaste (V.708
ff., 851 ff.,vgl. Schol. zu 863), die innerhalb des
Ganges
derHand-
lungnur Mittel zum Zweck,
nicht Selbstzweck ge- wesen sind.Elektr. 472
ff.Der
eigentlicheFortschritt derHand-
*) Vgl. auch p. 45
Anm.
2.*) A. Boeckh a. a. O.
—
lung im
ersten Epeisodion besteht darin, daß Elektra von der Klage, der (passiven)Hingabe
an denSchmerz
(vgl.den Prolog) zur Aktivität übergeht
und
schließlich sogar Chrysothemis zueinem
entschiedenen Schritt zubewegen
weiß (413 ff., 466).Das
folgende Stasimon ignoriert dies völlig;woran
es anknüpft, ist ein dramatischesNeben-
motiv: die
—
von Elektra allerdings mit vielTemperament aufgenommene
(411,459
f.)— beiläufige
Mitteilung des nächtlichen Traumgesichtes der Klytaimestra durch Chrysothemis.Diese überaus schwerwiegende, bis jetzt aber soviel wirsehen
noch
nicht beachteteTatsache derAnknüpfung an ein dramatisches Nebenmotiv bestimmt
uns zur entschiedenstenAblehnung
deroben
gekennzeichneten Auffassung des antiken Chores als des idealisierten Zu- schauers. Steht, so schließen wir, die dramatische Lyrik nicht einmaldem
äußerenGange
derHandlung,
den ein- fachen Tatsachen der vTtö&soig als objektiver Faktor gegenüber, sokann noch
viel weniger davon dieRede
sein,daß
sie,was
von den älteren Forschernauch
Bernhardyi) zurückweist, „denGrundgedanken
der Dichtung von Stufe zu Stufe hervorhebenund
beijedem Ruhepunkt
derHandlung
dieMomente der über dem Ganzen ruhenden Idee
gleichsamkommentieren"
solle.Ob und
wieweitman
überhauptbeim
antikenDrama von
«iner solchen „über
dem Ganzen ruhenden"
Idee redenkann,
ist eine Frage für sich, der gegenüber sich diemoderne Forschung
ungleich vorsichtigerund
nüchterner verhält als das romantische Zeitalter.2)Wie
wenig es jedenfallsdem
antiken Dramatiker daraufankam,
durchden Chor
als sein„Organ"
die „Idee" eines Stückes aus- sprechen zu lassen,kann man
daraus ersehen, daß er die') „Grundriß der griechischen Literatur" (1872) II p. 324.
^) Vgl. die interessanten Ausführungen von Wüamowitz, He-
rakles I p. 115ff.
Stelle des
Dramas,
dieihm
die beste Gelegenheit dazu böte, die Schlußanapäste des Chores unbenutzt läßt: ent-weder
treten diese ausdem Rahmen
des ,.Zufälligen, Per- sönlichen", das sienach
0. Müllers Auffassung doch „ab- streifen"müßten,
überhaupt nicht heraus (vgl. Philokt., Oed. col., Elektra); enthalten sie aber so etwas wie einen allgemeinen Gedanken, so ist dieser, wie in der Antigone, als die Widerspiegelung des Eindruckes, den dieeben
erstzum Abschluß gekommene
Katastrophe indem Chor
hervorgerufen hat, lediglich auf denletzten
Teil desDramas,
nicht auf dasGanze
zu beziehen; andrerseits aber ist der sentenziöse Ausspruch, den Sophokles— und
hauptsächlich Euripides^)—
an den Schluß mehrererDramen
gesetzt hat (vgl. Aias, Oed. tyr.)^), so allgemein gehalten, daß er, wieWilamowitz
zu den Euripideischen Schlußsentenzen bemerkt, hinterjedem
attischenDrama
stehen könnte.
Scheiden wir also
nach
alledem den farblosen, un- fruchtbarenGedanken
an eine(mehr
oder wenigermechanische)
Widerspiegelung derHauptmomente
derHandlung
oder gar derüber
dieserruhenden
„Idee" von vornherein aus unsrer Betrachtungsweise grundsätzlich aus; erstdann werden
wirdem individuellen
Leben, das tatsächlich in der dramatischen Lyrik der Griechen herrscht, überhaupt gerechtwerden
können.Woher
sie dieses inWahrheit
empfängt, welches derBoden
ist, ausdem
heraus sie sichorganisch
entwickelt, das zeigen eben die angeführten Beispiele, die sich leichtvermehren
ließen: das 2. Grdoi/uov des Oed. tyr. knüpftan
die jedesfromme Gemüt
aufs tiefsteerschütternde
') Vgl. Wilamowitz a. a. O.
*) Vgl. Schneidewins treffende Bemerkung „Einleitung
zum
Oedipus tyrannos", p. 18 oben.Im
übrigen ist die Echtheit xmddie Verteilung der Schlußverse des Oed. tyr. zweifelhaft (vgl.
Schneidew.-Xauck, krit. Anhang).
2
Blasphemie
der Jokaste, das 1. OTaoi(.iov der Elektra andie die Heldin geradezu
elektrisierende
Mitteilung desTraum
gesiebtes der Klytämestra an. In beiden Fällen ist das fürdie Wabl des Anknüpfungspunktes
positiv ausschlaggebende Moment
dieWirkung
auf das Gemüt der
dieHandlung
alsSelbst- beteiligte miterlebenden Choreuten,
also ein reinsubjektives Moment.
Diese Tatsache bleibt
auch dann
vollauf zurecht be- stehen,wenn
derAnknüpfungspunkt
zugleich derobjektiv
bedeutsamstePunkt
der vorausgehenden dramatischenEntwicklung
ist,was
wohl meist der Fall ist;um
einige Beispiele zunennen
:beim
4. otcco. des Oed. tyr. (1186ff.) ist es der jähe Sturz des Helden,im
2. axdo. der Elektra der Konflikt zwischen den beiden verschieden gearteten Schwestern. Allein diesesZusammenfallen
der beidenPunkte
ist etwas durchaus Akzessorischesund darum
für unsre Betrachtung völlig gleichgültig. DieHauptsache
bleibt:
wesentlich durch das Hinüberströmen des
im Drama pulsierenden individuellen Gefühls- lebens
in diechorische Lyrik wird eine orga- nische Verbindung zwischen beiden Elementen, Chorlied und Handlung,
sichherstellen lassen;
je lebhafter
dieHandlung,
jeeindrucksvoller
siefür den an ihr persönlich interessierten Chor
ist,desto unmittelbarer wird sich das Verhältnis zwischen ihr und der chorischen Lyrik ge- stalten
i).') Dieselbe Innigkeit gefühlsmäßiger Beziehungen zwischen Chorlied und Handlung findet sich übrigens auch bei
Euripides
in einer ganzen Reihe von ardaifÄn (vgl. p. 53,
Anm.
2).—
§ 2.
Untersuchung
einzelnerTypen.
I. Chorlieder als Widerhall eines Schlussakkords.
Diese Unmittelbarkeit der gegenseitigen Beziehungen wird
dann am
klarsten zutage treten,wenn
dieHandlung
nicht, wie es vielfach der Fall ist,am
Schlüsse eines Epeisodionsruhig ausklingt,
sondern gerade gegen dasEnde sich zuspitzt und
noch einmalzu gewaltigem Aufschwung
sicherhebt. Einen
Fall dieser Arthaben
wir bereitsim
3. oräa. des Oed. tyr. (1086 ff., vgl. p. 11)kennen
gelernt, ein zweites Beispiel sei hiernoch
hinzu- gefügt:Trach.
205 ff.Eben
hat ein Bote die bevorstehende glücklicheRückkehr
des Herakles gemeldet (180 ff.); voll Jubel über diese langersehnte,kaum mehr
erhoffte Freu- denbotschaft hat Dejanira,einem
echt menschlichenDrange
ihres Herzens folgend, alle
Frauen
ihrerUmgebung
auf- gefordert, durch ein fröhliches Lied das Heil, das ihr widerfahren, weithin zu verkünden (202—
204).Der Chor
erfüllt sofort
den Wunsch
der Herrin: der Gesang, den er jetzt anstimmt, ist der reinsteAusdruck
der alleHerzen
erfüllenden Freude des Augenblickes, einWiderhall des
gewaltigenSchlußakkordes,
in den die vorausgehende Szene ausgeklungen ist.Fälle dieser Art^)
machen
esvollkommen
klar, wie wesentlich es bei derWahl
desAnknüpfungspunktes
auf dasim Augenblick subjektiv eindrucksvollste,
nicht auf das objektiv bedeutsamste
Moment
derHand-
lungankommt.
*) VöUig übereinstimmende Parallelen bei
Euripides
nicht XU finden.—
20—
il. Illustrierende Chorlieder.
Der Augenblickscharakter
der dramatischen Lyriktritt uns besonders in einer weiteren, ziemlich zahlreichen
Gruppe
von Chorliedern entgegen, zu der wir unsnun- mehr wenden
wollen.Wir nennen
siekurz die „illustrie-renden",
deswegen, weil sie eingleichzeitiges drama-
tisches Ereignis^), unterUmständen auch
einenbestimmten
Zustand, indem
sichim
Augenblick eineBühnenperson
befindet, durch die Mittel der Lyrik zur Darstellung bringen,gewissermaßen
„illustrieren".Was
wir darunter verstehen,mögen
folgende Bei- spiele zu voller Klarheit bringen, die wir in 2Gruppen
einteilen
1.
Elektra 1384
ff. Zweierlei hat die vorausgehende Ent- wicklung derHandlung
mit sich gebracht: die arayvcSgiaig der Geschwisterund
den Beschluß derselben, den Mutter-mord
sofort auszuführen.Auf
das erstereMoment,
das innerhalb desDramas
einen ziemlich breitenRaum
ein-genommen
hat (V.1098—1287),
greift derChor
mitgutem Grunde
nichtmehr
zurück: allgemeine Sätze, etwa über die Geschwisterliebe,würden
jetzt sicherlichnur
taubeOhren
finden; vordem
überwältigenden Eindruck des gegenwärtigen Augenblicks verblaßt alles weiter Zurück- liegende,mag
esauch
an sichnoch
so wirkungsvoll ge-wesen
sein.Wir
sehen wieder: je lebhafter erregt, je packender jeweils die Szene ist, desto dramatischer istauch
die chorische Lyrik gehalten; eine Flucht in die^) Voraussetzung ist dabei, daß dieHandlung während der be- treffenden Chorgesänge
vorwärts
schreitet; der Satz, daß die Stasimainden„Ruhepausen''
gesungen werden (Burckhardta.a. O.), bedarf also einer Modifikation, wie sie der Herausgeber der Grie- chischen Kulturgeschichte—
allerdings nicht völüg zutreffend (vgl.p. 23
Anm.
3)—
gegeben hat.—
Allgemeinheit, ein Sichergehen in
mehr
oder weniger von derHandlung
sich entfernenden Gemeinplätzen ist hier völlig ausgeschlossen.Daher denn
auch der Blick nicht auf dieVergangenheit,
sondern auf die lebendigeGegenwart
mit ihremHangen und Bangen
gerichtet ist:während
derChor
den Verschworenen, die eben insHaus gegangen
sind,um
dort das blutigeRachewerk
zu voll- enden,im
Geiste folgt, taucht miteinem Male
vor seiner erregten Phantasie—
so stark erlebt erden
hochge- spannten Augenblick mit—
eineVision
auf; es ist ihm, alssehe
er, wie die strafenden Götter (1385, 1388) mit Orestes insHaus
eindringen,ihm
bei seiner gerechten Tat(1391—1397)
ihren Beistand zu verleihen (vgl. alsAna-
logen beiEuripides Jon 1048
ff.).Der Zweck,
den der Dichter bei dieser Gestaltung verfolgt, ist klar: durch die Hereinziehung der übersinn- lichenMächte
soll der gegenwärtigeMoment,
derHöhe-
punkt der dramatischen Entwickelung, auchäußerhch
ins Grandiosegesteigert
werden,nicht etwa,wieMuff
meinti), etwas von seiner Furchtbarkeit verlieren.Dabei
ist etwasnoch
besonders zu beachten: das Chorlied ist auffallendkurz
2), es enthält nur Stropheund
Gegenstrophe.Langatmige Ausführungen
könnten hierderGesamtwirkung
nur schaden;inderBeschränkung
auf eine kraftvolle
Kürze
zeigt sich so recht diedrama-
tische
Meisterschaft
des Sophokles.Oed.
col.1044
ff. Theseus hat die Verfolgung der Thebaner, die Oedipus' Töchter mit Gewalt weggeführt, nichtnur
angeordnet (897—
99), sondern er istauch
selbstaufgebrochen (1019 ff.),
um am Kampfe
teilzunehmen.Dieses ist der Punkt, auf den die lediglich mit Rücksicht auf ihr hohes Alter zurückbleibenden Greise {ol -Kara rov
') ,,Die chorisclie Technik des Sophokles"' (Halle 1877j, p. 143.
*j
Den
Hinweis aufdieWichtigkeit diesesPunktes verdankeich,wie so manche andere Avertvolle Anregung, meinem Lehrer Römer.
—
XOQOV aXXcDg 7rQoßEßT]y,6Teg Ttjv r^Xmlav atX. schol.) jetzt ganz
naturgemäß
ihr volles Interesse richten (V. 1044).Während draußen
die Schlacht tobt, geben sieim
Liede den Gefühlen Ausdruck, die ihreHerzen
in diesemAugen-
blick
bewegen:
mit lebendiger Anschaulichkeit malt sich ihre erregte Phantasie Ort(1044—64),
Verlaufund Aus- gang (1065—84)
der Schlacht aus, inheißem
Gebete fleht ihrfrommer
Sinn die Götterum
Verleihung des Siegesan
(1085—
95),und
dies ineinem
Augenblick, da dieser vielleicht schon erfochten ist. Ergeht sich derChor auch nur
inVermutungen
(V. 1054, 1075), so ist dasGanze doch
ein so farbenprächtiges Schlachtgemälde, daß eine qrjoigayyelmy
bei aller „historischen" Treue denHergang
desKampfes
nicht lebendiger veranschaulichen könnte.Wie
sehr der Dichter selbst sich dessenbewußt
war, geht aus der auffallenden Tatsache hervor, daß er nachher keines derZurückkehrenden
über den Verlauf der Schlachtund
die Befreiung der Töchterim
einzelnen berichten läßti).Wir
sehen: das vorliegende Chorlied erscheint soeng
mit derHandlung
verknüpft, so sehr inihrem
Dienste stehend, daß essogar einStück derselben ersetzt
und,indem
es dieHandlung von einem
Epeisodionzum
andern weiterleitet,selbst zu einem unentbehrlichen Be- standteil der dramatischen Komposition
wird.Ein interessantes Seitenstück hiezu enthält dasselbe
Drama im
4.Stasimon
(0. C.1556
ff.). Ödipus hat eben,nachdem
er seinen letzten Willenkundgetan
(1500 ff.),den
Gang zum
Sterben angetreten.Der
Chor, in scheuer Ehrfurcht zurückbleibend, begleitet ihnim
Geiste,indem
er in
andächtigem
Gebete die unterirdischen Götter an- fleht, denlebensmüden
Greis (1565 ff.) inGnaden
bei sich*) Vgl. darüber, wie über die^e ganze Gruppe von Chorliederu Wilamowitz, Heracles, II, p. 215.
aufzunehmen. Kaum
ist das Lied verklungen, so wird auch schon durch die Botschaft vondem
wunderbar- geheimnisvollen Verschwinden desHelden
(1579ff.) die Er-hörung
des Gebetes unmittelbar bestätigt; dieses selbst erscheint somit als einewenn
auch nicht in den Einzel- heiten, so doch— und
das ist ja doch dieHauptsache —
inder
Gesamtstimmung
getreueSchilderung
des seligen Endes, das der große Dulder gefunden.In diesen drei
Chorgesängen
tritt uns als gemein-samer Zug
entgegen, daß sie alle die Schilderung, „Illu- stration" eines nur gedachten, ideellen, also nichtsinnlich wahrnehmbaren
Ereignisses enthalten^).Der
Dichter hat hier,um
mitWilamowitz
zu reden2), „die so selten er- reichteAufgabe
erfüllt, daß eineHandlung,
die wir nicht sehen, doch mit der ganzen Stärke derGegenwart
auf unsreEmpfindung
wirkt."2.
Demselben Zweck
der Illustrationkönnen
Chorliedernun
auchdann
dienen,wenn
das Ereignis, bezw. der Zu- stand, den siezum Gegenstand
haben,vor den Augen
der Zuschauer
sich vorbereitetund
abspielt^j; der Zweck, den der Dichter in diesem Falle verfolgt, ist offen- bar der, den Eindruck des betreffenden Ereignisses oder Zustandes durch dieWirkung
des begleitenden Liedes zuverstärken.
Als Beispiele seien erwähnt:') ChorliederdieserArtbei
Euripi
dessehr häufig: Med. 976ff.,1251 ff., Hippol. 732ff., HerakUd. 748ff., Hiket. .ö98ff., Helen.
1451ff., Bakch 977ff., Phon. 12&4ff, Kykl. 356ff., 608ff.: ein Beweis seiner außerordentlichen Begabung für schildernde Poesie (vgl. p. 25 Anm.).
*) a. a. O., p. 214.
') Die Handlung schreitet demnach, wenn auch nur in ver- ehizelten Fällen, während der „Ruhepunkte'' auch auf der
Bühne
Torwarts; dies hat der Herausgeber von Burckhardts Kultur- geschichte (vgl. p. 20
Anm.
1) offenbar nicht beachtet.Trach. 954
ff. Zwei dramatischeMomente,
beide gleich wirkungsvoll, sind unmittelbar aufeinander gefolgt:der V. 871 ff. gemeldete
Tod
der Dejaniraund
die Nachricht von der bevorstehendenHeimkehr
destodwunden
Herakles (951).Während
derChor noch
schwankt,wen
vonden
beiden Unglückseligen ermehr
beklagen solle(947—53),
erscheint schon der traurigeZug
derGefolgsmannen
, die ihrenHerrn
auf einerBahre
bringen(959—61). Immer
näher
kommen
sie,langsam und
leise,um
den vor Er- schöpfung eingeschlafenenHelden
nicht zuwecken
(965 bis 970): dies wird indem
Chorlied mit solcherAnschau-
lichkeit
geschildert,
daß schon dieWorte
des Chores einelebendigeAnschauung davon
geben,mitwelch rührenderBehutsamkeit
derschlummernde Kranke
von denrauhen
Kriegern (966 f.) behandelt wird.Philokt.
201 ff.Während
derChor noch
ganz von der Betrachtung der unglücklichenLage
des Philoktethingenommen
ist (V.168 —
200), dringt plötzlich aus derFerne
der Klagelaut des gefürchtetenHelden
an seinOhr
(201 ff.);
immer
lauterund
erschütternder klingen dieWeherufe
desNahenden, immer mehr
steigert sich dieAngst
der Choreuten. Jetzt steht dieserauch
schon leib- haftigvor ihren erschrockenen Augen.Lebendiger
könnte die furchtbareGröße
deseinsamen Helden
gar nicht ver-gegenwärtigt werden
als durch diese kleine Szene, wiesie der dritte Teil der Parodos darstellt
(201—218).
Der
Blustration dientnoch
ein weiteres Chorlied des- selbenDramas
:Philokt.
827 ff.Kaum
ist der Held, er- schöpft von seinem Leiden, eingeschlafen (821—
26), so ruft derChor
in leisem Gebete denHypnos
an, ermöge
erscheinenund den Schlummernden
in seinemBanne
fest-halten
(827—31); Wort und Weise
ist ganz die eines sanftenSchlummerliedes
i), indem
dieStimmung
des>)
Zu
Trach. 954ff. und Phil. 827ff. vgl. die interessante Ab-Augenblickes ihren zartesten
Ausdruck
findet: ein lyri-sches
Verweilen bei derAusmalung
einesZustandes,
wie es sich bei
Sophokles
nur an der vorliegenden Stelle findet.Und
auch hiermüssen
wir ihm,dem
zielbewußten Dramatiker, dieselbe weise Selbstbeschränkungnachrühmen
wie oben (p. 21) bei derBehandlung
von Elektra1384
ff.Die Versuchung,
dem lyrischen Element
einen—
viel- leicht unverhältnismäßig—
breitenRaum
zu gewähren, lagwohl
nirgends sonahe
wie gerade hier; Sophokles hat es auf ganz wenige Zeilen beschränkt (V.827—31)
^).Dazu kommt,
daßihm
dasLyrische durchaus nicht Selbst- zweck ist, sondern seinerseitswiederum dramatischen Zwecken
dient:was dem Chor
jenes stimmungsvolleGebet
eingibt, ist der
dramatisch
wohlbegründeteWunsch,
der anhaltendeSchlummer
des Philoktetmöge dem
zaudern- denNeoptolemos
alswillkommene
Gelegenheit dienen,dem Helden
denBogen
zu rauben, den erihm
mit Rücksicht auf seinen körperlichen Zustand kurz vorher (V.763
ff.)yertrauensvoll übergeben.
Der
Aufforderung an Neoptole- mos, ermöge
diese Gelegenheit nicht unbenutzt vorüber-gehen
lassen, istnun auch
der übrige, größere Teil des Chorliedes gewidmet.Antig. 944
fi.Eben
wird die Heldin auf ihreAn-
wesenheit deutet die zweimalige Anrede: zuAnfang
(949)und
zuEnde
(988) des Gesanges; vgl. Elektra 121) vonhaiidlimg von Dieterich: .,Scli]afsceneu auf der attischen Bühne*'.
Rheinisches
Museum
46, p 2ü—
46.')
Euripides
läßt diese dramatische Ökonomie dann und wann stark vermissen:intime Milieuschilderung und Stim- mungsmalerei —
allerdings ein Gebiet, aufdem
er Meister ist—
finden sich in seinen Chorliedern zuweilen in einer Ausführlich- keit, die der Einheitlichkeit und Geschlossenheit des Gesamtwerkes(i'v xai o/.or) nicht eben dienlich ist: Alk. 568
—
96, Med. 824—
45, Hippel. 121-129, 732—51, Hek. 456—74. Iph. Taur. 392—436, 1106—81,Jon
184-218,492—
5C»9 usw. (Im einzelnen läßt sich freilich das Lyrische eher nachfühlen als zahleiunäßig nachweisen.)den
Schergen desKreon
hinweggeführt,dem Grabgewölbe
zu, in
dem
sie, lebendig eingemauert, denTod
des Ver-schmachtens
finden soll.Ein
gewaltiges,im
einzelnen in seinenBeziehungen
zurHandlung
schwer verständliches Chorlied (vgl. p. 83 ff.) begleitet sie aufihrem
Todesgang:wir könnten es
— modern
gesprochen—
einen„Trauer- marsch auf den Tod der Heldin"
nennen.Der
„Hlu- stration" dient es insofern, als durch seine wuchtigenRhythmen, denen auch
derpomphafte
mythologische In- halt entspricht, der Eindruck des eben vor denAugen
derZuschauer
sich vollziehenden Ereignisses—
gewiß eines der bedeutsamstenund
wirkungsvollstenMomente
desDramas — ins Grandiose gesteigert werden
soll.
Wir
schließen damit dieseGruppe
von Chorliedern ab; die für sie besonders charakteristischeGebunden-
heit
an
dieSituation des Augenblicks
wird klargenug
hervorgetreten sein. Einen Teil von ihnenkönnen
wirnoch
untereinem
weiteren Gesichtspunkt betrachten,wodurch
wir zugleichunserm
Ziele—
der endgültigenBestimmung
desPunktes
derAnknüpfung
an dieHand-
lung—
einen Schritt näherkommen
werden.III. Ausblicke auf den
weiteren
Verlauf der Handlung.El.
1384
ff., 0. C.1044
ff.,1556
ff. ist das dargestellte Ereignis, objektiv betrachtet, zwar eingleichzeitiges;
es vollzieht sichtatsächlich
bereits indem
Augenblick, indem
das betreffende Chorliedgesungen
wird^); auch der^)
Daß
dabei der zeitliehen Wahrscheinlichkeit nicht allzu- ängstlich Kechnung getragen wird (bes. O. C. 1044 ff.), ist nicht befremdlich, weil auch sonst,wo
es sichum
das Tiooy.ÖTiTeiv t/)»inöd'aatv handelt, in der attischen Tragödie nicht ungewöhnhch.
„In der Poesie gibt es keine Chronologie und Topographie, wenig- stens nicht in der tragischen." Fr. Blass, Die Interpolationen in der Odyssee. Halle 1904. Vgl. auch die von ihm aus Aeschylus'
Agamemnon
und Euripides'Hiketiden beigebrachten Belege(p. 10f.).Auch
Aias 148—
52 gehört hierher (vgl. darüber p. ?>0. Anra. 1).Zuschauer empfindet es
dank
der lebhaften Schilderung als etwasGegenwärtiges.
Anders der Chor: für ihn, dessen Phantasie der realenHandlung vorauseilt,
handelt es sichum
etwasZukünftiges,
dessen Erfüllung erst durch den weiteren Verlauf desDramas
(im nächsten Epeisodion) bestätigt wird. DerartigeAusblicke
in dieZukunft
finden sich auch sonst noch^), so:Phil.
718—29. Nachdem
derChor
indem
ersten, weitaus umfangreicheren Teile des oräoif-iov (676—
717) die Leiden des Philoktet, wie wirgegen
Schneidewin2)und
Chr. Cavalin^jannehmen,
mitwirklicher
innererTeilnahme
in den lebhaftestenFarben
ausgemalt hat, spricht er dienach
unserer—
später (p. 42) ausführlich zubegründenden — Meinung
durchausernst
gemeinte Hoff-nung
aus, das trostlose Geschick desHelden
werde sichnun
dochzum
Besserenwenden
(evdai^iov dvioei V. 720), Neoptolemoswerde
ihn seinemWunsche gemäß
in die
Heimat
zurückgeleiten: einbedeutsamer
Hinweis auf diejenigeLösung
der Frage, die späterNeoptolemos
nachlangem Schwanken
indem
Augenblicke findet,wo
in
ihm —
wie eben jetztim Chor —
das Gefühl reiner Menschlichkeitzum Durchbruch
gelangt (1402); vondem Standpunkt
aus, den dort Neoptolemos, hier derChor
ein-nimmt,
in der Tat die einzig mögliche Lösung.Trach. 821—40. An
die eben von Hyllos gebrachte Nachricht von der vernichtendenWirkung,
die das von Dejaniradem
Herakles ingutem Glauben
gesendete Ge-wand
ausgeübt habe, knüpft derChor
zunächst an; zu- gleich aber richtet er seinen Blick auf einen höchst be-deutsamen Punkt
derZukunft:
er erinnert sich des—
') Bei
Euripides
hauptsächlich Alk. 597 ff., Hipp. 525ff.,El. 483ff., Helen. 1495ff., Iph. Taur. 447ff.
—
FürSophokles
vgl. auch noch p. 58 (Elektra 472ff.j.
2) „Einleitung
zum
Philoktetes'', p. 15.8) Sophoclis Philocteta (Lund 1875), p. 132.
— —
was
besonders beachtenswert erscheint,im
bisherigen Ver- lauf derHandlung noch nicht
erwähnten^)—
Orakels, demzufolge Heraklesnach Ablauf
von zwölfJahren von
allen Leiden
und Mühsalen
erlöstwerden
sollte.Der
Sinn dieses Götterspruches wirdnun
miteinem Male dem
Chore klar: unter der Erlösung, von der der Gott geredet,
könne
nichts anderes als derTod
gemeint sein, derihm
jetzt,
wo
das Gift anihm
zehre, völlig gewiß sei(V. 831 ff.).
So
klingtzum erstenmal
das Motiv hieran, das weiterhin den Schluß des
Dramas
beherrschensoll (vgl. V.
1164-72):
derTod
als Erlöser.Das
Chor- liedbekommt dadurch naturgemäß
eine ganz besondereBedeutung
innerhalb derGesamtkomposition
des Stückes.Auch
das 5. Stasimon desselbenDramas
(Tr. 947 ff.)kann
hiernoch
einmalerwähnt
werden, insofern als dieHeimkehr
des Herakles, die denChor
beschäftigt, zunächst wenigstens einnoch
zuerwartendes
Ereignis ist (vgl.V, 951 cdde de i.i£vof.i€v sv ilTtlaivy).
Fragen
wirauch
hier,warum
derChor
geradediese Punkte
aus derHandlung
herausgreift, so wird sich die- selbeAntwort
wie bisher ergeben: es sind eben wieder die Punkte, die diegemütliche Teilnahme
desselben in be-sonderem Maße
inAnspruch nehmen.
Alsoauch
hier wieder ist dersubjektive Eindruck
der wesentlich ent- scheidende Faktor.IV.
JJaQOÖOL.
Gilt
nun
dieses Gesetz, das sichnach unsem
bis-herigen
Untersuchungen immermehr
als ein allgemein- gültiges zu erweisen scheint,auch
für die Fälle, indenen
*) Die Überliefenuig onois rs/.edftr.roe ty.fs'ooi ScoSsxaxos
agoros
(824f.) schließt eine Beziehung auf das V. 76 ff., 155 ff.,821ff. erwähnte Orakel aus (vgl. Schn.-N.
Anm.
z. d. St.).2)
Unbewußte
Hinweise auf die weitere Entwicklung Aias 6B5 und O. C. 707ff. (vgl. p. 57,Anm.
2).der
Chor
überhaupt noch nicht unterdem unmittel- baren
Eindruck derHandlung
gestanden hat? Dies dasProblem,
vor das wir uns durch eine weitereGruppe
von Chorliedern, dieTtägodoi,
gestellt sehen.Das
Besonderean
ihnen liegt darin, daß derChor
bei seinem Einzug die Entwicklung, welche dieHandlung im
Prologgenommen
hat, entweder gar nicht (Antigene) oder nur
im Umriß
(Aias, Oed. Col.) kennt oder daß er nur in die allge-
meinen
Voraussetzungen des Stückes eingeweiht ist (Oed.tyr., Electr., Trach.. Phil).
Was
denAnknüpfungspunkt
betrifft, so ergibt sich hier offenbar eine doppelte
Mög-
lichkeit:
entweder
ist erder Sphäre entnommen, aus der der Chor eben herkommt, oder aus
der, in die erdurch das Betreten der Orchestra
indiesem Augenblicke versetzt
ist.1.
Beide Möglichkeiten finden sich bei Sophoklesi), die letztere
— wiederum
charakteristisch für denDramatiker
Sophokles
—
in der überwiegenden Mehrzahl: Aias, Trach., Elektr., Philokt., Oed. Col. Hiernimmt
derChor
sofort bei seinem Auftreten Stellung zurHandlung, indem
er den— im Drama
begründeten— Zweck
seines Er- scheinensvon vornherein
energisch insAuge
faßt.Aias
134 flf.Das
vonOdysseus im
Auftrag derAthene
(V. 66 f.) ausgestreute Gerücht vondem Wahn-
sinn des Aias2) hat sich
im
griechischenLager
mit un-*) Ebenso bei Euripides, bei
dem
8 Parodoi der ersten Art (Alkestis, Medea, Herakliden, Hekabe. Andromache, Elektra, Orestes, Ehesos) 6 der zweiten Art gegenüberstehen: Jon, Iph.;Aul.,Hiket.,Troad., Bakchen. Dieübrigen 5 stellen einen mittleren Typus dar (vgl. p. 35
Anm.
Ij.*) So der Scholiast (zu V. 134) und ein Teil der modernen Erklärer (Schneidewin-Xauck. Einleitung zu Aias p. 48; Th. Kock,
„Über die Parodos der griechischen Tragödie", Posen 1850, p. 21);
dagegen denken Bellermann (p. 24) und Muff .,Die chorische Tech-
heimlicher Schnelligkeit^) verbreitet.
Kaum haben
dieMannen des Aias
die beunruhigende (201)Kunde
ver-nommen,
so eilen sieauch
schon zudem
Zelte des ge- liebten(134—140)
Herrn,um
sich hier persönlich zu überzeugen, ob jenes Gerücht,dem
gegenüber siemacht-
los sind (165), auf
Wahrheit
beruhe, oder ob es, wie sie hoffen (170j, eine böswillige Erfindung seiner Feinde sei.Im
ersten, anapästischen Teile der Tiagodog(134—171)
berichten sie selbst
—
übervollen Herzens, wie sie sind, in reichlichem Redefluß—
über dieses Motiv ihres Er- scheinens.Ganz naturgemäß
schließt sich hieran der zweite Teil mit der Frage: welcheAntwort werden
wirwohl
erhalten?und dem Wunsche: möge
sie für unsernHerrn
günstig lauten(172—200)! Das Ganze
hält sich mithin durchausim Rahmen
derHandlung. Daß
hier wie anderwärtsnaturgemäß
dasund
jenes hauptsächlich für dieZuschauer
berechnet war, sei esum
sierein äußer- lich in die Situation einzuführen oder weil derDichter
bei Gelegenheit einmal ein
Wort persönlicher
Art ansie richten wollte {Y.
154 —
163)2),kann
in der attischen Tragödie ebensowenigund noch
weniger-) wieim modernen Drama Wunder nehmen.
DieHauptsache
bleibt, daß dasGanze psychologisch
in der Stellung des Choreszum Drama
begründet ist;und
das ist hier offenbar der Fall.nik des Sophokles'-, Halle 1877 (p. 53,
Aum.
2), auf Grund von V.141
—
17 an das Gerücht, das sich schon in der Xacht (V. 21 ff., 141) im Lager verbreitet hat; V. 148—52 sind dabei gar nicht be- rücksichtigt. Ein Ausgleich läßt sich leicht finden: Die vorläufig noch unbestimmte (V. 23)Vermutung,
daß Aias dieHerde hingewürgt
habe (V. 28), ist soeben durch die Mitteilung des Odysseus vondem AVahnsinn
des Aias (66 1, 148ff.) bestätigtAvorden.
*) Über die hier anzunehmende zeitliche „Verkürzung' vgl.
p. 26
Anm.
1.*) Darüber ausführlicher in einem andern
Zusammenhang
(p. 62 ff.).