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Baukartelle mit Screenings aufdecken

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KARTELLE

Die Volkswirtschaft  1–2 / 2020 41

Baukartelle mit Screenings aufdecken

Zwei Gutachten für die Kantone Thurgau und Schwyz stellen der dortigen Baubranche ein gutes Zeugnis aus: Es gibt keine Anzeichen für illegale Absprachen. Wie sich zeigt, wirken die Screenings auch präventiv.  Hannes Wallimann, Philipp Wegelin

D

ie Wettbewerbskommission (Weko) deckt bei öffentlichen und privaten Beschaffungen regelmässig Absprachen von Unternehmen auf. Dieses Jahr büsste sie beispielsweise Bündner Bauunter- nehmen mit rund 11 Millionen Franken für jahrelange Absprachen über Strassenbau- arbeiten.

Volkswirtschaftlich gesehen können solche Absprachen im Bausektor folgen- schwere Auswirkungen haben, denn gemäss der Konjunkturforschungsstelle KOF machen Bauinvestitionen etwa 10 Prozent des Brutto- inlandprodukts aus.1

Vor diesem Hintergrund wollten die Tiefbauämter der Kantone Schwyz und Thurgau fundierte Erkenntnisse über ihr Beschaffungswesen der vergangenen Jahre gewinnen. In zwei statistischen Gutachten untersuchten wir im Auftrag der beiden Kan- tone die dortigen öffentlichen Beschaffungen im Tief- und Strassenbau auf Auffälligkeiten hinsichtlich Absprachen von Unternehmen, genannt «Submissionskartelle».2

Hohe Kosten

Ökonomisch gesehen führen wettbewerb- liche Absprachen zu höheren Preisen und ineffizienter Produktion. Gemäss der Or- ganisation für wirtschaftliche Zusammen- arbeit und Entwicklung (OECD) liegen die durch ein Kartell bestimmten Gebote durchschnittlich 10 bis 20 Prozent höher als in der Situation ohne Abreden.3 Jüngere em- pirische Studien weisen sogar überhöhte

1 KOF (2019).

2 Hochschule Luzern (2019a, 2019b).

3 OECD (2002).

Abstract    Zwei Gutachten im Auftrag der Kantone Thurgau und Schwyz haben das Bieterverhalten von Unternehmen im Beschaffungswesen im öffentlichen Tief- und Strassenbau untersucht. Die Screenings konnten keine grösseren Auffälligkeiten be- treffend Absprachen zwischen den Unternehmen aufzeigen. Für Kantone scheinen solche Gutachten volkswirtschaftlich sinnvoll: Zum einen wirken die Screenings prä- ventiv, indem die Aufdeckungsgefahr für die Unternehmen gut sichtbar wird. Davon profitieren die lokalen Beschaffungsstellen. Zum anderen hat auch die Baubranche als Marktgegenseite die Chance, Imagegewinne zu realisieren und Vertrauen zu schaffen.

Preise von durchschnittlich 45 Prozent aus.4 Beim Tessiner Strassenbaukartell, welches bis Ende 2004 Bestand hatte, entdeckte die Weko die Durchsetzung von 30 Prozent höheren Kosten durch die Kartellmitglieder verglichen zur Zeitspanne nach dem Kar- tell.5

Das volkswirtschaftliche Schadens- potenzial ist also hoch. Zusätzlich störend ist, dass es sich häufig um öffentliche Be- schaffungen und damit um Steuergelder han- delt. In den vergangenen zehn Jahren bildete die Bekämpfung illegaler Submissionskartelle

4 London Economics (2011).

5 Weko (2008).

deshalb einen Schwerpunkt der schweizeri- schen Wettbewerbspolitik.

Abreden zwischen Unternehmen sind schwierig zu erkennen, und in der Vergangen- heit haben sich die Wettbewerbsbehörden oft darauf verlassen, dass Kartelle durch An- zeigen, Selbstanzeigen oder Whistleblower aufgedeckt werden. Um die Abhängigkeit von externen Hinweisen zu reduzieren und die Ab- schreckungswirkung für potenzielle Kartelle zu erhöhen, verwendet die Weko neuerdings auch statistische Screening-Methoden, um Submissionsabreden aufzudecken.6

So eröffnete die Weko aufgrund eines Screenings im Jahr 2013 eine Untersuchung in den Kantonen St. Gallen und Schwyz. Die Ergebnisse dieser Untersuchung führten zu einer Sanktion von acht Tief- und Strassen- bauunternehmen. Auch international sind Screenings zusehends verbreitet. Beispiels- weise stellt die britische Wettbewerbs- behörde den Beschaffungsstellen ein ent- sprechendes Tool zur Verfügung, um poten- zielle Kartelle aufzudecken.

6 Karagök (2018).

Stützofferten in einer Ausschreibung für Strassenbeläge im Tessin

WEKO (2008); DATEN AUS IMHOF ET AL. (2018) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Zwischen dem Gebot der Firma 1 und den übrigen Geboten gibt es eine relativ grosse Preisdifferenz. Bei letzteren handelt es sich um sogenannte Stützofferten eines Kartells.

Rang im Bieterverfahren Gebot in Franken

580 000

560 000

540 000

520 000

1 2 3 4 5 6

Firma 4 Firma 3

Firma 2

Firma 1

Firma 6 Firma 5

500 000

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KARTELLE

42 Die Volkswirtschaft  1–2 / 2020

Auffällige Firmen identifizieren

In den Gutachten für die Kantone Thur- gau und Schwyz verwendeten wir eine zweistufige Screening-Methode. In einem ersten Schritt führten wir eine Ampel- analyse durch: Anhand von statistischen Kerngrössen klassifizierten wir auffällige Vergaben als «Rot» und unauffällige als

«Grün». In einem zweiten Schritt, genannt mehrstufiges Verfahren, analysierten wir die auffälligen «roten» Vergaben. Hierbei verglichen wir unter anderem das Verhalten der Unternehmen über die Jahre oder in verschiedenen Regionen. Auf dieser Basis identifizierten wir auffällige Firmen und untersuchten deren Interaktion mit ande- ren auffälligen Unternehmen.

Eine Vergabe wird in der Ampelanalyse beispielsweise dann als auffällig klassifiziert, wenn zwischen dem tiefsten und dem zweit- tiefsten Gebot eine grosse Preisdifferenz besteht, während die übrigen Preise nahe beieinanderliegen (siehe Abbildung auf S. 41). Diese Konstellation deutet auf «Stütz- offerten» der anderen Kartellmitglieder hin.

Mit einer genügend grossen Differenz zum tiefsten Gebot stellen die übrigen Kartellmit- glieder sicher, dass der designierte Gewinner

auch tatsächlich den Zuschlag erhält, da in der Regel weitere Kriterien wie zum Beispiel technische Aspekte oder Referenzen die Zuschlagserteilung beeinflussen können.

Unternehmen, die sich für eine Stützofferte zur Verfügung stellen, erwarten im Gegen- zug, dass sie bei einer späteren Vergabe ebenfalls profitieren.

Als «Rot» klassifiziert werden Vergaben, wenn die statistischen Kenngrössen ge- wisse Schwellenwerte, die aus vergangenen Kartelluntersuchungen stammen, über- oder unterschreiten. Ein solches «Bench- marking»-Vorgehen wählte die Weko zum Beispiel für das erwähnte Screening in den Kantonen St. Gallen und Schwyz.7 Neuere, in der jüngeren wissenschaftlichen Literatur verwendete maschinelle Lerntechniken er- lauben es, die verschiedenen Kenngrössen ideal miteinander zu kombinieren, sodass einzelnen Vergaben eine Absprachewahr- scheinlichkeit zugeordnet werden kann.8

Lehren gezogen

In den Gutachten für den Thurgau und Schwyz fanden wir grossmehrheitlich keine

7 Imhof et al. (2018).

8 Huber und Imhof (2019).

auffälligen Vergaben. Die Sanktionen der Weko gegen Strassen- und Tiefbauunter- nehmen im Kanton Schwyz bezogen sich auf die Jahre 2002 bis 2009.9 Diese Periode wurde in den Gutachten nicht analysiert.

Im Kanton Thurgau zeigten sich ge- wisse statistische Auffälligkeiten für die Einladungsverfahren. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, bei welchem die Beschaffungsstelle den Auftrag nicht öf- fentlich ausschreibt, sondern mindestens drei Anbieter direkt auffordert, eine Offerte einzureichen. Interessanterweise setzte im Kanton Thurgau ab 2013 ein Rückgang der (wenigen) auffälligen Vergaben ein. Es lässt sich die These aufstellen, dass die Aktivi- täten der Weko Ende 2012 sowie 2013 mit der Eröffnung und Ausdehnung der Unter- suchung im Kanton Graubünden sowie der Untersuchungseröffnung in den Kantonen St. Gallen und Schwyz die Baubranche auf- geschreckt haben könnten.

Welche Lehre ziehen die beiden Kantone aus den Gutachten? In Zukunft gedenke man

9 Weko (2016).

Im öffentlichen Tiefbau werden jährlich mehrere Milliarden Franken verbaut. Baustelle in der Schöllenen schlucht im Kanton Uri.

KEYSTONE

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Die Volkswirtschaft  1–2 / 2020 43

Literatur

Hochschule Luzern (2019a). Screening Tief- und Strassenbau Kanton Schwyz, Bericht zuhanden des Tiefbauamtes des Kantons Schwyz, 25. April.

Hochschule Luzern (2019b). Screening Tief- und Strassenbau Kanton Thurgau, Bericht zuhanden des Tiefbauamtes des Kantons Thurgau, 12. April.

Huber, M. und D. Imhof (2019). Machine Learning with Screens for Detecting Bid-Rigging Cartels. International Journal of Industrial Organization, 65: 277–301.

Imhof, D., Y. Karagök und S. Rutz (2018).

Screening for Bid Rigging – Does It Work? in: Journal of Competition Law and Economics, 14 (2): 235–261.

Kanton Thurgau (2019). Kanton Thurgau nicht von Kartell betroffen, Medienmit- teilung vom 6. Mai.

Karagök, Y. (2018). Wie man Kartellen mittels Statistik das Handwerk legt, in:

Die Volkswirtschaft 8–9.

KOF (2019). Bauprognose für die Schweiz.

London Economics (2011). The Nature and Impact of Hardcore Cartels: 11–20.

OECD (2002). Report on the Nature and Impact of Hard Core Cartels and Sanc- tions Against Cartels Under National Competition Laws.

Weko (2008). RPW 2008/01: Strassen- beläge Tessin.

Weko (2016). Weko büsst Strassen- und Tiefbauunternehmen, Medienmitteilung vom 4. Oktober.

Philipp Wegelin

Dozent, Kompetenzzentrum Mobilität, Hochschule Luzern

Hannes Wallimann

Wissenschaftlicher Mitarbeiter,

Kompetenz zentrum Mobilität, Hochschule Luzern

vermehrt das offene Verfahren zu wählen – auch wenn der rechtliche Schwellenwert das Einladungs- oder das freihändige Ver- fahren zulassen würde, schreibt etwa der Kanton Thurgau.10 Beide Kantone kündigten zudem an, das Screening in regelmässigen Abständen zu wiederholen. Sie versprechen sich davon einen abschreckenden Effekt auf potenzielle Kartelle.

Präventive Wirkung

Kantonale Screenings scheinen somit ein ge- eignetes Mittel gegen Submissionskartelle zu sein. Sollten sich im Rahmen eines Scree- nings Auffälligkeiten hinsichtlich illegaler Absprachen zeigen, können die Betroffenen die Abreden mittels geeigneter Massnahmen bekämpfen – beispielsweise indem sie die Weko hinzuziehen. Darüber hinaus haben kantonale Gutachten auch eine präventive Wirkung, da die Aufdeckungsgefahr für re- gionale Unternehmen steigt. Während die Weko als Bundesbehörde aus Sicht eines Baukartells unter Umständen «weit weg» ist,

10 Kanton Thurgau (2019).

macht die kantonale Kommunikation über die entsprechenden Tätigkeiten und Ergeb- nisse die Aufdeckungsgefahr konkret.

Zwar haben die Unternehmen theoretisch die Möglichkeit, ihr Abspracheverhalten den in den öffentlich zugänglichen Gutachten beschriebenen Methoden anzupassen, um die statistische Aufdeckungsgefahr zu sen- ken. Allerdings wird die Organisation der Absprachen dadurch bedeutend schwieriger und somit kostspieliger. Zudem bleibt immer ein Restrisiko, mittels neuerer Methoden aufzufliegen.

Wenn durch diese Abschreckung Kartelle verhindert werden können, hat dies wett- bewerbskonformes Verhalten der Unter- nehmen zur Folge. Damit wird das Funk- tionieren des (kantonalen) Marktes sicher- gestellt und Effizienzverluste aufgrund von Kartellbildung verhindert. Die Prävention geht also mit einem volkswirtschaftlichen Nutzen einher – zudem dürften auch Nach- barkantone von Spillover-Effekten profitie- ren.

Letztlich kommen die Screenings auch der Bauwirtschaft zugute: Entlastende Resul- tate wirken vertrauensbildend und polieren

das teilweise angekratzte Image der für die Schweizer Volkswirtschaft wichtigen Bran- che auf.

Referenzen

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