• Keine Ergebnisse gefunden

Mittelalter an Rhein und Maas

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Mittelalter an Rhein und Maas"

Copied!
18
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Uwe Ludwig, Thomas Schilp (Hrsg.)

Mittelalter an Rhein und Maas

Beiträge zur Geschichte des Niederrheins

Dieter Geuenich zum 60. Geburtstag

Waxmann 2004

Münster/New York/München/Berlin

(2)

Brigitte Sternberg

Die Briefsammlung der Mechtild von Geldem (um 1320-1384)

Die Möglichkeiten eigenständiger weiblicher Herrschaft im späten Mittelalter er- scheinen auf den ersten Blick begrenzt. So konstatiert EDITH ENNEN »Einbußen in der Stellung der Frau« in den höchsten Kreisen des Deutschen Reiches.1 Diese Ent- wicklung manifestiere sich in der Goldenen Bulle von 1356, welche der Kaiserin nur noch eine »Untergeordnete Position« zuweist. Indes schließt die Autorin nicht aus, »dass Frauen sich in allen Reichen und Herrschaften als Regentinnen von Format erweisen konnten«.2 Gerade im »bescheideneren landesfürstlichen Rahmen«3 finden sich denn auch Beispiele für »weibliche Herrschaft«. Allerdings handelt es sich meist um verwitwete Fürstinnen, welche die Regentschaft für ihre noch unmündigen Kinder übernahmen - eine allgemein akzeptierte Form weib- licher Macht.~ »Allein aus eigener Kraft und eigenem Recht regierende Frauen, die ihre mächtige Stellung der Erbfolge verdanken«,5 lassen sich- zumindest nach bis- herigem Forschungsstand-allenfalls in der zeitgenössischen Literatur entdecken.6

Ein äußerst eindrucksvolles Beispiel dafür, dass diese Form weiblicher Herr- schaft keine reine Fiktion blieb, findet sich jedoch im Geldern des 14. Jahrhunderts:

Dort wurde um 1325 Mechtild von Geldern geboren.7 Sie war die zweite Tochter

I 2 3

4

5 6 7

E. ENNEN, Frauen im Mittelalter, München 1984, S. 207.

Ebd. S. 207.

Ebd. S. 209; P. KELLERMANN-HAAF, Frau und Politik im Mittelalter, Göppingen 1986, S. 339. Vgl. H. FINGER, Die Frau im mittelalterlichen Rheinland. Ausstellung der Universi- täts- und Landesbibliothek der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorj' (Schriften der Uni- versitäts- und Landesbibliothek Düsse1dorf 22), Düsseldorf 1995, S. 41-51.

KELLERMANN-HAAF, Frau und Politik im Mittelalter, S. 243f.; vgl. auch C. ÜPITZ, Eman- zipiert oder marginalisiert? Witwen in der Gesellschaft des späten Mittelalters, in: Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter. Fragen, Quellen, Antworten, hg. von B. LUNDT, München 1991, S. 25-48, hier S. 29.

KELLERMANN-HAAF, Frau und Politik im Mittelalter, S. 242.

V gl. V. LIEBERTZ-GRÜN, Frau und Herrscherin. Zur Sozialisation deutscher Adliger ( 1150- 1450 ), in: Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter, S. 165-188, hier S. 169ff.

Die Vita Mechtilds von Geldem fand bisher kaum Beachtung. Im folgenden stützen wir uns vor allem auf die Kurzbiografie von: A. H. MARTENS VAN SEVENHOVEN I P. 1. MEIJ, Het archief van hertogin-pretendente Mechteld van Gelre, maschine~schri!tl. . Inventar des Bestandes Hertogelijk Archief, Archief Mechteld im Gelders Archtef, Emlettung, S. 1-5;

sowie P. J. MEIJ 1 A. H. JENNISKENS, Het archief van de Graven en Hertogen van Gelre, Graven van Zutphen (Rijksarchief in Gelderland, Gelderse Inventarissen-Reeks 2), Arnheim 1977, S. 49-57. Vgl. auch R. G. JAHN, Die Genealogie der Vögte, Grafen und Herzoge von Geldern, in: Geldern - Gelre - Gelreland. Geschichte des Herzogtums Geldern, hg. von J.

ST!NNER I K.-H. TEKATH (Veröffentlichungen der Staatlichen Archive des Landes Nord- rhein-Westfalen, Reihe D: Ausstellungskataloge staatlicher Archive 30), Geldern 2001, S. 29- 51. Für die geldcisehe Zeit: A. W. VAN DE BUNT, Mechteld, Hertogin van Ge/re, in: Gelders Oudheidkundig Contactbericht 33 (April 1967), S. 1-6. V gl. auch B. STERNBERG, Mechtild von Geldern (um 1320-1382). Vom begehrten Heiratsobjekt zur selbstbewussten Landes- herrin des Spätmittelalters, in: Starke Frauen vom Niederrhein, Kalender 2001, hg. von der

(3)

108

Graf Reinaids II. aus dessen erster Ehe mit Sophia Berthout von Mechelen. Aus dieser Verbindung gingen vier Töchter hervor. Die älteste von ihnen hätte die Nachfolge ihres Vaters antreten können, denn die Grafschaft Geldern besaß das Privileg der weiblichen Erbfolge - freilich beschränkt auf den Fall, dass keine männlichen Nachkommen existierten.8 Da Sophia Berthout aus einem reichen, aber nicht »ebenbürtigen« brabantischen Adelsgeschlecht stammte, wurden die Rechte ihrer Kinder überdies im Ehevertrag festgeschrieben. Doch ging der Graf nach ihrem frühen Tod 1331 eine zweite Ehe ein. Gattin Elionor, eine Schwester des englischen Königs, gebar ihm zwei Söhne. Die Erbfolge schien gesichert. Damit war aber auch die Rolle der Töchter aus erster Ehe bestimmt. Sie wurden zum Unterpfand der geldfischen Bündnispolitik: Die älteste, Margareta, wurde mit dem Erbsohn des Herzogs von Jülich verheiratet, verstarb aber bereits 1344. Mechtild ehelichte 1338 den Sohn des Grafen von Loon. Isabella stieg zur Äbtissin des geldfischen Hausklosters Graefenthal auf. Maria, die jüngste der Schwestern, wurde die Frau des späteren Herzogs Wilhelm von Jülich.

Mechtilds erste Ehe währte nur vier Jahre. Ihr Gatte verstarb auf einem Kreuz- zug gegen die Mauren in Spanien.9 Er hinterließ ihr Herrschaftsrechte und Renten in Maaseik sowie das Haus Schinnen.10 Von ihrer älteren Schwester erbte sie zu- dem den mütterlichen Erbteil, die Herrschaft Mechelen, verbunden mit einträg- lichen Renten. Nachdem sie ihre jüngeren Schwestern abgefunden hatte, 11 war die Herrin von Mechelen und Maaseik zu einer ausgesprochen »guten Partie« ge- worden. Doch hatte Mechtild als Frau keine Möglichkeit, in die geldrische Erbfolge einzugreifen, als ihr Vater im folgenden Jahr verstarb. Dessen minderjährige Söhne wurden nun zum Spielball der führenden Adelshäuser Gelderns, der Bronkhorsten und der Hekeren.

Mechtild heiratete unterdessen im Januar 1348 den mehr als zwanzig Jahre älteren Grafen Johann von Kleve. Als wenig später der Konflikt um die Herrschaft im Herzogtum Geldern offen ausbrach, 12 schlug dieser sich auf die Seite der

Arbeitsgruppe »Gleichstellung<< der Region NiederRhein, Duisburg 2000, Kalenderblatt Oktober.

8 I. A. NIJHOFF, Gedenkwaardigheden uit de geschiedenis van Gelderland, Bd. 3, Arnheim 1839, S. IVf.; J. KOCKELHORN-NJJENHUIS I W. M. ELBERS, Mechteld. Hertogin Pretendente van Gelre, in: Geldcrs Oudheidkundig Contactbericht 57 (Juni 1973), S. 2-11, hier S. 4.

9 So verzeichnet in der geldfischen Hothaltungsrechnung des Jahres 1342143, Gelders Archief, Hertogelijk Archief Nr. 207, B 1342 VII 12 u. w., hier zit. nach W. JANSSEN, Ein nieder- rheinischer Fürstenhof um die Mitte des 14. Jahrhunderts, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 34 (1970), S. 219-251, S. 229f. und Anm. 25.

10 Nach: SEVENHOVEN I MEIJ, Het archief van hertogin-pretendente Mechteld, S. l; MEIJ I JENNJSKENS, Het archiefvan de Graven en Hertogen van Ge/re, S. 52-57.

II MEJJ I JENNISKENS, Het archiefvan de Graven en Hertogen van Ge/re, S. 55.

12 Der Verlauf des geldrischen Erbfolgekrieges ist zwar bereits mehrfach dargestellt worden, doch fehlt noch immer eine umfassende Analyse. Vor allem der klevische Einfluss auf die Entwicklung fand bisher kaum Beachtung, und das nicht zuletzt deshalb, weil das klevische Quellenmaterial noch nicht aufgearbeitet wurde. Bisher erfasst lediglich die kurze Über- blicksdarstellung von D. KASTNER, Die Grafen von Kleve und die Entstehung ihres Terri- toriums vom 11. bis 14. Jahrhundert, in: Land im Mittelpunkt der Mächte, 3. überarb. Aufl., Kleve 1985, S. 52-61, hier S. 61, diesen Zeitraum. Vgl. dazu demnächst B. STERNBERG, Studien zu Kanzlei und Registerführl!ng unter Graf Johann von Kleve (1347-1368). Diss., Tner I Dutsburg. Zu den wichtigsten Uberblicksdarstellungen gehören neben den noch immer

(4)

Die Briefwmmlung der Mechtild von Geldem 109

Hekeren, griff mit aller Macht in die Auseinandersetzungen ein, und brachte zu- nächst Reinald III. ganz unter seinen Einfluss. Finanzieren konnte er dieses wag- halsige Unternehmen offenbar nur mit Hilfe der Verpfändung einträglicher Be- sitzungen seiner Frau.13 Im Gegenzug überschrieb er ihr nach und nach Teile der Grafschaft Kleve. 14 Auch nachdem es dem offenbar fähigeren Eduard von Geldern, der von den Bronkhorsten gestützt wurde, 1361 gelungen war, seinen Bruder ge- fangen zu setzen, fand der Konflikt mit Kleve kein Ende. Ganz im Gegenteil kam es jetzt zu heftigen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf Teile der Grafschaft regelrecht verwüstet wurden. Erst im Jahr 1364 zog sich der finanziell ausgeblutete Graf von Kleve zurück. Von seinen Schulden sollte er sich bis zu seinem Tod im Jahr 1368 nicht mehr erholen.15 Mechtild von Geldem konnte allerdings finan- ziellen Nutzen aus dem Konflikt ziehen.16 Welche Position die Gräfin am klevischen Hof tatsächlich einnahm, ist jedoch nur schwer zu bestimmen. Sicher ist, dass sie nicht nur ihre eigenen Herrschaftsgebiete über Amtmänner selbst ver- waltete, sondern auch, dass sie in den 60er Jahren mehrfach als Statthalterin ihres Gatten auftrae7 und regelmäßig an Ratsversammlungen teilnahm.18

Obwohl Mechtild auch in ihrer zweiten Ehe kinderlos blieb, nahm sie doch ent- scheidenden Einfluss auf die klevische Erbfolge. So stimmte sie bereits im Jahr

lesenswerten Voorherichten I. A. NIJHOFFS zu seinen »Gedenkwaardigheden uit de ge- schiedenis vau Gelderland«, Bd. 1-3, Amheim 1830-1839, die Arbeiten von W. J. ALBERTS, De Staten van Gelre en Zutphen tot 1459 (Bijdragen van het Instituut voor Middeleeuwse Geschiedenis der Rijksuniversiteit te Utrecht XXII), Groningen 1950; DERS., Geschiedenis van Gelderland, van de vroegste tijden tot het einde der middeleeuwen: V an heerl!jkheid tot landsheerl!jkheid, 2. veränd. Aufl. Assen I Amsterdam 1978; DERS, Overzicht va11 de ge- schiedenis van de Nederrijnse territoria tussen Maas en Rijn, Bd. 2, 1288-1500 (Maaslandse Monografteen 36 ), Assen 1982 sowie von deutscher Seite: W. JANSSEN, Die nieder- rheinischen Territorien in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, in: Rheinische Viertel- jahrsblätter 44 (1980), S. 47-67; DERS., Die niederrheinischen Territorien im Spätmittelalter.

Politische Geschichte und Verfassungsentwicklung 1300-1500, in: Rheinische Vierteljahrs- blätter Nr. 64 (2000), S. 45-167. Mit Einzelaspekten befassen sich: K. NüßE, Die Entwicklung der Stände im Herzogtum Geldern bis zum Jahr 1418. Nach den Stadtrechnungen von Arnheim (Veröffentlichungen des Historischen Vereins für Geldern und Umgegend 63), Köln 1958 und W. N!KOLAY, Die Ausbildung der ständischen Verfassung in Geldern und Brabant während des 13. und 14. Jahrhunderts (Rheinisches Archiv 118), Bonn 1985.

13 Zur Biografie Mechtilds von Geldern in ihrer klevischen Zeit siehe demnächst STERNBERG, Studien zu Kanzlei und Registerführung.

14 Z. B. Gelders Archief, Hertogelijk Archief, Archief Mechteld, vor!. Inv. Nr. 123, Druck: TH.

J. LACOMBLET, Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins 3, Düsseldorf 1853, Nr.

650. Registereintrag: Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Bestand Kleve-Mark, Hs A III 7, BL 91 v.

15 Tatsächlich scheint gerade dieser Aspekt zu einer Systematisierung des höfischen Fmanz- wesens geführt zu haben, vgl. dazu demnächst STERNBERG, Studien zu Kanzlei und Register- führung.

16 Sie setzte die Zahlung ihrer Mitgift in Form regelmäßiger Rentenzahlungen aus dem Zoll zu Lobith sowie aus den Besitzungen in der Betuwe und der Liemers durch: Archief Mechteld, Nr. 48.

17 Z. B. während dessen Pilgerfahrt nach Frankreich (1367): Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Be- stand Kleve-Mark, HS A III 9, BI. 10.

18 K. FLINK, Territorialbildung und Residenzentwicklung in Kleve, in: Territorium und Residenz am Niederrhein, hg. von K. FLINK I W. JANSSEN (Klever Archiv 14), Kleve 1993, S. 67-95, hier S. 92.

(5)

Abb. 1: Bildnissiegel der Mechtild von Geldem mit einem Falken, 137 I, rund, Durch- messer 7,7 cm, Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Kleve-Mark Urkunden Nr. 539 [Foto aus: B. VOLLMER, Frauenbriefe des 14. Jahrhunderts an eine nieder- rheinische Fürstin, in: Der Düsseldorfer Almanach I 929, nach S. 56].

1363 der späteren Aufteilung der Grafschaft unter Federführung Adolfs von der Mark zu. 19 Nach dem Tod des Grafen von Kleve im November 1368 zog sich seine annähernd fünfzigjährige Witwe, versorgt mit einer ansehnlichen Leibzucht, denn auch klaglos auf die Burg Huissen zurück. Gemeinsam mit Herzog Eduard von Geldem wahrte sie von dort aus die geldfischen Interessen gegenüber Kleve. Doch

19 Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Bestand Kleve-Mark Urkunden Nr. 451. Stark nonnalisierter Druck: LACOMBLET, Urkundenbuch 3, Nr. 646; Transkription in B. STERNBERG, Die ältesten klevischen Register als sprachgeschichtliche Quelle, in: Skripta, Schreiblandschaften und Standardisierungstendenzen. Beiträge zum Zweiten internationalen Urkundensprach~n­

Kolloquium vom 16.-18. September 1998 in Trier (Trierer Historische Forschungen 47), Tner 2001, S. 632f.; Regest: W. R. SCHLEIDGEN, Regesten des Bestandes Kleve-Mark. Urkunden im Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf (Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen. Reihe C: Quellen und Forschungen 13), Siegburg 1983, Bd. 1, Nr. 487. Dieses Verhalten ist nicht verwunderlich, hatte die Gräfi_n doch vennittelst ihrer Großnichte, Margareta von der Mark, einen engen Kontakt zum märki- schen Hof! Siehe dazu: P. VERSTEEG, » ... Jnde ich wolde leyver by dir sin dain by eynge wyve de ich levendich weys<<. Zeven brieven van Margareta van de Mark aan Mechteld van Gelre, unveröffentlichte doctoraalscriptie rniddeleeuwse geschiedenis, KU Nijmegen 1988, S. 12-~3.

Ein Exemplar dieser Arbeit wurde uns kurz vor Abschluss dieses Artikels freundlicherweise durch das Gelders Archief zu Arnheim zugänglich gemacht.

(6)

Die Briefsammlung der Mechtild von Geldem lll sollte der Altgräfin von Kleve die eigentliche Herausforderung ihres Lebens noch bevorstehen: Als Herzog Eduard 1371 in der Schlacht von Baesweiler zu Tode kam und auch sein Bruder Reinald im gleichen Jahr kinderlos verstarb, entstand ein Machtvakuum, das den alten Konflikt erneut aufbrechen lies.

In dieser Situation nun ergriff Mechtild von Geldern die Initiative und be- anspruchte die Herzogswürde für sich.20 Als älteste lebende Tochter Reinalds TI.

konnte sie sich dabei auf das oben erwähnte Erbfolgeprivileg stützen.21 Und tatsächlich gewann die selbstbewusst auftretende Anwärterin mit der Partei der Hekeren eine große Anhängerschaft.

Eben aus dieser Zeit stammt das einzige Selbstzeugnis Mechtilds von Geldern22: Ein Bildnissiegel von exeptioneller künstlerischer Qualität. 23 Das streng sym- metrisch angelegte Stück befindet sich in einem vergleichsweise guten Zustand.

Lediglich die Umschrift ist stark zerstört und nur zum Teil zu rekonstruieren:

S[(IGILLUM) MECHTELDIS] [ ... ] CO[MITISSE CLEVEN]SIS.Z4 Die zentrale Figur, eine Frauengestalt im modischen Gewand - mithin die Sieglerin Mechtild von Geldern selbst25 - , trägt einen Falken auf ihrer linken Hand. Für den zeit- genössischen Betrachter machte dieses Symbol unmissverständlich deutlich, dass es sich um eine Dame des landesfürstlichen Hochadels handelt. 26 Gleichzeitig weist der Falke die Sieglerin jedoch auch als intime Kennerin der zeitgenössischen Lite- ratur aus.27 Sie steht in einer gotischen, baldachinbekrönten Nische- Zeichen der von Gott beschirmten und damit rechtmäßigen Herrscherin. Zu ihrer Rechten hält eine männliche Halbfigur den Wappenschild ihres verstorbenen Gatten, des Grafen

20 Das Folgende vorwiegend nach BUNT, Mechteld, S. 1-6.

21 NIJHOFF, Gedenkwaardigheden 3, S. lVf.; KOCKELHORN-NIJENHUIS I ELBERS, Mechteld.

Hertogin Pretendente van Gelre, S. 4.

22 Nur singulär überliefert: Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Bestand Kleve-Mark Urkunden Nr.

539 (1371. 09. 14).

23 Das Bildnissiegel ist bereits mehrfach beschrieben worden: W. EWALD, Rheinische Siegel VI, Siegel der Grafen und Herzöge von Jülich, Berg, Cleve, Herren von Heinsberg (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde XXVII), Nachdruck der Ausgabe Bonn 1941, Düsseldorf 1989, Tafel 16/15; A. P. VAN SCHJLFGAARDE, Zegels en genealogische gegevens van de Graven en Hertogen van Gelre, Graven van Zutphen (Werken uitgegeven door Gelre, Vereniging tot Beoefening van Geldersehe Geschiedenis, Oudheidkunde en Recht 33), Arnheim 1967, Nr. 76; BUNT, Mechteld, S. 3; H. PREUß, Standbildsiegel der Mechthild von Geldern, in: Vergessene Zeiten, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, hg. von F. SEIBT u. a., Bd. 1, Essen 1990, Nr. 171, S. 145; sowie zuletzt: A. STIELDORFF, Rheinische Frauen- siegel: Zur rechtlichen und sozialen Stellung weltlicher Frauen im 13. und 14. Jahrhundert, Köln 1999, S. 465, Nr. 211d. Wir folgen hier weitgehend der Beschreibung von Preuß.

24 Rekonstruktion nach: STIELDORFF, Rheinische Frauensiegel, S. 465, Nr. 211d. Zu erwarten ist allerdings, dass die Umschrift noch weitere Titel beinhaltete, so nannte sich die Sieglerio in der im September 1371 ausgefertigten Urkunde: >>Mechtild von Geldern, Gräfin von Kleve und Frau von Mechelen«. Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Bestand Kleve-Mark Urkunden Nr.

539, hier zit. nach SCHLEIDGEN, Regesten des Bestandes Kleve-Mark, Bd. 2, Nr. 30.

25 Allerdings ist umstritten, ob es sich bei derartigen Darstellungen aus dem 14. Jahrhundert tatsächlich bereits um eine Art Porträt handelt. Vgl. STIELDORFF, Rheinische Frauensiegel, S.

246 mit Anm. 21, und S. 254 26 Vgl. ebd. S. 262f.

27 Ebd. S. 26lf.: Gerade der Verzicht auf die Komponente der Jagd lässt den Falken als >>An- spielung auf die höfische Literatur<< verstehen.

(7)

112

von Kleve, ein Zepterrad, zu ihrer Linken eine heute stark beschädigte Halbfigur einen gespaltenen Schild mit den Wappen ihrer Eltern: Vom den geldrischen Löwen, hinten die drei Pfähle der Berthouts.28 Folgt man der Literatur,29so soll diese Figur weiblieb sein - eine reizvolle Hypothese, welche die Bedeutung des wohlhabenden Hauses Berthout für Mecbtild unterstrieben hätte. 30 Die hier abge- bildete Fotografie des Siegels aus dem Jahr 1929 zeigt jedoch deutlich, dass es sich bei den beiden spiegelsymmetrisch angeordneten Randfiguren um bärtige Männer handelt. Unterhalb der Schilde ist jeweils ein auffliegender Greifvogel dargestelle1 - rückwärts schauend dem Gesicht der Siegleein zugewandt.

Derartige Bildnissiegel nach westlichem Vorbild32 waren - zumindest nach neuesten Forschungsergebnissen - in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahr- hunderts längst nicht mehr »en vogue«.33 Mechtild nutzte diese Möglichkeit der Selbstdarstellung also offenbar ganz bewusst zu Propagandazwecken: Das Siegel sollte die Legitimität ihres Anspruchs auf den geldrischen Herzogstitel unter- streichen. 34 Dass sie es schon vor dem Tod Reinaids III. gebrauchte, tut dieser These keinen Abbruch. Offenbar war bereits abzusehen, dass der nach zehnjähriger Gefangenschaft entkräftete Herzog keine allzu lange Regierungszeit vor sich haben würde - und Eile schien geboten:

Denn auch Mechtilds jüngere Schwester, Herzogin Maria von Jülich, meldete mit Blick auf das Erbfolgeprivileg Anspruch auf das Erbe an - stellvertretend für ihren erst fünfjährigen Sohn Wilhelm. Der Herzog von Jülich besetzte das geld- rische Oberquartier.35 Da die Bronkhorsten sich auf die Seite Jülichs schlugen, Mechtild aber keineswegs gewillt war, zugunsten ihres minderjährigen Neffen auf ihre Position zu verzichten, kam es nun unweigerlich zur Konfrontation: Mechtild verpfändete ihre Besitzungen in Mechelen36 und Kleve an den Grafen von Kleve, um ihre Kriegszüge finanzieren zu können. Zu ihrem wichtigsten Beistand und

»militärischen Oberbefehlshaber« wurde ihr Neffe Reinald von Brederode, der Herr von Gennep.37 Außerdem fand sie zunächst die Unterstützung von Herzogin Johanna von Brabant, ihrer Tante, von den Grafen von Kleve und von der Mark

28 Siehe dazu auch das Schmuckkästchen Mechtilds von Geldem im Kunstmuseum Düsseldorf, Inv.-Nr. P 1929-145, auf dem ebenfalls die elterlichen sowie das klevische Wappen, dort allerdings auf separaten Schilden, dargestellt sind! Abbildung und Beschreibung im Aus- stellungskatalogLand im Mittelpunkt der Mächte, S. 356f., Nr. D 6.

29 Zuerst vertrat 1941 EWALD, Rheinische Siegel VI, diese These. Sowohl BUNT, Mechteld, S. 3

~ls auch PREU.ß, Standbild~iegel und STIELDORFF, Rheinische Frauensiegel, S. 465, Nr. 2lld obernahmen diese Beschreibung unkritisch.

30 Vgl. dazu STIELDORFF, Rheinische Frauensiegel, S. 316f.

31 Ew ALD, Rheinische Siegel VI, meint hier zwei Reiher zu erkennen. Doch diese Behauptung ist nicht nachvollziehbar.

32 STIELDORFF, Rheinische Frauensiegel, S. 267.

33 »!nsbes~ndere vor 1300, aber durchaus noch bis 1350 war das Bildnissiegel der Siegeltyp, der die adelige Frau angemessen repräsentierte.<< So ebd. S. 271, vgl. auch S. 266 sowie insbe- sondere zum Falkenmotiv S. 262.

34 Ebd. S. 295.

35 Siehe dazu und zum folgenden: Karte J.

36 MEu I JENNISKENS, Het archiefvan de Graven en Henogen van Gelre, S. 56. . 37 BUNT, Mechteld, S. 4; vgl. auch: KOCKELHORN-N!JENHUIS I ELBERS, Mechteld. Henogm

Pretendente van Gelre, S. 8.

(8)

Die Briefsammlung der Mechtild von Geldem

Zuiderzee

Der Herrschafts- und Einflussbereich der Grafen (ab 1339 Herzöge) von Geldem bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts

0

Ursprung des geldrischen Machtbereichs, um 1120 abgetreten Quartiereinteilung ab 1359

Quartier Roermond (Oberquartier)

D

Quartier (Grafschaft) Zutphen

0

Quartier Nijmegen Quartier Arnhem (Veluwe)

Entwurf. l. Hantsche Kartographie: H. Krähe

113

Karte 1: Der Herrschafts- und Einflussbereich der Grafen (ab 1339 Herzöge) von Geldern bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Entwurf: I. HANTSCHE, Kartografie:

H. KRÄHE [Aus: I. HANTSCHE, Die Geschichte des Herzogtums Geldern im modernen Kartenbild, in: Geldern - Gelre - Gelreland. Geschichte des Herzog- tums Geldern, hg. von J. STINNER I K.-H. TEKATH (Veröffentlichungen der Staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Reihe D: Ausstellungs- kataloge staatlicher Archive 30), Geldem 2001, S. 441.]

(9)

114

sowie von ihrem Neffen Arnold von Horn, dem Bischof von Utrecht. Doch erschien die Position der »kinderlosen Witwe« wenig aussichtsreich. So drängte man die Prätendentin zu einer dritten Ehe38 mit dem wenigstens 17 Jahre jüngeren Jan von Chätillon, Herrn von Schoonhoven und Gouda?9 Die Verbindung hielt de facto nur fünf Monate. Dann war ihr durch Erbschaft zum Grafen von Blois aufgestiegener Gatte das Abenteuer Geldern leid, das nicht nur die Unbequemlich- keiten der Kriegszüge mit sich brachte,40 sondern auch große finanzielle Verluste.

Er zog sich in seine Residenz zu Schoonhoven zurück,41 die er zu diesem Zeitpunkt bereits zu einem kulturellen Zentrum ersten Ranges ausgebaut hatte.42

Obschon auch die übrigen Verbündeten nach und nach von ihr abfielen, konnte sich Mechtild über acht Jahre lang zumindest im Norden des Herzogtums be- haupten. Noch 1374 beanspruchte sie selbstbewusst weite Teile Gelderos für sich und war lediglich zum Verzicht auf das Oberquartier bereit. Allerdings hätte sie wohl schon zu diesem Zeitpunkt ihren vom Kaiser bereits belehnten43 Neffen Wilhelm als Erben akzeptiert.44 Die entscheidende Wende wurde jedoch erst durch den Abfall der Städte des zerrütteten Landes eingeleitet. Nachdem dann auch die Partei der Hekeren in einer Schlacht bei Hönnepel (1379) endgültig besiegt worden war, überließ die Herzogin ihrem inzwischen volljährigen Neffen das Feld. Mech- tild verzichtete auf ihre Rechte an Geldern und Zutphen, ohne jedoch ihre Titel zu verlieren. Darüber hinaus sicherte man ihr die lukrativen Einnahmen des Zolles von Lobith auf Lebenszeit zu. Als »Herzogin von Geldern« verstarb sie fünf Jahre später auf der Burg Huissen.45 Auch ihren dritten Ehemann, Johann von Blois, hatte sie damit um drei Jahre überlebt.

Vieles mehr wäre zu sagen über diese »schimmige en intrigerende figuur«46 der niederrheinischen Geschichte. So war sie zwar nicht, wie JUNGMAN es nahe legt,

38 BUNT, Mechteld, S. 2.

39 Einseitig negativ wirkt die Charakterzeichnung BUNTS, Mechteld, S. 2f. Zu Jan von Blois interessanter Biografie, so nahm er u. a. an mehreren Preußenfahrten Herzog Albrechts teil, siehe u.a. A. A. M. SCHMIDT-ERNSTHAUSEN, Archief van de graven van Blois (1304-1397) (Rijksarchiefen in Holland inventarisreeks 26), 's-Gravenhage 1982, S. Vll-XV, insbes. S.

XII-XIV.

40 Eindrucksvoll dokumentiert ist der Kriegszug durch die erhaltenen Rechnungen des Grafen von Blois. Druck: P. N. VAN DOORNlNCK, De tocht van Jan van Blois om Gelre 1371-1372, Haarlern 1898.

41 BUNT, Mechteld, S. 4f.

42 Jan von Blois hat als einer der vornehmsten Mäzene des 14. Jahrhunderts zu gelten. In Schoonhoven führte er die bekanntesten französischen wie niederländischen Dichter seiner Zeit zusammen. Vgl. dazu: D. HOGENELST 1 F. VAN OOSTROM, Handgeschreven wereld.

Nederlandse literatuur en cultuur in de middeleeuwen, Amsterdam 1995, S.184f. Auch der berühmteHeraut Gelre begann seine Laufbahn 1371-1376 als Bote des Grafen von Blois: W.

~AN ANROOIJ, Spi~gel van ridderschap. Heraut Gelre en zijn ereredes (Nederlandse hteratuur en cultuur m de rniddeleeuwen D. Amsterdam 1990, S. 65f.

43 Auf die merkwürdigen Begleitumstände dieser Belehnung werden wir in unserem zweiten Textbeispiel noch näher eingehen.

44 Die Entwürfe ihrer Forderungen befinden sich unter den archivierten Briefen: Archief Mechteld, Nr. 67.

45 BUNT, Mechteld, S. 6. Geburts- und Todesjahr Mechtilds sind umstritten, wir schließen uns hier jeweils der Position SCHILFGAARDES, Zegels, S. 98f. an, der mit Blick auf das Roer- monder Nekrolog das Jahr 1384 angibt. Vgl. auch JAHN, Genealogie, S. 35.

46 BUNT, Mechteld, S. 1.

(10)

Die Briefsammlung der Mechtild von Geldem 115

die Initiatorirr der Haager Liederhandschrift,47 und doch scheint es sicher, dass sie, wie auch ihr dritter Ehemann, die zeitgenössische Literatur schätzte und förderte.48 Dennoch ist Mechtild von Geldern heute fast völlig in Vergessenheit geraten. Nur einige wenige niederländische Aufsätze beschäftigen sich mit Aspekten ihrer Bio- grafie,49 ohne jedoch dieses Phänomen wirklich zu erfassen. Allerdings sieht es in der deutschen Landeskunde noch viel ärger aus!50 Das ist umso verwunderlicher, als uns Mechtild von Geldern nicht nur ein dekoratives »Schmuckkästchen« hinter- lassen hat, 51 das zuletzt in der Ausstellung »Das goldene Zeitalter des Herzogtums Geldern« präsentiert wurde, sondern vor allem ein umfassendes Archiv, das neben zahlreichen Urkunden und Rechnungsfragmenten auch einen kleinen »Schatz«

beinhaltet, den es noch zu heben gilt: Ein Konvolut von über 180 an Mechtild ge- richteten, volkssprachigen Briefen, darunter die ältesten, ja vielleicht die einzigen erhaltenen »Privatbriefe« in mittelniederländischer Sprache!52

Zudem befinden sich unter den Dokumenten auch frühe Stücke aus dem deutschen Sprachgebiet.53 Ver- mutlich wurde die Briefsammlung gemeinsam mit einem Großteil des schriftlichen Nachlasses der Herzogin bereits kurz nach deren Tod in das Archiv des Grafen von Kleve überführt,54 der ja zumindest in bezug auf einige ihrer Herrschaftsrechte ihr Rechtsnachfolger war. Als geschlossener Bestand wurden die Dokumente bis 1940

47 G. JUNGMAN, Het Haagse Liederenhandschrift-een Gelders poeziealbum? In: Millenium 4 (1990}, S. 107-120, hier S. 118ff. Die Autoein versäumte es leider, einen Handschriftenver- gleich anzustellen, der ihre These, die Haager Liederhandschrift sei in Mechtilds ldevischer Zeit, mithin in der Kanzlei des Grafen von Kleve, entstanden, schnell falsifiziert hätte. V gl.

dazu demnächst: STERNBERG, Studien zu Kanzlei und Registerführung.

48 Dieser Aspekt ihrer Biografie kann im Rahmen dieses Aufsatzes nicht näher beleuchtet werden. Er wird Thema einer eigenständigen Arbeit werden. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass sich aufrillig viele >>Fäden<< an Mechtilds Hof kreuzen. So lässt sich nicht nur die Ver- bindung zu Schoonhoven rekonstruieren. Auf literarisches Eigeninteresse weist neben dem Bildnissiegel auch einer der Briefe Margaretas von der Mark hin, auf den wir weiter unten eingehen werden.

49 BUNT, Mechteld; KOCKELHORN-NIJENHUIS I ELBERS, Mechteld. Hertogin Pretendente van Gelre. Vgl. auch: JUNGMAN, Het Haagse Liederenhandschrift. ..

50 Kaum Erwähnung findet diese außergewöhnliche Persönlichkeit in der einschlägigen Uber- blicksdarstellung von JANSSEN, Die niederrheinischen Territorien in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, S. 55 sowie DERS., Die niederrheinischen Territorien im Spätmittelalter, S.

88. Nach einer Übersetzung des umstrittenen Artikels von JUNGMAN, Die Haager Lieder- handschrift, ein geldrisch-klevisches Poesiealbum?, in: Xantener Vorträge 3 (1994-1995), S.

57-76, liefert erst STIELDORF, Rheinische Frauensiegel, hier besonders S. 152ff., 294f., 463- 466, erste Ansätze zu einer Neubewertung Mechtilds von Geldern ..

51 Wie Anm. 28. Vgl. außerdem H. J. STEEGER, in: Das Goldene Zeitalter des Herzogtums Geldern. Geschichte, Kunst und Kultur im 15. u. 16. Jahrhundert, Teil 2: I. Die Regierer und das Herzogtum bis zum 80jährigen Krieg (Veröffentlichungen der Staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Reihe D: Ausstellungskataloge staatlicher Archive 30), Geldem 2001, S. 15, Nr. 5.

52 F. VAN OOSTROM (Artikel Briefll, Mittelniederländische Sprache und Literatur, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 2, 1983, Spalte 666), der diesen Quellenbestand außer Acht lässt, negiert die Existenz überlieferter mittelniederländischer Privatbriefe gänzlich!

53 Der älteste bisher entdeckte >>deutsche<< Privatbrief stammt aus dem Jahr 1305: 1. GOLZ,

>>Brief«, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft I, Berlin 1997, S. 252.

54 Vgl. dazu MEIJ I JENNISKENS, Het archiefvan de Graven en Hertogen van Gelre, S. 45f. u. S.

49.

(11)

116

im Staatsarchiv Düsseldorf aufbewahrt und dann in das Rijksarchief in Gelderland zu Arnheim55 überführt, wo sie noch heute zu finden sind.

Nur ein Bruchteil der Briefe wurde bisher publiziert:56

17 Stücke bereits 1899 von STEINHAUSEN, dessen Anthologie sich allerdings ausdrücklich auf »deutsche Privatbriefe« beschränkt.57 Auf die geldrischen Stücke wurde er vermutlich nur aufmerksam, weil sie zu diesem Zeitpunkt noch im Staatsarchiv Düsseldorf lager- ten.58 Leider bewirkte der Autor mit seiner Auswahl wohl auch, dass sich niemand für den Inhalt der übrigen Stücke interessierte, die seiner Meinung nach einen »rein politischen« Charakter tragen,59 eine im übrigen äußerst fragwürdige Unter- scheidung.60 Und so ist es nicht verwunderlich, dass bis heute lediglich einer dieser Briefe - zumindest unter Literaturwissenschaftlern beiderseits der Landesgrenzen - zu einen gewissen Bekanntheitsgrad gelangte,61 liefert er doch den konkreten Be- weis dafür, dass die Gräfin von Kleve zeitgenössische Lyrik nicht nur schätzte, sondern auch in einem buegelgin sammelte.62 Von der Mehrzahl der »politischen Briefe« ist bisher dagegen noch kaum Notiz genommen worden:63 Erst im Jahr 1973 wurden sechs von ihnen publiziert, die für den Verlauf des geldrischen Erb- folgestreites von besonderer Bedeutung schienen64 - doch ist diese Auswahl

55 Heute Gelders Archief.

56 Bis heute sind die Stücke noch nicht einmal regestiert Vgl. MEJJ I JENNlSKENS, Het archief van de Graven en Hertogen van Gelre, S. 51.

57 G. STELNHAUSEN, Deutsche Privatbriefe des Mittelalters, Bd. I: Fürsten, Magnaten, Edle und Ritter (Denkmäler der deutschen Kulturgeschichte I), Berlin 1899, S. Vllf.

58 STEINHAUSEN, Deutsche Privatbriefe 1, S. Xlll.

59 Seine enge Defrnition zwingt STEINHAUSEN, Deutsche Privatbriefe 1, S. VI!lf. zu radikalen Einschnitten in das Quellenmaterial, die nur schwerlich nachzuvollziehen sind. So lässt er z.

B. einen der Briefe Macgaretas von der Mark wegen seines rein >>politischen« Charakters aus (S. 10, Anm. 2 zu Nr. 6). Transkription dieses Stückes bei VERSTEEG, Zeven brieven van Margareta van de Mark, Brief F, S. 39f.

60 STEINHAUSEN, Deutsche Privatbriefe 1, hält diese Unterscheidung selbst nicht durch. So nimmt er z. B. auch zwei Abrechnungen des herzoglichen Kaplans zu Mechelen in die Sammlung auf: Nr. 17f.

61 JUNGMAN, Het Haagse Liederenhandschrift; H. BECKERS, Literatur am klevischen Hof von I174 bis 1542: Zeugnisse, Spuren, Mutmaßungen, in: Zeitschrift für Deutsche Philologie 112 (1993), S. 426-434; HOGENELST I VAN ÜOSTROM, Handgeschreven wereld, S. 200. Vgl.

außerdem VERSTEEG, Zeven brieven van Margareta van de Mark. Die Arbeit umfasst auch die Transkription der sieben Briefe, von denen allerdings sechs bereits von STEINHAUSEN, Deutsche Privatbriefe 1, erfasst sind.

62 Der Brief, der sich aufgrundinhaltlicher Kriterien in das Jahr 1366 datieren lässt (VERSTEEG, Zeven brieven van Margareta van de Mark, S. 13), wurde von der Mechtild freundschaftlich verbundenen Macgareta von Nassau-Dillenburg verfasst. Wie die meisten ihrer Briefe zeigt er einen sehr persönlichen, ja intimen Charakter: Archief Mechteld, Nr. 60, zit. nach STEIN- HAUSEN, Deutsche Privatbriefe !, Nr. 2, S. 5. Vgl. auch VERSTEEG, Zeven brieven van Margareta van de Mark, Brief D, S. 36f. JUNGMANS (Het Haagse Liederenhandschrift) These, Mechtild sei Initiatorin der Haager Liederhandschrift gewesen fußt fast ausschließlich auf dieser einen Belegstelle. Einen konkreten Nachweis bleibt die Au;orin allerdings schuldig.

Lediglich BECKERS, Literatur am klevischen Hof, S. 430f., bewertet den dadurch nicht weniger bedeutenden Fund realistisch! Vgl. auch: HOGENELST 1 VAN OOSTROM, Hand- geschreven wereld, S. 200.

63 Bi.s zum -Jaiu: 1967 erschien meines Wissens lediglich ein kurzer Artikel, der sich denn auch rrut den bereits von STEINHAUSEN bearbeiteten Stücken befasst: B. VOLLMER, Frauenbriefe des 14. Jahrhunderts an eine niederrheinische Fürstin, in: Düsseldorfer Almanach 1929, S. 55-61.

64 KOCKELHORN-NlfENHUlS I ELBERS, Mechteld. Hertogin Pretendente van Gelre.

(12)

Die Briefsammlung der Mechtild von Geldem 117

wiederum wenig repräsentativ. Eine systematische Edition des gesamten Brief- konvolutes, welche dem heutigen wissenschaftlichen Standard genügt, steht nicht zuletzt deshalb aus und ist ein Desiderat. 65

Ein Großteil der Briefe, die Mechtild von Geldern aufbewahrte, lässt sich nach inhaltlichen Kriterien den 1370er Jahren zuordnen. Nur einige wenige stammen offensichtlich noch aus ihrer klevischen Zeit.66 Leider ist nur ein Bruchteil der von Mechtild verfassten Schreiben in Form von »Minuten« erhalten geblieben.67 Es lässt sich also kein »Briefwechsel« rekonstruieren. Dennoch ist es beeindruckend nachzuvollziehen, über welch großes Gebiet sich die Briefpartner der Herzogin verteilten. 68

Briefpartner der Mechtild von Geldem (um 1360- um 1380)

Karte 2: Briefverkehr und Briefpartner der Mechtild von Geldem (von 1360 bis um 1380). Entwurf: B. STERNBERG [Grundkarte aus: Microsoft Encarta Weltatlas 2001].

65 Ein derartiges Projekt ist bereits angedacht. Dazu wurden die Stücke bereits systematisch gesichtet und transkribiert. Wir behalten uns die weitere Auswertung der Dokumente, auch eine Sprachanalyse, für einen späteren Zeitpunkt vor.

66 Mit Sicherheit lassen sich lediglich die meisten Briefe Margaretas von der Mark aufgrund inhaltlicher Kriterien in die 1360er Jahre datieren. Vgl. dazu VERSTEEG, Zeven brieven van Margareta van de Mark, S. 13-15.

67 Archief Mechteld, Nr. 78. - Ein weiterer Bestand mit Briefen Mechtilds an die Herzogin von Jülich ist laut Auskunft von Frau Dr. Preuß vom Hauptstaatsarchiv Düsseldorf seit dem 2.

Weltkrieg verschollen.

68 Siehe dazu Karte 2: Briefverkehr und Briefpartner Mechtilds von Geldern. Angegeben sind die Wohnorte der Aussteller, sofern kein Ausstellungsort genannt. Als Sitz Mechtilds wird hier ihr letzter Wohnort Huissen angenommen. Mit Doppelpfeil wird jeweils angedeutet, dass sicher ein Briefwechsel geführt wurde.

(13)

118

Die meisten Dokumente (87) stammen von verbündeten Rittern, herzoglichen Amtmännern (36) sowie von den geldrischen Städten (14), nur die wenigsten von den verbündeten Herzögen und Grafen (6). Auffallend viele Stücke (31) wurden von Frauen verfasst. Nur in den wenigsten Fällen handelt es sich dabei jedoch um

»gefühlvolle Frauenbriefe« voller »Freundschaftsergüsse«, wie es uns die STEIN- HAUSENsche Sammlung doch nahe legt.69 Im Gegenteil, beinahe hat man den Ein- druck, dass Mechtild eine Art »diplomatisches Frauennetzwerk« entwickelte. Doch ist das inhaltliche Spektrum der Dokumente insgesamt sehr breit. Im Vordergrund stehen dabei Anfragen um Handlungsanweisungen,70 sowie Forderungen und Bittbriefe von Gläubigem.71 Daneben finden sich jedoch auch geheime Berichte72 oder ganz einfache Entschuldigungsschreiben.73

Im Folgenden müssen wir uns auf die Analyse zweier Beispiele beschränken, die exemplarisch für die große Bandbreite der Briefsammlung stehen. Doch werfen wir zum besseren Verständnis zunächst einen kurzen Blick in die mittelalterliche Kanzlei: Die Schreibkammer nahm in der Landesverwaltung eine zentrale Position ein, seitdem man dazu übergegangen war, die Herrschaftspraxis zu verschrift- lichen.74 Hier wurden nicht nur Urkunden ausgefertigt und registriert, sondern auch die Abrechnungen der Amtmänner überprüft. Seit Beginn des 14. Jahrhunderts setzte man für das Verwaltungsschriftgut einen neuen, preiswerten Beschreibstoff ein- das Papier. Zugleich ging man dazu über, Urkunden nicht mehr in lateinischer Sprache zu verfassen, sondern die landesüblichen Dialekte zu verwenden.75 Als diese Voraussetzungen geschaffen worden waren, entwickelte sich eine neue volks- sprachige Briefkultur, die an das lateinische Vorbild anknüpfte.76 Ein so umfassen-

69 So interpretiert es mehrfach STEINHAUSEN, Deutsche Privatbriefe I, Regesten zu Nr. 4 u. 5;

vgl. auch VOLLMER, Frauenbriefe, S. 57.

70 Besonders kurios: Die Schilderung der Entführung einer Jungfrau durch den Bastard von Doomik: ArchiefMechteld, Nr 87, 13.

71 Z. B.: Archief Mechteld, Nr. 89, 1 u. 3.

72 Z. B. in bezugauf Jülich: Archief Mechteld, Nr. 89, 11.

73 Siehe dazu Textbeispiel 1.

74 Wir beschränken uns hier auf die Angabe der Literatur zur Kanzleigeschichte der Region. Zur Entwicklung am klevischen Hof W. R. SCHLEIDGEN, Die Kanzlei der Grafen und Herzöge

VOll Kleve im 14. und 15. Jahrhundert, in: Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter.

Referate zum VI. Internationalen Kongressfür Diplomatik, München 1983, Bd. I (Münchener Beiträge zu Mediävistik und Renaissance-Forschung 35), München 1984, S. 171-192; B.

STERNBERG, Studien zu den frühen volkssprachigen Urkunden am Hof Dietrichs IX. von Kleve (1310-1347), unveröffentlichte Magisterarbeit Universität - GH - Duisburg 1992;

DIES., Zur Ausprägung des volkssprachigen Urkundenwesens am klevischen Hof, in:

Xantener Vorträge 3 (1994-1995), S. 33-55.

75 Zur geldrischen Urkundensprache noch immer einschlägig, wenn auch methodisch veraltet, E.

TILLE, Zur Sprache der Urkunden des Herzogtums Geldern (Rheinische Beiträge und Hülfs- bücher zur germanischen Philologie und Volkskunde 7), Bonn 1925. Zur Entwicklung am klevischen Hof: B. STERNBERG, Frühe niederrheinische Urkunden am klevischen Hof, in:

Niederländisch am Niederrhein, hg. von H. BISTER-BROOSEN (Duisburger Arbeiten zur Sprach- und Kulturwissenschaft 35), Frankfurt am Main 1998,

s.

53-82 und DIES., Die ältesten klevischen Register.

76 Dazu weiterführend C. WAND-WITIKOWSKJ, Briefe im Mittelalter. Der deutschsprachige Brief als weltliche und religiöse Literatur, Habil.-Schrift, Heme 2000; G. STEINHAUSEN, Geschichte des deutschen Briefes, Teil 1, Nachdruck der 1. Aufl. Berlin 1889, Frankfurt am Main 1968, S. 20-29.

(14)

Die Briefsammlung der Mechtild von Geldem 119

der Briefverkehr, wie er uns hier vorliegt - immerhin muss mit mehr als 360 Dokumenten gerechnet werden - wäre noch ein Jahrhundert zuvor undenkbar ge- wesen!

Mechtild von Geldem beschäftigte in ihrer Kanzlei wenigstens zwei Schreiber/7 die auch als Boten fungierten.78 Beraten wurde die Herzogin von zwei sicherlich akademisch ausgebildeten Kaplänen, die mehrfach in diplomatischer Mission für sie tätig waren.79 Nur mit Hilfe solcher Boten war eine Übermittlung der Briefe sichergestellt. In manchen Fällen beinhalteten die Begleitschreiben denn auch lediglich die Legitimation des Überbringers, der das eigentliche Anliegen mündlich vortragen sollte.80 Dabei galt: Je vornehmer der Empfänger, um so höher- rangig der Bote, der das Schreiben überbrachte. So entschuldigte sich Johanna von Brabant in einem Fall dafür, dass keiner ihrer Räte ihren Brief überbringen konnte, da es zur Zeit [wegen des Krieges] unsicher sei, über die Maas zu reiten, d. h. das Territorium Jülich zu betreten.81 Boten gewährleisteten auch, dass der Briefverkehr zügig vonstatten gehen konnte. So forderte Johanna von Brabant ihre Nichte mehr- fach auf, dem Überbringer der Botschaft gleich ein Antwortschreiben zu diktieren oder ihn mündlich zu instruieren. 82

Aber zunächst zurück zur formalen Seite: Wie die Urkunden, die sogenannten

»offenen Briefe«, nach einem festen Schema aufgebaut waren, folgten auch die eigentlichen »geschlossenen«, das beißt gefalteten und versiegelten Briefe, festen Konventionen.83 Diese bereits in der antiken Rhetorik entwickelte Form hat sich bis heute erhalten, so dass uns Briefe des 14. Jahrhunderts in einigen Punkten seltsam vertraut erscheinen. Es gab bereits feste Einleitungsformeln, die neben Grüßen auch Treue- und Dienstversicherungen beinhalteten. Die Frage nach der Gesund-

77 Einer von ihnen hatte offenbar schon in klevischer Zeit in ihren Diensten gestanden. Tatsäch- lich wurden Urkundenabschriften, die vorrangig die Belange der Gräfin betrafen, seit Mitte des Jahres 1365 in der Mehrzahl von ein und demselben Schreiber in die Register einge- tragen: In diesem Zeitraum finden sich nur vier Abschriften von anderer Hand. Der Schreiber war dartiber hinaus häufig mit der Abschrift von Dokumenten befasst, welche die Herr- schaftsrechte der Gräfin berühren. Dazu demnächst STERNBERG, Studien zu Kanzlei und Registerführung. In Mechtilds geldfiseher Zeit z.B. Archief Mechteld, Nr. 31 (1369.02.22);

55 (1368.12.13) und 82. Darunter ein Brief der Herzogin Johanna von Brabant von 1373.06.11. Faksimile: KOCKELHORN-NJJHENHUIS I ELBERS, Mechteld. Hertogin Pretenden- te va11 Gelre, S.6. Hier wären allerdings weitergehende Untersuchungen notwendig, um das umfangreiche Quellenmaterial aus der Zeit nach 1368 systematisch zu erfassen.

78 Namentlich werden Schreiber erst nach 1368 bekannt: Dietrich (Tricus/Theodoricus): Archief Mechteld, Nr. 95, 25; 95, 27; 101 ;102; 107, 6. STEINHAUSEN, Deutsche Privatbriefe J, Nr.

14, 17. Vgl. JUNGMAN, Het Haagse Liederenhandschrift, S. 116, Anm. 31. Außerdem werden einfache Boten namentlich bekannt: Archief Mechteld, Nr. 27; 32.

79 Namentlich bekannt sind: Heinrich vanden Bossche: Archief Mechteld, Nr. 86, 10; 90, 63; 95, 50; 95, 80; 96, 78; und Mauricius van Aarde (Marissis): Archief Mechteld, Nr. 82, 8 (1372.09.06); 100, 37; 109, 145 (zweimal als Bote erwähnt in der Rechnung Wilhelms von Gelre). Vgl. auch JUNGMAN, Het Haagse Liederenhandschrift, S. 116, Anm. 31.

80 Z. B. Archief Mechteld, Nr. 82, 8; 94, 52. Vgl. zu dieser üblichen Praxis H. HOFFMANN, Zur mittelalterlichen Brieftechnik, in: Spiegel der Geschichte, Festgabefür M. Braubach, hg. von K. REPGEN I S. SKALWEIT, Münster 1964, S. 141-170, hier S. 145.

81 Archief Mechteld, Nr . 82.

82 Z. B. Archief Mechteld, Nr. 82, 4.

83 Das Folgende vorwiegend nach: W AND-WITIOWSKI, Briefe im Mittelalter; vgl. auch STEINHAUSEN, Geschichte des deutschen Briefes, S. 39-62.

(15)

120

heit und Segenswünsche waren ebenso üblich wie die Angabe von Datum, Ort und Unterschrift. Allerdings unterließ man im Unterschied zur Urkunde die Nennung des Ausstellungsjahres, was eine nachträgliche zeitliche Einordnung sehr erschwert. Verfasst sind die vorliegenden Schreiben meist in mittelniederländischer Sprache. Die gewählte Varietät ist dabei durch den jeweiligen Aussteller bestimmt, offenbar ohne dass sich Kommunikationsprobleme ergeben. Diese frühen volks- sprachigen Zeugnisse, die weit über den rhein-maasländischen Raum hinaus- greifen, 84 sind damit übrigens auch eine höchst interessante Quelle für sprach- historische Untersuchungen. Die Texte wurden, ebenso wie Urkunden weitgehend ohne Satzzeichen, sozusagen »im Fließtext« in der zeittypischen Geschäftskursive (Trecento II) geschrieben. 85 Groß- und Kleinschreibung erfolgten in scheinbar willkürlicher Verteilung. Das alles wirkt auf den ersten Blick nicht sehr »leser- freundlich«, doch wurden die Texte in der Mehrzahl der Fälle den Empfängern - mithin von den Überbringern selbst-vorgelesen.86

Kommen wir nun zum ersten Textbeispiel:87 Es handelt sich um ein »Ent- schuldigungsschreiben« der Elisabeth von Langerake aus den frühen siebziger Jahren. Sie gehörte einer adligen Familie an, die im Dienst des Grafen von Blois stand und zu Mechtilds Parteigängern zählte. 88

Abb. 2: Brief der Elisabeth von Langerake, Papier. [Gelders Archief, Hertogelijk Archief, Archief Mechteld, vorläufige Inventarnr. 95, 51.]

84 Vgl. zur Defini~on des .R~umes M. ELMENTALER, Rheinmaasländische Sprachgeschichte von 1250 b1s 1500, m: Rhem1sch-Westfälische Sprachgeschichte, hg. von J. MACHA 1 E. NEUSS I R. PETERS, Köln 2000, S. 79-100, hier v. a. S. 79-82.

85 Siehe dazu: Abbildung 2.

86 Dazu. H. ~ENZ~L •. Bote~ und Briefe, in: Gespräche-Boten- Briefe: Körpergedächtnis und Schriftgedachtms 1m Mittelalter, hg. von H. WENZEL (Philologische Studien und Quellen 143), Berlin 1997, S. 86-105, hier S. 88f.

87 Siehe dazu Abbildung 2.

88 Mitglieder dieser ursprünglich geldfischen Familie standen im Dienst der Bischöfe von Utrecht. Vgl. J. ~·~AN WINTER, Ministerialiteit en ridderschap in Gelre en Zutphen (Bij- dragen van ~et mstJtuut voor middeleeuwse geschiedenis der rijksuniversiteit te Utrecht XXXI), Gronmgen 1962, S. 326. Außerdem war Jan von Langerake Mitglied des Rates des Grafen von Holland: SCHMIDT-ERNSTHAUSEN, Archiefvan de graven van Blois, S. XN.

(16)

Die Briefsammlung der Mechtild von Geldern 121

Lyeue en(de) ghenedighe vuwe 0 V. ghenueghe te weten dat miin Iieue ghenedighe heer van ghelr(e) ghebeden is II van mine(n) he(re)n he(re) hartog(en) aelbr(echt) tot defen vafteauond inden haghe te fame(n) te fiin I en(de) daer miin Iieue ghenedighe II heer van ghelr(en) vuwen hebbe(n) wil en(de) mi daer mede en(de) dien ic niet verhere(n) en dar. waer om, Iieue ghenedighe II vuwe ic . v. oet- moedelike(n) bid dat ghi . v. des niet aen nemen en wilt dat ic op defe tijd bi v niet ghecome(n) en bin II en(de) ten eerften Iieue ghenedighe vuwe dat ic weder come wtden haghe fo fall ic gh(er)ne come(n) daer ghi wilt ende II beghaert I Iieue ghenedighe vuwe wilt mi altoes ghebieden tot uwe dyenftes, god bew( aer) . v. fiellijf en(de) eer altoes. II Ghejcr(iuen) tot langher(ake) op funte pet(er)s dach ad cathed(ra)m. lijjbet van langher(ake)

Adressiert ist das Schreiben umseitig an: miinre lieuer ghenedigh(er) vuwen II der h(er)toghinne(n) van ghelr(e) Greefinn II van bloes en(de) van zutphen. 89

Der Brief beginnt mit einer typischen Einleitungsformel:

Liebe und gnädige Frau! Es genüge Euch zu wissen, dass ...

Dann folgt die eigentliche Nachricht:

Mein lieber gnädiger Herr von Geldern von meinem lieben Herrn, dem Herzog Albrecht [von Holland] gebeten worden ist, an diesem Fastabend im Haag zusam- menzutreffen. Und da mein lieber gnädiger Herr von Geldern Frauen mit sich führen will und damit auch mich und ich nicht wage, seinen Wunsch zu missachten, darum bitte ich Euch demütigst, dass Ihr Euch das nicht zu Herzen nehmen wollt, dass ich in dieser Zeit nicht zu Euch gekommen bin. Und zum ersten, liebe gnädige Frau, wenn ich aus dem Haag zurück bin, so werde ich gerne kommen, wohin Ihr wollt und begehrt.

Es folgen Dienstversicherung und Segensformel:

Liebe gnädige Frau, wollt Ihr allzeit zu Eurem Dienst über mich gebieten. Gott bewahre Euch Seele, Leben und Ehre allzeit!

Und schließlich Datum und Unterschrift:

Geschrieben zu Langherake zu St. Peter ad cathedram [22. Februar].

Elisabeth van Langherake

Der Aufbau des Schreibens ist zeittypisch.90 Tatsächlich wird den mittelalterlichen Briefen Gleichförmigkeit und Ausdrucksformalismus vorgeworfen.91 Doch wird dieses Urteil den Briefen in Wahrheit nicht gerecht. Im vorliegenden Fall handelt es sich beispielsweise nur vordergründig um ein Entschuldigungsschreiben. Tatsäch- lich teilte die Absenderio der Herzogin mit, dass der Herzog von Geldem zu politi- schen Gesprächen mit dem Verbündeten Herzog Albrecht von Holland zusammen- treffen werde. Allerdings lässt sich nicht ohne weiteres rekonstruieren, um welchen Herzog von Geldem es sich handelt. Hier zeigt sich deutlich die Datierungs-

89 Textnahe Transkription der Urkunde: Archief Mechteld, Nr. 95, 51. Aufgelöste Kürzel sind durch Klammern gekennzeichnet. II gibt das Zeilenende an. Vgl. auch den fehlerhaften Druck: STEINHAUSEN, Deutsche Privatbriefe l, Nr. 13,

90 Vgl. dazu GOLZ, >>Brief<<, S. 252.

91 So bereits STEINHAUSEN, Deutsche Privatbriefe 1, S. 61.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Auch im kom- menden Kindergartenjahr wird der Kreis Kleve als Ju- gendhilfeträger für elf Kom- munen im Kreis Kleve mit deutlich über 50 Prozent die höchste Betreuungsquote für

Die Lehrpläne sind völlig überfrach- tet und das ist für mich auch der Hauptkritikpunkt: Der Schüler kann sich nicht wirklich Wissen aneignen, wenn er so viel Stoff in so

meinschaft m. Familien-Anschluß in grüner, ländl. Betreuung mögl.) su. nette/netten Mit bewohner/in. Auch Urlaub möglich. tanzt und reist er gerne und fährt gerne Fahrrad. Nun

„Diese Branche ist nicht nur bedeutsam für den Kreis Kleve“, sagt Johannes Giesen, „sie ist auch wettbewerbsfähig.“ Der Bürgermeister der Stadt Strae- len ist auch Vorsitzender

Andreas Fankhauser und Silvan Freddi veranstalteten insgesamt 8 Archivführungen und zwar für folgende Gruppen: die Mitglieder und Angestellten des kantonalen

confédérales, in: C. La naissance d’un canton confédéré, Lausanne 2002, pp. Für das Historische Lexikon der Schweiz verfasste er den Sachartikel „Helvetische Revolution“

Wissenschaftliche Forschungen im eigentlichen Sinn des Wortes wurden im Bereich folgender Themen durchgeführt: Orts- und Flurnamen des Kantons Solothurn (R.M. Grossenbacher Künzler,

Archivführungen wurden veranstaltet für die Mitglieder des Obergerichts, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Richteramtes Solothurn-Lebern und des