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Feminismus und Hysterie

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Academic year: 2022

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SWR2 Tandem

aktualisierte Fassung vom:

15.7.14

AutorIn: Marie-Luise Goerke RedakteurIn: Katrin Zipse

Regie: Karin Hutzler

Feminismus und Hysterie

oder

Ben ist entspannt

Studiobelegung: 16.7. + 17.7.14, RBB, Studio T 5, 17:30 - 1:15h Sendung am: 2.12.2014 in SWR2 Tandem um 19.20 Uhr

Sprecher/Rollen: Sprecherin Marie-Luise Goerke

Diese Kopie wird nur zur rein persönlichen Information überlassen. Jede Form der Vervielfältigung oder Verwertung bedarf der ausdrücklichen vorherigen Genehmigung des Urhebers.

© by the author

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1Sprecherin: Heute ist Dienstag und eigentlich müsste ich mich freuen, weil ich dienstags immer zum Pilates gehe. Pilates ist super. Neben der körperlichen Anstrengung gibt es auch noch so etwas wie eine psychische – naja, vielleicht nicht Anstrengung, aber zumindest doch so etwas wie eine Überwindung. Also, wenn man sich nämlich überwunden hat, doch zum Pilates zu gehen.

Denn ich habe eigentlich vorher nie so richtig Lust dazu, keine Zeit, keinen Bock undsoweiter, bin danach aber immer total gut drauf. Wenn man es schafft, sich während der „keinen-Bock-“ – Phase daran zu erinnern, dass es hinterher immer viel besser ist, dann geht man auch hin. Ich jedenfalls. Außerdem ist es viel effektiver als Yoga. Yoga habe ich früher gemacht, aber dann fiel der Kurs für 3 Monate aus und ich musste mir was anderes einfallen lassen. Einfach gar nichts machen, geht ja nicht. Also dann Pilates eben.

Musik

2 Anfangs war ich nach dem Kurs auch immer schon total gut drauf, aber auch total erschöpft und musste erstmal ein

Nickerchen machen, um wieder zu Kräften zu kommen. Mit der Zeit gewöhnt man sich aber doch an sein eigenes Powerhouse – so nennt man das, wenn man den Bauchnabel die ganze Zeit einziehen muss und gleichzeitig die Rippen zu den Hüften senken lassen soll, was im Übrigen nicht einfach ist, wenn man

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weiter atmen will – und ist dann eben nur noch gut drauf nach Pilates. Ohne Schläfchen. Was ja ein Fortschritt ist, finde ich.

3 Ben findet das nicht. Das heißt, ob Ben es gut findet, dass ich kein Regenerations-Nickerchen mehr benötige, weil ich schon so fortgeschritten bin, weiß ich nicht, vermutlich hat er das gar nicht bemerkt. Ben kann ja manchmal sehr stur sein und dann merkt er nichts, einfach weil er nichts merken will. Das kenne ich schon. Aber ich meine jetzt, dass er es nicht wichtig findet, wirklich nicht wichtig, dass man oder ich oder sonstwer im Pilates besser wird. Auch nicht, wenn man oder ich undsoweiter im Yoga besser wird. Auf solchen Fortschritt kommt es ihm nicht an. Jedenfalls nicht beim Sport. Er macht deswegen auch nur Sport, der ihm Spaß macht. Egal, ob er darin irgendwann besser wird oder nicht.

4 Du verstehst nicht, sage ich zu Ben, dass man automatisch besser wird, wenn einem etwas Spaß macht. Ben zuckt die Schultern. Glaube ich nicht, sagt er dann. Viele Sachen machen einem keinen Spaß und man wird trotzdem besser, sagt Ben. Ein bisschen schulmeisterlich sagt er das. Welche denn?, frage ich schnell und mit hochgezogenen Augenbrauen zurück. Mathe, sagt Ben. Oder Tapezieren. Tapezieren? Ben guckt mich an. Ich meine damit, dass man meistens besser wird, wenn man etwas macht. Länger macht. Dabei bleibt. Egal, ob nun mit oder ohne Spaß.

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5 Ich finde das, glaube ich, falsch. Oder zumindest freudlos. Aber mir fällt nichts Gescheites ein, was ich erwidern könnte. Um sein Argument zu widerlegen. Wahrscheinlich bin ich gerade einfach nicht entspannt genug und sollte deswegen auch dringend zum Pilates. Aber, sage ich dann schließlich, es ist doch schöner, wenn einem etwas Spaß macht. Ben runzelt die Stirn, nickt aber. Weil, fahre ich fort, man dann auch Lust hat, etwas länger zu machen und dabei zu bleiben. Und dann wird man automatisch besser und alles ist noch spaßiger. Ben nickt weiter. Jetzt sag du doch auch mal was!, sage ich. Manchmal kenne ich den Mann gar nicht richtig. Das stelle ich immer wieder fest. Natürlich, sagt Ben. Darüber brauchen wir doch nicht zu sprechen. Ist doch ne Glückskeksweisheit, dass es am besten ist, wenn einem etwas Spaß macht, wenn man es macht. Er schüttelt den Kopf.

6 Ich meine damit, sage ich, dass es doch Quatsch ist, etwas zu machen, um besser zu werden, ohne dass es Spaß macht. Ben runzelt die Stirn. Beim Sport!, füge ich hinzu. Du meine Güte, ich weiß auch, dass man Sachen im Leben machen muss, die einem keinen Spaß machen. Außer Mathe vielleicht, aber das muss man ja Gottseidank auch nicht machen. Wenn man nicht gerade Naturwissenschaftler ist wie Ben.

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7 Herrgott, sage ich aufgebracht, was für eine bescheuerte

Erziehungsdiskussion ist das hier eigentlich? Ich habe doch nur gesagt, dass ich es gut finde, wenn ich beim Pilates besser werde und es mir deswegen Spaß macht. Eben, sagt Ben. Wie,

„eben?“, frage ich. Ben seufzt. Du gehst nicht zum Pilates, weil es dir Spaß macht, du gehst zum Pilates, weil du mit der Zeit besser wirst und es dir dann, aus diesem Grunde, Spaß macht.

Und, sage ich wild, ist das schlimm? Nö, sagt Ben. Wieso sollte das denn schlimm sein, wenn du so leistungsorientiert bist?

Musik

8 Es ist ja so: Ich würde mich jetzt eigentlich nicht als übermäßig leistungs- oder zielorientiert beschreiben. Ich fände es

andrerseits auch nicht wirklich schlimm, wenn es so wäre. Aber irgendwie ärgert es mich trotzdem.

9 Manchmal bringt mich Ben einfach auf die Palme. Das liegt vermutlich daran, dass er immer so verdammt entspannt ist.

Das kann einem wirklich auf die Ketten gehen. Jedenfalls ist es jetzt so, dass ich gar keine rechte Lust mehr habe, zum Pilates zu gehen, weil ich mir wie so eine verknöcherte Leistungs-Kuh vorkomme. Du spinnst doch, sagt Ben. Nein, sage ich. Ben guckt mich an. Jetzt kann ich mich gar nicht mehr auf den Pilates-Kurs freuen, sage ich. Weil ich so leistungsorientiert bin.

Pfff, sagt Ben und greift sich seine Gitarre.

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10 Vielleicht habe ich mir nur eingebildet, dass ich Spaß am Pilates habe und habe in Wirklichkeit gar keinen? Und mache es nur, damit ich etwas habe, worin ich besser werden kann?

11 Ben spielt ein paar Takte auf seiner Gitarre. Du spielst doch auch Gitarre, sage ich. Ben hört auf zu klimpern und guckt mich fragend an. Ja, sage ich wild, du spielst Gitarre und es macht dir Spaß und du wirst besser und besser und es macht dir immer mehr Spaß und ich HATTE Lust auf Pilates und jetzt habe ich keine mehr. Nur wegen dir!

12 Ben stellt die Gitarre weg. Komm, sagt er. Geh einfach zum Pilates und freu dich, dass du besser wirst. Ist doch kein

Problem. Du verstehst mich nicht, sage ich. Ben guckt mich an.

Trinkst du das noch?, fragt er und zeigt mit dem Finger auf mein Glas. Was?, sage ich. Ob du das noch trinkst, sagt Ben nochmal. Ja, das habe ich schon gehört, aber das ist doch jetzt vollkommen egal!

13 Ben lenkt ja gerne mal ab, wenn wir uns streiten, aber das muss man ignorieren, sonst ist der Streit vorbei, ehe man es merkt. Ben nimmt das Glas, leert es in der Spüle aus und stellt es in den Abwasch.

Musik

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14 Eigentlich wollte ich aber das Wasser schon noch trinken, nur nicht sofort. So was versteht Ben aber nicht. Er trinkt, wenn er Durst hat und das hat er deutlich weniger häufig als ich. Ich finde ja, man kann auch Wasser trinken, wenn man keinen Durst hat. Soll man ja. Wieso?, fragt Ben. Weil viel trinken gesund ist, sage ich. Das weiß doch jeder! Blödsinn, sagt Ben.

Doch!, sage ich. Das kannst du überall nachlesen. Man soll mindestens 2, besser 3 Liter Flüssigkeit pro Tag zu sich nehmen. Ben kommt höchstens auf einen Liter, würde ich sagen. Blödsinn!, sagt Ben nochmal. Das steht höchstens in deinen Verblödungszeitschriften, fügt er kopfschüttelnd hinzu.

Nein, sage ich wild, das ist wissenschaftlich erwiesen. Ben guckt mich an. Erstens, sagt er, ist Medizin keine Wissenschaft und zweitens ist das nur ein Argument der

Mineralwasserindustrie, um mehr Mineralwasser zu verkaufen.

Und das ist denen ja auch gelungen, fügt er grimmig hinzu.

Mittlerweile rennen ja fast alle Frauen mit einer Wasserflasche in der Hand durch die Gegend, als würden sie Marathon laufen und nicht bloß shoppen gehen.

15 Gut, sage ich nach einer Weile, das ändert aber nichts an der Tatsache, dass viel trinken gesund ist. Und ich z.B. trinke Wasser aus dem Hahn. Davon hat die Mineralwasserindustrie gar nichts. Also bitte.

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16 Ben grinst. Und isst du auch viel Spinat, weil da viel Eisen drin ist?, fragt er dann. Nein, sage ich. Das weiß doch jeder, dass das mal ein Rechenfehler war und Spinat gar nicht so viel Eisen enthält, wie man früher dachte. Ben grinst noch breiter.

17 Herrgott, sage ich, mit dir kann man ja nicht vernünftig reden, und gehe aus dem Zimmer. Nach kurzer Zeit komme ich wieder zurück.

18 Du verstehst einfach nichts von medizinischen Erkenntnissen, sage ich zu ihm. Und nichts von Pilates, füge ich hinzu. Und auch nichts vom Fortschritt! Da waren wir ja eigentlich stehen geblieben. Hast Recht, sagt Ben friedlich und greift sich seine Gitarre.

19 Du machst nämlich auch nicht gerne Sachen, die dir keinen Spaß machen, sage ich. Was denn, fragt Ben. Zum Beispiel trinkst du nicht genug, sage ich. Ben gibt keine Antwort. Du cremst dich nicht gerne mit Sonnencreme ein, obwohl du müsstest, sage ich weiter! Ich warte ein bisschen. Weil du das Gefühl von Creme im Gesicht nicht magst, sage ich. Ben klimpert auf seiner Gitarre. Und du streitest dich nicht mit mir, obwohl du das auch müsstest, füge ich triumphierend hinzu.

Also bitte! Du spinnst doch, sagt Ben und hört kurz auf, Gitarre zu spielen. Wieso bist du eigentlich so hysterisch in letzter Zeit?, fragt er und greift wieder in die Saiten.

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Musik

20 Ich bin hysterisch? Das wird ja immer besser. Zuerst bin ich leistungsorientiert und dann hysterisch? Das ist ein veralteter Begriff, sage ich zu Ben. Und außerdem frauenfeindlich. Wieso, fragt Ben? Ist doch in der Literatur hinreichend beschrieben worden. Ich rolle mit den Augen. Hör auf, sage ich. Du weißt genau, was ich meine. Hast du jemals schon von hysterischen Männern gehört? Natürlich nicht, sagt Ben. Männer sind nicht hysterisch. Auch das ist in der Literatur hinreichend

beschrieben worden. Ich ziehe hörbar die Luft ein. Kannst du das mal halten, fragt er, bevor ich etwas erwidern kann. Er hält mir ein Kabel hin. Was soll das sein, frage ich? Das ist unser neuer Blu-Ray-Player, sagt Ben stolz und grinst. Praktisch, sage ich. Dann brauchen wir unseren Freunden jetzt ja keine Filme mehr verleihen. Die anderen haben ja nur DVD-Player.

Und mit denen kann man keine Blu-Rays abspielen. Stimmt, sagt Ben und lässt sich aufs Sofa fallen. Gehst du wirklich nicht zum Pilates, fragt er dann? Doch. Sage ich.

21 Ein bisschen trotzig sage ich es, das merke ich natürlich schon, sensibel wie ich bin. Wäre ja noch schöner!, füge ich hinzu, dass du mich vom Pilates abhältst.

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22 Es war sehr gut beim Pilates! Sehr gut! Und nicht, weil ich es so gut kann. Ich kann es nämlich gar nicht so gut. Vielleicht ein winziges kleines Bisschen besser als am Anfang. Aber das ist ganz, ganz unwichtig! Ben hat Recht, es geht gar nicht um das Besser-Werden! Es geht um die Effektivität! In anderthalb Stunden hat man alles an großen und kleinen Muskeln

angestrengt, die man hat. Und man hat viel mehr, als man so denkt. Es fühlt sich ein bisschen so an, als sei man

durchgeprügelt worden. Aber im guten Sinne.

23 Ich bin wieder fröhlich und pfeife im Bad vor mich hin. Ben steckt den Kopf rein. Na, war’s schön?, fragt er. Ja, sage ich.

Ich hatte viel Spaß, füge ich mit einer Grimasse hinzu. Ben lacht. Markus fragt, ob wir Lust haben, ihn zu besuchen. Übers Wochenende, sagt Ben und guckt mich fragend an.

24 Eigentlich wollte ich mich mit Lavinia zum Kino verabreden.

Kino?, fragt Ben. Mitten im Sommer. Gerade dann, antworte ich. Da gibt es eine Klimaanlage. Ben guckt mich an. Sicher?, fragt er dann.

25 Markus wohnt außerhalb Berlins und in der Nähe von einem tollen See. Er ist ein Freund von Ben und sehr nett und ich mag ihn gerne. Nein, sage ich. Es war nur so eine Idee. Markus zu besuchen ist sicher auch ganz nett. Ja, warum nicht?, antworte ich ihm.

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26 Naja, er hat jetzt eine Katze, sagt Ben. Macht nichts, sage ich.

Ben guckt mich an. Sicher?, fragt er nochmal. Du bist doch gegen Katzen allergisch. Ach, sage ich. Die Katze wird schon nicht in unserem Bett schlafen, oder? Ben legt den Kopf schief.

Weiß ich nicht, sagt er dann. Könnte vielleicht sein. Egal, sage ich munter, ich nehme mein Schnupfenspray mit. Dann geht das schon, sage ich und nicke bekräftigend. Schließlich bin ich ja nicht hysterisch. Okay, sagt Ben und geht aus dem Bad.

Musik

27 Natürlich hat die Katze in unserem Bett geschlafen, d.h. sie hatte es vorher, so dass die Bettwäsche komplett mit Haaren verseucht war. Und natürlich gibt es auch jede Menge Mücken an dem See. Und Gräser. Und ich bin auch gegen Gräser allergisch. Was dann aber wirklich ein echtes Problem war, war Claudine – gut, für den Namen kann sie jetzt nichts. Claudine ist Markus neue Freundin und eigentlich ist das natürlich total schön, weil Markus wirklich sehr lange Liebeskummer hatte.

Wegen seiner letzten Freundin. Die sich von ihm getrennt hat.

Weil er, Markus, zu wenig mit ihr gesprochen haben soll.

28 Naja, das kennt man ja, ne?, Männer haben es nicht so mit sprechen. Machen sie eben einfach nicht, jedenfalls meistens weniger als die dazu gehörigen Frauen, und hören auch nicht so gerne zu. Männer wollen einfach ihre Ruhe haben, hat mir Ben mal erklärt, wenn sie sich entspannen wollen. Ich zum

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Beispiel kann total gut entspannen, wenn ich über die Sachen, die mich gerade beschäftigen, auch rede. Aber viele Männer eben nicht. Gut, das muss man irgendwie akzeptieren. Oder?

Und: Das ist jetzt hier übrigens durchaus kein Klischee, das war schon immer so.

29 Meine Mutter hat z.B. meinen Vater mal zum Ohrenarzt geschickt, weil sie dachte, er würde taub werden. Weil er manches einfach nicht mitgekriegt hat. Was sie zu ihm gesagt hat. Nach vielem Hin-und-Her ist mein Vater dann zum Arzt gegangen – ich schätze, er wollte einfach seine Ruhe haben – und der Ohrenarzt hat dann festgestellt, dass mein Vater Eins- A-Ohren hat. Ohren, mit denen man Dirigent werden könnte.

Keine Rede von Ertaubung. Auch nicht schleichender oder so was. Er hat dann nach der Untersuchung meinem Vater einen Cognac in seiner Praxis angeboten und ihm erzählt, dass seine Frau auch denken würde, er wäre taub oder würde es

zumindest bald werden. Er sie aber in ihrer Annahme auch nicht korrigieren würde, damit er weiterhin dann und wann ein wenig abschalten könnte.

30 Mein Vater hat das nach dem Arztbesuch sehr amüsiert zu Hause erzählt und meine Mutter war ziemlich beleidigt. Als ob sie zu den schrecklichen Frauen gehören würde, die ihre

Männer unter der Fuchtel halten und sie zum Arzt treiben, nicht,

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weil sie sich um ihr Hörvermögen sorgen, sondern nur weil sie Xanthippen sind, die sich mehr Aufmerksamkeit wünschen.

31 Ich kann mir das übrigens sehr gut vorstellen. Die beiden Männer, Arzt und Patient beisammen, schön einen Cognac zusammen lenzend, um sich in stiller und stummer Eintracht, leise in sich hinein lächelnd, über ihre Gattinnen

auszuschweigen.

Musik

32 Ich weiß jedenfalls, dass Ben es damals gut fand, als die beiden sich getrennt haben. Also jetzt Markus und seine

damalige Freundin Ines. Er mochte nämlich die Ex von Markus nicht besonders. Und das ist dann immer schwierig. Also, wenn man mit jemandem befreundet ist, sogar noch gut befreundet ist, und dann den jeweiligen Partner nicht so gut oder gar nicht leiden kann. Das ist wirklich ein Problem.

33 Jedenfalls hat Markus jetzt also eine neue Freundin. Ben findet die Neue ganz nett und Markus findet sie natürlich total super.

Ich finde sie schrecklich. Sie ist total zickig. Man könnte auch sagen hysterisch, wenn das nicht so frauenfeindlich wäre.

34 Claudine ist die ganze Zeit nicht von Markus Seite gewichen.

Hat selber kein Wort gesagt, dafür viel gelacht, wenn Markus oder Ben etwas erzählt haben. Mit Reh-Augenaufschlag natürlich und lange-Haare-zurück-werfen. Ich meine, ich finde

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Ben auch super und Markus ist wirklich nett, aber es ist nun auch wiederum nicht so, als hätten sie beide das Pulver erfunden.

35 Das war also schon mal anstrengend. Hinzu kam, dass

Claudine nichts gegessen hat, weil sie Vegetarierin ist. Warum sie dann zum Grillen kommt, ohne sich was mitzubringen, was sie essen würde, weiß ich nicht, aber gut. All das wäre ja noch gegangen. Was aber echt richtig, richtig genervt hat, war ihre blöde Katze.

36 Denn es ist nicht so, wie Ben behauptet hat, dass Markus jetzt eine Katze hat. Die Katze gehört Claudine. Und weil ihre Katze angstfrei und unbeschadet oder so ähnlich, ich habe es

vergessen, aufwachsen soll, darf sie alles. Und Markus Haus ist daher jetzt Summerhill für Katzen oder eine

Katzenwaldorfschule oder so.

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37 Die Katze hat also voll genervt, beziehungsweise eigentlich nicht die Katze selber, sondern eben Katzenfrauchen, weil sie darauf bestand, bzw. durch Markus mitteilen und mehrfach erklären ließ, dass Tiere auch Rechte haben. Gut, das finde ich auch. Die Frage ist doch aber, wie das konkret aussieht. Das mit den Tierrechten. Nun, konkret sah das so aus, dass die Katze unbedingt ihren Freiraum brauchte. Und der war richtig groß und erstreckte sich nicht nur bis ins Bett und in den Wäscheschrank hinein, sondern auch auf die

Besteckschublade undsoweiter. Was dazu führte, dass alle beim Essen pausenlos Katzenhaare im Mund hatten, bzw.

rausfummeln mussten. Geht’s noch?

Musik

38 Jetzt mal ehrlich: Wieso müssen Katzen auf Küchen- oder Esstischen liegen dürfen? Sollten die nicht einfach draußen sein? Vor allem, wenn sie, wie bei Markus auf dem Land, auch draußen sein können. Ist doch nicht wie in einer kleinen

Stadtwohnung, wo die Katze gar nicht raus kann und

womöglich nicht genug Platz hat oder so was. Und da dann wirklich keine Rechte hat. Katzenrechte. Die Katze von Claudine, die übrigens keinen Namen hatte – also nicht, weil sie selber einen finden soll, wenn sie groß genug ist, so irre war es dann doch nicht, sondern weil sie eben noch keinen hatte – ich vermute aus Faulheit, würde doch wohl auch lieber Mäuse

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jagen oder draußen rumstromern, anstatt nun im menschlichen Interieur ihren Katzenbedürfnissen nachzukommen. Aber die Katze durfte alles, nur eben nicht aus dem Haus gehen. Weil es ja Autos gibt und alles zu gefährlich ist undsoweiter. Vor allem aber, weil die Katze mal einen toten Vogel angeschleppt hat, bzw. einen halbtoten Vogel, den Claudine dann irgendwie am Hals hatte. Eigentlich ist das ja ganz normal, sage ich. Ist doch ne Katze. Die Tierrechte des einen Tiers hören da auf, wo die Tierrechte des anderen anfangen. Und das ist für Fleisch fressende Tiere natürlich kompliziert. Sollten wir vielleicht lieber einen Tieranwalt kontaktieren? Ich lache fröhlich in die Runde.

Claudine guckt mich mitleidig an, sagt aber nichts. Markus guckt etwas betreten.

39 Mal im Ernst, sage ich. Die Katze darf nicht aus dem Haus?

Das ist doch wohl ein Scherz, oder? Es war kein Scherz. Das hieß, man musste ständig darauf achten, dass die Türen geschlossen waren, damit die Katze nicht unbeachtet raus laufen konnte. Und wir sind alle permanent rein und raus gelaufen. Erst zum Schwimmen, dann zum Grillen, dann zum Volleyballspielen im Garten undsoweiter. Claudine hat zwar weiterhin nichts gesagt, dafür war sie aber die ganze Zeit in Bewegung. Ein Teller fehlt noch? Claudine geht schnell einen aus dem Haus holen. Noch ein Messer? Claudine joggt in die Küche und bringt eins mit. Servietten fehlen? Kein Problem.

Wahrscheinlich ist sie deswegen auch so schlank, sagt Ben.

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Kann sein, sagt Markus. Jedenfalls gibt sie sich Mühe, nicht dick zu werden, erklärt er und schnappt sich den Volleyball.

Lust auf ein bisschen Bewegung nach dem Essen?

40 Hysterisch oder nicht: irgendwann wollte ich einfach mal meine Ruhe haben und habe mich zum Schlafen draußen auf die Wiese hingelegt. Mit Ben. Besser Gras als Katze. Oder Claudine. Dachte ich. Stimmte aber nicht unbedingt. Der Heuschnupfen ging sogar noch, aber es war echt kalt. Nachts, da draußen auf der Wiese. Richtig kalt.

41 Claudine und Markus haben übrigens auch draußen

geschlafen. Nur eben die Katze nicht. Die war ja im Haus. Und hatte es schön warm. Wieso habt ihr denn draußen

geschlafen?, frage ich Markus am anderen Morgen. Ihr habt doch gar keine Katzenallergie. Weil es besser ist, wenn man im Kalten schläft, erklärt mir Markus. Wieso?, frage ich. Weil man sich dann besser erkälten kann? Markus lacht. Nein, sagt er, weil das die Fettproduktion im Körper anregt. Ich gucke ihn ungläubig an. Die Fettproduktion?, frage ich nach. Ja, sagt er, also die Produktion von braunem Fett. Das verbrennt das weiße, schlechte Fett, hält warm und macht schlank.

42 Was?, frage ich. Braunes Fett? Was soll denn das sein?

Claudine sagt, sagt Markus, dass wir alle mal braunes Fett hatten, als Baby, es aber als Erwachsene verloren haben. Und das ist nicht gut, weil das braune Fett sehr gesund für den

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Körper ist und es deshalb wieder aktiviert werden soll. Wie bitte? Das habe ich ja noch nie gehört. Woher weißt du das, frage ich Markus. Na, von Claudine, sagt Markus. Sie

interessiert sich sehr für medizinische Erkenntnisse und kennt sich da echt gut aus, fügt er anerkennend hinzu. Ich gucke zu Ben. Ben sagt gar nichts. Er guckt auch nicht belustigt oder so.

Das wird ja immer besser, denke ich. Wir streiten uns zu Hause über gesunde Trinkmengen pro Tag und er sagt nichts zu angeblich gesundem braunen Fett? Wie irre ist das eigentlich?

Musik

43 Jedenfalls war das Wochenende nicht ganz so entspannt, wie ich dachte. Wie findest du eigentlich Claudine, frage ich Ben.

Och, sagt er. Ganz nett. Jedenfalls netter als Ines. Ines ist, wie gesagt, die Ex von Markus. Wieso denn das?, frage ich. Hmm, sagt Ben, Claudine sieht gut aus, sie nervt einen nicht, sie ist nicht doof … Woher weißt du das, frage ich mit einem Lachen.

Sie hat doch das ganze Wochenende nichts gesagt. Ja, nickt Ben, das hat mich auch gewundert. Beim letzten Mal war sie nicht so einsilbig. Lass mich raten, sage ich, da war keine andere Frau dabei. Nee, sagt Ben, stimmt. Da waren wir nur zu dritt. Woher weißt du das, fragt er. Ach, sage ich. Nur so.

Musik

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44 Wieso, fragt Ben, die Beine bequem ausgestreckt, wieso haben Frauen eigentlich immer so komische Probleme mit anderen Frauen? Ich gucke ihn an. ICH habe keine komischen

Probleme mit Frauen, sage ich. Mit Betonung auf „komisch“.

Claudine hat ein Problem mit mir, sage ich. Hast du das nicht bemerkt? Nö, sagt Ben. Wann denn? Ich schüttele den Kopf.

Also, ich finde sie wirklich ganz süß, stellt Ben fest. Ich nicht, sage ich. Wegen der Katze, fragt Ben? Nein, wegen ihr, sage ich. Ich finde ihr Stutenbeißerei-Programm total nervtötend.

Und übrigens auch ziemlich dümmlich. Anstrengend.

Unsolidarisch. Unfeministisch.

45 Ben nickt und schweigt eine Weile. Von Feminismus, sagt er dann nachdenklich, versteht Claudine vermutlich nicht viel. Sie ist ja noch nicht so alt. Wie bitte? Sie ist noch nicht so alt? So alt wie wer? Wie ich? Sie ist doch ungefähr genauso alt wie ich!

Ben guckt mich fragend an. Mein Gott, sage ich, UNGEFÄHR!

46 Wie alt muss man denn sein, um etwas von Feminismus zu verstehen, frage ich dann nach einer Weile. Keine Ahnung, erwidert Ben und zuckt mit den Schultern. Es ist aber

heutzutage, glaube ich, kein Thema mehr für die Frauen. Ich glaube, es ist kein Thema für deine Claudine, nicht weil sie so jung ist, sondern weil sie so blöd ist, sage ich und gehe wütend aus dem Zimmer.

Musik

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47 Es ist ja so: Das mit dem Feminismus kann auch wirklich ganz schön kompliziert sein. Im Alltag jetzt, meine ich. Nicht wegen der Männer. Mit denen ist es diesbezüglich in der Regel ziemlich simpel. Es gibt welche, die sind ganz normal und es gibt welche, die sind es nicht. Das sind, zwar nicht immer, aber meistens, ältere bis alte Männer, die Frauen – wenn schon nicht mehr am Herd stehend, das nun nicht mehr so häufig, glaube ich – die Frauen also allgemein entweder als Dekoration oder als ihre Assistentinnen begreifen. Oder beides. Egal, ob jetzt privat oder beruflich. Solche Männer bestimmen ganz selbstverständlich, worüber geredet wird, was richtig ist, die lassen sich nichts von einer Frau sagen, die bestimmen

einfach. So à la: Ich bin der Chef im Ring. Also, auch wenn sie das jetzt nicht sind, also nicht wirkliche Chefs sind, manchmal sind das nur normale Kollegen oder auch Bekannte oder so was, aber sie verhalten sich eben chef-mäßig. Solche Bestimmer-Typen haben schon als Kleinkind bestimmt, was gespielt wird – ob „Mutter-Vater-Kind“ oder „Verstecken“ oder

„Buddeln-im-Sandkasten“. Und das hat bei denen dann einfach nicht mehr aufgehört. Die haben ihr ganzes Leben weiter bestimmt, was gespielt wird. Und die liebsten Spielkameraden waren ihnen dann die, die sich haben bestimmen lassen. Das hat besonders gut bei den Mädchen funktioniert, weil Mädchen wollen ja gefallen. Und nicht zickig sein. Oder hysterisch.

Manche Frauen wollen das immer noch. Das ist ja allseits

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bekannt. Das nennt man den kleinen Unterschied oder den Geschlechterkampf oder oder oder. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Denkste, Puppe.

48 Denn jetzt ist es nämlich folgendermaßen: Das Bestimmen an sich war vielleicht früher mal männlich, und das sich

Bestimmen-lassen weiblich – heutzutage ist es das schon lange nicht mehr. Bestimmen ist nicht mehr „gegendert“. Es gibt nämlich auch viele BestimmerINNEN, und die sind genauso unerträglich.

49 Und das heißt im Klartext, dass man früher Männer hatte, die bestimmen wollten und konnten, weil die Frauen das

mitgemacht haben. Und heute hat man noch die alten Männer, die das immer noch wollen und die Frauen, die das ebenso klasse finden, aber zusätzlich auch noch die Frauen, die selber bestimmen wollen. Und jetzt rein naturwissenschaftlich

betrachtet, nämlich mathematisch: in der Summe macht das insgesamt einfach MEHR von diesen Ätz-Bestimmer-Typen in der Welt. Die sanften Frauen, die sich herumschicken lassen, sind aber trotzdem auch noch da. Und diejenigen, die weder das eine noch das andere sind und sein wollen, gucken in die Röhre und werden alleine zahlenmäßig immer weniger. Was potentielle Freuden mit gleichgesinnten Freundinnen immer unwahrscheinlicher macht.

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50 Und deswegen ist das auch mit dem Feminismus im Alltag echt schwieriger geworden.

Musik

51 Spät abends komme ich nach Hause, ich war mit Lavinia im Kino. Eigentlich würde ich ganz gerne auch mal mit Ben ins Kino gehen, aber er geht nicht ins Kino oder wenn, dann nur mir zuliebe, und das finde ich auch irgendwie bescheuert. Ben meint, dass die meisten Leute im Kino eigentlich gewöhnt sind, DVDs zu Hause zu gucken und daher nicht wissen, dass man im Kino – im Gegensatz zu Zuhause – die Klappe halten sollte, wenn der Film läuft. Nicht nur aufhören sollte, mit Bonbonpapier zu kraspeln, sondern auch darauf verzichten sollte, das

Geschehen auf der Leinwand zu kommentieren. Oder es sich vom Nachbarn erklären zu lassen. Gut, das trifft vielleicht auf die Mainstreamfilme zu, da ist das Publikum ja auch anders, aber bei kleineren Arthouse- oder Independent-Produktionen doch nicht! Da gehen doch sowieso nur Leute hin, die

cineastisch begeistert und von sich aus still sind. Aber das glaubt Ben nicht. Ich frage ihn deswegen schon gar nicht mehr, ob er mitkommen will. Außerdem haben wir ja jetzt einen Blu- Ray-Player. Gut, dann eben Kino mit Lavinia.

52 Der Film war gut, sage ich zu Ben, als ich mich neben ihn aufs Sofa schmeiße. Du hast echt was verpasst, füge ich hinzu. Den analphabetischen Schock?, fragt Ben. Nein, sage ich und

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schiebe meine Füße unter seine Waden. Der Film war wirklich gut. Hätte dir auch gefallen. Hmhm, sagt Ben und liest weiter.

Wir könnten ihn nochmal zusammen sehen, sage ich. Ich würde ihn mir glatt ein zweites Mal angucken. Gut, sagt Ben.

Und blättert eine Seite um.

53 Ich nehme mir ein Kissen und stopfe es unter den Kopf.

Eigentlich ist es schade, sage ich dann, dass Lavinia und Markus nicht zusammen sind. Findest du nicht auch? Hm, antwortet Ben. Dann könnten wir uns zu viert treffen, ohne dass es bescheuert wäre, füge ich hinzu. Zum Essen und Quatschen und Ausgehen oder so. Ben sagt gar nichts. Oder auch zum Blu-Ray-Gucken, sage ich und tippe ihn mit meinem Fuß in die Seite.

54 Ben klappt das Buch zu und seufzt. Ja, sagt er. Das wäre vielleicht keine schlechte Idee. Claudine hat sich nämlich von Markus getrennt. Was?, frage ich und setze mich auf. Wann denn das? Warum denn? Ich kann es gar nicht glauben. Ben schüttelt den Kopf. Gestern, glaube ich. Markus hat vorhin angerufen. Er war ziemlich komisch. Naja, sage ich, das kann man ja verstehen, oder? Auch wenn ich Claudine nicht leiden konnte, er mochte sie ja wohl. Wieso denn, frage ich nochmal?

Weiß nicht genau, sagt Ben. Markus sagt, sie fand ihn zu phlegmatisch. Ben zuckt die Schultern. Irgendwie nicht

zielstrebig, nicht entscheidungsfreudig genug. Jedenfalls hat sie

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das wohl gesagt. Markus ist eben kein Bestimmer!, sage ich analytisch. Das ist zwar gerade gut, aber das versteht sie eben nicht! Die blöde Kuh! Letzteres denke ich aber nur. Laut sage ich: Findest du mich eigentlich hysterisch, weil ich selber

bestimmen will? Ben guckt mich an. Naja, führe ich aus, weil ich beim Pilates gut werden will und weil ich sensibler als du bin und viel Wasser trinke und Claudine bescheuert finde. Ben schnappt sich seine Gitarre und fängt an, ein bisschen zu spielen. Nach einer Weile sagt er: Nö. Finde ich nicht. Und gibt mir einen Kuss.

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