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Rücknahme der Einbürgerung wegen Verschweigens eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

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VG München, Urteil v. 02.03.2016 – M 25 K 14.3680 Titel:

Rücknahme der Einbürgerung wegen Verschweigens eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

Normenketten:

StAG § 8, § 12a, § 35 StGB § 266a

BayVwZVG Art. 19, Art. 29, Art. 30, Art. 31, Art. 36 BayVwVfG Art. 52

Leitsätze:

1. Der Verstoß gegen § 12a Abs. 3 S. 1 StAG macht die Einbürgerung rechtswidrig. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

2. Der Gesetzgeber hat dem Einbürgerungserfordernis der Unbescholtenheit ein erhebliches Gewicht beigemessen. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)

Schlagworte:

Rücknahme einer Einbürgerung, Anhängiges Ermittlungsverfahren nicht mitgeteilt, Deutsche Ehefrau und deutsche Kinder, Staatenlosigkeit, Türkei, Studienzwecke, Verurteilung, Niederlassungserlaubnis, Betrug, Geldstrafe, Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, unrichtige Angaben

Rechtsmittelinstanz:

VGH München, Urteil vom 10.11.2017 – 5 ZB 16.653 Fundstelle:

BeckRS 2016, 128065  

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch

Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte in gleicher Höhe vorher Sicherheit leistet.

Tatbestand 1

Der …-jährige Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung.

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Der Kläger stammt aus der Türkei und hat dort im Juli 1999 an der … … Univer-sity in … einen Bachelor of Science in … … erworben. Im Oktober 1999 reiste er erstmals zu Studienzwecken in die Bundesrepublik Deutschland ein, brach sein Studium der … an der Technischen Universität München 2001 jedoch ohne Abschluss ab und arbeitete anschließend als …leger.

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Von Januar 2003 bis Mai 2006 war der Kläger mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet; von Dezember 2008 bis September 2009 mit einer türkischen Staatsangehörigen. Beide Ehen wurden

geschieden. Seit Februar 2008 besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis und ist seit November 2014 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Das Ehepaar hat zwei deutsche Kinder, die 2013 und 2014 zur Welt kamen.

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Auf seinen Antrag auf Einbürgerung gemäß § 8 StAG vom 18. Dezember 2009 wurde der Kläger nach Ermessen durch Übergabe der Einbürgerungsurkunde vom 24. September 2010 am 8. November 2010 eingebürgert. Im Anschluss verlor er durch Aushändigung der Entlassungsurkunde am 22. November 2010 seine türkische Staatsangehörigkeit.

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Im April 2014 erlangte die Ausländerbehörde Kenntnis von einer strafrechtlichen Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht T* … mit Urteil vom *. März 2014, rechtskräftig seit 14. März 2014, zu 210

Tagessätzen wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 41 tatmehrheitlichen Fällen mit 29 tatmehrheitlichen Fällen des Betrugs. Der Kläger hatte als faktischer Geschäftsführer eines Unternehmens für …arbeiten Arbeitnehmer beschäftigt, ohne diese ordnungsgemäß zur Sozialversicherung anzumelden, mit der Folge, dass fällige Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt wurden. Der Kläger teilte außerdem der Berufsgenossenschaft die Jahreslohnsummen der Mitarbeiter bewusst falsch in zu niedriger Höhe mit und führte damit zu geringe Beiträge ab. Da sich die Gewerbsmäßigkeit des Betrugs in der

Hauptverhandlung nicht sicher nachweisen ließ, wurden der Kläger und seine Mitangeklagte nicht wegen gewerbsmäßigen Betrugs verurteilt.

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Nach Anhörung des Klägers nahm der Beklagte mit Bescheid vom 24. Juli 2014 die Einbürgerung die Einbürgerung rückwirkend zum 8. November 2010 zurück (Nr. 1), verpflichtete den Kläger die

Einbürgerungsurkunde innerhalb von zwei Wochen nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheids zurück zu geben bzw. zu übersenden (Nr. 2) und drohte für die Nichterfüllung der Verpflichtung nach Nr. 2 ein Zwangsgeld i.H.v. 1000,00 € an (Nr. 3). Die Rücknahme wurde als Ermessensentscheidung nach § 35 StAG verfügt. Die Einbürgerung sei wegen des bereits seit Mai 2010 anhängigen Ermittlungsverfahrens, das zur Verurteilung im Jahr 2014 geführt habe, rechtswidrig, denn die Behörde hätte das

Einbürgerungsverfahren bis zur Rechtskraft der strafrechtlichen Entscheidung gemäß § 12a Abs. 3 StAG aussetzen müssen. Der Kläger habe seine Einbürgerung auch durch arglistige Täuschung oder zumindest durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für die Einbürgerung waren, erwirkt. Denn das Hauptzollamt R* … habe dem Kläger mit Schreiben vom 10. Mai 2010 mitgeteilt, dass gegen den Kläger ein Strafverfahren wegen des Verdachts einer Straftat nach § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB eingeleitet worden sei. Zuvor habe am *. April 2010 eine Durchsuchung der Wohnung sowie der Geschäftsräume des Klägers auf Grund amtsgerichtlichen Durchsuchungsbeschlusses stattgefunden. Der Kläger habe die Einleitung eines Strafverfahrens wegen des Verdachts einer Straftat nicht mitgeteilt, obwohl sowohl im Einbürgerungsantrag nach anhängigen Ermittlungsverfahren gefragt werde und der Kläger sich mit der Stellung des Einbürgerungsantrags verpflichtet habe, Änderungen seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unverzüglich mitzuteilen, als auch der Kläger im Hinweisblatt zum Einbürgerungsantrag ausdrücklich versichert habe, jede für das Verfahren entscheidungserhebliche Änderung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und bisherigen Angaben der

Einbürgerungsbehörde unverzüglich, d.h. so schnell wie möglich nach Kenntniserlangung mitzuteilen;

ausdrücklich wurde in einer nicht abschließenden Aufzählung auf anhängige strafrechtliche Ermittlungsverfahren in Deutschland und dem Ausland hingewiesen.

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Sowohl den Einbürgerungsantrag als auch das Hinweisblatt habe der Kläger am … Dezember 2009 unterschrieben. Des Weiteren habe der Kläger jeweils am … August 2010 und am *. November 2010 eine falsche Erklärung zum Eintritt von Änderungen in den einbürgerungsrelevanten Tatsachen abgegeben, indem er die Frage nach anhängigen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren im In- und Ausland jeweils ausdrücklich verneinte.

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Durch die Falschangaben sei ein Irrtum sowohl beim zuständigen Sachbearbeiter bei der Regierung von Oberbayern als auch beim aushändigenden Bediensteten des Landratsamts erregt worden, weil diese jeweils keine Kenntnis von einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Kläger hatten.

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Im Rahmen des Ermessens stellte der Beklagte ein, dass § 35 StAG zwar kein intendiertes Ermessen vorsehe, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung jedoch insbesondere im Bereich der Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit ein hohes Gut sei. Nach der Rechtsprechung des

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Bundesverfassungsgerichts dürfe eine Rechtsordnung, die sich ernst nehme, nicht Prämien auf die

Missachtung ihrer selbst setzen. Sie schaffe sonst Anreize zur Rechtsverletzung, diskriminiere rechtstreues Verhalten und untergrabe damit die Voraussetzungen ihrer eigenen Wirksamkeit. Der Beklagte wertete die privaten Interessen des Klägers als nicht überwiegend und stellte hierbei insbesondere das Wahlrecht, weitgehende Reisefreiheit und Deutschengrundrechte, die Sprachkompetenz des Klägers, seinen über 14- jährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt, den Sohn und das zum damaligen Zeitpunkt erwartete zweite deutsche Kind sowie den Verlust der Unionsbürgerschaft durch die Rücknahme der Einbürgerung in die Ermessenserwägungen ein. Auch sei wohl eine wirtschaftliche Integration in die hiesigen

Lebensverhältnisse gelungen. Jedoch lasse die Höhe der strafrechtlichen Verurteilung erkennen, dass der Kläger es mit der Rechtsordnung nicht so genau nehme.

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Die Rücknahme der Einbürgerung sei auch verhältnismäßig. Der Strafrahmen der Bagatellgrenze des § 12a Abs. 1 Satz 1 StAG sei um mehr als Doppelte überschritten. Außerdem fühle sich der Kläger zu Unrecht verurteilt, was gegen ihn spreche. Ein anderweitiger Einbürgerungsanspruch bestehe nicht. Der Kläger erfülle auch den Straftatbestand des § 42 StAG. Die Rücknahme werde fristgerecht verfügt.

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Der Rücknahme stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger staatenlos werde. Ein Ausnahmefall i.S.v. § 35 Abs. 2 StAG liege nicht vor. Außerdem müsse der Zustand der Staatenlosigkeit nicht von Dauer sein, denn es sei amtsbekannt, dass die türkische Staatsangehörigkeit auch von in Deutschland eingebürgerten und lebenden Türken relativ leicht wieder erworben werden könne.

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Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger mit Schriftsatz vom … August 2014, bei Gericht am folgenden Tag eingegangen, Klage erheben und beantragen,

den Bescheid aufzuheben.

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Im September 2014 bat der Beklagte die Staatsanwaltschaft um Prüfung, ob wegen des Verhaltens des Klägers im Einbürgerungsverfahren, das zur Rücknahme der Einbürgerung geführt hat, ein Strafverfahren einzuleiten ist.

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Mit Schriftsatz vom *. Oktober 2014 wurde die Klage begründet. Der Prozessbevollmächtigte rügte das Fehlen einer konkreten gesetzlichen Grundlage für die Rücknahme. Außerdem habe der Kläger weder arglistig noch vorsätzlich gehandelt. Das bei Stellung des Einbürgerungsantrags vorgelegte Formblatt sei dem Kläger weder vorgelesen noch erläutert worden; eine Abschrift habe er auch nicht erhalten, um das Formblatt in Ruhe durchlesen zu können. Trotz der bestandenen Sprachprüfung sei der Kläger als

Ausländer nicht mit den Ausdrucksweisen der Formblätter vertraut gewesen und habe die Voraussetzungen einer Meldepflicht nicht vergegenwärtigt. Es sei angebracht, dem Kläger die Hinweise in seiner

Muttersprache zu geben bzw. die Formulare in Übersetzung zur Verfügung zu stellen. Das steuerrechtliche Ermittlungsverfahren des Zollamts habe der Kläger nicht unter strafrechtliches Verfahren subsumiert. Damit habe der Kläger zwar möglicherweise fahrlässig, aber nicht vorsätzlich gehandelt.

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Das Landratsamt habe das Einbürgerungsverfahren sehr eng und bewusst überwacht und von den anlaufenden Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen steuerrechtlicher Ermittlungen bereits in der ersten Jahreshälfte 2010 Kenntnis gehabt. Im Grunde genommen habe die Ausländerbehörde den Kläger offensichtlich in die Falle gelockt. Wegen seiner Scheidung in der Türkei habe der Kläger auch erhebliche Probleme privater Art gehabt und sei beruflich stark belastet gewesen.

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Es müsse bei der Ermessensentscheidung auch berücksichtigt werden, dass der Kläger als Staatenloser erhebliche Probleme haben werde, die türkische Staatsangehörigkeit wieder zu erlangen. Der Eintritt der Staatenlosigkeit stehe der Rücknahme nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG entgegen. Es sei auch zu beachten, dass der Kläger eine deutsche Staatsangehörige heiraten werde und Vater zweier Kinder einer deutschen Staatsangehörigen sei. Der Kläger beschäftige mittlerweile elf Mitarbeiter.

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Mit Schriftsatz vom 7. November 2014 legte der Beklagte die Behördenakten vor und beantragte, die Klage abzuweisen.

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Es sei vollkommen abwegig, dass der Kläger die Hinweise und Erklärungen mangels ausreichender Deutschkenntnisse nicht verstanden habe. Als Selbstständiger sei der Kläger als im Umgang sowohl mit Behörden als auch mit Geschäftspartnern erfahren anzusehen. Bereits im Mai 2000 habe er das Zertifikat Deutsch mit der Gesamtnote „gut“ erworben und in der Folge noch weitere Sprachkurse besucht. Die Mitteilung des Hauptzollamts vom 10. Mai 2010 bestehe außerdem aus einem einzigen, leicht verständlichen Satz, in dem ihm mitgeteilt werde, dass ein Strafverfahren wegen des Verdachts einer Straftat nach § 266a StGB gegen den Kläger eingeleitet worden sei. Der Kläger sei zudem auch zuvor schon strafrechtlich in Erscheinung getreten, weshalb ihm der Begriff des Strafverfahrens bekannt gewesen sein musste. Bei eventuel len Zweifeln sei er verpflichtet gewesen, sich beim Hauptzollamt nach Inhalt und Stand des Verfahrens zu erkundigen. Bei den vorgetragenen psychischen Belastungen handele es sich um Schutzbehauptungen, die der Kläger im Rahmen seiner Anhörung mit keinem Wort erwähnt habe. Der Kläger habe die Hinweise zum Einbürgerungsverfahren bei Antragstellung auch erhalten, was der Kläger durch seine Unterschrift bestätigt habe. Die Pflicht zur Bereitstellung von Erklärungen in der Muttersprache von Einbürgerungsbewerbern sei schlicht abwegig. Kopien von Aktenteilen hätte der Kläger erhalten, wenn er darum gebeten hätte.

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Das Gericht hat die Strafakten des Verfahrens der Staatsanwaltschaft j* …, Az. … … … zum Verfahren beigezogen.

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Die Kammer hat am 2. März 2016 mündlich in der Sache verhandelt.

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Wegen der Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakte, die vorgelegten Behördenakten, die beigezogene Strafakte sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe 22

Die Klage hat keinen Erfolg, weil sie unbegründet ist. Der Beklagte hat die Einbürgerung des Klägers nach Ermessen rechtmäßig zurückgenommen.

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Der angegriffene Rücknahmebescheid des Beklagten vom 24. Juli 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rücknahme der Einbürgerung nach § 35 StAG sind erfüllt, und die Ermessensausübung begegnet keinen rechtlichen Bedenken (§ 114 Satz 1 VwGO).

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1. Die Rücknahme ist formell rechtmäßig. Der Kläger wurde angehört, die Fünfjahresfrist des § 35 Abs. 3 StAG ist gewahrt.

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2. Die Rücknahme ist auch materiell rechtmäßig. Die Rücknahmevoraussetzungen des § 35 Abs. 1 StAG sind erfüllt, weil der Kläger seine rechtswidrige Einbürgerung zumindest durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für die Einbürgerung waren, bzw. durch arglistige jäuschung erwirkt hat.

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2.1. Die Einbürgerung des Klägers trotz eines laufenden Ermittlungsverfahrens wegen einer Straftat war rechtswidrig. Denn in einem solchen Fall ist die Entscheidung über die Einbürgerung bis zum Abschluss des Verfahrens, im Fall der Verurteilung bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils, auszusetzen (§ 12a Abs. 3 Satz 1 StAG). Der Beklagte hätte vorliegend die Entscheidung bis zur Rechtskraft des Urteils am 14. März 2014 aussetzen müssen; aus Unkenntnis des Sachverhalts hat sie den Kläger jedoch am 8. November

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2010 eingebürgert. Der Verstoß gegen § 12a Abs. 3 Satz 1 StAG macht die Einbürgerung rechtswidrig (BVerwG, U.v. 3.6.2003 - 1 C 19.02 - juris Rn. 18). Die Rechtswidrigkeit der Einbürgerung tritt unabhängig vom Ausgang des Ermittlungsverfahrens ein und unabhängig davon, ob die später verhängte Strafe nach § 12a Abs. 1 StAG für die Einbürgerung relevant ist.

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2.2. Der Kläger hat seine Einbürgerung auch durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die für diese wesentlich gewesen sind, bzw. durch arglistige jäuschung erwirkt.

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2.2.1. Angaben zu anhängigen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sind wesentlich. Dies ergibt sich bereits aus § 12a Abs. 3 StAG. Dass der Kläger diesbezüglich unrichtige Angaben gemacht hat, ist offensichtlich.

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2.2.2. Die Angaben des Klägers zu anhängigen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren waren sowohl unvollständig, weil er eine Mitteilungspflicht in Bezug auf Änderungen in seinen persönlichen und

wirtschaftlichen Verhältnissen hatte, als auch unrichtig insofern er am … August 2010 und am *. November 2010 jeweils ausdrücklich schriftlich bestätigte, dass sich hinsichtlich strafrechtlicher Ermittlungsverfahren keine Änderungen gegenüber seinen Angaben im Einbürgerungsantrag vom … Dezember 2009 ergeben haben.

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2.2.3. Der Kläger handelte bezüglich der unrichtigen Angaben auch zumindest bedingt vorsätzlich. Er hat entscheidungserhebliche Angaben gemacht, deren Unrichtigkeit ihm bewusst war oder deren Unrichtigkeit er für möglich hielt, die er aber in Kauf nahm. Zudem hat er wahre jatsachen verschwiegen, zu deren Offenlegung er verpflichtet war.

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Seine diesbezüglichen Versuche, einen entsprechenden Schuldvorwurf von sich zu weisen, überzeugen nicht. Seine Behauptung, er habe mangels entsprechender Deutschkenntnisse und weil er keine Abschrift erhalten habe, nicht gewusst, welche Änderungen seiner Verhältnisse er der Behörde melden müsse und die Einleitung eines Strafverfahrens durch das Hauptzollamt habe er nicht als Strafverfahren gewertet, zielt darauf ab, den Eindruck zu vermitteln, er habe nicht vorsätzlich, sondern allenfalls grob fahrlässig

gehandelt, was zur Erfüllung des jatbestands des § 35 Abs. 1 StAG nicht ausreichen würde. Der Kläger hat zur Überzeugung des Gerichts jedoch nicht nur grob fahrlässig, sondern zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt.

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2.2.3.1. Zunächst weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass der Kläger das Hinweisblatt zum

Einbürgerungsantrag am … Dezember 2009 erhalten und damit jederzeit die Möglichkeit gehabt hat, sich über den Umfang seiner Mitteilungspflichten zu vergewissern. Die diesbezügliche Ausflucht des Klägers ist somit widerlegt.

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2.2.3.2. Auf mangelnde Deutschkenntnisse kann sich der Kläger, der fünf Jahre lang in der jürkei studiert hat, zu Studienzwecken nach Deutschland eingereist ist, an der jechnischen Hochschule ein Jahr lang ein Magisterstudium betrieben und sich danach mehrere Jahre lang im unternehmerischen Bereich betätigt hat, ebenfalls nicht mit Erfolg berufen. Die Forderung des Prozessbevollmächtigen, Einbürgerungsbewerbern Übersetzungen der Formulare in der jeweiligen Heimatsprache zur Verfügung zu stellen, ist fernliegend.

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2.2.3.3. Das Gericht glaubt dem Kläger nicht, dass er das durch das Hauptzollamt eingeleitete Verfahren nicht unter „strafrechtliches Ermittlungsverfahren“ subsumiert hat.

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Zunächst spricht dagegen schon der Wortlaut der sehr übersichtlichen Mitteilung vom 10. Mai 2010, die den Kläger über die Einleitung eines Strafverfahrens nach § 266a Strafgesetzbuch informiert.

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Zu Recht weist der Beklagte in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Kläger bereits Erfahrungen mit strafrechtlichen Ermittlungen hatte: Ausweislich der Mitteilung der Kriminalpolizeiinspektion j* … vom … Dezember 2009 waren dieser vier Verfahren gegen den Kläger bekannt (Bl. 86 Einbürgerungsakte): Ein Verfahren wegen Führens eines Fahrzeugs bei Fahrunsicherheit infolge Alkoholgenusses - Az. … … … - endete mit einem Freispruch, ein Verfahren wegen Führens eines Kfz ohne Fahrerlaubnis - Az. … … … - mit einer Verurteilung zu einer Geldstrafe, ein Verfahren wegen Diebstahls wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Ebenfalls eingestellt nach § 170 Abs. 2 StPO wurde ein Verfahren wegen gefährlicher

Körperverletzung - Az. … … … 37

Vor diesem Hintergrund glaubt das Gericht dem Kläger nicht, dass er die Mitteilung über die Einleitung eines Strafverfahrens wegen eines Verstoßes gegen eine Vorschrift des Strafgesetzbuchs nicht als strafrechtlich relevantes Ermittlungsverfahren gewertet hat. Ihm war nach Überzeugung des Gerichts vielmehr jedenfalls bewusst, dass seine Erklärung möglicherweise unrichtig ist. Er hat dies jedoch in Kauf genommen und die Frage nach anhängigen Ermittlungsverfahren verneint, ohne sich zuvor zu erkundigen, ob es sich um eine mitteilungsrelevante Tatsachenänderung handelt. Zumindest eine diesbezügliche Erkundigungspflicht hatte der Kläger und ist ihr nicht nachgekommen. Es wäre für den Kläger auch ein Leichtes gewesen, eine Klärung entweder bei der Einbürgerungsbehörde oder durch seinen

Prozessbevollmächtigten, der im relevanten Strafverfahren bereits mandatiert war, herbeizuführen.

38

Stattdessen nahm der Kläger in Kauf, dass seine Angaben unrichtig sind und handelte somit zumindest bedingt vorsätzlich.

39

2.2.4. Der Kläger hat seine Einbürgerung auch erwirkt, denn die Fehlerhaftigkeit der Angaben war für die rechtswidrige Einbürgerung kausal. Der Kläger hat einen Irrtum über das Vorliegen von

Ermittlungsverfahren gegen ihn hervorgerufen.

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Maßgeblich ist die Kenntnis des Amtswalters, der über die Einbürgerung entscheidet (vgl. BVerwG, U.v.

24.1.2001 - 8 C 8.00 - juris).

41

Weder dem Sachbearbeiter beim Beklagten noch dem Mitarbeiter der Ausländerbehörde, der die

Einbürgerungsurkunde ausgehändigt hat, war das strafrechtliche Er mittlungsverfahren gegen den Kläger bekannt. Die anderweitige Behauptung des Prozessbevollmächtigten, die Ausländerbehörde habe den Kläger „offensichtlich in eine Falle gelockt“, entbehrt jeder Grundlage.

42

Ausweislich der vorgelegten Behördenakten hat sich bis zur Mitteilung der strafrechtlichen Verurteilung durch das Amtsgericht im März 2014 kein Hinweis auf dieses Verfahren in den Einbürgerungsakten befunden.

43

Die tatbestandlichen Rücknahmevoraussetzungen liegen somit vor.

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3. Die Ermessensentscheidung des Beklagten ist rechtmäßig. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich (§ 114 Satz 1 VwGO), und die Entscheidung ist auch verhältnismäßig.

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3.1. Der Rücknahme steht vorliegend nicht entgegen, dass der Kläger dadurch staatenlos wird (§ 35 Abs. 2 StAG). Die Kammer kann keine Umstände erkennen, die dem Fall ein Gepräge geben, das ihn von dem als Regelfall normierten Fall ausnimmt.

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3.1.1. Der Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass der Kläger die Möglichkeit hat, die türkische Staatsangehörigkeit wieder zu erlangen.

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(7)

3.1.2. Auch der gleichzeitige Verlust der Unionsbürgerschaft führt nicht zu einem Ausnahmefall. Der Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass es beim Kläger - anders als im Verfahren des

Bundesverwaltungsgericht (U.v. 11.11.2010 - 5 C 12/10 - juris) ausschließlich um den Entzug einer unredlich erworbenen Unionsbürgerschaft geht.

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3.2. Die Behörde entscheidet über die Rücknahme nach Ermessen. Diese Entscheidung ist vom Gericht nur eingeschränkt auf Ermessensfehler überprüfbar (§ 114 Satz 1 VwGO).

49

3.2.1. Zunächst ist eine Ermessensreduzierung auf Null, die allein der Klage in der beantragten Form zum Erfolg verhelfen könnte, nicht ersichtlich.

50

3.2.2. Der Beklagte hat bei der Abwägung der für und gegen eine Rücknahme sprechenden öffentlichen und privaten Belange auch alle nach Lage der Dinge maßgeblichen Umstände (insbes. Verlust der Deutschenrechte, langjähriger Aufenthalt, Sprachkenntnisse, wirtschaftliche Integration, deutsche

Familienangehörige, Verlust der Unionsbürgerschaft) und die negativen Folgen des Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit für den Kläger, berücksichtigt und vertretbar gewichtet und letztlich in nicht zu beanstandender Weise das Überwiegen des öffentlichen Interesses bejaht.

51

Der Beklagte hat seine Ermessensentscheidung ausführlich begründet und insbesondere gesehen, dass eine Entscheidung für eine Rücknahme nicht im Sinne eines intendierten Ermessens vorgegeben ist. Zu Recht ist er auch davon ausgegangen, dass kein Ausnahmefall von § 35 Abs. 2 StAG vorliegt. Der Umstand, dass der Kläger in wirtschaftlicher Hinsicht integriert ist und seine Familienmitglieder Deutsche sind, wurde gesehen. Es ist jedoch nicht fehlerhaft, wenn der Beklagte entscheidend darauf abstellt, dass die Rechtsordnung nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen dürfe. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Kläger erst mit Tilgung seiner Verurteilung aus dem Bundeszentralregister die Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt. Er würde gegenüber dem rechtstreuen Einbürgerungsbewerber privilegiert, wenn man ihm die deutsche Staatsangehörigkeit beließe.

52

3.3. Die Entscheidung für die Rücknahme ist auch nicht unverhältnismäßig, selbst unter Berücksichtigung des Umstands, dass der frühere Aufenthaltstitel des Klägers nicht wieder auflebt.

53

Denn die nachteiligen Folgen aus der Rücknahme beruhen letztlich auf dem eigenen Verhalten des Klägers.

Der vom Kläger im Einbürgerungsverfahren begangene Pflichtverstoß war von erheblichem Gewicht. Der Gesetzgeber hat dem Einbürgerungserfordernis der Unbescholtenheit ein erhebliches Gewicht

beigemessen (BVerwG, U.v. 11.11.2010 - 5 C 12/10 - juris Rn. 36). Die Schwere des Rechtsverstoßes ist auch daran zu erkennen, dass ein solches Verhalten nach § 42 StAG mit Strafe bedroht ist.

54

Die Rücknahme erfolgt gemäß § 35 Abs. 4 StAG mit Wirkung für die Vergangenheit.

55

Die Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit erweist sich somit als rechtmäßig.

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4. Die Rückgabepflicht in Nr. 2 beruht auf Art. 52 Satz 1 und Satz 2 BayVwVfG, die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 auf Art. 19, 29, 30, 31 und 36 BayVwZVG und ist nicht zu beanstanden. Das angedrohte

Zwangsgeld ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Es hält sich im Rahmen der Vorschrift des Art.

31 Abs. 2 Satz 1BayVwZVG.

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Die Klage war somit abzuweisen.

58

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

(8)

59

5. 6. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Gericht liegen nicht vor.

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