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WARUM SIND WIR PLANER/ ARCHITEKTEN SO DEM PAPIER VERHAFTET?

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D D IE I E M M ED E D IE I EN N D D E E S S A AR R C C H H IT I T E E K K T T EN E N

WARUM SIND WIR PLANER/ ARCHITEKTEN SO DEM PAPIER VERHAFTET?

Stuttgart, Januar 1992

Die Geschwindigkeitserhöhung des Auftauchens neuer Technologien und deren Weiterentwicklung hat sich zu einem wahren Trommelfeuer gesteigert.

Unsere Fähigkeit als Benutzer, ein neues Medium zu assimilieren, ist überstrapaziert.

Es beginnt schon bei der Informationsflut: Alles geht viel zu schnell, nichts lässt sich mehr festhalten.

Zwar ist der Mensch das einzige Lebewesen auf der Erde, das unbeschadet, d.h. ohne lange genetische Veränderungsprozesse, die klimatischen und ökologischen Zonen der Erde wechseln kann. Jedoch schon die mentalen Veränderungen in seinem Raum-Zeit-Gefüge durch schnelle Transportmittel sind ihm trotz "Time-Lag-Watch" immer noch nicht bewusst! Heinrich Heine beschrieb 1843 seine Ängste bezüglich des raschen Ausbreitens der Eisenbahnen: "Welche Veränderungen müssen jetzt eintreten in unserer Anschauungsweise und unseren Vorstellungen! Sogar die Elementarbegriffe von Zeit und Raum sind schwankend geworden. Durch die Eisenbahnen wird der Raum getötet, es bleibt uns nur noch die Zeit übrig. Hätten wir nur Geld genug, auch letztere anständig zu töten!"

Und nun dieses unheimliche, amorphe Wesen, selbst unsichtbar und nur an seinen Auswirkungen erkennbar: Die "Digitalität".

Es hat sich herumgesprochen: Wir befinden uns im Übergang zu einem neuen Zeitalter. Das Baby hat noch mehrere Namen: Postindustriell, Informationszeitalter, elektronische, immaterielle oder auch kybernetische Epoche.

Zur Erläuterung und Relativierung der tiefliegenden, durch diese Umwandlung ausgelösten Ängste, wollen wir den Versuch wagen, den gegenwärtigen Umwälzungsprozess mit einem früheren zu vergleichen, der durchaus Analogien aufweist. Auch damals wurde der fundamentale gesellschaftliche Wandel begleitet vom Aufkommen neuer Medien: Gemeint ist der Übergang des Mittelalters zur Neuzeit.

Wir beschränken uns jedoch auf die historischen Erschütterungen in

unserem Berufszweig, der Architektur.

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GESCHICHTE DER ARCHITEKTUR-MEDIEN

1 ANTIKE UND MITTELALTER

Beginnen wir bei den Darstellungsmitteln der Baumeister von der Antike bis zum Mittelalter: Organisiert in hierarchisch-elitä- ren Zünften und Logen, war die konstruk- tive Vorgehensweise von Salomons Baumeister Hiram bis hin zu den Erbauern des Mailänder Doms Parler und Vignot dieselbe: Aus einem in heutiger Sicht ein- geschränkten Formenkanon der klassi- schen Geometrie schöpften sie ihre Raumvorstellungen für ein konkretes Bauwerk. 1521 beschreibt Caesar Caesariano deren archi-geometrische Kontroverse: Parlers (germanisches) Bauprinzip, das Dreieck, stand im Gegensatz zu Vignots (französischem) Quadrat

Weitgehend ohne Pläne in unserem Sinn fand der Entwurfsprozess oft direkt auf der Baustelle statt anhand eines Schnurgerüsts im Maßstab 1:1.

Überlieferte Planzeichnungen auf reißfe- stem Pergament dienten ebenso wie die verloren gegangenen Holz-, Wachs-, oder Schieferplatten als Schemaskizzen (ohne Maßstab) zum "Visieren" gewisser symbolisch-geometrischer Systeme, und wurden im wesentlichen bei der Ausbildung der Lehrlinge eingesetzt, sowie für Gespräche mit dem Bauherrn. So besaß jeder Baumeister sein "Muster- buch", eine Sammlung solcher Skizzen ohne Masstab und Schattierung, in nur einer Strichstärke und mit wenig Isometrien.

Der älteste uns bekannte Plan, der des Klosters St.Gallen aus dem Jahre 820, ist wohl nur deshalb erhalten, weil er auf der Rückseite des Pergaments mit der Lebensgeschichte des Hl.Martin gezeich- net war..

2 RENAISSANCE - NEUZEIT

Die aufkommende Renaissance brachte nun u.a. auch eine Ablösung der Bauhütten mit sich: Individualismus und Spezialisierung entstehen. Hierarchische gesellschaftliche Einheiten und damit auch kollektive Abhängigkeiten und Ängste zerbrechen an der wachsenden Analysefähigkeit des Einzelnen. Dieses neue Selbstbewusstsein findet vielleicht seinen deutlichsten Ausdruck in der Entdeckung der Perspektive, wo ja der eigene Standpunkt Priorität und Zentralität genießt.

Ermöglicht und begleitet wurde dieser gewaltige geistig-seelische Auftrieb durch neue Medien: Papier und Buchdruck lieferten die Voraussetzungen für eine breite humanistische Bildung, Universitä- ten entstanden und durch Veröffentli- chungen wurde die eindimensionale Un- terweisung Meister-Schüler um ein vielfa- ches erweitert.

Die Universalarchitektur der Baumeister- Logen wurde nun ersetzt von einem neuen Berufsbild: Mehr und umfangreicher ausgebildete Architekten traten in Konkurrenz zueinander und entwickelten neue Bauformen. Auch der Entwurfs- prozess auf dem Papier wurde immer wichtiger durch die Trennung von Theorie und Praxis: Antizipation und Simulation von zu bauendem nahm durch die Entwicklung der Darstellungstechniken einen rasanten Aufschwung.

Die Zeichnung selbst hatte sich emanzi- piert zu einem Medium des individuellen geistigen Entwurfs: Mit Hilfe der Perspektive waren nun rechenbare Kompositionen und experimentelle Konstruktionen möglich geworden, das neue Sehen "rationalisierte" die bildneri- sche Repräsentation.

Aber auch die Bauherren konnten sich in dem Maß emanzipieren, dass sie schon im Vorfeld anhand der angefertigten Zeichnungen und Modelle mitentscheiden durften.

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3 HEUTE

(Postindustrielles, elektronisches, kyber- netisches, immaterielles oder einfach:

Informationszeitalter)

Wäre es nun möglich, dass wir Planer/Architekten dem Papier als dem Ermöglicher und Katalysator unserer eige- nen Ausdrucksfähigkeit und unseres nun 500 Jahre alten Selbstverständnisses dermaßen dankbar sind, dass wir auch heute noch so daran festhalten?

In einer Epoche, in der die Informations- dichte so komplex geworden ist, dass sich der Zustand der Welt nicht mehr aus- schließlich auf den zwei Dimensionen des Papiers beschreiben lässt? Schnelligkeit und Synchronität der Informationsvermitt- lung erlauben keine vertiefende Analyse mehr, wie sie dem "Papiermenschen" der Neuzeit zu eigen war. Denn will er in sei- nem gewohnten Auswertungscode Nach- richten aufnehmen, kommen schon die nächsten und er hat keine Zeit mehr dazu.

Gereizt blockt er ab und ersetzt den feh- lenden Überblick durch Vorurteile.

In Deutschland, wo die Mentalität nicht zuletzt von der Sprachkonstruktion mit dem Verb am Satzende geprägt ist ("Lass mich ausreden!"), tut man sich vielleicht besonders schwer mit der notwendigen Umstellung auf neue Denk- und Verwertungsmuster: Tiefschürfende Mo- nologe vertragen sich schlecht mit der Beschleunigung aller Vorgänge um uns herum. Eine erforderliche schnelle und vielschichtige Kommunikation wird allzu- häufig als "oberflächlich" abgetan.

Aber vielleicht ist das, was unserer linearen Denk- und Handlungsstruktur als oberflächlich erscheint, die wichtigste Voraussetzung für das Überleben unserer Spezies unter den neuen, von uns ja selbst initiierten Bedingungen: Gemeint ist die Fähigkeit zum Differenzieren und Erkennen gleichzeitiger Abläufe, die Vernetzung von Zusammenhängen. Und dies ist nur interdisziplinär und in mehrdimensionaler Kommunikation machbar. Elektronische Medien haben diese Randbedingungen definiert, bieten aber auch gleichzeitig Werkzeuge zur Bewältigung derselben an.

Als Symbol dieser neue Umwelt, die mit den eben angesprochenen Eigenschaften bewältigt werden will, könnte man den

Mittler dieser neuen Medien ansehen, den Monitor zur Darstellung von Computerdaten und Videobildern.

Seine unzähligen Pixel (farbige Lichtflec- ken) sind nichts anderes als eine chrono- logische Abfolge von Zahlenwerten, pro- duziert im Computer oder in der Videoka- mera. Daher ist das Monitorbild im Gegen- satz zur chemischen Bildqualität von Film und Photo zwar ein sehr präzises Abbild der Wirklichkeit, jedoch in der Essenz nur eine Simulation derselben

Die technische Entwicklung erlaubt inzwi- schen die Simulation künstlicher Welten, durch die man sich räumlich bewegen kann. In diesem sog. Cyberspace ist ein

neues erkenntnistheoretisches Verständnis von "Realität" erforderlich. In

seinem "Digitalen Schein" stellt Vilem Flusser die entscheidende Frage "Warum trügt eigentlich der Schein? Gibt es etwas, das nicht trügt?" und erläutert in seinem folgenden reizvollen Diskurs das Zurücktreten des "historischen Bewusst- seins zugunsten eines formalen", d.h. eine Ablösung des linearen, logischen Denkens durch ein magisches Denken in Zahlen und Bildern: "Damit entsteht jedoch ein eigentümliches, typisch modernes Paradox. Die denkende Sache ist klar und deutlich - und das heißt: sie ist voller Löcher zwischen ihren Zahlen. Die Welt ist aber eine ausgedehnte Sache - res extensa -, in der alles fugenlos zusam- menpasst. Wenn ich also die denkende Sache an die ausgedehnte anlege, um sie zu bedenken... dann entschlüpft mir die ausgedehnte Sache zwischen den Intervallen. Aus diesem Grund wird das Problem der Erkenntnis im Verlauf der Neuzeit zu dem des Stopfens der Intervalle zwischen den Zahlen."

Im historisch ersten Krieg der Welten digitaler und analoger Eigenschaften schien es, als hätte die Überlegenheit der amerikanischen Digitalität in Form rechner-unterstützter Abfangraketen mit dem sinnigen Namen "Patriot" gegenüber den unberechenbaren analogen (und elektro-nisch als Steinzeitungetüme definierba-ren) russischen "Scud"-Raketen den Sieg davongetragen. Es schien auch, als hätte der Computer seine Unschuld verloren in diesem makaberen Golfkrieg:

Er hatte sich vom materiell stärkeren Gegner mißbrauchen lassen...

Haben Sie's gemerkt: Maschinen besitzen eine Unschuld? Diese romantische Personifizierung einer Maschine, die nur dazu gemacht worden ist, uns zu dienen?

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Selbst der Autor, kühl im Umgang mit all seinen Maschinen, hat wohl einmal zu viele Science Fiction-Romane des analogen Zeitalters gelesen, und fällt diesem Wirklichkeits- und Kontrollverlust anheim, indem er intelligente Maschinen beseelen will, nur weil ein Teil des Menschen, nämlich sein Gehirn, optimal und effektiv simuliert wurde...

Aber zurück zum Monitor.

Die Pixel sind die Mosaiksteine im Moni- torbild. Und wie man weiß, spricht ein Mosaikbild mehr den tiefliegenden ("primitiven") Tastsinn an als den Ge- sichtssinn des neuzeitlichen Menschen.

Die Bildpunkte müssen zu einem Ge- samtbild zusammengesetzt und ergänzt werden, ein synästhetisches Verhalten ist gefordert, ein Zusammenspiel der Sinne.

McLuhan spricht hier von einem "kühlen"

Medium, das die gesamtpersönliche Einbeziehung verlangt, der Zuschauer muß ergänzen, Zusammenhänge selbst herstellen. Details sind untergeordnet.

Die vom Tastsinn erschlossenen Sinnes- eindrücke sprechen also tiefere Bewusstseinsstrukturen an als der Gesichtssinn und erscheinen dem Menschen deshalb urtümlicher, fremdartiger, aber direkter. Vielleicht ist dadurch die allenthalben zu beobachtende Faszination inhaltlich eher langweiliger TV- Angebote erklärbar... Oder aber es liegt an der Eitelkeit des Zuschauers, sich selbst in der Rolle des Bildschirms wieder zu finden: Die Mattscheibe des Monitors ist ja für Durchlicht konzipiert, die Kathodenstrahlen verwandeln sich in Lichtstrahlen, die den Beschauer be- schießen. Joyce prägte hierfür das ironi- sche Wortspiel mit der Doppelbedeutung des englischen "light": The attack of the light cavallery.

Die obige Frage, warum wir Architekten dem Einsatz visueller elektronischer Medien in unserem Berufsalltag so skep- tisch gegenüberstehen, ist allerdings noch nicht befriedigend beantwortet. Zum eigenen Vergnügen werden zwar viele Spielarten benutzt, von Video-TV, digitalen Schallplatten über Walkman bis zum Computerspiel des Sohnes. Trotzdem ist man mehr als unsicher über konkrete Einsatzmöglichkeiten dieser Medien in der täglichen Arbeit.

Weiterhin vertraut man dem Papier an, was man eben so alles "zu Papier bringt":

Es ist ja geduldig.

Die Assimilierung neuer Medien braucht Zeit. Wir sind alle Teil einer Masse, und diese ist, nicht nur physikalisch betrachtet, träge. So sind all diese scheinbar parado- xen Übergangsphänomene verständlich, wo z.B. nach der Einführung des Buchdrucks ein Druckwerk zum Schreiber gebracht wurde, der es abschrieb, bebil- derte und dadurch seinen Wert vergrö- ßerte für den Besitzer, dem der Druck fremd, steril und unpersönlich vorkam...

oder auch der von Pferden gezogene Wagen mit Otto-Motor... aber auch der übertriebene Papierausdruck am Computer, weil die Mitarbeiter eine Information erst dann als wahr akzeptieren, wenn sie diese, meist auch nur schwarz auf weiß (aber gedruckt) in der Hand halten können.

Wenn ich manchen Durchschnittsarchitekt heutzutage sehe, erscheint er mir manchmal wie der galante Ritter des Mittelalters, der der bedrängten Dame Analogie Schutz anbietet im Kampf gegen den Roboter-Drachen namens Digitalität..

Trotz aller Schwierigkeiten kommen wir jedoch alle nicht umhin, uns der Auseinandersetzung mit diesen Medien zu stellen, die immer mehr unseren Alltag beherrschen und deren Konsequenzen schon jetzt unübersehbar sind. Es ist unsere Aufgabe als Planer der baulichen Gestalt der Welt, ihre Wirkungsweise zu analysieren, um dieser bisher radikalsten Revolution unserer Raum-Zeit-Strukturen mit effektiven Maßnahmen zu begegnen.

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EINSATZMÖGLICHKEITEN NEUER MEDIEN IN ARCHITEKTUR UND PLANUNG

1 VIDEOGRAPHIE

Ist es nicht sonderbar, dass gerade im Umfeld von Architektur, Stadt- und Umweltplanung, Berufen also, die doch

"mit den Augen denken", dieses visuelle Medium in seiner Flexibilität und Effizienz bis heute nach einem viertel Jahrhundert Existenz immer noch fast vollständig igno- riert wird?

Im folgenden sollen deshalb zunächst ei- nige Mosaikbausteine zum möglichen

"Einbau" der Videographie in unseren professionellen Alltag beschrieben werden.

Neben seinen unbestrittenen dokumenta- rischen Eigenschaften besitzen wir durch die simultane Wiedergabemöglichkeit in diesem Medium ein "3.Auge" der Reflektion. Wir lernen anders, vielleicht sogar mehr zu sehen, und gehen spieleri- scher beim Aufnehmen und Auswerten des Wahrgenommenen vor. Ästhetik und Produktionsprozess sind völlig anders als beim Film, u.a. sind die Bearbeitungs- möglichkeiten der elektronischen Bilder durch Computer praktisch unbegrenzt.

Im Städtebau bewegt sich etwas:

Die vielleicht einzige gesicherte Erkenntnis nach Abtritt des Funktionalismus (v.a.

angesichts dessen Pervertierung in der ehemaligen DDR) besteht wohl in der Notwendigkeit der aktiven Auseinan- dersetzung aller mit Architektur, Urbanität und deren Planung.

Stadt wird inzwischen nicht mehr nur von oben (der Planer-Gott über seinem Modell), sondern zunehmend von unten und innen, also aus der Sicht des Benutzers gesehen.

Zur Einbeziehung diesbezüglicher Rand- bedingungen in ihre Entscheidungspro- zesse besitzen Planer bisher zuwenig geeignete Instrumente. Genau hier bieten sich elektronische Kommunikationsmedien an.

Ein Beispiel: Die Vielschichtigkeit städte- baulicher Problematiken ließe sich optimal umsetzen in der sog. Videoinstallation.

Bekannt im Kunstbereich, finden hier Wahrnehmungsstrukturen ihren Ausdruck, die jedem geläufig, leider aber

zu wenig bewusst sind, wenn er "Stadt begreifen" (benutzen) will: Auf mehreren Videomonitoren, arrangiert und koordiniert im Sinn der erwünschten Aussagen- struktur, überlagern sich ebenso viele Handlungsebenen, wie z.B. beim Erleben einer urbanen Situation. Durch Einspei- sen zeitsynchroner Bilder aus der Kamera bildet der Zuschauer und Benutzer der Installation selbst die wichtigste dritte Ebene: Er konsumiert nicht mehr passiv vor einem Bildschirm , sondern ist aktiver Teil des installierten Szenarios, bewegt sich darin wie auf seiner eigenen Bühne.

Stadterlebnis wird in fragmentarischer Form simuliert; denn fragmentarisch ist das subjektive Rezeptionsverhalten des einzelnen, gefärbt von dessen rollen- und intentionsspezifischer Situation.

Vorstellbar in einer Installation sind Darstellungen von Wahrnehmungsprofilen verschiedener Stadtbenutzer, die sequentielle Aufbereitung urbaner Abläufe und deren beabsichtigte (oder ungeplante) Wirkung. Diese Antizipation räumlich- sozialer Strukturen verlangt zunehmend nach Kreativität, künstlerische Experimente können daher für Planer wichtige Anregungen darstellen. Die Vorführung einer derartigen Aufbereitung zu planender Situationen veranschaulicht der Öffentlichkeit die Komplexität und Tragweite planerischer Eingriffe und fordert gleichzeitig alle Beteiligten zur Mitarbeit an der zukünftigen Gestaltung unserer Umwelt heraus.

Ebenso vielschichtig und mehrdimensional kann man sich den Prozess einer Videoproduktion vorstellen, natürlich unter der Voraussetzung des medienge- rechten Einsatzes, d.h. dieses Medium

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muß in seinen Eigenschaften erkannt, und nicht zum preisgünstigeren Ersatz von Film reduziert werden.

Durch die Wiedergabemöglichkeit sofort nach, bzw. parallel zur Aufnahme (feed- back als Kurzzeiterinnerung) können alle an der Produktion beteiligten, ob nun vor, hinter oder neben der Kamera, in eine effektive Kommunikation unter sich und mit dem Machwerk eintreten. Es hat sich in der Erfahrung manchmal gezeigt, daß ein un- oder halbfertiges Video einen stärkeren Auslösemechanismus für Interaktion darstellt, als eine perfekt bearbeitete Dokumentation.

Und eben darum geht es doch in der Öffentlichkeitsarbeit: Gegenseitiges Informieren, Erfahrungsaustausch, Anre- gen zur Auseinandersetzung, Aufweichen erstarrter Fronten, all dies sind Kommuni- kationsstrukturen, mit denen sich der Pla- ner im Kontakt mit einer betroffenen Be- völkerung konfrontiert sieht.

In Fällen von total verhärteten Gesprächs- situationen (z.B. Bürgerinitiativen versus Stadtverwaltung) kann das Medium im wahrsten Sinne des Wortes eingesetzt werden: nämlich als Vermittler. Wenn sich beide Parteien mit Video ausdrücken, werden zwangsläufig Standpunkte und eigene Vorstellungen bei der Umsetzung in Bild und Ton hinterfragt, relativiert, aber auch verdeutlicht, und bei der gemeinsa- men Vorführung ergeben sich plötzlich neue Anknüpfungspunkte, die Ge- sprächsbereitschaft ist erneuert.

Diese neue Sicht hat sicher auch damit zu tun, dass alle Beteiligten ihre Scheuklap- pen dadurch etwas geöffnet haben, indem sie ihr Spezialistentum ablegten und zusammen etwas neues geschaffen haben. Buckminster Fuller hat in "Man's Total Communication System" klar den Zusammenhang erkannt zwischen "Teile und herrsche!" und der autoritären Zuweisung in Ignoranz und Spezialistentum: "Der Streit geht weiter.

Erst wenn man auf Spezialisierung und Nationen verzichtet, wird die Menschheit eine Überlebenschance haben. Es geht darum: Alle oder keiner."

Video eignet sich vorzüglich für den Einsatz mit Laien: Es ist leicht zu bedienen, technische Hürden sind schnell überwunden, Lernprozesse bzgl. der Ka- meraführung werden beschleunigt durch die sofortige Wiedergabe und bei der Schnittbearbeitung werden die Origi- nalbänder ja nicht wirklich zerschnitten...

Abspielgeräte sind inzwischen fast überall vorhanden.

Der Ruf "Phantasie an die Macht!" gilt nicht zuletzt für den Spezialisten am Reißbrett. Ohne Intuition und Kreativität lassen sich die heute anstehenden Katastrophen nicht mehr meistern..

Intuition für visuelle Umsetzung fehlt leider auch den meisten Fernsehproduktionen.

Der Grund liegt auf der Hand: Die meisten Redakteure kommen aus dem Journalismus, der jeweilige Stoff wird auf- bereitet wie ein Zeitungsartikel, der Kame ramann hat lediglich Einzelbilder zu liefern, die dem gesprochenen Wort angehängt werden.

Aktive und passive Benutzer des Mediums Fernsehen sind sich dessen Möglichkeiten nicht bewusst. Erstickt von einer Büro- kratie von Papiertigern erlaubt sich dieser Apparat nur selten das Wagnis, seine vi- suellen Kapazitäten voll zu nutzen.

Video hat eine neue Seite im ewigen Buch der Kinematik aufgeschlagen. Produkti- onsweise, Rezeption und Wirkung sind gänzlich verschieden vom Film. Das müs

sen wir begreifen, denn da wir schon alle mit irgendwelchen Bildschirmen zu tun haben, tun wir gut daran, sie zu unserem besten einzusetzen.

In Frankreich geht man konsequenter und bewusster mit den neuen Medien um, als bei uns (Unser High-Tech-Ländle Baden- Württemberg z.B. produziert vielleicht viel Hard- und Software, es mangelt jedoch total an der notwendigen Erforschung und Erprobung dieser Medien in ihren verschiedenen Einsatzbereichen).

Diese Aufgabe erfüllt in Frankreich z.B.

das INA und viele andere Institutionen zwi- schen Staat, Hochschule und Wirtschaft.

Der ständige Wandel unserer Sehge- wohnheiten ist hier ebenso Thema wie die eigenen Produktionen.

Das Planungsministerium MELATT z.B.

unterhält eine Video- und Cinematheque mit inzwischen fast 400 Titeln und finan- ziert jährlich selbst 8-10 neue Produktio- nen zu urbanen und/oder architektoni- schen Fragestellungen.

Diese produktiven Aktivitäten werden alle zwei Jahre der breiten Öffentlichkeit vor- gestellt im FIFARC, dem internationalen Festivals des Architekturfilms in Bordeaux.

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Seine Juroren (u.a. Rem Koolhaas und Jean Nouvel) betreiben Geburtshilfe für ein neues Genre, dessen Gesetzmäßig- keiten im einzelnen noch zu erforschen wären: ARCHIVISION, kongeniale Um- setzung des Raums in seiner Gesamtheit, dessen visuelle Auslotung durch Kamera- bewegungen simuliert wird: Raumerlebnis in bester Hitchcock-Manier..

Eine andere Art von Simulation dürfte geläufiger sein: Die Endoskop-verlängerte Kamera, die je nach Maßstab des Architektur-Modells die Augen eines Zentimeter-Menschen simuliert, der auf Straßen- und Platzräumen flaniert, ein Verkehrsmittel benutzt oder in Gebäude hineingeht.

Diese Simulationsanlagen führen aber leider ein ihren Qualitäten (v.a. für den Bauherrn als Laien) nicht angemessenes Schattendasein. Ob das nur auf man- gelnde Publizität, hohen Kosten, oder ein- fach nur auf Ignoranz beruht, sei dahinge- stellt. Sicher ist, daß die Grenzen der Entwicklungsfähigkeit derartiger Anlagen noch lange nicht erreicht sind. In Verbin- dung mit synthetischen Bildern, Compu- teranimation und "Real"-Video ergeben sich hier faszinierende Ausblicke.

2 COMPUTERNANIMATION

Der nächste Schritt nach der Erstellung von Plänen mittels CAD ist die Simulation des geplanten Gebäudes in Ansichten und Perspektiven mit Hilfe des Computers.

Virtual Reality lautet das Zauberwort, also nichts anderes, als die synthetische Erstellung umbauten Raums. Was bisher nur auf normalen Fernsehmonitoren sicht- bar war, ist jetzt schon hautnah als Monitor-Brille oder bald gar als - Kontaktlinse zu erleben. Und dies mit einem Gesichtsfeld, das die Konstruktion des menschlichen Auges zugrundelegt, uns also total umfasst. Jede Kopfbewegung kann über "Head Mounted Displays" in die entsprechenden Bilder, in die richtige Perspektive gerechnet werden, Sensorteppiche visualisieren eigene Positionsänderungen. Die Bildqualität in diesem sog. "Cyberspace" läßt zwar noch zu wünschen übrig, nach Meinung der Entwicklungsingenieure ist dies jedoch in allernächster Zukunft kein Problem mehr.

Viel eher beginnt sich hier ein unüber-

brückbarer Abgrund aufzutun zwischen uns Architekten und Planern der Umwelt einerseits und den Betreibern und Benutzern dieser Systeme andererseits.

Wenn wir uns nicht schnell das nötige know-how aneignen, gleiten uns un- geahnte Möglichkeiten aus den Fingern (die dann z.B. ausgebeutet werden von Immobilienhaien, denen es ausschließlich darum geht, mit perfekter Präsentation ihre - vielleicht nicht immer lupenreinen Pro- dukte an den Käufer zu bringen).

Dem Bauherrn einen simulierten Gang durch sein potentielles Haus sowie früh- zeitige Diskussionen und Änderungswün- sche zu erlauben, ist nur eine Konse- quenz für unsere zukünftige Realität, die elektronische Medien anbieten. Eine an- dere, vielleicht entscheidendere, liegt im beschleunigten Entscheidungsprozeß über geplante (oder unerwünschte) Aus- prägungen unseres baulichen Entwurfs.

Hyperrealistisch simuliert und zum Greifen nahe sehen wir z.B., wie sich unser ent- worfenes Gebäude in eine Baulücke einpasst, oder auf einem Platz aussieht.

Diese Koordination "realer" Videoszenen vom Bauplatz mit den synthetischen Computerbildern unseres CAD-Entwurfs ist nicht zuletzt in der Lehre von unschätz- barem Wert.

3 AUSBILDUNG UND LEHRE

Hochschulen spielen eine Vorreiterrolle beim Aufspüren und Definieren neuer Randbedingungen und bei der Um- setzung derselben in Studieninhalte.

Leider mangelt es hier an geeigneten Programmen, die den Studenten vorberei- ten auf Struktur und Konsequenzen vi- sueller Datenverarbeitung.

Ohne auf alle denkbaren Einsatzmöglich- keiten neuer Medien eingehen zu können, seien hier doch einige Studieninhalte umrissen, bei denen allerdings die Kathe- derpädagogie ihr vorläufiges Ende findet.

Der Lehrer steht hilfeleistend neben, nicht mehr über dem Schüler, der direkt mit einem interaktiven Medium umgeht.

"Learning by doing" fördert Selbstkritik, die wichtigste Voraussetzung bei interdis- ziplinärer Arbeit.

Elementare Grundlage jeglichen bauli- chen Gestaltens ist die Analyse einer vor- handenen räumlichen Situation. Zu deren visueller Repräsentation liefern uns seit der Renaissance Zeichnung und Skizze die geeigneten Mittel, unsere bildhaften

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Eindrücke und Ideen zu formulieren. Die optische Erforschung des menschlichen Sehapparats, sowie die philosophisch-na- turwissenschaftliche Reflektion über die Repräsentation eines sinnlich wahrge- nommenen Gegenstandes mündete da- mals in der Entdeckung der Zentralperspektive.

Das darauf fußende rationale zeichneri- sche Denken ist Voraussetzung jeglicher visueller Gestaltung. Und so bleibt eine solide zeichnerische Ausbildung auch heute noch eine der wichtigsten Grundlagen unserer Auseinandersetzung mit gebauter Umwelt.

Sicherlich wird es in absehbarer Zukunft möglich sein, komfortabel und sicher direkt auf dem Bildschirm zeichnen zu können.

Aber wohlgemerkt, Voraussetzung dazu ist das "rationale Sehen", d.h. die Umsetzung des Gesehenen auf den zwei Dimensionen einer Zeichnung, egal, ob auf Papier oder der Mattscheibe. Denn CAD zeichnet nicht für uns, das Programm stellt nur die Verbindungslinien zwischen Punkten her, die wir definieren.

Da in den nächsten Jahren eine entschei- dende Vereinfachung des "handlings" von CAD-Software zu erwarten ist, erscheint das mühsame Erlernen eines Programms durch die Studenten heute, d.h. 1992, noch nicht als zwingender Bestandtteil der Lehrinhalte. Allerdings sollten ihnen die verschiedenen Arbeitsschritte vorgeführt werden, und die Entscheidung, ob dies ihr angestrebtes Lernziel ist, kann ihnen individuell freigestellt werden. Neigung und Talent des einzelnen wird zeigen, ob Zeichenstift oder Tastatur und Maus seine geeigneten Instrumente sind.

Zur Aufbereitung einer visuell manifesten Situation in Architektur und Städtebau muß diese zunächst in ihre semiotischen Bestandteile zerlegt und deren Einfluß auf Nutzung bzw. Nutzer derselben überprüft werden: Durch was und wie wird z.B. ein Platz oder ein Innenraum belebt?

Für diese Art der Auseinandersetzung bie- ten sich die laufenden Bilder der Videographie an, da die Informationsver- arbeitung im Gehirn genauso wenig still steht wie unser Auge. Nicht zuletzt inter- essieren sich stadtgestalterische Unter- suchungen zunehmend für Sequenzen unserer baulichen Umwelt.

Diese Beschäftigung der Studenten mit visuellen Zeichensystemen sowie mit Montagesystemen (Schnittbearbeitung der registrierten Videobilder) bilden die

Voraussetzung für eine Auseinander- setzung mit der digitalen Bildverarbeitung.

Denn erst wenn der Student fähig ist, die Gesetzmäßigkeit "realer" Abbildungen der Realität in einen sinnvollen dramaturgi- schen Ablauf zu bringen, kann er begin- nen, synthetische Bilder herzustellen und diese zu animieren.

Die Simulation einer geplanten Si- tuation, weiter oben schon angesprochen, ist der nächste Schritt.

Computeranimation in Verbindung mit

"realen" Videobildern der Realität und ei- nes evtl. Modells wird in schon absehbarer Zukunft aus keiner Architekturausbildung mehr fortzudenken sein.

Die Videographie wird jedoch auch in der praktischen Architekturausbildung, z.B. in der Baukonstruktion, Eingang finden: Die Studenten sollen einen kurzen Lehrfilm erstellen über in Detail auf der Baustelle, einen kleinen Abschnitt im Bauverlauf; der Kameraausschnitt zwingt den Studenten zum genauen hinschauen, der Filmschnitt zum reflektierten Auswählen und Anordnen der Bilder.

Ebenso könnten in der Bauphysik kurze Filme z.B. über Bauschäden produziert werden, die mittels Endoskop leichter sichtbar gemacht, und im Labor simuliert werden.

Die Liste ließe sich mit etwas Phantasie beliebig verlängern. Zentraler Punkt bleibt jedoch immer die didaktische Bereiche- rung des Lehrplans durch die Medien, wodurch zum einen die Entwicklung der räumlichen Vorstellungskraft beim Studenten differenziert und intensiviert wird, andererseits eine Vorbereitung auf den Berufsalltag erfolgt, die ihn befähigt, unter Einsatz der richtigen Mittel den veränderten Anforderungen gerecht zu werden.

4. SCHLUSS

Faszinierende Ausblicke einer immer realer werdenden Utopie. Aber wie wir alle wissen, ist der Spielraum für deren inhaltliche und formale Umsetzung im Alltag eher begrenzt.

Ich kann lediglich hoffen, mit diesen Aus- führungen die Kollegen und Kolleginnen dazu anzuregen, mit offenen Augen die

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ständige Verdichtung der vielen medialen Netze zu erkennen und die richtigen persönlichen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Reinhard Knoedler 1/92

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